Wieder Wohnhäuser beschossen: „Die russischen Monster kennen keine Grenzen“ – diese Aussage war am Sonntag als Überschrift auf der Internetseite der Frankfurter Rundschau zu lesen. Russen – Menschen, Soldaten, dehumanisiert, entmenschlicht als „Monster“ benannt. Wo ist bei der Frankfurter Rundschau die Objektivität geblieben? Das fragt Marcus Klöckner in einem NachDenkSeiten-Kommentar.
Ein Krieg ist furchtbar: Mord, Tod, Verstümmelung, schwerste Verletzungen an Körper und Seele – auf allen Seiten. Schlimmste Gräueltaten werden schnell zur Normalität. Wer sich mit Kriegen auseinandersetzt, weiß: Wenn erst einmal Politiker Soldaten in den Krieg schicken, sind schnell alle Grenzen von menschlichem Anstand, Moral und Zivilisation eingerissen. Das gilt für Kriegssituationen. Es hat aber nicht für den Journalismus zu gelten.
Jeder Journalist weiß: Die Sprache ist ein scharfes Schwert. Dieses Schwert kann bis ins Mark schneiden. Im Krieg wird die Sprache schnell zum Schwert der Propaganda. Im Krieg gehört die Dehumanisierung, also die Entmenschlichung des Gegners, mit zu den schlimmsten Akten der Propaganda. Für ihren Newsticker hat die Frankfurter Rundschau eine Überschrift gewählt, in der es heißt: Wieder Wohnhäuser beschossen: „Die russischen Monster kennen keine Grenzen“ (mittlerweile neue Überschrift). Diese Aussage stammt nicht von den Journalisten selbst, die den Newsticker betreuen. Sie stammt, so ist es zu lesen, von einem „Militärverwaltungsleiter der Region“, die von russischen Raketen getroffen und auf Telegram veröffentlicht ist.En
Warum ist es aus journalistischer Sicht untragbar, dieses Zitat in die Überschrift zu heben? Ist es etwa nicht die Aufgabe von Journalisten, „sichtbar zu machen“, das heißt: auch die harte Realität des Krieges abzubilden, wie etwa die berühmt-furchtbaren Aufnahmen des „Napalm-Mädchens“ im Vietnam-Krieg?
Wenn also ein ukrainischer Militärverwalter in Anbetracht der russischen Raketen auf Wohnhäuser von „russischen Monstern“ spricht, ist es dann nicht die Aufgabe von Journalisten, genau diese Aussagen auch so wiederzugeben, und zwar in der Überschrift?
Nein, ist es nicht. Das ist die Aufgabe der Propaganda. Wir wissen nichts über den Militärverwalter, der diese Aussage getätigt hat. Er mag, vielleicht zu Recht, emotional sein und unter dem Schock des Erlebten vor Ort stehen. Seine Aussage mag aus seiner Sicht gerechtfertigt sein. Ein Journalismus, der den Namen verdient, der um Objektivität ernsthaft bemüht ist, wird ihr mit Distanz begegnen.
Jeder Journalist hat in seinem Volontariat gelernt: Wenn der Vater von klein Erna, aufgrund einer „ärgerlichen Situation“, den Schulleiter der Schule gegenüber einem Journalisten als „Dreckschwein“ bezeichnet, dann wird der Reporter in 99 von 100 Fällen ihn damit nicht zitieren. Der Grund leuchtet ein: Oft liegen bei Konflikten die Nerven der Konfliktparteien blank. Emotionale Ausbrüche dieser Art nimmt der Journalist zur Kenntnis, lässt sie vielleicht indirekt in den Artikel einfließen, aber im Wesentlichen konzentriert er sich auf den Gegenstand der Berichterstattung. Schließlich: Eine anständige Zeitung will kein Schmierblatt sein, das Verbalinjurien zur allgemeinen Stimmungsmache verbreitet.
Die Prinzipien aus diesem Beispiel gelten noch um ein Vielfaches mehr für die seriöse Berichterstattung zu großen politischen Themen wie dem Krieg in der Ukraine. Ein Journalist berichtet (!) über die Raketenangriffe. Er zeigt das Leid. Aber er macht sich nicht zum Reflektor einer Konfliktpartei, die ihren Gegner sprachlich entmenschlicht.
Anmerkung: Der Autor hat auf Twitter der Frankfurter Rundschau die Frage gestellt, ob es nötig war, diese Aussage als Überschrift zu verwenden. Eine Antwort ist nicht erfolgt.
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