Der Krieg Russlands gegen die Ukraine und der damit einhergehende Stellvertreterkrieg zwischen Russland, aber auch mindestens China einerseits und dem Westen andererseits wirft immer wieder auch rechtliche Fragen auf. Die rechtliche Bewertung des russischen Angriffskriegs muss nicht weiter erläutert werden, denn diese ist unzweideutig: Russland bricht ohne Wenn und Aber das in der UNO-Charta Artikel 2 Absatz 4 verankerte Gewaltverbot, wie auch die USA und ihre „Koalition der Willigen“ dies mit dem Irak-Krieg 2003 oder dem NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999 getan haben. Sämtliche Versuche, relativierende Erklärungen zu den jeweiligen Angriffskriegen zu liefern, stellen eine unmittelbare Infragestellung und somit Relativierung des Internationalen Rechts dar. Neben der rechtlichen Ebene des ius ad bellum, also der Frage des Rechts auf Krieg, regelt das Internationale Recht aber auch Fragen des ius in bello, des Rechts im Krieg (Humanitäres Völkerrecht). Von Alexander Neu.
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Humanitäres Völkerrecht
Nun mag man der Auffassung sein, dass, wenn es ein generelles Kriegs- und Gewaltverbot gebe, sich auch die Frage nach dem Recht im Krieg erübrige. Dem sind zwei Aspekte entgegenzuhalten: Erstens kennt die UNO-Charta zwei Ausnahmen vom Gewaltverbot, nämlich die Gewaltautorisierung durch den UNO-Sicherheitsrat (Art. 42) und das Selbstverteidigungsrecht (Art. 51). Und zweitens zeigt die politische Wirklichkeit, dass trotz Gewaltverbots und jenseits der beiden oben genannten Ausnahmen die Welt nicht gewalt- und kriegsfrei ist. Trotz UNO-Charta und der Beschwörung der absoluten Relevanz des Internationalen Rechts hat die menschliche Zivilisation bislang den Schritt zum „Ewigen Frieden“ nicht beschritten. Und aus diesen Gründen ist das Recht im Krieg nach wie vor nicht hinfällig. Es soll dazu dienen, die kriegstypischen Grausamkeiten, wenn schon nicht verhinderbar, so aber doch zumindest einzuhegen.
Hierzu zählt der Schutz von Zivilisten oder Kriegsgefangenen während des Krieges. Es werden Waffenwirkungen sowie Waffensysteme benannt, die geächtet werden. Das Verbot gewisser Waffenwirkungen wird im Allgemeinen in den Genfer Konventionen und ihrem ersten Zusatzprotokoll (Ununterscheidbarkeit von Kombattanten und Zivilisten) festgehalten. Hinzu kommen weitere Konventionen, in denen spezifische Waffensysteme explizit geächtet sind – wie das Verbot von Streubomben. Solche speziellen Völkerrechtsverträge sind deshalb notwendig, um die Interpretationskunst von Regierungen und Militärs hinsichtlich der Umgehung von Verboten, die in den Zusatzprotokollen der Genfer Konvention aus dem Jahre 1949 formuliert sind, zurückzuweisen.
Während des Ukraine-Krieges tobt auch in Deutschland nicht nur die Debatte, ob und was man der Ukraine liefern sollte, sondern auch, was man unter Berücksichtigung völkerrechtlicher Restriktionen liefern darf.
Der Beschluss der US-Regierung, Streubomben an die Ukraine zu liefern, führt genau zu einer dieser Debatten. Bei Streubomben handelt es sich um ein Waffensystem, dass weder in seiner unmittelbaren noch in seiner mittelbaren, d.h. über einen langen Zeitraum hinweg eintretenden, Wirkung zwischen Zivilisten und Kombattanten unterscheidet: Streubomben, deren Blindgängerrate hoch ist, werden somit zu Minen, die auch nach Jahrzehnten bei Berührung explodieren können und dann zumeist Zivilisten töten oder verstümmeln. Daher wird dieses Waffensystem von den allermeisten Staaten dieser Welt geächtet.
Aber handelt es sich bei der Lieferung und dem Einsatz der Streubomben auch um Rechtsbrüche, also den Bruch des Völkerrechts, hier ius in bello? Wie so häufig ist die Frage nicht einfach mit JA oder NEIN zu beantworten.
Streubomben – rechtliche Einordnung
Im Jahre 2010 trat das Übereinkommen über das Verbot von Streubomben/Streumunition (das „Oslo-Übereinkommen“) in Kraft. Es verbietet den Einsatz, die Entwicklung, die Herstellung, den Erwerb und die Lagerung sowie die Weitergabe entsprechender Munition. Dem Abkommen sind bislang 110 Staaten und somit die Mehrheit der Staatenwelt beigetreten. Weitere 13 Staaten haben den Vertrag bereits unterschrieben, jedoch noch nicht durch ihre Parlamente ratifiziert. Die übrigen Staaten sind dem Vertragswerk bislang nicht beigetreten – darunter Russland, Weißrussland, die Ukraine, China, Indien und Israel, aber auch NATO-Staaten wie die USA, Polen, Türkei etc.
Da also weder die USA noch die Ukraine oder auch Russland dem „Oslo-Überkommen“ beigetreten und somit keine Vertragspartner sind, können sie das „Oslo-Übereinkommen“ auch nicht brechen. Eine Rechtswirkung bzw. Rechtspflicht kann sich dementsprechend bei ihnen nicht entfalten. Eine gegenteilige Interpretation untergrübe das Rechtsgut der staatlichen Souveränität. Auch kann man nicht mit einer völkergewohnheitsrechtlichen Verpflichtung argumentieren, da in diesem Fall die Voraussetzungen zur Etablierung gewohnheitsrechtlicher Normen nicht erfüllt sind. Angesichts dessen verstieße die Lieferung und der Einsatz US-amerikanischer Streubomben ebenso wenig gegen das „Oslo-Übereinkommen“ wie auch der Einsatz russischer Streubomben in der Ukraine. Und ob Russland bislang Streubomben eingesetzt hat, dazu gibt es unterschiedliche Informationen: Laut einem Bericht mit dem Titel „Anyone can die at any time“ von Amnesty International aus dem Jahre 2022 habe Russland in Charkiw Streumunition tatsächlich eingesetzt.
Obschon die USA und Russland bislang nicht gegen das Oslo-Übereinkommen verstoßen (können), haben sie jedoch die Genfer Konventionen und ihre Zusatzprotokolle ratifiziert, sind mithin daran völkerrechtlich gebunden.
Und ein Verbot von Streubomben ist auch im Zusatzprotokoll (Protokoll 1) zur Genfer Konvention herauslesbar. In dem Zusatzprotokoll werden nicht einzelne zu ächtende Waffensysteme aufgeführt, so auch nicht Streubomben, sondern vielmehr die Wirkung von Waffensystemen benannt und geächtet. Und es geht um das Verbot von unterschiedslosen Angriffen, d.h. von einer Waffenwirkung, die nicht zwischen Zivilisten und Kombattanten unterscheidet. Dazu gehören ganz eindeutig Nuklearwaffen, aber auch konventionelle Waffensysteme, deren Wirkung, wie bereits oben beschrieben, unmittelbar und mittelbar nicht zwischen den Personengruppen unterscheidet. Diese Unterscheidungsnotwendigkeit ist jedoch laut Art. 48 des Zusatzprotokolls essenziell:
„Um Schonung und Schutz der Zivilbevölkerung und ziviler Objekte zu gewährleisten, unterscheiden die am Konflikt beteiligten Parteien jederzeit zwischen der Zivilbevölkerung und Kombattanten sowie zwischen zivilen Objekten und militärischen Zielen; sie dürfen daher ihre Kriegshandlungen nur gegen militärische Ziele richten.“ Und Art. 51 definiert „unterschiedslose Angriffe“ als Maßnahmen „(…) bei denen Kampfmethoden oder -mittel angewendet werden, die nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden können, oder (…) deren Wirkungen nicht entsprechend den Vorschriften des Protokolls begrenzt werden können und die daher in jedem dieser Fälle militärische Ziele und Zivilpersonen oder zivile Objekte unterschiedslos treffen können.“
Eigentlich ist die Zuordnung von Streubomben angesichts ihrer Wirkung unter diese Definition eindeutig. Allerdings sehen das jene Staaten anders, die immer noch Streubomben besitzen und anwenden, soll heißen: Sie ignorieren und brechen meiner Einschätzung nach sodann das Zusatzprotokoll der Genfer Konventionen.
Bleiben nur noch die politische Tabuisierung und Verurteilung dieses Waffensystems. Die Meinung der Weltöffentlichkeit darf hinsichtlich der Tabuisierung von Waffensystemen nicht unterschätzt werden. Denn auch das „Oslo-Überkommen“ sowie weitere Abkommen sind nicht zuletzt Ergebnisse einer sich empörenden Öffentlichkeit und zivilgesellschaftlichen Drucks. Und einen solchen Druck hätte ich mir durchaus auch von der Bundesregierung gewünscht.
Position der Ampelregierung
Die bundespolitische Führung Deutschlands versagt indes nicht nur, sondern zeigt sogar ein an Zustimmung heranreichendes Maß an Verständnis für die US-Entscheidung. Wie anders ist die Aussage des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier im ZDF-Sommerinterview denn zu verstehen, in dem er die Bundesregierung auffordert, sie dürfe „in der gegenwärtigen Situation den USA nicht in den Arm fallen“? Die Bundesregierung selbst übt sich derweil in rhetorischen Allgemeinplätzen wie Deutschland achte das „Oslo-Übereinkommen“ oder man stehe in stetem Kontakt mit den USA. Mit dieser politischen Nicht-Positionierung verletzt die Ampelregierung nolens volens selbst das „Oslo-Übereinkommen“.
Denn Artikel 21 Abs. 2 mit der Überschrift „Beziehungen zu Staaten, die nicht Vertragsparteien dieses Übereinkommens sind“ beschreibt sehr eindeutig die Verpflichtung der Vertragsstaaten:
„(2) Jeder Vertragsstaat notifiziert den Regierungen aller in Absatz 3 genannten Staaten, die nicht Vertragsparteien dieses Übereinkommens sind, seine Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen, fördert die Normen, die darin niedergelegt sind, und bemüht sich nach besten Kräften, Staaten, die nicht Vertragsparteien dieses Übereinkommens sind, vom Einsatz von Streumunition abzubringen.“
Dass die mindestens Nicht-Positionierung der Bundesregierung diesem Artikel nicht gerecht wird, erklärt sich von selbst.
Verstärkend kommt die Vorbehaltsklausel (Artikel 19) hinzu: „Vorbehalte zu den Artikeln dieses Übereinkommens sind nicht zulässig.“
Mit anderen Worten: Die Begründungen für das besondere Verständnis für die US-Entscheidung seitens der Bundesregierung verstoßen ebenfalls gegen das „Oslo-Übereinkommen“, wonach Vorbehalte ausnahmslos ausgeschlossen sind.
Mit einem derartigen Politik- und Völkerrechtsverständnis wird die völkerrechtliche Zuverlässigkeit Deutschlands im internationalen System enorm strapaziert, womit die Bundesregierung unserem Land aus kurzfristigem Kalkül heraus langfristig keinen Gefallen tut.
Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier.
Titelbild: Im Vietnamkrieg eingesetzte US-Streumunition ausgestellt im Museum für Militärgeschichte in Hanoi – Foto: Shutterstock / Sergey Colonel
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