Leserbriefe zu „Deutschland ist faktisch Kriegspartei“
Sevim Dagdelen diskutiert hier die Untersuchungsergebnisse der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages bezüglich der Frage, wann ein Staat zur Konfliktpartei wird. Festgestellt werde u.a., dass „die Kriterien, deren Vorliegen den Status als Konfliktpartei begründet, in Literatur und Staatenpraxis nicht unumstritten“ seien. Laut WD bestehe „das zentrale Kriterium für das Vorliegen einer indirekten Gewaltanwendung darin, ob die Unterstützungsleistungen das Geschehen auf dem Schlachtfeld in einer Weise prägen, dass der unterstützte Staat ohne sie nicht in der Lage wäre, Gewalt von vergleichbarer Intensität und Effektivität auszuüben“. Die Beobachtung, dass die NATO mit ihrer militärischen und geheimdienstlichen Unterstützung maßgeblich Einfluss auf die Kriegsführung der Ukraine nehme, lasse nur eine Schlussfolgerung zu: „Der Westen ist im Krieg gegen Russland faktisch Kriegspartei.“ Danke für die interessanten E-Mails. Es folgt nun eine Auswahl der Leserbriefe, zusammengestellt von Christian Reimann.
1. Leserbrief
Zum Artikel von Sevim Dagdelen „Deutschland ist faktisch Kriegspartei“
Zunächst: sehr löblich, dass Sevim Dagdelen auf die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages hinweist.
Um es jedoch klar zu formulieren: das ist alles lächerlich und bedeutungslos (nicht der Artikel von Dagdelen, sondern die Ausarbeitung des WD und jedes Statement von Scholz, Biden u.a. zum Thema).
Es fehlt nämlich in der Ausarbeitung des WD und der Politiker-Propaganda das letzte, wichtigste Kapitel: wer denn trifft die Entscheidung, ob ein Staat oder die NATO Kriegspartei ist?
Antwort: alleine der Kriegsgegner. Den Kriegsgegner interessiert es in keiner einzigen politischen Sekunde, was Politiker und Medien des kollektiven Westens sowie Akademiker hierzu sagen.
Die Entscheidung, ob wir Kriegspartei geworden sind, trifft also Russland, und zwar vollkommen außerhalb einer akademischen Betrachtung, sondern ausschließlich nach seinen eigenen politischen und militärischen Kriterien.
Das wissen auch die US- und Sekundärregierungen; sie geben es nicht zu.
Bis dahin gewöhnen uns die USA und ihre Sekundärhelfer Schritt für Schritt an immer mehr Waffen und immer mehr Kriegsteilnahme, bis es dann gar keine Überraschung mehr sein wird, sondern nur noch ein paar Empörungsrituale in den Nachrichten und aus den Gauklern der Weltpolitik erfordert, um am Tag X die Jubelschreie in der Bevölkerung auszulösen, abgesehen von einigen wenigen, die noch unabhängig nachdenken.
Eins ist auch klar: es ist erstaunlich, aus welchen politischen und militärtaktischen Überlegungen die Russen bislang die massiven Waffen-Transportlieferungen des kollektiven Westens nicht bereits aus der Luft angegriffen haben, die Transporte dürften doch mit militärischen Satelliten deutlich zu identifizieren sein, noch bevor sie ukrainisches Gebiet erreichen.
Mit freundlichen Grüßen
Christopher Sprung
2. Leserbrief
Nun ist es ja erfreulich, daß in der Völkerrechtswissenschaft intensiv diskutiert wird, „wo genau“ die rechtliche Schwelle zwischen Konfliktunterstützung und Konfliktteilnahme liegen mag. Und ob eine Teilnahme an Feindseligkeiten den Status der „Mitkriegsführung“ erfüllt oder nicht.
Juristische Klimmzüge sind stets in alle Richtungen möglich, weshalb man immer auch den gesunden Menschenverstand zu Hilfe nehmen sollte.
Und danach ist der Westen und sind vor allem die USA und Deutschland sicherlich Kriegspartei. Wobei es aber auch darauf weniger ankommen dürfte als auf die subjektive Einschätzung des Gegenübers, selbst wenn hierbei das Bauchgefühl den Ausschlag geben sollte.
Aber Russland dürfte sich nicht nur bedroht fühlen und tatsächlich auch bedroht sein, sondern hat auch (wie fast der Rest der Welt) reichlich schlechte Erfahrungen mit dem „Wertewesten“ gemacht. Und für Entscheidungen in strategischer Hinsicht dürften diese Umstände weitaus wichtiger sein als alles juristische Geschwurbel. Für Russland hören die USA nie auf und die Deutschen fangen immer wieder an. Und genau das ist das Problem.
MfG
G. Hantke
3. Leserbrief
Sehr geehrte Frau Sevim Dagdelen,
zunächst einmal vielen Dank für Ihren Einsatz zur Klärung dieser wichtigen Frage – doch erlauben Sie mir ein paar kritische Bemerkungen.
Wenn ich das richtig verstehe, werfen die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages (WD) in deren Antwort auf die von Ihnen beauftragte Untersuchung diverse wissenschaftliche (?!) Fragen auf, ohne diese jedoch eindeutig zu beantworten.
Sie Frau Dagdelen schlußfolgern jedoch aus der Antwort aufgrund einer von Ihnen herausgelesenen und Ihrer Meinung nach ausreichenden Einflussnahme Deutschlands (der deutschen Regierung) auf das militärische Geschehen in der Ukraine, in Verbindung mit einem gewissen “Unbehagen” seitens des WD welches Sie dem Text entnehmen, das Deutschland “faktisch Kriegspartei” ist.
Unabhängig davon das ich das genau so sehe (wozu ich keinen WD brauche), möchte ich die Frage aufwerfen, gesetzt den Fall Ihre Meinung würde parteiübergreifend als richtig eingestuft/empfunden werden, was glauben Sie damit bewirken zu können? Glauben Sie das damit dann eine sofortige 90° bis 180°-Wende (für Annalena: 180°=360°) insbesondere bei der deutschen Regierung eintritt?
Ich bin der Meinung, dass dies nicht der Fall sein wird, da dieser Krieg über Jahre/Jahrzehnte von den USA – welche die westliche Allianz (inkl. der deutschen Regierung) dominiert – provoziert und gewollt ist. Die “verkopften” wissenschaftlichen (?!) Fragestellungen im vermeintlich humanitären/völkerrechtlichen Sinne die der WD aufwirft und nicht beantwortet sprechen in meinen Augen Bände. Diese sollen in meinen Augen wie mittlerweile so üblich verkomplizieren, hinauszögern, beschäftigen, den seriösen Anschein wahren, etc, etc. um in aller Ruhe die begonnenen Handlungen/Interessen im Sinne der USA weiterführen zu können. Aufklären und Position beziehen ist da meines Erachtens (m.E.) nur hinderlich!
Die “Salamitaktik” die der von den USA geführte Westen seit Beginn der provozierten russischen militärischen Sonderoperation anwendet dient m.E. insbesondere dazu die eigenen Bevölkerungen unbemerkt in den gewollten Krieg zu führen – und hinter sich bzw. dem öffentlichen Narrativ zu halten!
Ursächlich für diese seit vielen Jahren/Jahrzehnten/Jahrhunderten bestehende bösartige Aggression des “Westen” gegen Russland sind m.E. expansive/globale Gier und Machtinteressen – also niedere Beweggründe wie die geopolitische Heartland-Theorie von Halford Mackinder (die m.E. von den USA quasi übernommen wurde und bis heute gilt).
Herzliche Grüße
Andreas Rommel
4. Leserbrief
Liebes Nachdenkseiten-Team,
ich schätze Frau Dagdelen sehr und danke ihr für ihre Mühen. Auch den WD hätte ich gerne gelobt, in den politischen Grenzen, die ihm gestattet sind. Die SWP zu zitieren, hat der Seriosität des Gutachtens jedoch sicherlich nicht geholfen. Die SWP hat sich als zitierfähiges Medium ja ziemlich ins Aus geschossen.
Ich möchte zum Thema “Kriegspartei” jedoch nochmals darauf hinweisen:
Relevant ist nicht, ob Juristen in Deutschland uns als Kriegspartei wahrnehmen, sondern ob Russland uns so sieht.
Wenn man bedenkt mit welchen Begründungen der Westen (=USA) den Irak, Afghanistan oder auch Syrien angegriffen hat, muss man sich fragen: Hat der Irak Milliarden und Abermilliarden für Regime-Changes, Destabilisierung und Umsturzversuche in westlichen Ländern ausgegeben?
Hat Afghanistan Waffen, Ausrüstung und Aufklärungsdaten im Wert von Abermilliarden an Nordkorea geliefert, damit die wieder ordentlich gegen Südkorea kämpfen können?
Hat Syrien Sanktionen gegen westliche Länder verhängt, damit diese in ihrer Entwicklung massiv gestört werden und die Bevölkerung existenziell leidet?
Nein. Man hat sich weitestgehend Lügen zusammen gemixt, die selbst wenn sie wahr gewesen wären nicht mal ein Bruchteil der Aggression darstellen, die der Westen schon seit lange vor dem Ukraine-Konflikt gegen Russland ausübt. Und trotzdem hat man das als Begründungen für Kriege genutzt.
Natürlich sieht sich Russland in einem mindestens lauwarmen Krieg mit der Nato. Daran ändert auch ein Gutachten des WD nichts. Das Kind ist im Brunnen. Aus meiner Sicht sollten wir keine weiteren hinterher werfen.
Wir haben so viele rote Linien überschritten, dass es alleine Russlands Langmut und Rationalität zu verdanken ist, dass die Welt noch nicht im atomaren Feuersturm untergegangen ist. Beim Donbass hat Russland dem Bürgerkrieg gegen die russischsprachige Minderheit 8 Jahre zugeschaut, es mit Diplomatie versucht und zumindest in der Beziehung dem Westen vertraut.
Ich bezweifle, dass Russland jetzt 6 Jahre warten wird bevor es der Meinung ist, militärische Ziele auch außerhalb der Ukraine angreifen zu müssen. Und dann müssten wir alle auf den Langmut und die Rationalität des Westens vertrauen, dass er nicht atomar eskaliert. Langmut und Rationalität in Russland zu erwarten bereitet mir schon massive Bauchschmerzen. Im Westen sind sie gar nicht wahrnehmbar.
Es muss sofort massiv deeskaliert werden. Es muss eine Waffenruhe vereinbart werden und Diplomatie das Zepter übernehmen. Frieden ist essenziell. Für alle.
Beste Grüße an die Nachdenkseiten,
SO
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