NachDenkSeiten-Redakteur Florian Warweg war vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac Dortmund eingeladen worden, um am 17. Juli über den aktuellen Zustand der bundesdeutschen Medien zu sprechen. Der Vortrag stand unter dem Titel „Medien: Vierte Gewalt oder Meinungsmacher? Der Auftrag der Medien in der Demokratie und die Realität“. Florian Warweg verfolgt bei dem Vortrag einen induktiven Ansatz, indem er mit einigen Beispielen zur aktuellen Berichterstattung zum Ukraine-Krieg einleitet und dann darauf aufbauend die seiner Meinung nach wirkmächtigsten Manipulations-, Einfluss- sowie Repressionsmechanismen im bundesdeutschen Medienraum vorstellt. Die NachDenkSeiten dokumentieren für ihre Leser den Vortrag in der verschriftlichten Fassung. Von Redaktion.
Liebe Freunde,
lasst mich meinen Vortrag mit einer Binsenweisheit beginnen: „Das erste Opfer des Krieges ist immer die Wahrheit“.
Wenn dem so ist, dann befindet sich Deutschland spätestens seit dem 13. Juni 2022 zumindest im medialen Krieg gegen Russland. An diesem Junitag vor einem Jahr brachte die Tagesschau in ihrer Hauptnachrichtensendung um 20 Uhr folgende emotionalisierte Meldung, unterlegt mit Bildern vom zerstörten Marktplatz in Donezk:
„Zivile Ziele, immer wieder stehen sie unter Beschuss der russischen Armee. Dies ist der Markt in der ostukrainischen Stadt Donezk, oder das, was davon übrig ist. 3 Menschen sollen bei diesem russischen Angriff getötet worden sein. Gegen diesen massiven Beschuss durch die russische Armee ist die Ukraine zunehmend machtlos.“
Ist das Euer Ernst @tagesschau? "Viel ist nicht übrig von diesem Markt in der ostukrainischen Stadt Donezk. 3 Menschen sollen bei dem russischen (!) Angriff getötet worden sein." Ihr wisst doch ganz genau, wer Donezk regiert & das 🇺🇦Armee Donezk beschießt. Seit 8 Jahren übrigens. pic.twitter.com/e2SJin6Baw
— Florian Warweg (@FWarweg) June 14, 2022
Im weiteren Verlauf des Stück wurde dann noch dieser angebliche „russische Angriff“ als Begründung angeführt, dass Deutschland der Ukraine doch bitte schwere Waffen zukommen lassen sollte.
Alle hier im Raum wissen wohl um die Geschichte von Donezk und wer an diesem 13. Juni tatsächlich den stark frequentierten Marktplatz mit Raketen beschossen hatte. Und auch, dass der Beschuss von Donezker ziviler Infrastruktur und Wohnhäusern durch ukrainische Truppen seit 2014 Bestand hat. Bis zum heutigen Tag. Dieses Vorgehen, Bildmaterial des zerstörten Marktplatzes in Donezk um 180 Grad zu drehen, war, nach allem, was wir wissen, eine bewusste Entscheidung der Tagesschau-Redaktion. Daran kann es kaum Zweifel geben, denn die Grundlage für den Tagesschau-Bericht, das ist mittlerweile bekannt, waren zwei Agenturmeldungen von Reuters und dpa. Und dort hieß es unmissverständlich, ich zitiere exemplarisch aus der Reuters-Meldung:
„Bei einem ukrainischen Artillerieangriff auf einen Markt in der von Russland unterstützten Separatistenregion Donezek wurden am Montag mindestens drei Personen, darunter ein Kind, getötet und 18 verletzt…“
Selbst Springers Welt gab diese Meldung im Gegensatz zur Tagesschau korrekt wieder.
„Die von Russland kontrollierten Separatisten in Donezk haben am Montag von dem bislang angeblich heftigsten ukrainischen Beschuss auf die Stadt seit Beginn des Krieges berichtet. Vier Menschen seien getötet und mindestens 23 Menschen verletzt worden, hieß es in örtlichen Medienberichten. Auch eine Geburtsklinik in der früheren Millionenstadt sei in Brand geraten.“
Diese Tagesschau-Meldung wurde bis heute nicht richtiggestellt, in dem Sinne, dass die ukrainische Armee als Täter benannt wurde. Es wurde lediglich nach massiver Zuschauerkritik eine Anmerkung der Redaktion eingefügt, dass es nicht vollständig erwiesen sei, dass es sich um eine russische Rakete gehandelt hätte. Man habe daher den Beitrag entsprechend ergänzt. In der Tagesschau-Redaktion knipste man also lediglich in den pseudo-„objektiven“ Modus, nach dem Motto, die Quellenlage ist prekär, die einen sagen so, die anderen so.
Und damit sind wir bei einer etablierten Technik der bundesdeutschen Leitmedien bei ihrer Berichterstattung zum Ukraine-Krieg.
Stellen wir uns vor, in einem Krieg zwischen Macht A und Macht B bringt Macht A einen bestimmten Ort unter Kontrolle. Wie wahrscheinlich ist es, dass sich Macht A permanent an diesem Ort selbst beschießt? Dieser Ort übertragen auf die reale Situation ist u.a. das Kernkraftwerk Saporischschja, das größte seiner Art in Europa. Es steht seit Kriegsbeginn unter russischer Kontrolle und wird regelmäßig mit schwerer Artillerie beschossen. Bei der ARD gibt es bei Berichten zu diesen Angriffen eine feste Sprachregelung – ich zitiere:
„Moskau und Kiew beschuldigen sich immer wieder gegenseitig, für Angriffe auf das Atomkraftwerk verantwortlich zu sein.“
Wieder sind wir bei „Die einen sagen so, die anderen so“. Ganz formal erscheint das für die meisten Mediennutzer erstmal eine in dieser Form korrekte Nachricht. Doch wird in der aktuellen Berichterstattung dieser Modus nur eingeschaltet, wenn man eben gerade nicht sagen will, was ist. Denn die Entscheidung zu behaupten, man könne nicht wissen, wer dieses Kraftwerk beschießt, instrumentalisiert ganz bewusst eine scheinbar formale Objektivität zur einseitigen Parteinahme.
In Vor-Zeitenwende-Zeiten wäre es völlig normal gewesen, dieses Vorgehen journalistisch entsprechend zu hinterfragen. Denn den Verantwortlichen in den Redaktionen ist natürlich im Zweifel schon klar, wer das unter russischer Kontrolle stehende Kernkraftwerk beschießt. Es ist aber eben nicht opportun, das offen zu sagen. Sagen, was ist, wenn es nicht die eigene Haltung bestärkt, hat schon länger in den meisten Redaktionsstuben dieser Republik ausgedient.
Fast noch eklatanter als im Falle des Kernkraftwerks Saporischschja ist das Argument des Selbstbeschusses übrigens im Falle von Butscha. Die bisher einzige internationale forensische Untersuchungskommission, die die Leichen in Butscha untersuchte, hauptsächlich durchgeführt von Forensikern der französischen Gendarmerie, fand im April 2022 heraus, dass Dutzende obduzierte Leichen aus Massengräbern durchlöchert waren mit sogenannten Fléchette-Geschossen. Das sind kleine Metallpfeile, die sich, bis zu 8.000 Stück pro Granate, nach Abschuss in einem kegelförmigen Bogen in etwa 300 Meter Breite und 100 Meter Länge ausbreiten.
Was war das Narrativ dazu in westlichen Medien? Unisono wurde erklärt, falls überhaupt auf die Ergebnisse eingegangen wurde, die Fléchette-Artillerie-Geschosse seien von russischen Truppen, einige Tage vor ihrem Rückzug, über Butscha verschossen worden. Beispiele hier und hier.
Kein einziges der sogenannten Leitmedien hinterfragte auch nur im Ansatz, wie wahrscheinlich diese Behauptung sei, dass die russische Armee mit dieser Art von über hunderte von Metern breitstreuender Munition ausgerechnet das von ihren eigenen Truppen besetzte Gebiet beschießt.
Mir geht es hier wohlgemerkt nicht darum, Position zu beziehen, welche Seite der Kriegsparteien sich für das mutmaßliche Massaker, dessen Untersuchung noch läuft, verantwortlich zeichnet, sondern darum, aufzuzeigen, wie extrem einseitig das Ergebnis der französischen und ukrainischen Forensiker medial aufbereitet und interpretiert wurde. Insbesondere, mit welcher Selbstverständlichkeit die These des Eigenbeschusses als angeblich einzige Option fast völlig unhinterfragt medial verbreitet wurde.
Das einzige bekanntere deutsche Medium, welches dieses journalistische Vorgehen hinterfragte, war die Wochenzeitung Der Freitag in einem Artikel von Velten Schäfer mit dem Titel „Journalismus: Corona, Krieg – und der Tod der Nachricht“, in dem gefragt wird:
„Wie wahrscheinlich ist es, dass die Russen sich selbst beschießen?“
Was hier in den meisten Redaktionen zum Tragen kommt, hat der herrschaftskritische französische Soziologe Pierre Bourdieu einst als „Doxa“ bezeichnet. Er meint damit internalisierte Glaubenssätze und Annahmen in einer Gesellschaft, die weder kritisiert noch debattiert oder hinterfragt werden. Doxa muss nicht faktisch richtig sein, sondern stimmig und „Sinn machen“.
Übertragen, insbesondere auf die Ukraine-Berichterstattung, heißt dies, dass in fast allen Redaktionen die Doxa herrscht, dass nur „der Russe“ Zivilisten beschießt, Meldungen, die dieser Annahme widersprechen, sind unstimmig und müssen dann entsprechend umgeframt werden. Das führt unter anderem dazu, dass die Verantwortlichen bei der Tagesschau-Meldung zum Beschuss von Donezk „vergessen“, welchen Status Donezk eigentlich hat. Doch damit dies so internalisiert, also quasi unbewusst passiert, muss einiges an Vorarbeit geleistet werden. Und wir alle hier im Raum wissen wohl, dass gerade in der Ukraine-Berichterstattung seit 2014, also seit fast 10 Jahren, ordentlich dafür das Doxa-Feld „Der Russe war’s und nur der Russe“ vorbereitet wurde. Ähnliches konnten wir jüngst auch im Falle der Berichterstattung zur Zerstörung des Staudamms Kachowaka in der Oblast Cherson beobachten. Hier mit der bezeichnenden Einschränkung, dass US-Medien und Politiker sich weit zurückhaltender mit eindeutigen Schuldzuweisungen verhielten, als dies deutsche Medien und Politiker taten. Die von Beginn an, ohne jede Art seriöser Informationsgrundlage, von Russland als Täter und Kriegsverbrecher sprachen.
Doch zurück zur Ausgangsfrage. Wie erklärt sich diese sehr einseitige Berichterstattung etwa zu Russland und dem Krieg in der Ukraine, die auch eine aktuelle Medienanalyse der Otto-Brenner-Stiftung bestätigt? Es gibt zu den strukturellen Hintergründen einige interessante Veröffentlichungen. Verwiesen sei etwa auf die „DIE PROPAGANDA-MATRIX“ von Michael Meyen, Medienwissenschaftler an der Uni München (der derzeit um seinen Lehrstuhl bangen muss), in welcher er von vier „Arenen“ ausgeht, welche die mediale Diskursordnung bestimmen.
1. Die herrschende Ideologie, 2. Die Medialisierung (also alles, was Menschen tun, damit sie selbst oder das, was ihnen wichtig erscheint, gut in den Medien dargestellt wird), 3. Die Medienorganisation und 4. Das journalistische Feld (also Berufsideologie, Prägungen etc.).
Die letzte Veröffentlichung in diesem Zusammenhang in Deutschland, die für Furore sorgte, ist das Buch die „Vierte Gewalt“ von Richard David Precht und Harald Welzer. Sie diagnostizieren in diesem Buch ein „frappierend einheitliches Meinungsbild“, insbesondere in Bezug auf den Ukraine-Krieg und die Forderung nach immer mehr Waffen bei gleichzeitiger Delegitimierung aller Stimmen, die sich anders äußern. Und allein wie dieses Buch im Großteil des bundesdeutschen Feuilletons rezipiert wurde, bestätigt die These eindrucksvoll. Oder man denke an die skandalisierende Berichterstattung über die Vorträge zu den Hintergründen des Ukraine-Kriegs von Krone-Schmalz und Ulrike Guérot. Erst letzte Woche hatten die Malteser die Räumlichkeit für eine Veranstaltung mit den beiden in Mainz aufgekündigt, nachdem es zuvor das entsprechende mediale Vorbereitungsfeuer gab.
Ich persönlich finde aber für eine Analyse des Zustandes der deutschen Medienlandschaft einen Klassiker aus den 1980er Jahren am zielführendsten. 1988 veröffentlichten Noam Chomsky und Edward Herman das Buch „Manufacturing Consent“, auf Deutsch wurde dies mit „Konsensfabrik“ übersetzt. Dieses Buch wurde Anfang der 2000er Jahre nochmals aktualisiert. Hauptthese ist, dass die Massenmedien „wirkungsvolle und mächtige ideologische Institutionen sind, die eine systemerhaltende Propagandafunktion erfüllen. Sie stützen sich auf die Kräfte des Marktes, internalisierte Annahmen und eine Selbstzensur, dabei besteht aber kein offener Zwang“.
Das von Chomsky & Co dafür entwickelte Propagandamodell umfasst fünf Filter und besagt, dass Medien in kapitalistischen Demokratien einen gesellschaftlichen Konsens im Sinne der wirtschaftlichen und politischen Eliten herstellen.
Die fünf Filter auf dem Weg zur Produktion von Konsens lauten:
- Größe, Besitzverhältnisse und Profitorientierung
- Werbung
- Quellen der Massenmedien
- Flak (negative Reaktion der Mächtigen auf kritische Berichterstattung)
- Herrschende Ideologie als Kontrollmechanismus (im Sinne eines Feindbildaufbaus)
Beginnen wir mit dem ersten Filter, den Eigentumsverhältnissen hier in der BRD. In Deutschland beherrscht etwas mehr als eine Handvoll von Konzern-Verlagen einen Großteil des privaten Presse- und allgemeinen News-Marktes.
- Axel Springer,
- Bauer Media Group,
- Bertelsmann,
- Holtzbrinck-Verlagsgruppe,
- Die Madsack Mediengruppe, an der, nicht zu vergessen, die SPD mit ihrem Medienbeteiligungsunternehmen „Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft“ mit über 23 Prozent den größten Anteil hält.
- Es folgen noch Burda Media,
- und last but not least die Funke Mediengruppe, die hier in Dortmund etwa die WAZ sowie die Westfälische Rundschau herausbringt.
Die genannten sieben Konzerne dominieren aber nicht nur den Pressemarkt, sondern auch die journalistische Ausbildung in diesem Land: Die Henri-Nannen-Schule gehört größtenteils Bertelsmann, dann gibt es noch die Burda-Journalisten-Schule, die Holtzbrinck-Schule sowie die Springer-Akademie. Bei den letzten Dreien sagen die Namen ja schon, wer inhaltlich und finanziell hinter diesen Journalisten-Schulen steht. Das heißt, hinter den großen und zentralen Ausbildungsstätten für Journalisten in Deutschland stecken die einflussreichsten Medienkonzerne der Republik.
Es versteht sich fast von selbst, was für eine enorme Filterwirkung von dieser Art der Ausbildungsrealität auf angehende Journalisten ausgeht. Menschen, die etwa das herrschende kapitalistische Wirtschaftssystem hinterfragen oder auch nur eine kritischere Haltung zur aktuellen Rolle Deutschlands im Ukraine-Krieg einnehmen, werden im Zweifel in so einem Kontext bereits bei der Vorauswahl rausgefiltert oder sind halt gezwungen, sich langfristig zu verbiegen und zu verstellen.
Apropos Filter und Prägungen, hier ist noch bemerkenswert zu erwähnen, dass die familiäre Weitergabe des Berufes von einer Generation zur nächsten bei Journalisten ähnlich hoch ausgeprägt ist wie sonst nur bei Medizinern und Anwälten. Was natürlich nochmal einen zusätzlichen sozialen Filter in der Branche mit sich bringt. Damit wären wir auch wieder beim Doxa von Bourdieu gelandet.
Bis heute prägt die gehobene westdeutsche Mittelschicht die Leitungsfunktionen der Redaktionen. Egal ob Spiegel, Süddeutsche, Welt oder FAZ oder auch Magdeburger oder Leipziger Volksstimme. Denn auch in Ostdeutschland gibt es kaum eine Redaktion, in welcher der Chefredakteur keinen westdeutschen Hintergrund hat. Das ist kein unerhebliches Detail. Denn meiner Beobachtung nach, und dies belegen ja auch zahlreiche Umfragen, ist etwa in Bezug auf die aktuelle Russland-Berichterstattung der Aspekt der Russophobie und Kalter-Kriegs-Denke viel ausgeprägter bei Menschen, die im Westen der Republik sozialisiert wurden.
In diesem Zusammenhang frage ich mich auch immer wieder, was der Großvater von Außenministerin Annalena Baerbock ihr als Kind so erzählt haben mag. Denn dieser war von 1939 an soweit bekannt ohne Unterbrechung an der Ostfront eingesetzt. Seinen „Abwehrkampf“ an der Oder gegen sowjetische Soldaten (bei Baerbock ist natürlich immer von „russischen“ die Rede) hat unsere amtierende AM übrigens mal in einem Interview mit dem Atlantic Council als „ihre Inspiration“ für einen Kampf um ein „wiedervereinigtes“ Europa bezeichnet. Man achte auch auf den von ihr gewählten Begriff der „Wiedervereingung Europas“. Soviel zur Gedankenwelt der aktuellen Außenministerin unseres Landes.
Kennt Ihr schon @ABaerbock's Auftritt beim @AtlanticCouncil? #BaerbockforKanzlerin verkauft sich dort zunächst als Ostdeutsche (hä?), um dann zu erzählen, wie ihr Ostfront-Opa im Winter 45 an der Oder gegen die Rote Armee kämpfte. Dies sei ihre Inspiration für "fighting for🇪🇺"… pic.twitter.com/VJrnQcTnKO
— Florian Warweg (@FWarweg) May 19, 2021
Kommen wir nun zu Punkt 2 bei Chomsky: Der Werbung. Ein Großteil aller überregionalen Tageszeitungen und auch Regionalzeitungen befindet sich wie erwähnt im Besitz von profitorientierten Konzernen, welche ihre Printerzeugnisse zum größten Teil über Anzeigen-Werbung finanzieren oder besser gesagt finanzierten.
Denn beinahe ausnahmslos sinken seit mindestens anderthalb Jahrzehnten nicht nur massiv die Auflagen, sondern als direkte Konsequenz auch die Einnahmen via Anzeigen, und damit auch die Renditen. Um dies mal an einer konkreten Zahl deutlich zu machen:
2019 betrug das Anzeigengeschäft der deutschen Printmedien noch 2,1 Mrd. Euro. Ein Jahr später lag dies 2020 bei nur noch 1,7 Mrd. Ein fettes Minus von rund 400 Millionen Euro (und dabei sind in den 1,7 Mrd. die massiven staatlichen Querfinanzierungen etwa in Form von Werbekampagnen der Bundesregierung im Zuge der Corona-Krise, insbesondere des Gesundheitsministeriums, schon eingerechnet – der Rückgang wäre sonst noch signifikanter ausgefallen). Diese Tendenz setzte sich auch 2022 fort, hier kam, zumindest im Printgeschäft auch noch der massiv gestiegene Papierpreis hinzu.
Im konkreten Fall führen die sinkenden Werbeeinnahmen zum einen zu einer größeren Abhängigkeit von den verbliebenen Werbepartnern und damit auch zu einem mutmaßlichen Anstieg der inneren Zensur-Schere. Vielleicht doch lieber auf die Enthüllungsstory über VW verzichten, denkt der verantwortliche Cicero-Redakteur (fiktives Beispiel), wissend, dass dieser Konzern als einer der wenigen relevanten Anzeigen-Kunden übriggeblieben ist.
Zum anderen führt dieser Niedergang an Werbeeinnahmen aus privaten Quellen zu einer zunehmenden Querfinanzierung durch staatliche Stellen, mit ähnlicher Konsequenz. Man wird sich in der PR-Abteilung und Redaktion von ZEIT oder Süddeutsche 3-mal überlegen, ob man z.B. die Aussagen des amtierenden Gesundheitsministers oder Verteidigungsministers kritisiert, wenn die Hauptwerbeeinnahmen dieser Zeitungen aus dem Topf des jeweiligen Ministeriums stammen.
In diesem Zusammenhang sei auch beispielhaft auf die bereitgestellten 220 Millionen Euro für „Digitalisierung von Zeitungsverlagen“ im Nachtragshaushalt der Bundesregierung von 2020 verwiesen. Die z.B. in den staatlich finanzierten Erwerb von Zeitungs-Digitalabos für Schüler und Schulen flossen.
Kurze Anmerkung/Ergänzung in diesem Zusammenhang: Der Ansatz der Medienkonzerne, über verstärkte Investitionen in Online-Abos (Bezahlschranken) den massiv sinkenden Auflagen etwas entgegenzusetzen, hat sich bisher nicht ausgezahlt. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, schreiben derzeit fast alle Medienkonzerne soweit bekannt rote Zahlen oder zumindest keinen Gewinn mit ihrem Online-Angebot.
Die Aufgabe der Medien als Vierte Gewalt, als watch-dog und Kontrolleur der Politik, insbesondere der Exekutive, wird angesichts dieser zunehmenden Querfinanzierung und damit auch zunehmender Abhängigkeit von Regierungszahlungen geradezu ad absurdum geführt. Hier seien zudem noch die kürzlich bekannt gewordenen Zahlungen in Höhe von 2,3 Millionen Euro der Bundesregierung an ausgewählte Journalisten allein in den letzten fünf Jahren erwähnt. Diese „Einzelhonorare“ für Moderation oder Konzepterstellung im Auftrag von Ministerien beliefen sich teilweise im fünfstelligen Bereich und entsprachen damit mehreren durchschnittlichen Monatslöhnen.
Kommen wir jetzt zum dritten Filter von Chomskys Modell, der Abhängigkeit der Massenmedien von gewissen Quellen.
Insbesondere die sogenannten „Leitmedien“ sind für ihre Berichterstattung abhängig von „offiziellen Quellen“, die zumeist von Behörden, Regierungsvertretern und Konzernen bereitgestellt werden. Angesichts von zunehmend ausgedünnten Redaktionen, selbst bei größeren Medien, führt dies zu zwei prinzipiellen und zunehmenden Einschränkungen sowie Abhängigkeiten:
Erstens: Man ist froh, überhaupt ein Statement, eine Information bekommen zu haben, am besten noch exklusiv. Da gibt es neben der Tatsache, dass der jeweilige Redakteur kaum noch die Recherchezeit hat, um die Aussagen dieser Quelle gegenzuchecken und zu hinterfragen, den anderen Aspekt, dass es auch grundsätzlich wenig Motivation gibt, dies zu tun, denn man will sich die Quelle (und zudem oft noch potenziellen Anzeigenkunden) ja gewogen halten.
Zum Aspekt der „Exklusivität“ noch kurz ein Verweis auf das Vorgehen der CIA während des Vietnam-Krieges. Der NSA-Whistleblower Edward Snowden hatte Ende letzten Jahres einen spannenden Ausschnitt aus einem Interview von 1983 mit dem CIA-Agenten Frank Snepp auf Twitter gepostet, der exemplarisch die Fallstricke von „exklusiven“ News beleuchtet. Snepp schildert dort, wie er in Vietnam von 1969 bis 1976 im Auftrag der CIA-Chefetage die renommiertesten Korrespondenten von New York Times, Newsweek etc. mit angeblich exklusiven News versorgte. Das waren aber alles erfundene Geschichten, die nur dazu dienten, den Vietcong zu diffamieren und die Pro-Kriegsstimmung in den USA am Laufen zu halten. Fast alle Journalisten bissen an und wollten unbedingt die „exklusiven“ CIA-News. Kaum jemand versuchte, diese zu verifizieren, zu froh war man über die angeblichen Exklusiv-News. Snepp distanzierte sich später von seinem Agieren und ging an die Öffentlichkeit. Die CIA verklagte ihn daraufhin. Aber nicht etwa, weil er etwas Falsches gesagt hätte, sondern weil er aus Sicht des US-Geheimdienstes „Berufsgeheimnisse“ über den manipulativen Umgang der CIA mit der Presse verraten hatte.
Zurück nach Deutschland. Um sich mal beispielhaft die Kräfteverhältnisse von einer potenziellen offiziellen „Quelle“ im Verhältnis zu Journalisten vor Augen zu führen: Im Bundespresseamt, das keine andere Aufgabe hat, als die Bundesregierung und insbesondere den Kanzler in ein gutes Licht zu stellen und Journalisten mit entsprechenden Infos zu versorgen, arbeiten insgesamt 480 feste Mitarbeiter. Das Budget beträgt über 180 Millionen Euro. Daneben gibt es Hunderte weitere Mitarbeiter in den Presseabteilungen der anderen Ministerien. Von diesem Personalschlüssel und Budget kann eine durchschnittliche Redaktion nur träumen.
Kommen wir jetzt zum zweiten zentralen Problem bzgl. der Abhängigkeit von Quellen. Die zentrale Rolle von Nachrichtenagenturen. Im konkreten deutschen Fall zeigt sich dies in der zunehmenden Bedeutung und Direktübernahme von Beiträgen der Deutschen Presseagentur (dpa), die in der Bundesrepublik eine De-facto-Monopolstellung innehat.
Selbst bei Zeitungen, die sich eine gewisse diskursive Offenheit erlauben, wie etwa der Berliner Zeitung, setzt sich der Politik-Teil in der Printausgabe zu fast 100 Prozent aus Direktübernahmen von dpa-Artikeln zusammen. Das führt zu einer enormen diskursiven Dominanz und Framing-Möglichkeiten. Dies zeigt sich besonders ausgeprägt an Wochenenden, in denen die Online-Redaktionen noch dünner besetzt sind. Das Phänomen, dass zahlreiche Zeitungen und auch deren Online-Ausgaben oft genau identische Überschriften haben, zeigt sich aus diesem Grund auch insbesondere am Wochenende und bei den Montagsausgaben. „Exklusiv“-Geschichten der dpa kommen deswegen auch oft am Wochenende, weil dann die dpa-Verantwortlichen mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen können, dass fast alle Medien diese 1:1 übernehmen, weil sie dringend Material, das ohne großen Personalaufwand erstellt werden kann, zur Veröffentlichung brauchen.
Zur Framing- und Manipulationsmacht der dpa ein Beispiel aus meiner persönlichen Erfahrung. So zitierte die dpa im Februar 2021 Sachsen-Anhalts Ministerpräsidenten Reiner Haseloff in einer Tickermeldung, die so unter anderem direkt von der Süddeutschen, ZEIT und vielen anderen deutschen Medien übernommen wurde, mit den Worten:
„Es ist wichtig, direkt das russische Regime zu treffen“, sagte der CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur.”
Da ostdeutsche Ministerpräsidenten, im Gegensatz zu ihren westlichen Kollegen, den Terminus „Regime“ in Bezug auf Russland eigentlich nie öffentlich benutzen (zumindest nicht vor dem 24. Februar 2022), fragte ich damals aus journalistischer Neugierde direkt beim Regierungssprecher von Sachsen-Anhalt, Dr. Matthias Schuppen, nach, ob Herr Haseloff dies wirklich so formuliert hat. Dieser schickte mir umgehend die autorisierten Zitate des Ministerpräsidenten und erklärte:
„Von ‚Regime‘ ist darin keine Rede, es heißt dort ‚Verantwortliche‘“.
Die dpa änderte dies zwar später, aber wirklich erst nach meiner damaligen Nachfrage beim Pressesprecher und dann bei der dpa.
Man stelle sich das Medienecho und insbesondere die Reaktion der selbsternannten „Faktenchecker“ (deren Rolle ist nochmal ein ganz eigenes Thema, das den heutigen Rahmen sprengen würde) vor, wenn nicht die dpa, sondern eine nicht-westliche Nachrichtenagentur wie die russische TASS oder die chinesische Xinhua einem deutschen Ministerpräsidenten ein verfälschtes Zitat in den Mund gelegt hätte.
Vor diesem Hintergrund wirft es auch ein bezeichnendes Licht, dass ausgerechnet die dpa, die täglich Dutzende Artikel raushaut, davon regelmäßig einige auf fragwürdiger Quellenbasis, mittlerweile eine der größten Faktencheck-Abteilungen in der Bundesrepublik führt und in diesem Zusammenhang auch mit Facebook zusammenarbeitet und dafür entsprechend entlohnt wird. Es ist, welch Überraschung, kein einziges Beispiel bekannt, dass dpa-Faktenchecker sich mal einen ihrer eigenen Artikel vorgenommen hätten oder einen ihrer Gesellschafter. Material hätte es genug gegeben:
Apropos Gesellschafter. Die rund 170 Gesellschafter der dpa sind übrigens ausschließlich Medienunternehmen wie Verlage und Rundfunkanstalten. Damit sind Gesellschafter und Kunden der Nachrichtenagentur größtenteils identisch. Ein in der Welt ziemlich einmaliges und verqueres Konstrukt.
Falls es trotz der bereits aufgezählten Maßnahmen doch mal dazu kommen sollte, dass die Grenzen des Sagbaren aus Sicht der Politik- und Wirtschaftseliten übertreten werden, greift der vierte Filter. Chomsky und Herman nennen dies FLAK (in direkter Referenz auf die deutsche Flugabwehrkanone).
Bei Nicht-Gefallen von Berichterstattung wird es laut und hässlich und es wird mit schwerem Geschütz geschossen. Es folgen Anrufe, Drohungen, Anzeigen nicht mehr zu schalten, bis hin zur Absetzung oder Nicht-Verlängerung von Arbeitsverträgen. Ein eklatantes Beispiel ist etwa die Nicht-Verlängerung des Arbeitsvertrages des politisch der CDU nicht genehmen ZDF-Chefredakteurs und ehemaligen Weltspiegel-Moderators Nikolaus Brender 2009. Soviel übrigens auch zur proklamierten „Staatsferne“ des ZDF-Verwaltungsrats, in dem sich die Unionsparteien damals tatsächlich mit ihrer Forderung durchsetzen konnten, den ihnen zu „links“ agierenden Brender abzusetzen.
Unter „Flak“ fallen aber auch subtilere Einflussmaßnahmen, wie etwa die vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall initiierte und finanzierte „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“. Sie flankierte die mediale Durchsetzung der Agenda 2010. Und dies sehr erfolgreich. Im Ansatz zunächst kritische Berichterstattung zu Hartz IV, etwa im Spiegel, verschwand nach Interventionen der Initiative recht schnell, unter anderem indem es gelang, Begriffe wie „Reform“ oder „Eigenverantwortung“ in den medialen Diskurs im Sinne der Unternehmerverbände einzuführen. Damit änderte sich nachweislich das massenmediale Urteil zur damaligen rot-grünen Agendapolitik.
Eine kleine, aber vielsagende Anekdote, wie diese „Flak“ auch aussehen kann, kann ich noch aus meiner Zeit in der Bundespressekonferenz beisteuern. Ein deutscher Mitarbeiter einer japanischen Nachrichtenagentur saß lange Zeit hinter mir in der BPK. Wir kamen dann irgendwann ins Gespräch und ich fragte ihn, wieso er zwar in der BPK sitzt, sich aber seit Monaten nie zu Wort meldet. Seine Antwort: Er hätte zu Beginn seiner Präsenz in der BPK eine Frage zu Assange gestellt. Am nächsten Tag hätte ihn der Chefredakteur in sein Büro bestellt. Die japanische Botschaft hätte sich bei ihm gemeldet und erklärt, das Auswärtige Amt hätte sich über die Frage in der BPK beschwert und zu verstehen gegeben, dass es besser wäre, dieses Thema nicht zu thematisieren. Der Chefredakteur nannte das „Info-Loop“ und erklärte ihm, dass dies durchaus üblich sei bei sensiblen Themen im „Gastland“. Seitdem saß der noch recht junge Journalist nur noch eingeschüchtert und schweigsam in der BPK. Er verließ dann nach einigen Monaten die BPK und die Agentur – weil sein Vertrag nicht verlängert wurde.
Abschließend führt Chomsky als fünften Filter „Herrschende Ideologie als Kontrollmechanismus“ im Sinne eines Feindbildaufbaus ein. Im Falle der USA der 1980er Jahre nennt Chomsky den Antikommunismus als wirkmächtigsten ideologischen Kit. Ihr könntet jetzt einwenden, dass Antikommunismus heute nicht mehr so wirkmächtig ist wie noch in den 1980er Jahren. Damit habt Ihr wohl recht. Aber lasst mich aus der Einführung Chomskys zum fünften Filter zitieren:
„Wenn der Triumph des Kommunismus das schlimmste vorstellbare Ergebnis ist, wird die Unterstützung des Faschismus im Ausland als kleineres Übel gerechtfertigt. Die Ablehnung von Sozialdemokraten, die zu nachgiebig gegenüber den Kommunisten sind und ihnen „in die Hände spielen“, wird mit ähnlichen Begriffen rationalisiert. Die Liberalen im eigenen Land, die oft beschuldigt werden, prokommunistisch oder unzureichend antikommunistisch zu sein, sind ständig in der Defensive in einem kulturellen Milieu, in dem der Antikommunismus die vorherrschende Religion ist.“
Ersetzt einfach „Kommunismus“ durch „Russland“ oder „Kreml“ und die Analyse von Chomsky ist plötzlich wieder hochaktuell und genau so als Filterelement auch auf Deutschland anwendbar. Einige Beispiele hatte ich ja schon genannt: (Precht, Krone-Schmalz, Wagenknecht oder auch den Umgang mit dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, weil er sich teilweise kritisch zur Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine geäußert hatte).
Der Vorteil des Propagandamodells von Chomsky und Herman liegt meiner Ansicht nach vor allem darin begründet, dass es, im Gegensatz zu den in Deutschland prominenten Erklärungsansätzen, den Fokus vor allem auf die ökonomischen Bedingungen der massenmedialen Produktion von „Informationen“ und deren Manipulationen legt. Die Frage nach den Besitzverhältnissen der Medien fehlt zum Beispiel im neuen Buch von Precht und Welzer komplett. Ich glaube, auch aus eigenem Erleben, dass materialistische Aspekte eher als Erklärungsmuster für den Zustand der deutschen Medienlandschaft dienen als moralisch oder psychologisch argumentierende Ansätze. Zumindest bei den privatrechtlich organisierten Medien. Beim öfffentlich-rechtlichen Rundfunk sind es wiederum weniger materialistische Aspekte, da hilft als Erklärung wohl Bourdieu mehr als Chomsky.
Lassen Sie mich mit einem Zitat des legendären Generalsekretärs der französischen Gewerkschaft CGT, Léon Jouhaux, schließen. Vor ziemlich genau 100 Jahren, im Sommer 1913, erklärte dieser nach einer Schmutzkampagne aller Pariser Tageszeitungen gegen die Gewerkschaft wegen der Organisation einer umfassenden Streikbewegung:
« Que signifie une presse libre, si elle demeure aux mains des dominants? »
„Was bedeutet eine „freie“ Presse, wenn sie in den Händen der Herrschenden bleibt?“
Genau diese Frage können und müssen wir uns wohl heute noch genauso stellen, gerade auch in Bezug auf die derzeit extrem einseitige und fast immer die existierenden Hegemonieverhältnisse stützende Berichterstattung in diesem Land.
Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier.
Titelbild: Veranstaltung von Attac Dortmund, Florian Warweg