In Teil II sprechen die assoziierten Produzierenden und „Pueblo a Pueblo”-Mitglieder über die „Leiter der doppelten Beteiligung” und über die Auswirkungen der US-Blockade. Teilnehmende: Ana Daniela Dávila, Laura Lorenzo Gabriel Gil und Ricardo Miranda vom „Pueblo a Pueblo”- Koordinationsteam und die Produzierenden aus Carache Carmen Marquina, Josefa Zapata, María Godoy, Nadia Linares, Luis Velázquez, Antonio Bracamonte und Ronald Moreno. Von Cira Pascual Marquina und Chris Gilbert.
Die doppelte Beteiligungsleiter
Ricardo Miranda: Die „doppelte Beteiligungsleiter” (Escalera de Doble Participación) ist eine Methode, ländliche Erzeuger und städtische Arbeiterklasse miteinander zu verbinden und zu integrieren. Wir entziehen also die Ernährung dem Marktgeschäft und stellen den Nutzwert – das Leben – in den Mittelpunkt.
Ana Daniela Dávila: Bei der doppelten Beteiligungsleiter geht es um Kooperation von Stadtbewohnern und „Campesinos”, also darum, dass Produktion, Vertrieb und Konsum nicht von Dritten, von kapitalistischen Interessen, gelenkt werden, sondern dass sie sich nach den Bedürfnissen der teilnehmenden Kommunen richten.
Dabei wird die Produktion auf Grundlage sowohl des städtischen Verbrauchs als auch der Erntezyklen auf dem Land geplant. Bei der doppelten Beteiligungsleiter geht es außerdem um Änderung von Konsummustern und die Abkehr von konventioneller, auf Pestiziden basierender Landwirtschaft. Deshalb ist Bildung ein wichtiger Bestandteil des Projekts.
Nun könnte man nachfragen: Wie sollen Menschen von den Konsumgewohnheiten des Marktes wegkommen, die ihnen über Generationen vorgegeben wurden? Wie können sich die Campesinos von der marktorientierten Landwirtschaft lösen, die ihnen seit Jahrzehnten als die Lösung all ihrer Probleme angepriesen wurde?
Wenn „Pueblo a Pueblo” in eine Gemeinde geht, dann sprechen wir mit den Menschen und halten Versammlungen ab. Außerdem organisieren wir Workshops zu Themen wie Kompostierung, Diversifizierung von Kulturen, Auswahl und Pflege von Saatgut, Fruchtfolge, Konservierung von Lebensmitteln usw.
Die Erzeuger auf dem Land werden gewiss nicht auf ökologische Produktion umstellen, wenn ihnen keine Alternative zur Dauerpropaganda geboten wird, wie sie Monsanto & Co. von sich geben. In der Stadt ist es dasselbe: Die Verbraucher werden nicht von hochverarbeiteten Lebensmitteln ablassen, wenn sie nicht über Alternativen gegenüber der allgegenwärtigen Werbung aufgeklärt werden.
Es ist außerdem wichtig, dass die Menschen die Welt des jeweils anderen kennenlernen, dass also Produzenten und Verbraucher wissen, wer die Gegenüber auf der anderen Seite sind.
Als „Pueblo a Pueblo” anfing, kamen städtische „Konsumenten” – etwa aus San Agustín, einem Barrio in Caracas – nach Carache, um von den Campesinos zu lernen. Die Campesinos ihrerseits gingen nach San Agustín, um die Organisation dort zu verstehen. Bei „Pueblo a Pueblo” geht es um rationale Produktion, die aber sozial angelegt ist und auf menschlichen Bedürfnissen beruht.
Gabriel Gil: Planung ist der Schlüssel für das Funktionieren der doppelten Beteiligung, und sie muss beidseitig sein: im Barrio, wo das Volk die Erzeugnisse bekommt, und auf dem Land, wo die Erzeuger ihre Produktion planen und machen.
Außerdem fördern wir die Diversifizierung des Fruchtanbaus. Das bedeutet, dass jeder Erzeuger vier oder mehr Sorten gleichzeitig anbaut, um die Risiken gering zu halten, die sowohl die Umwelt als auch den Markt betreffen.
Wir sind überzeugt vom agrarökologischen Wandel, der im Interesse sowohl von Erzeuger und Verbraucher ist, nicht aber unbedingt im Marktinteresse. Deshalb organisieren wir Workshops zu Saatgut und für organische Düngemittelproduktion.
Schließlich – das ist der Schlüssel für die „Leiter-Theorie” – organisiert das „Konsumentennetzwerk” die Verteilung der Produkte und sorgt für prompte Zahlungen. Gerade Letzteres ist wichtig, weil der kapitalistische Zwischenhändler oftmals lange braucht, die Campesinos zu bezahlen – was diese in Schwierigkeiten bringen kann.
Ricardo Miranda: Die doppelte Beteiligungsleiter löst die Widersprüche zwischen Land und der Stadt, in denen moderne Gesellschaften gefangen sind. Die „Leiter” bringt Produzenten und städtische Verbraucher einander näher. Die Frage ist, wie das im Einzelnen gemacht ist. Eine genaue Analyse, die die Menschen in den Barrios und in den ländlichen Gemeinden durchführen, erzeugt einen „Nutzungs-Kreislauf”, der es möglich macht, die Bedürfnisse beider Seiten in menschlich guter Weise zu befriedigen.
Dieses Verfahren ermöglicht den Campesinos Landanbau nach menschlichen Bedürfnissen; Bauer oder Bäuerin sind nicht den Launen der „unsichtbaren Hand” des Marktes überlassen. Nahrung ist für uns kein Handelsgut, Nahrung ist grundlegendes Menschenrecht. Deshalb machen wir die Preisbildungen in „Pueblo a Pueblo” öffentlich, Grundlage ist der Erhalt des bäuerlichen Lebens.
Das Konzept der transparenten Preise ist nicht zu verwechseln mit „fairen” oder „solidarischen” Preisen, die unscharfe Begriffe sind. Von transparenten Preisen reden wir, weil wir wissen, wie viel die Bauern für Saatgut und Betriebsmittel bezahlt haben, wie hoch die Gesamtkosten waren, wie hoch die Transportkosten und wie viel nach Verkauf in den Händen der Bauern übrig bleibt. All dies ist möglich, weil unser Modell selbstorganisiert ist und keine Zwischenhändler oder Ladenbesitzer beteiligt sind.
Die doppelte Beteiligungsleiter basiert auf ethischen Grundsätzen, nicht auf Ausbeutung. Die Ethik betreffend ist es interessant, dass die rund 260 Lebensmittel-Verteilaktionen, die wir seit 2015 durchgeführt haben, nicht durch schriftliche Dokumente oder Kaufaufträge gesichert wurden. Stattdessen war gegenseitiges Vertrauen die Grundlage dieser Tauschvereinbarungen.
Laura Lorenzo: In der konkreten Praxis ging es mit der „Leiter” so: Wir arbeiteten über Jahre mit der Kommune El Panal in „23 de Enero” [Barrio in Caracas]. Dort waren es um die 3.000 Familien, die bei „Pueblo a Pueblo” mitmachten und gemeinsam ihren tatsächlichen Bedarf ermittelten. Die Produzenten konnten daraufhin entscheiden, was an Bodenfläche, Saatgut, Betriebsmitteln usw. benötigt würde und konnten die Anbauzyklen planen. Gleichzeitig war zu klären, wie viele Silos man benötigt, wie hoch der Transportbedarf ist, wie viel Treibstoff benötigt würde und so weiter.
Die Verteilung der Lebensmittel war ein Geschäft, so lange wir uns erinnern. Mit unserer Methodik jedoch gelangten vier Millionen Kilo, die wir zwischen 2015 und 2020 verteilten, bis in die Haushalte der venezolanischen Arbeiterklasse, ohne über einen „Markt” zu gehen – die doppelte Beteiligungsleiter machte uns das möglich.
Assoziierte Produzentinnen und Produzenten
María Godoy: Als „Pueblo a Pueblo” Carache zu seinem Zentrum machte, sprachen sie als Erstes mit den Menschen und veranstalteten Versammlungen. Aber sie wandten sich auch an die nationale Regierung wegen der Instandsetzung der Straßen, die in schlechtem Zustand waren. Es versteht sich, dass ein guter Straßenzustand kritisch sein kann für die Aufrechterhaltung von Produktion.
„Pueblo a Pueblo” arbeitet zusammen mit kleinen und mittleren Erzeugern und unterstützt sie bei der Güterverteilung, beim Saatgut und bei den Betriebsmitteln und, besonders wichtig, veranstaltet Workshops, um wegzukommen von den kommerziellen Anbaumethoden, die schädlich sind für die Erde, für die Erzeuger und Verbraucher.
Josefa Zapata: Für mich als Produzentin bei „Pueblo a Pueblo” ist es am wichtigsten, verantwortungsvoll zu arbeiten. Ich bin alleinstehende Campesino-Frau und musste mir mein Handwerk selbst beibringen. Ich musste mir sogar das „Recht” erkämpfen, auf meinem eigenen Land anzubauen. Machismo ist hier tief verwurzelt, und es ging nicht von heute auf morgen, den Respekt der anderen zu bekommen. Ich habe das alleine geschafft, aber ich hatte auch die Unterstützung von „Pueblo a Pueblo”.
Als ich zu „Pueblo a Pueblo” kam, wurden meine Aussichten, die eigenen Produkte zu verkaufen, erheblich besser. Sie brachten mir auch bei, wie man Saatgut produziert, und jetzt ist meine Produktion breit gefächert: Ich baue Sellerie an, schwarze Bohnen, Mais, Tomaten, Frühlingszwiebeln und Brokkoli. Ich habe auch ein Saatbeet, das zu einem wichtigen Teil meines Einkommens geworden ist. Ich züchte sowohl Saatgut als auch Setzlinge.
Nochmal zur Frage der Organisation: Bei „Pueblo a Pueblo” treffen sich die Produzenten alle zwei Wochen. Bei diesen Treffen planen wir gemäß der Anfragen unserer Brüder und Schwestern in der Stadt und ebenso entsprechend der Nachfrage nach Lebensmitteln, die von Schulen kommen, die wir bei „Pueblo a Pueblo” auch bedienen.
Antonio Bracamonte: „Pueblo a Pueblo” gründete sich in Carache am Beginn des Wirtschaftskrieges, als die Beschaffung von Saatgut schwieriger wurde. „Pueblo a Pueblo” hat uns geholfen, gemeinsam unsere Abhängigkeit von den Zwischenhändlern zu durchbrechen, die mit der Arbeit der Bauern Profit machen. Die Praktiken der kapitalistischen Zwischenhändler sind hinterhältig. Um ein Beispiel zu geben: Sie zahlen uns vielleicht zwei Bolívares pro Kilo für eine LKW-Ladung Sellerie, aber wenn sie in Caracas ankommen, ist der Preis bei 30!
Nur kann man sich nicht einzeln aus der Abhängigkeit von Zwischenhändlern befreien. An dieser Stelle kommt „Pueblo a Pueblo” ins Spiel. Wie wir betonen: „Ein Baum alleine macht noch keinen Wald.” Wenn wir uns nicht organisieren, dann werden wir vom Markt verschlungen!
Bei Chávez ging es darum, dem Volk Macht zu geben. Deshalb ist Organisation so wichtig. Was die ländlichen Gebiete betrifft, so sprach Chávez davon, dass die Bauern die Kontrolle über ihr Land und ihre Produkte brauchen, und davon, dass sie die Marktlogik überwinden müssen. „Pueblo a Pueblo” macht genau das – und nicht nur mit Worten, sondern mit Methoden, die funktionieren und deren Eckpfeiler die Organisationen an der Basis sind.
Luis Velázquez: Argimiro Gabaldón und seine Leute waren auch hier und gewannen große Sympathien bei den Campesinos von Carache. Jahrzehnte später, als „Pueblo a Pueblo” ankam, waren wir besser in der Lage, uns gemeinsam um die „Saat” zu kümmern, die Argimiro und dann Chávez in diesen fruchtbaren Boden gesetzt hatten.
Die Workshops von „Pueblo a Pueblo” halfen uns bei der Abkehr von schädlichen Anbaumethoden, sie organisierten die Kommune und die Kommunalen Räte und sie verbesserten gründlich die Situation der Produzenten durch die Zusammenarbeit mit der Regierung, um die Straßen wieder ganz zu machen.
Vertrauen
Laura Lorenzo: Wir, die Organisatoren von „Pueblo a Pueblo”, haben unsere Wurzeln im Kampf der Bauern, aber wir kommen aus dem Flachland von Yaracuy und nicht aus diesen Bergen.
Als wir hier ankamen, wussten wir, dass es für uns nicht leicht sein würde, das Vertrauen der Campesinos zu gewinnen, also sprachen wir mit ihnen über unseren Traum, die Barriere einzureißen, die der Kapitalismus zwischen Land und der Stadt errichtet, um das Volk auszuplündern. Die Idee, die Zwischenhändler abzuschaffen, rührte natürlich an die Fantasie der Leute, aber wir mussten zeigen, dass die Träume nicht nur Wunsch und leere Worte waren.
Das Wichtigste beim Aufbau von Vertrauen ist das Einhalten von Versprechen; unser Wort in „Pueblo a Pueblo” muss „heilig” sein. Wenn ein mit Produkten beladener Lastwagen losfährt, dann wissen die Campesinos, dass sie vollständig und schnell ihr Geld bekommen. Sie wissen auch, dass sie sich auf „Pueblo a Pueblo” verlassen können, wenn sie Probleme haben, oder dass sie einen der beiden verfügbaren Traktoren benutzen können und uns mit Saatgut zurückbezahlen.
Aber bei „Pueblo a Pueblo” geht es nicht nur um die Befriedigung des Elementarbedarfs. Kurz nachdem wir ankamen, entdeckten wir, dass die Menschen in Carache für Musik, Theater, Poesie empfänglich sind, und so begannen wir, Brücken durch Kultur zu bauen, indem wir Joropo-Tanzworkshops und andere Kultur-Events organisierten.
Die Auswirkungen der Blockade
Josefa Zapata: Das Leben der Campesinos ist nie einfach gewesen, aber die Blockade hat unser Leben noch schwieriger gemacht. Die größten Engpässe für viele von uns waren die Beschaffung der Betriebsmittel und der Transport unserer Produkte. Die Folge war, dass der Ertrag in den letzten Jahren stark zurückgegangen ist, ich selber habe eine komplette Ernte Frühlingszwiebeln eingebüßt.
Aber die Tatsache, dass wir mit „Pueblo a Pueblo” zusammenarbeiten, hat uns widerstandsfähig gemacht. Einerseits stelle ich mein eigenes Saatgut her. Das habe ich bei Gabriel Gil gelernt, der vielen von uns beigebracht hat, wie man Saatgut macht und wie man eine Gärtnerei aufbaut. Andererseits hat er uns auch gezeigt, wie man organischen Dünger herstellt. Das ist eine der Stärken unserer Organisation, die Abkehr von kommerziellen Praktiken, die uns abhängig halten.
Laura Lorenzo: Die Krise, die Pandemie und die Blockade haben uns in „Pueblo a Pueblo” sehr geschadet. Aber wir haben auch gelernt, dass unser Modell gut ist, dass es Lösungen für die Menschen bietet und in die richtige Richtung geht, in Richtung Souveränität für die Ernährung.
Die Probleme fingen 2017 an, als die faschistische Rechte des Landes den Osten von Caracas „in Brand steckte”. Damals arbeiteten wir bei La Hidrológica de Chacao, einer Kommune, die von oppositionellen Gewalttätern belagert war. Das bedeutete, dass wir die Produkte nicht mehr zur Kommune bringen konnten. Die Preise begannen in die Höhe zu schießen, auch die Preise für landwirtschaftliche Betriebsmittel, von denen einige einfach nicht mehr zu bekommen waren. Schließlich wurde auch noch der Treibstoff knapp.
Treibstoffmangel hat verheerende Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion. Obwohl ein Großteil der Feldarbeit in Carache mit Zugtieren erledigt wird, gingen in der schlimmsten Zeit der Krise ganze Ernten verloren. Die Lage ist immer noch ernst. Deshalb fordern die Bauern, dass der venezolanische Staat ihnen eine spezielle Treibstoffquote zuweist. Diese Forderung ist gerecht, sie ist aber auch notwendig wegen der Ernährungssouveränität, die umso wichtiger in Zeiten der Blockade ist.
Luis Velázquez: Die Sanktionen haben viel Leid über die Menschen gebracht. Für uns sind die Beschaffung von Betriebsmitteln und der Marktzugang für unsere Produkte die wichtigsten Probleme. Betriebsmittel waren zuerst nirgends zu finden. Dann tauchten sie auf dem Schwarzmarkt auf, jetzt sind sie verfügbar, aber zu Preisen, die fast nicht zu bezahlen sind. Die Kosten beispielsweise für Tomaten können sich auf zwei- bis dreitausend Dollar belaufen, wenn man Saatgut, Betriebsmittel und die Arbeitskosten zusammenzählt.
Einen Vorteil haben wir aber: „Pueblo a Pueblo”. Ohne diese Organisation wären unsere Straßen in einem schrecklichen Zustand, was unsere Produktion erheblich reduzieren würde. Außerdem hilft „Pueblo a Pueblo” den Produzenten bei der Abkehr von der kommerziellen giftbelasteten Landwirtschaft.
Diese Jahre sind schrecklich gewesen, aber Venezuela ist ein reiches Land. Wenn wir hart arbeiten und uns gut organisieren, dann werden wir es schaffen, aus dem Loch herauszukommen. Aber es gibt noch etwas, das gebraucht wird. Wir können nicht erwarten, dass der imperialistische Feind seine Blockade löst, aber wir sollten von unserer Regierung erwarten können, dass sie für die kleinbäuerliche Landwirtschaft das Erforderliche tut.
Wir sind diejenigen, die das venezolanische Volk ernähren, und nicht die Großkonzerne – was bedeutet, dass der Staat den Campesinos den Zugang zu Betriebsmitteln und Treibstoff möglich machen muss. Außerdem sollte die Regierung „Pueblo a Pueblo” und anderen Organisationen, die mit kleinen und mittleren Erzeugern kooperieren, dabei helfen, dass unsere Ernte wirklich bis zu den Haushalten der Arbeiter gelangt.
Für einen Campesino gibt es keine größere Befriedigung, als gutes, gesundes Essen herzustellen und es den Familien zu bringen, die – ob Regen oder Sonnenschein – beschlossen haben, hier in Venezuela zu bleiben.
Antonio Bracamonte: Die Blockade hat uns dazu gebracht, „mit den Fingernägeln zu arbeiten”. Ich zum Beispiel hatte 10.000 Köpfe Sellerie gepflanzt, aber jetzt sind es nur noch 1.000. Insgesamt bin ich bei 25 Prozent meiner Kapazität, aber es gab Zeiten, in denen war die Produktion auf null. Das war tragisch. In diesen Zeiten hat uns der conuco [Subsistenzanbau] am Leben gehalten.
Die Betriebskosten sind zu hoch, was wiederum soziale Kosten für meine Familie, die Gemeinde und für das ganze Land hat.
Die Blockade ist grausam, und die venezolanische Opposition ist ohne Herz. Natürlich wollten die USA unsere Regierung sanktionieren und stürzen, aber dazu brauchten sie eine Marionette wie [den ehemaligen selbsternannten „Präsidenten” Juán] Guaidó und seine Mafia. Die waren es, die die Blockade vom Weißen Haus gefordert hatten. Und das werden wir nie vergessen!
Die USA sind ein dekadentes Imperium, und sie werden alles tun, um ihre politische, wirtschaftliche und militärische Vorherrschaft zu behalten. Deshalb ist ihre Politik auch so brutal. Aber wir sind ein starkes Volk, und wir sind entschlossen, hier zu bleiben – im Land von Bolívar und Chávez –, auch wenn wir dafür Baumwurzeln essen müssen.
Ana Daniela Dávila: Blockade und Pandemie hatten verheerende Auswirkungen auf die Produktion, aber wir von „Pueblo a Pueblo” sind immer Optimisten. Die Krise hatte auch eine positive Seite: Die Tatsache, dass der Kauf von Agrochemikalien schwierig wurde, weckte Interesse an agrarökologischen Techniken. „Pueblo a Pueblo” hat Neues dabei geschaffen mit seinen Workshops zur Verbreitung derartiger Methoden. Außerdem gibt es Traditionelles wie den conuco, der in ländlichen Gebieten Menschen das Leben sichert.
Carmen Marquina: Sie [die USA] greifen an, wo es am meisten weh tut: bei der Fähigkeit des Landes, die eigenen Lebensmittel herzustellen.
Nun kann man einwenden: Die Campesinos in Carache haben doch ihr Land, sie pflügen die Felder mit Pferden und mit Ochsen, also sollte die Tatsache, dass Venezuela kein Öl verkaufen kann, kaum Auswirkungen haben? Aber das stimmt nicht. Die Produktion der Campesinos geschieht nicht im leeren Raum.
Wir befinden uns hier in El Potrero, einer kleinen Gemeinde, von Carache kilometerweit entfernt. Ohne Treibstoff kommen unsere Produkte nicht zur Stadt und wir nicht zum Arzt.
Dazu kommt das Problem der Dollarisierung, das die kleinen Produzenten wie ein Meteorschlag trifft. Die Produktionskosten sind in die Höhe geschossen. Hier bauen wir Zwiebeln an, und unsere Produktion ging auf die Hälfte. Seit der Krieg begonnen hat, hatten wir Verluste.
Obendrein hat die Krise soziale Aspekte. Wir halten die Schule mit schierer Willenskraft geöffnet: Der Kommunale Rat unterstützt den Lehrer, was sehr wichtig ist, denn sein Gehalt sichert dem Lehrer nicht die Existenz. Es ist auch ein Problem, die Kinder bis zum Abitur zu bringen. Die Oberschule ist weit weg, und wenn es keinen Treibstoff gibt, dann verschwinden die jungen Leute aus der Schule.
Nadia Linares: Wenn die Leute uns nach den Auswirkungen der Blockade fragen, dann sprechen wir meistens über die Dollarisierung der Betriebsmittel und über die Benzinpreise, die manchmal auf zwei und drei Dollar pro Liter angestiegen sind [der offizielle Preis liegt bei 50 Cent]. All das hat zu drastischen Produktionsrückgängen geführt, aber es gibt andere Aspekte, über die wir selten reden.
Die Blockade hat dazu geführt, dass viele Kinder die Schule abgebrochen haben, weil der Schulzugang erschwert ist und viele Lehrerstellen nicht besetzt sind. Auch der Zugang zur Gesundheitsversorgung und zur medizinischen Behandlung ist wegen hoher Kosten schwierig. Selbst alltägliche Dinge wie Geburten werden zur Tortur, wenn Krankenhäuser kilometerweit entfernt sind. Kürzlich musste eine Compañera, bei der die Wehen eingesetzt hatten, mit dem Motorrad in die Klinik.
Aus Gründen wie diesen haben viele Carache verlassen. Sie wandern aus nach Kolumbien oder andere Länder, wo sie sich bessere Bedingungen erwarten. Das ist verständlich, aber was uns betrifft, wir bleiben hier. Cahingó [in der Region Carache] ist ein wunderschönes Tal, und hier wollen wir unsere Kinder großziehen.
Ronald Moreno: Die Menschen hier leben bescheiden, aber mit Würde. Das Leben der Campesinos ist nicht einfach, aber es lohnt die Entbehrungen. Ich spüre das im Innersten, ich bin damit nicht der Einzige.
Ich lebte in Barquisimeto [eine Stadt vier Stunden von Carache weg], und ich beschloss vor Jahren, hierher zurückzukommen und den Hof mit meinen Eltern zu betreiben. Wir essen vielleicht nicht so viel Fleisch, wie wir es gerne täten, aber wir werden nicht verhungern, wenn wir hier auf dem Land leben.
Übersetzung: Herwig Meyer, Amerika21
Titelbild: venezuelanalysis.com/interviews/15769