IAT: Durch mehr Arbeitsplätze für qualifiziertere Beschäftigte könnte die Verdrängung gering Qualifizierter auf Arbeitsplätzen mit eher niedrigen Anforderungen verringert werden.

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Das ist das Fazit einer empirischen Untersuchung des Instituts Arbeit und Technik (IAT). Wer sich einmal jenseits der marktdogmatischen Formeln der Sinns & Co, wonach die Arbeitslosigkeit nur eine Frage der zu hohen (rigiden) Löhne ist, mit der Wirklichkeit – also den empirischen Sachverhalten – beschäftigen will, der sollte sich die umfängliche Studie [PDF – 2.3 MB], die im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit, im Oktober 2005 vorgelegt wurde, einmal genauer ansehen. Hier nur das kurze Fazit.

Es ist weitgehend unumstritten, dass gering Qualifizierte tendenziell die Verlierer/innen des Strukturwandels sind. Die Ergebnisse der Studie zeigen allerdings, dass die Realität wesentlich komplexer ist als häufig angenommen.

Gering Qualifizierte seien eben keine homogene Gruppe, die sich quasi wie auf einer Einbahnstrasse aus dem Beschäftigungssystem heraus in die Arbeitslosigkeit bewege. Auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit sei der Arbeitsmarkt durch dynamische Prozesse gekennzeichnet.
Beschäftigungsverhältnisse würden beendet und ebenso würden wieder neue Beschäftigungsverhältnisse begonnen. Im Segment der eher einfachen Tätigkeiten sei die Fluktuation sogar überdurchschnittlich hoch. Es würden also ständig Neueinstellungen vorgenommen, von denen auch gering Qualifizierte profitieren könnten.

Auch der Beschäftigungsumfang sei nicht einheitlich rückläufig, nicht in jeder Branche ginge Beschäftigungsmöglichkeiten für gering Qualifizierte verloren. Die quantitative Analyse habe gezeigt, dass es trotz des generellen Rückgangs von Tätigkeiten mit niedrigen Qualifikationsanforderungen in den vergangenen Jahren auch Wirtschaftszweige gegeben habe, in denen die Zahl gering qualifizierter Beschäftigter deutlich gestiegen sei. Dies betreffe z.B. die unternehmensnahen Dienstleistungen, in denen sich die Beschäftigung von gering Qualifizierten seit 1980 mehr als verdoppelt habe. Zwischen 1999 und 2002 sei die Zahl gering qualifizierter Arbeitskräfte auch bei Infrastruktur- und Transportdienstleistungen sowie bei den haushalts- und personenbezogenen Dienstleistungen gestiegen.

Ob dieser Anstieg auf eine Zunahme von Teilzeitarbeit zurückgehe oder auf eine Verlagerung von Arbeitsplätzen zwischen Wirtschaftszweigen – etwa durch die Auslagerung von Reinigungstätigkeiten aus dem öffentlichen Dienst in die private Gebäudereinigung – oder aber in diesen Tätigkeiten tatsächlich zusätzliche Beschäftigung entstanden ist, sei den Daten nicht ohne weiteres zu entnehmen.

Festzuhalten sei aber, dass bestimmte Wirtschaftszweige und Tätigkeiten gegen den Gesamttrend anhaltend hohe oder sogar steigende Beschäftigungsmöglichkeiten für gering Qualifizierte böten, selbst wenn sie den Rückgang in anderen Wirtschaftszweigen nicht vollständig auffangen könnten.

In manchen Branchen und Tätigkeiten liege dies daran, dass die Anforderungen an Bewerber/innen offenbar differenzierter und höher seien, als dies häufig angenommen werde. Und selbst für Tätigkeiten, die nach wie vor eher niedrige Anforderungen stellten, würden Betriebe teilweise bevorzugt formal Qualifizierte einstellen – mitunter schlicht aus Ermangelung anderer Signale, um die Eignung von Bewerber/innen vorab einzuschätzen zu können.

Ein grundlegendes Problem für die Beschäftigungsperspektiven gering Qualifizierter bestehe offenbar darin, dass sie selbst auf Arbeitsplätzen mit niedriger Entlohnung und eher ungünstigen Arbeitsbedingungen mit Personen konkurrierten, die eine abgeschlossene Berufsausbildung hätten.
Eine Verbesserung der Arbeitsmarktchancen von gering Qualifizierten dürfte demzufolge am ehesten erreichbar sein, wenn es gelänge, die Beschäftigung insgesamt – also auf allen Qualifikationsebenen – deutlich zu steigern. Durch mehr Arbeitsplätze für qualifiziertere Beschäftigte könnte die Verdrängung gering Qualifizierter auf Arbeitsplätzen mit eher niedrigen Anforderungen verringert werden.

Angesichts der sich ausdifferenzierenden und tendenziell steigenden Anforderungen auch bei Einfacharbeitsplätzen müsste dies jedoch mit Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Beschäftigungsfähigkeit flankiert werden.

Wirksame beschäftigungsfördernde Maßnahmen dürften sich nicht auf einzelne Problemgruppen des Arbeitsmarktes konzentrieren, sondern müssten umfassender angelegt und mit anderen Politikbereichen verzahnt werden. Eine besondere Rolle spiele hierbei die Bildungspolitik insgesamt, die die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik flankieren und unterstützen sollte.
Eine besondere Herausforderung bestehe nach Einschätzung des IAT darin, den seit Anfang der neunziger Jahre erkennbaren Trend, dass der Anteil gering Qualifizierter in den jüngeren Altersgruppen wieder steige, umzukehren.

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