Alles auf Nichts! Andreas Scheuer vers(ch)enkt 243 Millionen Euro

Alles auf Nichts! Andreas Scheuer vers(ch)enkt 243 Millionen Euro

Alles auf Nichts! Andreas Scheuer vers(ch)enkt 243 Millionen Euro

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Eine Viertelmilliarde Euro Schadenersatz muss die Bundesrepublik für die geplatzte „Ausländermaut“ zahlen. Das vereinbarten die Regierung und die verhinderten Betreiber mittels Vergleich vor einem geheim tagenden Schiedsgericht. Den früheren Bundesverkehrsminister „ärgert“ das, und er „kann den Unmut sehr gut verstehen“. Seinem weiteren Werdegang werden die Pleite und die Mauscheleien bei der Anbahnung des Projekts nicht im Wege stehen. Wie es heißt, plant er einen Seitenwechsel in die Wirtschaft. Manch ein Politiker sähe ihn lieber in Haftung, besser noch in Haft. Mehr als eine Sommerlochdebatte ist das nicht, glaubt Ralf Wurzbacher.

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Andreas Scheuer macht sich vom Acker. Am Wochenende legte er den Vorsitz der CSU Niederbayern nieder. Das war lange geplant. Der Bundesverkehrsminister a. D. vollziehe einen „leisen Abschied“, hatte schon Anfang Februar Tagesschau.de geschrieben. An der Spitze des Parteibezirks müsse „eine Person stehen, die in Staat oder Parlament eine herausgehobene Position hat“, ließ der gebürtige Passauer seinerzeit wissen. Das ist der „Andi“ nicht mehr, seit er im Bundestag als einfacher Abgeordneter die harte Oppositionsbank drückt. Deshalb bereitet er sich lieber auf seine Karriere nach der Politik vor, laut besagtem Bericht liebäugelt er mit einem Wechsel in die Wirtschaft. Da sitzt es sich weicher und bei großzügigem Salär ganz unbeschwert.

Man darf annehmen, dass Scheuer seinen Abgang dieser Tage mit noch mehr Elan vorantreibt. Eigentlich könnte es dafür keinen passenderen Zeitpunkt geben. In der Vorwoche wurde bekannt, dass sein dickster politischer Bock, die verkorkste Pkw-Maut, die deutschen Steuerzahler mal eben 243 Millionen Euro kosten wird. Wobei das nicht alles ist. Oben drauf kommen Rechnungen für Anwälte und Berater sowie Gerichts- und Verfahrenskosten als Quittung eines mehrjährigen Rechtsstreits, der für die Bundesregierung nach hinten losging. Alles in allem dürfte das Pleiteprojekt einen Scherbenhaufen von über 300 Millionen Euro auftürmen. Viel Geld für eine fixe Idee, die der Legende nach 2013 in einem bayerischen Bierzelt ausgebrütet wurde, vom damaligen CSU-Chef Horst Seehofer, der damit im Bundestagswahlkampf punkten wollte. O-Ton: „Die Deutschen zahlen in den meisten europäischen Ländern“, daher sollten die Ausländer jetzt auch in Deutschland zahlen – „aus Gerechtigkeitsgründen“.

Profit für Nichtleistung

So gerecht läuft’s bisweilen: Nun also zahlen „die Deutschen“ für nix und wieder nix beziehungsweise für eine Nichtleistung zweier verhinderter Mautbetreiber. Die im Konsortium „Autoticket“ zusammengeschlossenen Firmen Kapsch TrafficCom und CTS Eventim verstanden es augenscheinlich, gut zu verhandeln – mit lausigen Verhandlern auf Staatsseite. Vertragsgemäß war ihnen der entgangene Profit über die gesamte Vertragslaufzeit bis 2032 zugesichert, sofern das Geschäft wegen ordnungspolitischer Gründe platzt. Dass sie mit ihrer Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland anfangs sogar 560 Millionen Euro durchsetzen wollten, davor gar von 700 Millionen Euro Schadensersatzforderungen die Rede war – geschenkt. Mit dem vor einem geheim tagenden Schiedsgericht geschlossenen Vergleich lässt sich fraglos gut leben. Jedenfalls verkündete Kapsch, ein im Verkehrsmanagement tätiges Unternehmen aus Österreich, anlässlich des Beschlusses eine „signifikante Verbesserung des operativen Ergebnisses (EBIT) bei einem Umsatzwachstum im einstelligen Prozentbereich“.

Es ist davon auszugehen, dass Scheuers Bezüge demnächst mindestens im mehrstelligen Prozentbereich zulegen werden, eher noch werden sie sich vervielfältigen. Schließlich folgt auf die Diäten als Parlamentarier nach dem politischen Rückzug in aller Regel das fette Leben. Und je größer das Versagen im Amt, desto lukrativer ist oft die Anschlussbeschäftigung. In puncto Verfehlungen macht dem Niederbayer ohnehin keiner etwas vor. Aber den fraglos größten Vogel schoss er damit ab, die Betreiberverträge zur Pkw-Maut ohne Rechtssicherheit klarzumachen, ein halbes Jahr bevor der Europäische Gerichtshof (EuGH) sein Urteil aufgrund einer Klage Österreichs fällte. Im Juni 2019 erteilten die Richter dem deutschen Sonderweg eine Absage, der darin bestand, Fahrzeughalter aus dem Ausland fürs Befahren hiesiger Autobahnen abzukassieren, während solche mit deutschem Pass mittels Abschlägen bei der Kfz-Steuer unterm Strich keine Mehrkosten leisten sollten. „Diskriminierend“ sei das, befand der EuGH und kassierte das Gesetzeswerk, das – so viel Wahrheit muss sein – noch auf dem Mist von Scheuers Amtsvorgänger Alexander Dobrindt (CSU) gewachsen war.

Lügen, Täuschungen, Manipulationen

Aber der „Andi“ machte den Misthaufen höher und höher, wovon später dann auch ein Untersuchungsausschuss des Bundestags Zeugnis ablegen sollte. Nur ein paar Beispiele, die hier im Detail beschrieben sind: Bei der Vergabebeentscheidung sorgten merkwürdige „Kostenexplosionen“ bei der Kalkulation staatlicher Ausgabenposten dafür, dass eine Pkw-Maut unter Regie des Bundes den Kürzeren zog. Unter den Tisch fielen dabei auch mögliche Synergien durch Einbeziehung der im Bundesbesitz befindlichen Toll Collect GmbH, die die Lkw-Maut eintreibt. Bei Mitberücksichtigung wäre ein Privatbetrieb mit höheren Kosten zu Buche geschlagen und das Staatsmodell hätte das Rennen machen müssen. Um im vom Bundestag bewilligten Kostenrahmen zu bleiben, wurde das erste Gebot des Konsortiums auf undurchsichtige Weise und hinter dem Rücken des Parlaments auf den allerletzten Drücker von über drei auf knapp über zwei Milliarden Euro gestaucht. Dabei fanden auch die – bei der Vergabeentscheidung noch ignorierten – Synergien durch Toll Collect Eingang in die Berechnung. Dazu kamen noch reichlich Vorwürfe gegen Scheuer, gelogen, getäuscht und vertuscht zu haben, insbesondere mit Blick auf mehrere Geheimtreffen mit den Chefs der Betreiberfirmen. Bei einem der Zusammenkünfte sollen seine Geschäftspartner den Vorschlag gemacht haben, mit dem Abschluss der Verträge bis nach dem EuGH-Spruch zu warten. Der Minister soll das Angebot verworfen haben – wollte sich daran aber später partout nicht entsinnen: „Ich kann mich an ein Angebot in irgendeiner Weise nicht erinnern.“

Besagter Untersuchungsausschuss beleuchtete viele dieser Machenschaften, beließ es aber dank der schwarz-roten Mehrheit bei einem milden Urteil. Fälle von Lügen, bewusster Verheimlichung oder Manipulation seien Scheuer nicht glaubhaft nachzuweisen, hieß es. Auch zum Hauptvorwurf, dem voreiligen Vertragsabschluss ohne Rechtssicherheit, erteilten die „Ermittler“ Absolution. Das Vorgehen sei, wenn auch risikobehaftet, „vertretbar“ gewesen. In einem Sondervotum zum Abschlussbericht seitens der Opposition hörte sich das anders an: Man blicke „in einen politischen Abgrund von Ignoranz, Verantwortungslosigkeit, Bedenkenlosigkeit und Rechtsbruch – verbunden mit einem Erschrecken über mangelhaftes Regierungshandwerk“, wobei die „Grenze zwischen Vorsatz und grober Fahrlässigkeit fließend“ gewesen sei. Und: „Die Schlussrechnung für das Scheitern (…) wird uns allen erst nach der Bundestagswahl präsentiert werden.“

Pfuscher soll haften

Jetzt ist es also so weit und die Aufregung groß. Seitens der Regierungsparteien wird gefordert, die CSU solle den Schaden aus ihrem Parteivermögen begleichen oder Scheuer selbst in Regress genommen werden. Presseberichten zufolge prüft das Bundesverkehrsministerium (BMDV) derzeit, ob dies rechtlich möglich ist und Aussicht auf Erfolg hat. „Die Steuerzahler allein sollten nicht für diesen schweren politischen Fehler zahlen müssen“, ließ sich Scheuers Nachfolger Volker Wissing (FDP) zitieren. Ähnlich äußerten sich Anton Hofreiter von den Grünen und der Präsident vom Bund der Steuerzahler (BdSt) Reiner Holznagel. Eine Haftungsüberprüfung müsse bei „Steuergeldverschwendung zur Regel gemacht werden“, wofür es „die Erweiterung des Strafgesetzbuchs um den Straftatbestand der Haushaltsuntreue“ brauche.

Da kann man nur sagen: Gut gebrüllt! Denn was den Wählern sicher gefällt, wird mit Sicherheit nicht umgesetzt, zumindest nicht in der gebotenen Schärfe. Stand jetzt enthält das Bundesministergesetz für den Fall persönlichen Fehlverhaltens keine haftungsrechtlichen Regelungen für Mitglieder der Bundesregierung. Das ließe sich ändern, aber welche Partei hätte daran ein Interesse? Man male sich aus, Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) müsste für seine stümperhaften und milliardenschweren Maskenbeschaffungsdeals rückwirkend geradestehen. Oder man stelle sich vor, EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) würde wegen ihrer dubiosen Mammutbestellung an Corona-Impfstoffen, die absehbar keiner braucht, zur Rechenschaft gezogen und inhaftiert. Was ist mit „Stuttgart 21“, dem Berliner Katastrophenairport BER oder dem immer teurer werdenden Neubau eines Bundestagsgebäudes Unter den Linden in Berlin? Will man sich die Mehrkosten demnächst bei den zuständigen Ministern hereinholen? Lachhaft ist das nicht nur wegen der astronomischen Summen, um die es geht.

Amnestische Ausfälle

Wo verliefen außerdem die Grenzen zwischen noch statthaftem und unstatthaftem Regierungshandeln? Zum Beispiel bahnt BMDV-Chef Wissing ein Privatisierungsprojekt nach dem Nächsten im Verkehrssektor an, und Privatisierungen sind nichts anderes als Enteignungen, mit denen sich Investoren auf Kosten der Allgemeinheit bereichern. Steht das bald schon unter Strafe, genauso wie die völkerrechtlich zweifelhaften Waffenlieferungen an die Ukraine? Schön wäre es, und genau deshalb wird daraus nichts werden. Die Bundesregierung wird angeführt von einem Mann, der sich in der Vergangenheit mutmaßlich um Cum-Ex-Betrüger verdient gemacht hat und dem in der Sache – wie Scheuer – amnestische Ausfälle zusetzen. Wird also Olaf Scholz (SPD) ab sofort zum Großreinemachen in der Politik blasen?

Und wie will man die Verantwortlichkeiten festmachen? An nur einer Person oder an deren Entourage an Mitentscheidern, im Fall Scheuer etwa an dessen Ex-Staatssekretär Gerhard Schulz, der einst als „Mister Maut“ den Deal mit „Autoticket“ maßgeblich herbeigeführt hatte und den später ebenfalls erhebliche „Erinnerungslücken“ in der Angelegenheit plagten. Damit lässt sich sehr gut leben. Nach seiner Beurlaubung durch Scheuer im März 2019 rückte er zum Geschäftsführer bei Toll Collect auf, wo er bis heute wirkt, für zwei Millionen Euro Grundgehalt jährlich.

Trotziger Buhmann

Ob seinem früheren Chef ein ähnliches Schicksal blüht? Man wird abwarten müssen, vielleicht ja bis nach der parlamentarischen Sommerpause, in der sich schon so mancher Volksvertreter aus dem hohen Haus davongemacht hat. Bestimmt wird es allerhand Kollegen geben, die ihm zum Abflug raten. Denn ist er erst mal weg, ist die Diskussion um haftungspflichtige Politiker sicher auch bald verflogen.

„Ich kann den Unmut sehr gut verstehen. Über dieses gescheiterte Projekt ärgere ich mich wohl selbst am allermeisten“, ließ der neue Buhmann im Bundestag dieser Tage verlauten. Gleichwohl wolle er nicht auf die geplatzte Pkw-Maut reduziert werden, sagte er und verwies auf den Streit um die Lkw-Maut und den 2018 mit dem damals noch privaten Betreiberkonsortium Toll Collect ausgehandelten Vergleich in Höhe von 3,2 Milliarden Euro zugunsten des Bundes. Tatsächlich hatte die Regierung neun Milliarden Euro an Forderungen gestellt, weil dem Bund wegen einer um zwei Jahre verzögerten Inbetriebnahme der Anlagen horrende Einnahmen entgangen waren. Scheuer ist sich trotzdem sicher: „Ich habe immer zahlreich und erfolgreich geliefert.“ Das reicht für eine erfolgreiche Bewerbung. Jede Wette!

Titelbild: Elnur/shutterstock.com

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