Unterdrückung, Revolten und bewaffneter Widerstand sind eine Konstante in der philippinischen Geschichte. Das war so während der annähernd 350-jährigen Kolonialzeit unter den Spaniern, die 1898 endete. Und das war so in dem halben Jahrhundert der sich anschließenden US-amerikanischen Kolonialära. Am 4. Juli (sic!) 1946 gewährte Washington den Inseln die Unabhängigkeit, die sie den Filipinos zuvor jedoch gewaltsam vorenthalten hatte, als diese vor just 125 Jahren, am 12. Juni 1898, nach siegreichem Kampf gegen Spanien die erste unabhängige Republik in Asien proklamierten. Einerlei, ob in den Philippinen heute der 12. Juni als nationaler Feiertag gilt und der 4. Juli als Gedenktag begangen wird – der Inselstaat war, ist und bleibt auch auf absehbare Zeit Washingtons engster Vasall in der Asien-Pazifik-Region. Kein Wunder, dass bereits in der Frühphase US-amerikanischer Herrschaft über den Archipel die Filipinos von Uncle Sams Gesandten paternalistisch als „kleine braune Brüder“ tituliert wurden. Kein Wunder auch, dass der damalige wie heutige imperiale Blick fest auf China fokussiert ist, das seinerseits eigene Herrschaftsinteressen in der Region verfolgt. Ein kritischer Rück- und Ausblick unseres Südostasienexperten Rainer Werning, dessen zweiter Teil morgen erscheint.
Das Flair von der großen weiten Welt
Vor reichlich 125 Jahren entbrannte in den USA ein hitziger Streit um die politische Zukunft des Landes. Die Frage war: Sollten die Amerikaner Kolonien erobern oder sich mit ihrem eigenen großen Land zufriedengeben?
„Wir müssen unserem Blut gehorchen und neue Märkte und, wenn nötig, neue Gebiete in Besitz nehmen.“
Dies verkündeten Befürworter einer Kolonialpolitik, während die Gegner für außenpolitische Zurückhaltung plädierten. Zu ihnen gehörte Samuel Langhorne Clemens, uns besser bekannt als Mark Twain, Autor solcher Bestseller wie „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ und „Tom Sawyers Abenteuer“. Als Journalisten von dem 65-jährigen Schriftsteller wissen wollten, ob er tatsächlich Antiimperialist sei, antwortete er:
„Sie fragen mich, was Imperialismus bedeutet. Ich genieße nicht den Vorteil, genau zu wissen, ob sich unser Volk über den gesamten Globus ausbreiten will. Strebte es danach, würde ich das sehr bedauern. Ich hingegen meine, es ist weder klug noch eine notwendige Entwicklung, in China oder in anderen Ländern, in denen wir nichts zu suchen haben und die uns nicht gehören, Flagge zu zeigen.“
Bis Ende des 19. Jahrhunderts waren amerikanische Siedler bis an die Westküste vorgedrungen. Seit etwa 1890 wurde es laut um den Stillen Ozean. Die Weite dieses größten Weltmeeres beflügelte weitschweifende und zunehmend schärfere Debatten: Sollten die Amerikaner dieses Meer – mit Berufung auf den Herrn – zur amerikanischen See machen? Diese Streitfrage spaltete die Vereinigten Staaten in sogenannte „Isolationisten“ und „Interventionisten“ oder auch „Imperialisten“. Erstere meinten, die USA genügten sich selbst und ihr Territorium stelle einen ausreichend großen Binnenmarkt dar. Die Befürworter eines Imperialismus waren Leute höchst unterschiedlicher Provenienz – Geistliche, Politiker, Geschäftsleute und Intellektuelle –, die im Wettstreit mit den europäischen Kolonialmächten ja nicht zu kurz kommen wollten.
Der US-amerikanische Historiker Richard Hofstadter hat in den 1950er- und 1960er-Jahren die Vorstellungen und Gedankenwelt in den Vereinigten Staaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts analysiert und gezeigt, wie sehr die amerikanische Politik von einem unerschütterlichen Sendungsbewusstsein bestimmt wurde. Hofstadter, Professor an den Columbia University in New York, beschrieb damals die tiefe psychische Krise, die das Land seit 1890 erfasst hatte, als die Expansion der Binnengrenzen abgeschlossen war. In jenen Tagen trieb Politiker, Intellektuelle und Geschäftsleute gleichermaßen die Angst um, nun buchstäblich an ihre eigenen Grenzen gestoßen zu sein.
Der Drang in den „Wilden Westen“ beruhte auf der ungestümen wirtschaftlichen Entwicklung an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Die Industrialisierung beschleunigte die Konzentration und Expansion von Kapital, das nun lukrative Anlagemöglichkeiten und neue – notfalls auch fremde – Märkte suchte. Stellvertretend für die Imperialisten hatte Theodore Roosevelt, noch bevor er 1901 Präsident wurde, offen erklärt:
„Ein gerechter Krieg ist für die Seele des Menschen besser als der Frieden im größten Wohlstand.“ (1)
Der einzige ernst zu nehmende Konkurrent der aufstrebenden Vereinigten Staaten war Spanien, das sich seit dem 16. Jahrhundert in Südamerika, in der Karibik und in den Philippinen als Kolonialmacht festgesetzt hatte. Um 1900 jedoch war Spaniens Imperium bereits beträchtlich geschrumpft, frühere Kolonien wie Mexiko und Argentinien längst unabhängig. Lediglich Puerto Rico, Kuba, die Inseln Guam und die Philippinen im Pazifischen Ozean befanden sich noch in spanischem Besitz. Doch auch in diesen Regionen schwächten antikoloniale Revolten die einst sieggewohnten Konquistadoren. Die Herrschaft brutaler Militärs und raffgieriger Mönchsorden wankte, zudem war die spanische Flotte hoffnungslos veraltet. So verwunderte es nicht, dass die von den USA sozusagen vor ihrer Haustür gesuchte Konfrontation mit dem iberischen Rivalen – der Spanisch-Amerikanische Krieg – nicht einmal vier Monate dauerte.
„Remember the Maine!“
Am 15. Februar 1898 erhitzte ein ungeheuerlicher Vorgang in den Gewässern vor der kubanischen Hauptstadt Havanna die Gemüter in den Vereinigten Staaten. Das amerikanische Kriegsschiff USS Maine flog buchstäblich in die Luft. Für amerikanische Militärs und Politiker stand außer Frage: Die Spanier hatten einen Sabotageakt verübt. Jedenfalls lieferte das Schicksal der Maine den Vorwand, endlich gegen die spanische Kolonialmacht loszuschlagen. „Remember the Maine!“ – „Erinnert Euch an die Maine!“ – wurde zum gängigen Schlachtruf der Interventionisten. Innerhalb weniger Wochen erlangten US-amerikanische Marineverbände und Bodentruppen die Oberhoheit über Kuba und verleibten sich Puerto Rico ein. Gleichzeitig annektierten sie im Pazifik das bisher unabhängige Hawaii und die Insel Guam, während das Pazifikgeschwader unter dem Kommando von Admiral George Dewey die spanische Flotte in der Bucht von Manila aufrieb. Die Hoffnungen der antispanischen Revolutionäre, die mächtigen USA stünden ihnen in ihrem Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit zur Seite, erfüllten sich nicht – im Gegenteil: Die Vereinigten Staaten avancierten selbst zur Kolonialmacht.
Glühende Imperialisten in Washington interessierte nicht, dass der philippinische General und damalige Revolutionär Emilio Aguinaldo bereits am 12. Juni 1898 die erste Republik Asiens ausgerufen hatte. (Später legte derselbe Aguinaldo den Treueid auf das Sternenbanner ab und huldigte die USA als „machtvolle Hüterin“ seiner Heimat!) Pech für die Filipinos; diese Unabhängigkeit war kurzlebig, weil sie in ein politisches Machtvakuum fiel. Die Fernostflotte der U.S. Navy hatte zwar einige Wochen zuvor binnen weniger Stunden des 1. Mai 1898 die maroden spanischen Kriegsschiffe in der Manila-Bucht außer Gefecht gesetzt. Doch erst Ende Juni betraten US-amerikanische GIs philippinischen Boden – faktisch also ein unabhängiges Land. Auf der Friedenskonferenz in Paris wurde im Dezember 1898 vereinbart, dass Washington den Spaniern als Trostpreis für den Verlust der Philippinen 20 Millionen Dollar zahlte. Wenige Wochen zuvor hatte der damalige amerikanische Präsident William McKinley in einer Ansprache an eine Gruppe protestantischer Geistlicher begründet, warum sich die USA der philippinischen Inseln bemächtigten:
„In Wahrheit wollte ich die Philippinen nicht, und als wir sie als Geschenk der Götter bekamen, wusste ich nichts mit ihnen anzufangen. Ich lief Abend für Abend bis Mitternacht im Weißen Haus umher; und ich schäme mich nicht zu gestehen, dass ich niederkniete und den Allmächtigen mehr als einmal um Licht und Führung anging. Und eines Abends spät dämmerte es mir:
Erstens, dass wir sie nicht an Spanien zurückgeben könnten – das wäre feige und unehrenhaft;
Zweitens, dass wir sie nicht Frankreich oder Deutschland – unseren Handelsrivalen im Osten – überlassen konnten; das wäre schlechter Geschäftsstil und diskreditierend;
Drittens, dass wir sie nicht einfach sich selbst überlassen konnten; sie waren nicht reif für die Selbstregierung, sie hätten dort bald Anarchie und eine schlimmere Misswirtschaft gehabt, als es die spanische war;
Viertens, dass uns nichts übrigblieb, als die Filipinos zu erziehen, sie emporzuheben, zu zivilisieren und zu christianisieren und mit Gottes Gnade das Beste für sie zu tun wie für unsere Mitmenschen, für die Christus ebenso gestorben ist.
Dann ging ich zu Bett und schlief ein und hatte einen gesunden Schlaf. Am nächsten Morgen ließ ich dann den Chefingenieur des Kriegsministeriums, unseren Kartographen, rufen und befahl ihm, die Philippinen auf die Landkarte der Vereinigten Staaten zu setzen, und dort sind sie, und dort werden sie bleiben, solange ich Präsident bin.“ (2)
„Wohlwollende Assimilierung“
Mit dieser aus kapitalistischem Sendungsbewusstsein, Rassismus und Überlegenheitswahn gespeisten Offenbarung leugnete der Präsident schlichtweg die knapp 350-jährige Kolonialherrschaft des christlichen Spaniens. Geleugnet wurden auch die eigenen imperialistischen Interessen und fortan verbrämt als benevolent assimilation. Zu dieser „wohlwollenden Assimilierung“ gehörte auch, dass die neuen Besatzer in den Philippinen das amerikanische Englisch als Amtssprache im Bildungs-, Geschäfts- und Verwaltungsbereich durchsetzten und willfährigen Filipinos das Studium in den USA ermöglichten. Außerdem bauten die US-Militärs dort die größten Stützpunkte außerhalb der Vereinigten Staaten auf und schufen unter dem Befehl von General Arthur MacArthur eine philippinische Armee. Die allerdings musste sich damit begnügen, für die US-Streitmacht im Lande Hilfsdienste als Späher, Träger, Dolmetscher oder Informanten zu leisten.
US-amerikanische Militärs betraten im Sommer 1898 ein unabhängiges Land, die erste freie Republik Asiens. Die Bevölkerung leistete auch den neuen Kolonialherren erbitterten Widerstand. Um diesen zu brechen, begannen amerikanische Truppen mit der sogenannten „Befriedung“ der Inseln: Die Folge war der Amerikanisch-Philippinische Krieg. Er begann Anfang Februar 1899 und endete nach offizieller Geschichtsschreibung dreieinhalb Jahre später. Im Süden der Philippinen, in der Sulu-See und auf der Insel Mindanao, deren Bevölkerung vorwiegend muslimisch war und die die Spanier abschätzig „Moros“ genannt hatten, dauerte die amerikanische „Befriedung“ bis 1916.
„Es wird notwendig sein, nahezu sämtliche Bräuche auszumerzen, welche bislang das Leben der Moros auszeichneten. Solange der Mohammedanismus vorherrscht, kann der angelsächsischen Zivilisation nur mühsam der Weg geebnet werden“,
hieß es beispielsweise im Jahresbericht 1903 des US-Divisionskommandeurs Generalmajor George W. Davis. In diesem bis dahin größten Kolonialmassaker in Südostasien wurde die damals gut sechs Millionen Menschen zählende Bevölkerung der Philippinen buchstäblich dezimiert. Einige Schätzungen sprechen sogar von über einer Million Niedergemetzelter. Es war der erste Guerillakrieg in Asien, in den insgesamt etwa 150.000 GIs der US-amerikanischen Streitkräfte verstrickt waren und bei dem 4.200 Mann ihrer Truppen getötet wurden. Im besonders „unruhigen Süden“ des Archipels gingen Generäle wie Leonard Wood und John Joseph Pershing als „Schlächter der Moros“ in die Annalen ein. Sie waren für Massaker verantwortlich, denen vor allem die Zivilbevölkerung auf der Insel Jolo zum Opfer fiel. (3) Offensichtlich wussten die späteren NATO-Strategen um die Durchschlagskraft Pershings; Ende der 1970er-Jahre diente der General als Namensgeber jener Raketen, die zusammen mit Cruise-Missiles zur „Nachrüstung“ in Westeuropa disloziert wurden.
Während des Amerikanisch-Philippinischen Krieges erprobte die neue Kolonialmacht sämtliche Methoden der „Aufstandsbekämpfung“, die in späteren Kriegen in Korea, Vietnam, Laos und Kambodscha „verfeinert“ wurden – von Nahrungsmittelblockaden bis hin zum „strategic hamletting“, der Errichtung „strategischer Weiler“. Dadurch sollten die Außenkontakte von Menschen in einer bestimmten Region eingeschränkt beziehungsweise genau überwacht werden. Zu diesem Zweck wurde das Gebiet streng patrouilliert, mit Stacheldraht umzäunt und die Bevölkerung angewiesen, eine Seitenwand ihrer – meist aus Bambus oder Nipa gefertigten – Häuser zu entfernen, um diese „durchsichtig“ zu machen. Ziel war es, die Zivilbevölkerung von potenziellen „Aufrührern“, „Dieben“ und „Banditen“ (ladrones) zu trennen. Später nannte man dies: „der Guerilla das Wasser abgraben“. Zur Abschreckung und um den Widerstand der Filipinos zu brechen, erließ die Kolonialverwaltung besondere Gesetze, um auch das Hissen der früheren Nationalflagge und das Singen patriotischer Lieder zu unterbinden. Zuwiderhandlungen wurden schwer bestraft.
Auf dem Höhepunkt des Amerikanisch-Philippinischen Krieges – im Jahre 1900 – entstand in Manila auch der Military Order of the Carabao (Militärischer Orden des Wasserbüffels), ein martialischer Klub von Offizieren der US-Armee, Marine und des Marine Corps sowie akkreditierten US-amerikanischen Kriegskorrespondenten. [Erst später wurde die Mitgliedschaft in diesem Orden gelockert bzw. erweitert, sodass ihm auch Veteranen anderer US-Militärinterventionen in Asien, im Indischen Ozean und Pazifik beitreten konnten.] Vor allem Kriegsgegner und -kritiker im In- wie Ausland hatte der Military Order of the Carabao im Visier. Gegen sie zog er schonungslos vom Leder, vor allem während seiner ausufernden Jahresfeiern, kurz „wallows“ genannt. [„Wallow“ hat zweierlei Bedeutung: Es kann „weiden“, „grasen“ oder auch „sich (im Dreck/brackigem Wasser) suhlen“ meinen.] Auf ihnen grölte man zur Melodie von „Marching Through Georgia“ ein eigens komponiertes „Soldatenlied“ mit folgendem Text, wobei man alternierend statt „Filipinos“ auch „insurrectos“ (Aufständische) verwendete:
Damn, damn, damn the Filipinos (insurrectos),
Cross-eyed kakiack ladrones!
Underneath the starry flag
Civilize ‘em with a Krag (4),
And return us to our own beloved homes!
Rührige Antiimperialistische Liga
Im Mutterland selbst war diese Art Außenpolitik keineswegs unumstritten. Im Sommer 1899 veröffentlichte der Publizist George Ade in der Wochenzeitschrift Chicago Record seine Stories of Benevolent Assimilation. In diesen Geschichten persiflierte er seine sendungsbewussten und kriegsbegeisterten Landsleute. Er mokierte sich darüber, dass amerikanische Landsleute den Filipinos unbedingt mit Löffel und Gabel Essmanieren beibringen wollten, sie mit klobigen, lächerlich wirkenden Möbelstücken beglückten und sie die Absurdität lehrten, in der tropischen Hitze Korsetts zu tragen. Scharfe politische Proteste gegen den Krieg in den Philippinen hagelte es auch seitens der rührigen Antiimperialistischen Liga der Vereinigten Staaten von Amerika (5). Vizepräsident war von 1901 bis zu seinem Tode 1910 der mittlerweile berühmte Schriftsteller Samuel Langhorne Clemens alias Mark Twain. Er begründete seine Haltung mit den Worten:
„Noch vor einem Jahr war ich kein Antiimperialist. Ich dachte, es sei eine großartige Sache, den Filipinos ein großes Stück an Freiheit zu geben. Heute allerdings glaube ich, es ist besser, dass die Filipinos sich selbst darum kümmern.“
Anfangs hatte Mark Twain den Spanisch-Amerikanischen Krieg ausdrücklich begrüßt. Von ihm versprach er sich Hilfe für die kubanischen Revolutionäre in ihrem Kampf gegen die verhassten Spanier. Später aber fand die amerikanische Kriegführung in den Philippinen in Twain einen unerbittlichen Gegner. Mit ätzender Kritik attackierte er diesen Waffengang, der außerhalb der USA die Werte zerstörte, die in den Staaten selbst als unantastbar galten. Im New York Herald schrieb Mark Twain über den Friedensvertrag von Paris, durch dessen Kolonialschacher die Philippinen als ehemalige spanische Kolonie in amerikanisches „Eigentum“ übergegangen waren:
„Sehr sorgfältig habe ich den Vertrag von Paris gelesen und ich erkannte, dass wir keineswegs beabsichtigen, die Philippinen zu befreien, sondern deren Bevölkerung zu unterwerfen. Wir gingen dorthin, um zu erobern, nicht um zu erlösen. Wie ich es sehe, sollte es unsere Freude und unsere Pflicht sein, die Bevölkerung zu befreien und sie ihre eigenen Probleme auf ihre eigene Art lösen zu lassen. Ich bin dagegen, dass der Adler seine Krallen auf ein anderes Land setzt.“
Berichte über das Gemetzel in den Philippinen machten auch Schlagzeilen in der US-Presse. Vor allem waren es Kommandanten wie Jacob H. Smith, die Empörung auslösten. Dieser Befehlshaber, der den Spitznamen „Bloody Jake“ – „Blutiger Jakob“ – trug, hatte auf der zentralphilippinischen Insel Samar unter anderem den Tagesbefehl ausgegeben: „Plündern, morden und niederbrennen sollt Ihr. Je mehr Ihr das tut, desto größer wird mein Wohlgefallen sein.“ Der Industrielle Andrew Carnegie, wie Twain ein weiteres prominentes Mitglied der Antiimperialistischen Liga, erinnerte sarkastisch an Präsident McKinleys Versprechen, die Filipinos zu zivilisieren und zu christianisieren:
„Über 8.000 von ihnen sind bereits vollständig zivilisiert und in den Himmel geschickt worden.“
Es war das historische Verdienst der Liga, die eigene Bevölkerung über die Geschehnisse in Amerikas junger Kolonie in Asien zu informieren. Vor allem ihr Vizepräsident Mark Twain galt im letzten Jahrzehnt seines Lebens als einflussreichster Antiimperialist. Nicht nur in Zeitungsartikeln, auch in seiner Autobiographie ging der Schriftsteller hart mit den Imperialisten unter seinen Landsleuten ins Gericht:
„Der Wahlspruch unseres Landes ist ‚In God we trust’ und jedes Mal, wenn wir dieses schöne Wort auf einer Dollarmünze lesen, scheint es, als bebte und winselte es vor Rührung. Das ist unser öffentliches Motto. Unser privates ist offenbar: ‚Wenn der Angelsachse etwas haben will, nimmt er sich´s einfach.‘“ (6)
Dass der Autor des „Huckleberry Finn“ so vehement gegen die politische Führung seines Landes opponierte, war seinen – letztlich mächtigeren – Gegnern ein Dorn im Auge. Diese setzten nach dem Tod des streitbaren Publizisten alles daran, das letzte Jahrzehnt seines Schaffens im Gedächtnis seiner breiten Leserschaft und Bewunderer zu tilgen. Die meisten Biographien über Mark Twain klammern seine aktive Zeit in der Liga einfach aus. Lebte Mark Twain noch, hätte er als selbst erklärter Antiimperialist denkbar schlechte Karten. Öffentlich würde er kaum wahrgenommen oder wäre längst zensiert worden.
Verschobene Unabhängigkeit trotz Vasallentreue
Zunächst von einer US-amerikanischen Militärregierung verwaltet, ging Washington später dazu über, an die Spitze der Exekutive auf den Inseln einen Gouverneur zu stellen. Die legislative, lediglich mit begrenzten Befugnissen ausgestattete Versammlung wurde mit Filipinos besetzt, die im Geiste der Kolonialmacht erzogen worden waren und sich deren Idealen mehr als den sozialen Forderungen ihrer eigenen Landsleute nach Land und Reis verpflichtet fühlten. Zu diesen Führungspersönlichkeiten der philippinischen Elite zählten Manuel L. Quezon und Sergio Osmeña von der Nationalistischen Partei. Während des Ersten Weltkriegs dienten 6.000 Filipinos in der U.S. Navy, weitere 4.000 Filipinos, die auf Hawaii lebten, traten der US-Armee bei. Die Philippinen boten den USA neben Soldaten auch ein Unterseeboot und einen Zerstörer an. Filipinos zeichneten außerdem die Kriegsanleihe Liberty Bonds in einer Höhe von zirka 40 Millionen Peso. Eine Million Peso spendeten sie an das US-amerikanische Rote Kreuz.
Die politische Elite der Kolonialisierten vollzog demonstrativ Kotaus, während sich die Kolonialmacht darin bestätigt sah, in diesem Teil Asiens einen dauerhaften, wenngleich noch nicht eigenständigen Verbündeten gefunden zu haben. Das Tydings-McDuffie-Gesetz legte 1934 die Grundlage für die Schaffung einer Commonwealth-Regierung, die das Land nach einer Übergangszeit von zehn Jahren schließlich in die Unabhängigkeit führen sollte. Erster Präsident des ein Jahr später entstandenen Commonwealth of the Philippines wurde Manuel L. Quezon, sein Stellvertreter war Sergio Osmeña. Die Philippinen genossen begrenzt innere Autonomie, allerdings mussten die in Manila verabschiedeten Gesetze weiterhin vom Weißen Haus und dem US-Senat gebilligt werden. Auch mit Beginn der Commonwealth-Ära behielten die USA die Kontrolle über sämtliche wichtigen Industrien der Inseln. Vor allem der Handel mit solchen Exportprodukten wie Zucker, Hanf und Kopra blieb fest in ihrer Hand. Der amerikanische Hochkommissar hatte derweil die Oberaufsicht über Finanzen, Verteidigung und internationale Beziehungen.
Ein großes soziales Problem vor wie während der Commonwealth-Ära waren die extrem ungleichen Boden- und Besitzverhältnisse im Lande und die daraus resultierende Armut der überwiegend bäuerlichen Bevölkerung. Die großen Ländereien, die vormals engen Vertrauten der spanischen Krone und Mönchsorden gehört hatten, wurden von den Amerikanern entweder aufgekauft oder entschädigungslos neuen Eigentümern übertragen. Vertreter der philippinischen Oberschicht, die auch vor der Ankunft der neuen Kolonialherren über Grund und Boden verfügt hatten, konnten sich unter ihnen nochmals bereichern. Denn erstmalig entstanden Katasterämter, wo vorrangig die Begüterten und die des Lesens und Schreibens Kundigen ihre tatsächlichen und auch fingierten Landtitel gegen eine Gebühr offiziell registrieren und sich somit rechtsverbindlich als Eigentümer ins Grundbuch eintragen ließen. Die Masse der Filipinos, Kleinbauern und Pächter, blieb arm wie eh und je. Für sie bedeuteten Wechsel an der politischen Spitze des Landes belanglose Machtrochaden. Hatte nicht der Präsident der ersten, kurzlebigen Republik, General und Supremo Emilio Aguinaldo, seine revolutionären Ideale wenig später preisgegeben und sich mit den neuen Herren des Landes arrangiert?
Was den Bauern unter den Nägeln brannte, waren Pachtraten, die in einigen Regionen des Landes Abgaben von bis zu 75 Prozent ihrer durchschnittlichen Ernteerträge bedeuteten. Wenngleich die Commonwealth-Regierung unter Präsident Quezon die politische Brisanz dieser ungelösten Probleme erkannte und Ende der 1930er-Jahre eine umfassende Sozialreform ankündigte, blieben tatsächliche Reformen aus. Die Folge: Widerstand und Protest gegen die Regierung radikalisierten sich. Ende 1938 vereinigte sich die seit ihrer Gründung im Jahre 1930 verbotene Kommunistische Partei mit der 1932 entstandenen Sozialistischen Partei unter Führung von Pedro Abad Santos zur Kommunistischen Partei der Philippinen (Partido Komunista ng Pilipinas; PKP). Sie verband die soziale Forderung nach einer Land- und Agrarreform mit dem politischen Appell, die Landesverteidigung zu stärken, um gegen einen potenziellen japanischen Angriff gewappnet zu sein. Für den PKP-Vorsitzenden Crisanto Evangelista und die Parteiführung waren dabei die Entwicklungen in China entscheidend, wo die japanischen Truppen nach dem Nanking-Massaker um die Jahreswende 1937/38 ihren Vormarsch gegen andere chinesische Großstädte fortsetzten.
Appeasement und bewaffneter Widerstand
Wie die Briten in Singapur, so hielt sich auch der US-Generalstab in den Philippinen unter dem Oberbefehl von Douglas MacArthur (Sohn des Ziehvaters der philippinischen Streitkräfte, Arthur MacArthur) für unbesiegbar. (7) Gingen die Briten davon aus, dass ihre „Festung Singapur“ an der Südspitze Kontinentalsüdostasiens uneinnehmbar sei und sie mit diesem regionalen Handelszentrum und Militärstützpunkt die als Öltanker-Route strategisch bedeutsame Malakka-Straße konkurrenzlos kontrollierten, so glaubte sich die Führung der United States Armed Forces in the Far East (USAFFE) in den Philippinen gleichsam fest im Sattel. Auch MacArthur hatte die in der Bucht von Manila gelegene Insel Corregidor mehrfach als „unbezwingbare Festung“ gepriesen. Beide Seiten irrten auf fatale Weise; beide vermeintlich uneinnehmbare Festungen wurden nicht nur – ein Debakel für den britischen und US-amerikanischen Generalstab – handstreichartig von japanischen Truppen eingenommen. Insgesamt erwiesen sich die vor dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor öffentlich mehrfach als stabil bezeichneten Verteidigungslinien als porös.
In einer Zangenbewegung landeten bereits einen Tag nach dem Angriff auf Pearl Harbor, am 8. Dezember 1941, Truppen der Kaiserlich Japanischen Armee auf Mindanao und in Nordluzon. Wenig später fielen die ersten Bomben auf die Hauptstadt Manila, die bereits am 2. Januar 1942 eingenommen wurde. Von hier aus eröffneten die japanischen Verbände ihre Offensive gegen die beiden letzten Bastionen der USAFFE – die Festungsinsel Corregidor in der Manila-Bucht und den Bergdschungel auf der Bataan-Halbinsel. Auf Corregidor und Bataan erlitten die USAFFE hohe Verluste, während Präsident Quezon und General MacArthur zwischenzeitlich nach Australien geflohen waren. Der Kapitulation der philippinisch-amerikanischen Truppen am 9. April 1942, dem sogenannten „Fall von Bataan“, folgte der Todesmarsch von 76.000 Kriegsgefangenen, darunter etwa 10.000 US-Soldaten, von Mariveles auf Bataan ins über 100 Kilometer entfernt gelegene Camp O’Donell und andere japanische Konzentrationslager in und um Capas in der Provinz Tarlac. Allein während dieses zehntägigen Marsches kamen etwa 10.000 Kriegsgefangene ums Leben. Sie starben entweder an Erschöpfung oder wurden im Falle von Befehlsverweigerung oder bei Fluchtversuchen von ihren Bewachern umgebracht. Kurz darauf, am 6. Mai, ergaben sich auch die etwa 13.000 Überlebenden auf Corregidor, wo sich seit Dezember 1941 der provisorische Sitz der Commonwealth-Regierung befand, den überlegenen japanischen Truppen.
Exkurs – „Kämpfende Bastarde von Bataan“ fordern Pensionen
„Während der dunklen Tage des Zweiten Weltkrieges spendeten die etwa 100.000 Soldaten der Philippinischen Commonwealth-Armee Hoffnung im Pazifik, als sie Seite an Seite mit den Vereinigten Staaten und den alliierten Streitkräften vier Jahre lang die philippinischen Inseln verteidigten und sie schließlich von der japanischen Aggression befreiten. Tausende weitere Filipinos schlossen sich den US-Streitkräften unmittelbar nach dem Krieg an und machten sich um Besatzungsaufgaben im gesamten Pazifik verdient. Für ihre außerordentlichen Opfer in der Verteidigung von Demokratie und Freiheit schulden wir ihnen unendliche Dankbarkeit.” – US-Präsident Bill Clinton am 17. Oktober 1996, als er den 20. Oktober zum Nationalen Tag zu Ehren der philippinischen Veteranen im MacArthur-Kommando während des Zweiten Weltkriegs erklärte.
Trotz ihres Einsatzes und Clintons großer Worte zeigte sich bereits sechs Monate nach Kriegsende die von der US-Regierung während des Krieges beschworene unzertrennliche Waffenbrüderschaft zwischen Amerikanern und Filipinos in anderem Lichte. Mitte Februar 1946 war im US-amerikanischen Kongress das Public Law 70-301 verabschiedet und von Präsident Harry S. Truman als sogenannter Rescission Act (Aufhebungsvertrag) unterschrieben worden. Demnach kamen die philippinischen Soldaten, die Schulter an Schulter mit Amerikanern gekämpft hatten, nicht in den Genuss zuvor versprochener Entschädigungen, Kriegspensionen und angemessener Gesundheitsvorsorge. Noch heute, da allenfalls 20.000 philippinische Kriegsveteranen leben und die Achtzig längst überschritten haben, gehen Personen auf die Straße und organisieren in den Philippinen und in den Vereinigten Staaten Veranstaltungen, um für eben diese Rechte weiter zu kämpfen.
1990 konnten jene Filipinos für die US-Staatsbürgerschaft votieren, die während des Zweiten Weltkriegs in der US-Armee gekämpft hatten. Diejenigen, die von diesem Angebot Gebrauch machten und sich in den USA niederließen, mussten bald ernüchtert feststellen, dass sie sich nur in den ärmsten Städten eine Wohnung leisten konnten. Alle, die damals in die USA einwanderten, leben von der staatlichen Wohlfahrt, die immer mehr eingeschränkt wird. Sie genießen kein Anrecht auf Vergünstigungen, die ihre US-amerikanischen Nachbarn und ehemaligen Kriegskameraden eventuell noch beziehen.
Seit 1992 hat es sich der philippinische Fotojournalist Rick Rocamora zur Aufgabe gemacht, Kriegsveteranen zu fotografieren und auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen. Herausgekommen ist dabei die Fotoausstellung „Heroes of the Homeland: Crossing Gender and Generations“. Der US-amerikanische Regisseur Donald Young benutzte das dokumentarische Material als Vorlage für den Film „Second Class Veterans”, der seit Oktober 2003 landesweit in den USA von nicht-kommerziellen Sendern ausgestrahlt wird.
Die Protagonisten in dem 27-minütigen Dokumentarfilm „Second Class Veterans” lebten meist verarmt in sozial unruhigen Randbezirken solcher Großstädte wie San Francisco. Sie waren auf die Unterstützung von Verwandten und Freunden angewiesen und mussten Zeit ihres Lebens für ärztliche Behandlungen selbst aufkommen – was solche Organisationen wie Justice for Filipino Veterans (JFAV) seit Jahren kritisieren. In einer ihrer Erklärungen heißt es beispielsweise:
„Wir protestieren gegen den Rescission Act, der Filipinos aus insgesamt 66 anderen Nationen herausfilterte und sie gesondert behandelte. Dieses ungerechte Gesetz betrachtete deren Dienst im Zweiten Weltkrieg als nachrangig, was allein in den USA über 11.000 philippinische Veteranen betraf. Ohne angemessene Entschädigungen und Pensionen sind diese Menschen, um zu überleben, notwendig auf die Hilfe ihrer Nachbarschaft angewiesen. Diese Menschen kämpften für Amerika, doch Amerika behandelt sie unfair und ungerecht.”
Laut Untersuchungen der JFAV hatte die US-Regierung allein um die Jahrtausendwende noch immer nicht jene schätzungsweise 75.000 überlebenden philippinischen Veteranen anerkannt, die den amerikanischen Streitkräften während des Zweiten Weltkriegs gedient hatten. Lediglich 4.000 der etwa 75.000 Veteranen bezogen im Jahre 2002 eine Pension.
In Santa Fe im Bundesstaat New Mexico war der gebürtige Filipino Jeronimo Padilla langjährig Kurator des bereits 1947 mit erheblichen Privatmitteln aufgebauten Bataan Memorial Military Museum and Library. Hier wird an den Todesmarsch vor gut 80 Jahren erinnert. Ausgestellt sind in dem Museum nebst Kriegsmaterial auch Utensilien, Tagebucheintragungen und Notizen von Überlebenden. Einer von ihnen hielt folgende Zeilen fest, aus denen er ein Lied improvisierte:
„Wir sind die kämpfenden Bastarde von Bataan – keine Mutti, kein Papi und weit und breit kein Uncle Sam.”
Hukbalahap – die Antijapanische Volksarmee
Ebenfalls im Zentrum der Insel Luzon, der traditionellen Reiskammer des Landes, und nicht weit von Capas entfernt hatte sich fast zeitgleich mit dem „Fall von Bataan“, am 29. März 1942, eine bewaffnete Formation gebildet, die sowohl während des Krieges als auch im ersten Nachkriegsjahrzehnt von sich reden machte – die auf Initiative der Kommunistischen Partei (PKP) gegründete Antijapanische Volksarmee (Hukbo ng Bayan Laban sa Hapon, kurz: Hukbalahap beziehungsweise Huk). Ihre Ziele: bewaffneter Widerstand gegen die japanischen Besatzer, Kampf für die Unabhängigkeit des Landes und die Umwälzung der ungleichen Boden- und Besitzverhältnisse. Letztere schloss eine umfassende Agrarreform ein, in deren Prozess das Land denen übereignet werden sollte, die es bebauen – also den Kleinbauern und Pächtern in den von feudalem Großgrundbesitz geprägten Regionen Luzons. Das war eine Kampfansage an drei Gegner zugleich: die Japaner, die die Inseln wegen ihrer reichen mineralischen Bodenschätze und Reis auf Dauer in ihre „Größere Ostasiatische Gemeinsame Wohlstandssphäre“ integrieren wollten; die noch immer dominante Kolonialmacht USA und schließlich an die einheimische Oberschicht, die sich dem amerikanischen Big Business als Kompradoren angedient hatte und gleichzeitig landesweit über ausgedehnten Grundbesitz verfügte.
Eine der ersten Maßnahmen der Hukbalahap unter dem Kommando von Luis Taruc (8) bestand darin, die Bevölkerung in ihren Operationsgebieten zu bewaffnen. So entstanden auf lokaler Ebene die Vereinten Barrio-Verteidigungskorps (United Defense Corps; BUDC) als Form einer kollektiven Notwehr gegen japanische Übergriffe. Da zahlreiche Grundbesitzer wegen der Kriegswirren ihren Grund und Boden verlassen hatten und in größere Städte, vorzugsweise nach Manila, geflüchtet waren, gelang es den Huks vielerorts relativ reibungslos, diese Ländereien Pachtbauern zu überlassen oder gemeinschaftlich zu bewirtschaften. Wo dies nicht möglich war, setzten sich bewaffnete Huk-Verbände zumindest für die Reduzierung vormals exorbitanter Pachtabgaben ein. Diese Politik fand in der Bevölkerung Rückhalt und ermöglichte es den Partisanen, sich ausreichend mit Lebensmitteln und militärischem Nachschub zu versorgen. Ein weiterer Schritt der Guerilla bestand darin, schrittweise die politischen und Verwaltungsstrukturen auf dem Lande umzukrempeln. In den Provinzen Pampanga, Tarlac, Nueva Ecija, Bulacan, Rizal und Laguna, die die Metropole Manila im Norden, Osten und Süden umschlossen, vermochten die Huks, die Regierungsapparate, angefangen von kleinen Verwaltungsangestellten in Postämtern bis hin zum Provinzgouverneur, mit eigenen Leuten oder Sympathisanten zu besetzen.
Die Bevölkerung in den von Huks kontrollierten Gebieten begrüßte diese Entwicklung und sah ihre Interessen durch die neu besetzten politischen und Verwaltungsapparate legitim vertreten. Die Huks waren überdies imstande, die öffentliche Ordnung zu garantieren sowie Plünderungen und Schwarzmarktgeschäfte zu unterbinden, die in anderen Regionen an der Tagesordnung waren. Schätzungsweise 5.000 Japaner kamen bei Kampfhandlungen mit Huk-Einheiten ums Leben. Eine weitaus größere Zahl von eigenen Landsleuten schalteten die Huks aus, weil sie diese für Kollaborateure, Verräter oder ideologische Feinde hielten. Innerhalb der Huk-Verbände existierte mit der „Wa Chi“-Einheit auch ein aus Chinesen beziehungsweise chinesischstämmigen Filipinos gebildeter Trupp, der hauptsächlich in den Provinzen Bulacan und Laguna operierte. International unterhielt die Hukbalahap Beziehungen zum Büro der Kommunistischen Internationale (Komintern) in Moskau sowie zu Einheiten der Chinesischen Volksbefreiungsarmee.
Psychologische Kriegführung
Vor und während der Invasion hatte die japanische Propaganda noch die rassische und kulturelle Einheit der Völker Asiens beschworen und auch den Filipinos die Befreiung von der amerikanischen Kolonialherrschaft versprochen. Besonders beliebt und verbreitet im Rahmen dieser gezielten psychologischen Kriegführung war der Abwurf von Propagandamaterial aus Flugzeugen. Meist handelte es sich dabei um mehrfarbige Postkarten, die im Kern zwei Hauptbotschaften vermittelten: Zum einen sollte innerhalb der Bevölkerung Hass und Widerstand gegen den „weißen“ beziehungsweise „westlichen Imperialismus“ geschürt, andererseits die Kampfmoral der US-Truppen im Lande aufgeweicht werden. 1942 hatte die japanische Regierung ein Pamphlet mit dem Titel „Der Größere Ostasiatische Krieg und wir“ veröffentlicht, in dem in idyllischen Bildern das neue Verhältnis zwischen Japan und seinen Nachbarn skizziert und das Bild einer gemeinsamen Großfamilie beschworen wurde. Je enger sich die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen allen „Familienmitgliedern“ gestalte, so der Tenor der Schrift, desto größer seien die Chancen, schnell und umfassend in den Gesellschaften Ost- und Südostasiens Wohlstand, Frieden und Unabhängigkeit zu verwirklichen.
Diese Botschaft wurde immer wieder und variantenreich wiederholt. Sie verfing am ehesten unter Mitgliedern der städtischen Oberschicht und der politischen Elite, nicht aber im Hinterland. Dort operierten unterschiedliche Guerillagruppen, häuften sich gewaltsame Übergriffe japanischer Einheiten und blieb die Sicherheits- sowie wirtschaftliche Lage außerordentlich prekär. Diese angespannte Situation dauerte faktisch bis zum Ende der japanischen Herrschaft an und durchkreuzte auch die ursprünglichen Pläne Tokios, sich im Rahmen eines militärisch kontrollierten beziehungsweise vom Militär in Auftrag gegebenen Wirtschaftskonsortiums problemlos solcher Bodenschätze wie Kupfer, Eisen, Gold, Chrom und Mangan zu bemächtigen. Ständige Attacken von Guerillaverbänden, Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Arbeitskräften, ungenügende Transportkapazitäten und Ölmangel führten dazu, dass aus den hochgesteckten Zielen, lukratives Business mit der geregelten Versorgung des Mutterlandes zu verbinden, ein Flop wurde.
Lesen Sie morgen den zweiten Teil.
Titelbild: Dana Creative Studio/shutterstock.com
Anmerkungen, Dokumente & weiterführende Literatur
- Theodore Roosevelt quote: A just war is in the long run far … * libquotes.com/theodore-roosevelt/quote/lbe0y5k; quotefancy.com/quote/916087/Theodore-Roosevelt-A-just-war-is-in-the-long-run-far-better-for-a-man-s-soul-than-the & Theodore Roosevelt’s Corollary to the Monroe Doctrine (1905) | National Archives * archives.gov/milestone-documents/roosevelt-corollary
- Zitiert nach: Weisberger, Bernard A. (1964): Reaching for Empire. New York (The Life History of the United States, Vol 8: 1890 – 1901, S. 138f.)
- Seit 1901 ist im amerikanischen Englisch das Wort „gook“ verbürgt, was einerseits so viel wie klebriger, schlammiger Schmutz oder Ablagerungen meint, fortan aber vorrangig als beleidigende und verächtliche Bezeichnung für Asiaten verwendet wurde. Während des Koreakrieges (1950-53) und der US-Aggressionen gegen Vietnam, Kambodscha und Laos (1965-75) avancierte der Begriff „gook“ zur offen rassistischen Bezeichnung für „hinterhältige schlitzäugige Asiaten“.
- Krag-Jørgensen – Wikipedia
- Die in Opposition zum US-Kolonialismus gegründete Anti-Imperialist League hatte etwa 30.000 Mitglieder. Ihre prominentesten Vertreter waren: Jane Addams (Sozialreformerin, Pazifistin, Friedensnobelpreisträgerin 1931), Carl Schurz (Politiker, Senator 1869-1875), Mark Twain (1835-1910), William James (Psychologe und Philosoph), Samuel Gompers (Gewerkschaftsführer) und Andrew Carnegie (Industrieller). Sie beriefen sich u.a. auf John Quincy Adams (US-Präsident von 1825-1829), der 1821 als Secretary of State nachdrücklich davor gewarnt hatte, jemals zuzulassen, dass Freiheit als Grundmaxime eigener Politik unmerklich in Gewalt umschlägt, wodurch man zum Diktator der Welt aufstiege und nicht länger mehr Herrscher seines eigenen Geistes sei – zitiert nach: Kirshon, John W. (ed.) (1989): Chronicle of America. Mount Kisko, S. 524
- Der unbekannte Mark Twain – Schriften gegen den Imperialismus (2014). Hrsg. und erläutert von Peter Priskil. Freiburg i.Br. & Zwick, Jim (ed.) (1992): Mark Twain’s Weapons of Satire: Anti-Imperialist Writings on the Philippine-American War (Studies on Peace & Conflict Resolution). Syracuse, NY
- Manchester, William (1978): American Caesar. Boston; Philippines – Islands Under Siege. A Conflicted Land: Rebellions, Wars and Insurgencies in the Philippines – 1898-1933: America’s Colony & Meyer, Milton W. (1995): A Diplomatic History of the Philippines. Honolulu
- Taruc, Luis (1953): Born of the People. Bombay; Smith, Robert R. (1963): The Hukbalahap Insurgency: Economic, Political, and Military Factors. Washington, D.C.; Comish, Jr., Leo S. (1971): The United States and the Philippine Hukbalahap Insurrection: 1946-54. Carlisle Barracks, PA: U.S. Army War College. 8 March; „‚Unsere Opfer zählen nicht’ – Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ (2005). Hrsg. vom Rheinischen JournalistInnenbüro und recherche international e.V. in Köln. Berlin/Hamburg/Göttingen & Werning, Rainer & Karl Rössel (2004): „Ohne uns hättet ihr Euren Krieg nie führen können“ (Teil 2) – Asien im Zweiten Weltkrieg. Radiofeature / 45 Min., DLF: 11.5. & SWR: 19.5. [Die insgesamt drei Features wurden 2005 im Rahmen einer dreistündigen „Langen Nacht über Afrika, Asien und Ozeanien im Zweiten Weltkrieg“ wiederholt – Deutschlandradio Kultur: 6./7.5.2005 & DLF: 7./8. 5.2005]