Die regierende Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen hat im Juni, bisher medial unbeachtet, einen Entschließungsantrag mit dem bezeichnenden Titel: „Passversagung bei Teilnahme an ausländischen Veranstaltungen, deren Inhalte im Widerspruch zu den Grundsätzen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes stehen“ eingereicht. Die Jahre der Corona-Maßnahmen sowie die beschlossenen rechtlichen Sanktionen in Bezug auf Äußerungen zum Ukraine-Krieg haben gezeigt, wie schnell ein „Widerspruch zu den Grundsätzen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ konstruiert und wie schnell man zum „Extremisten“ erklärt werden kann. Bei diesem Vorhaben sollten über alle Parteigrenzen hinweg die Alarmglocken läuten. Von Florian Warweg.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Der Antrag (Drucksache 20(4)259) ist am 7. Juni 2023 von der Ampelkoalition zur ersten Lesung in den Innenausschuss des Bundestages eingebracht worden. Begründet wird der Entschließungsantrag damit, dass man besser verhindern wolle, „dass deutsche Staatsangehörige an rechtsextremistischen Veranstaltungen im Ausland teilnehmen können (…).“ Als Beispiel wird auf „Kampfveranstaltungen“ verwiesen, „deren Ziel es war, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Kampftechniken beizubringen, um diese im Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung sowie gegenüber Personen mit anderen Meinungen einsetzen zu können.“
Eine Maßnahme nur gegen „Rechtsradikale“?
Doch gegen die „bisherig erfolgten Ausreiseunter- und Passversagungen auf Basis der §§ 7, 10 Passgesetz (PassG)“ durch die zuständigen Behörden seien einige der betroffenen Personen mit Erfolg gerichtlich vorgegangen:
„Die Verwaltungsgerichte entschieden im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes oftmals, dass die jeweiligen Ausreise- und Passversagungen voraussichtlich rechtswidrig waren.“
Dazu heißt es dann weiter:
„Unter Berücksichtigung dieser Entscheidungspraxis der Verwaltungsgerichte besteht die Notwendigkeit, den Behörden weitere Hinweise für die Auslegung des § 7 Absatz 1 Nummer 1 Variante 3 PassG zu geben. Denn bei einer Teilnahme an extremistischen Veranstaltungen im Ausland, deren Inhalte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zuwiderlaufen, ist eine Gefährdung des internationalen Ansehens der Bundesrepublik Deutschland und damit eines sonstigen erheblichen Belangs anzunehmen.“
Der Antrag, das sei kurz zur Kontextualisierung erwähnt, bezieht sich auf das Gesetzesvorhaben „Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Pass-, des Ausweis- und des ausländerrechtlichen Dokumentenwesens“, welches sich derzeit noch im Prozess der Anhörung im Bundestag befindet. Der erwähnte Paragraf § 7 Passgesetz, Absatz 1 lautet in seiner bisherigen Form:
„Der Pass ist zu versagen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass der Passbewerber (…) die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet.“
Wie bei allen Anträgen ist der bisher zitierte Begründungs- und Feststellungsteil nicht der zentrale Part, sondern hat eher dekorative Zwecke. Wirklich relevant bei einem Antrag im Bundestag ist der abschließende Forderungsteil. Und der hat es in sich. Fast unnötig zu erwähnen, dass vom angeblichen Fokus auf „Rechtsextremismus“ mit keinem Wort mehr die Rede ist:
„Vor diesem Hintergrund fordert der Ausschuss für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestages die Bundesregierung auf:
1. darauf hinzuwirken, die Passverwaltungsvorschrift insofern zu konkretisieren, als dass bei einer beabsichtigten Teilnahme an extremistischen Veranstaltungen im Ausland, die inhaltlich im Widerspruch zu den Grundsätzen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes stehen, eine Gefährdung des internationalen Ansehens der Bundesrepublik Deutschland und somit eines sonstigen erheblichen Belangs der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 Var. 3 PassG anzunehmen ist
und
2. darauf hinzuwirken, dass der Informationsfluss von den Sicherheitsbehörden zu den Passbehörden verbessert wird, sodass bei der Entscheidung über eine Passversagung den Passbehörden eine hinreichende Tatsachengrundlage vorliegt, um eine gerichtsfeste Passversagung vornehmen zu können.“
Es geht hier offensichtlich nicht um ein paar Neonazis vom III. Weg, die sich, zudem höchstwahrscheinlich vom Verfassungsschutz unterwandert, in der Ukraine vom rechtsradikalen Asow-Bataillon ausbilden lassen, um dann gegen „Putins Neobolschewiken“ zu kämpfen. Nach bisher allen bekannten Äußerungen der Bundesregierung werden diese Gruppierung und deren „militärisches Engagement“ für die Ukraine nicht als „Gefährdung des internationalen Ansehens der Bundesrepublik Deutschland“ gewertet. Ebenso wenig wird sich diese Passage auf das Auftreten der amtierenden Außenministerin im Globalen Süden beziehen, obwohl es durchaus entsprechende Indizien gibt.
Man ist vielmehr geneigt, sich in diesem Zusammenhang des Passentzugs an die Maßnahmen und „Argumente“ zu erinnern, mit denen höchstoffiziell versucht wurde, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in Zeiten der Corona-Krise auszuhebeln – oft erfolgreich. Jetzt stelle man sich – zugegebenermaßen kontrafaktisch – vor, das Organisationsteam der zweiten Großdemo gegen die Corona-Maßnahmen hätte aus diversen (und nachvollziehbaren) Gründen entschieden, sich außerhalb der Bundesrepublik zu einem Planungstreffen im europäischen Nicht-EU-Ausland, etwa in Norwegen oder der Schweiz, zusammenzufinden und die überarbeitete Passverwaltungsvorschrift wäre schon anwendbar gewesen. Oder ganz aktuell: Eine Gruppe von deutschen Friedensaktivisten würde die Teilnahme an einem Treffen in Moskau zum Ukrainekrieg planen.
„Maximal böswillige Anwendung“
Dagmar Henn verweist in einem Beitrag zu der von der Regierungskoalition geplanten Änderung der Passverwaltungsvorschrift völlig zu Recht darauf, dass man ein Gesetz oder Verwaltungsverfahren, insbesondere eingedenk der jüngeren deutschen Geschichte, immer unter der Möglichkeit der „maximal böswilligen Anwendung“ beurteilen sollte:
„Mein Vater, der bis in die Knochen Jurist war, hat mich einmal gelehrt, dass man, will man beurteilen, ob ein Gesetz, eine Verordnung oder ein Verwaltungsverfahren verfassungsgemäß ist, nicht von einer gutwilligen Anwendung ausgehen darf, sondern betrachten muss, ob selbst bei einer maximal böswilligen Anwendung verfassungsgemäße Rechte noch gewahrt sind.“
Es sei der Beurteilung des Lesers und dessen Erfahrungswerten in den letzten drei Jahren überlassen, wie hoch er das Gefahrenpotenzial dieser Regierungsinitiative einschätzt.
Schreiben Sie uns gerne an [email protected].
Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier.
Titelbild: Screenshot