„Bildung statt Bomben“: Schüler protestieren gegen Stand der Bundeswehr an Fachschule in Gotha und erhalten Schulverweis

„Bildung statt Bomben“: Schüler protestieren gegen Stand der Bundeswehr an Fachschule in Gotha und erhalten Schulverweis

„Bildung statt Bomben“: Schüler protestieren gegen Stand der Bundeswehr an Fachschule in Gotha und erhalten Schulverweis

Ein Artikel von Marcus Klöckner

„Bildung statt Bomben“: Schüler protestieren gegen einen Stand der Bundeswehr an ihrer Schule. Ergebnis: Verweis von der Staatlichen Fachschule für Bau, Wirtschaft und Verkehr in Gotha. Begründung: „Der Schulfrieden wurde wiederholt und bewusst gestört“, hieß es vonseiten der Schulleitung. Wie ist das zu verstehen? Wer an der Schule auf unbequeme Weise gegen den Krieg protestiert, stört den Frieden? Orwell hätte seine Freude. Die Entscheidung ist falsch. Gerade in einer Zeit, wo Deutschland kriegstüchtig werden soll, setzen die Verantwortlichen ein von Ignoranz geprägtes Zeichen. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.

Die Bundeswehr war mit einem Stand an der Staatlichen Fachschule für Bau, Wirtschaft und Verkehr in Gotha zu Besuch. Damit fängt das eigentliche Problem an. Doch für die Verantwortlichen der Schule beginnt offensichtlich nicht damit das Problem, dass die Bundeswehr in Zeiten des politischen Großvorhabens Kriegstüchtigkeit an ihrer Einrichtung um junge Rekruten werben will, sondern dass sich zwei kluge Schüler herausgenommen haben, gegen den Stand zu protestieren. Ist Zivilcourage an der Schule nicht erlaubt? Doch, doch, selbstverständlich – „in angemessener und sachlicher Form und unter vorheriger Absprache und Genehmigung“ sei Protest möglich, zitiert die Thüringer Allgemeine die Schulleiterin Andrea Nette.

Was das bedeutet, lässt sich leicht ableiten. Protest ja – aber so, dass er politisch nicht aus dem Ruder läuft. In dem Artikel heißt es, dass ein Protest außerhalb der Schule erlaubt gewesen sei. Das spricht Bände. Politischer Protest fernab vom Geschehen? Was soll das denn sein? Gelenkter Protest unter dem Banner der Demokratie? Protestieren ja – aber bitte nicht unbequem sein?

Nein, so geht das nicht.

Da sich die beiden Schüler über die Schulanweisungen hinweggesetzt und sich die Freiheit herausgenommen haben, so zu protestieren, wie sie es für richtig empfunden haben, ließen die Schulverantwortlichen nun Konsequenzen walten. Die unbequemen, aber offensichtlich politisch ziemlich kritischen und mündigen Schüler wurden von der Schule entfernt: Schulverweis – für sechs Tage. Und das in einer Zeit, wo Prüfungsklausuren anstehen.

Das ist eine Entscheidung, die von pädagogischer Erbärmlichkeit geprägt ist – gerade unter Vergegenwärtigung der aktuellen Situation, aber auch im Hinblick auf die deutsche Geschichte. Halten wir uns vor Augen: Überall heißt es von Politikern, Russland sei eine Bedrohung und die Gefahr eines Krieges bestehe. Deutschland rüstet massiv auf, das ganze Land soll „kriegstüchtig“ werden. Natürlich weiß jeder, der die verquere Medienwirklichkeit kritisch hinterfragt, dass es sich hierbei um dümmliche Propaganda handelt. Doch gerade unter der Annahme, dass die Kunde von der Kriegsgefahr real sei, ist das Verhalten der Schule umso verwerflicher.

Die Bildungseinrichtung erlaubt einen Stand der Bundeswehr, aber den Protest direkt vor dem Stand verbietet sie. Und damit wären wir in der deutschen Vergangenheit. Wer Erich Maria Remarques Roman „Im Westen nichts Neues“ gelesen hat, weiß: Das Werk ist auch eine Anklage an die Schulen und die Lehrer, die damals in der Zeit des Ersten Weltkrieges ihre Schüler zum Krieg verführt haben. Frühzeitig erfolgt in dem Buch eine Abrechnung mit der Romanfigur Kantorek, einem Lehrer.

Man kann Kantorek natürlich nicht damit in Zusammenhang bringen; – wo bliebe die Welt sonst, wenn man das schon Schuld nennen wollte. Es gab ja Tausende von Kantoreks, die alle überzeugt waren, auf eine für sie bequeme Weise das Beste zu tun. Darin liegt aber gerade für uns ihr Bankrott. Sie sollten uns Achtzehnjährigen Vermittler und Führer zur Welt des Erwachsenseins werden, zur Welt der Arbeit, der Pflicht, der Kultur und des Fortschritts, zur Zukunft. Wir verspotteten sie manchmal und spielten ihnen kleine Streiche, aber im Grunde glaubten wir ihnen. Mit dem Begriff der Autorität, dessen Träger sie waren, verbanden sich in unseren Gedanken größere Einsicht und menschlicheres Wissen. Doch der erste Tote, den wir sahen, zertrümmerte diese Überzeugung. Wir mußten erkennen, daß unser Alter ehrlicher war als das ihre; sie hatten vor uns nur die Phrase und die Geschicklichkeit voraus. Das erste Trommelfeuer zeigte uns unseren Irrtum, und unter ihm stürzte die Weltanschauung zusammen, die sie uns gelehrt hatten. Während sie noch schrieben und redeten, sahen wir Lazarette und Sterbende; – während sie den Dienst am Staate als das Größte bezeichneten, wußten wir bereits, daß die Todesangst stärker ist. Wir wurden darum keine Meuterer, keine Deserteure, keine Feiglinge – alle diese Ausdrücke waren ihnen ja so leicht zur Hand –, wir liebten unsere Heimat genauso wie sie, und wir gingen bei jedem Angriff mutig vor; – aber wir unterschieden jetzt, wir hatten mit einem Male sehen gelernt. Und wir sahen, daß nichts von ihrer Welt übrig blieb.

Haben die Lehrer an der Fachhochschule in Gotha „Im Westen nichts Neues“ gelesen? Aber vor allem: Haben Sie das Werk auch intellektuell durchdrungen? Gewiss: „Im Westen nichts Neues“ mag nicht zum Lesestoff an einer Fachschule gehören – eine Auseinandersetzung mit dem Werk zusammen mit den Schülern wäre dennoch dringend angebracht.

In einer Schule liegt Verantwortung. Lehrer sind ihren Schülern in der Regel aufgrund ihres Alters, ihres Wissens und ihrer Einblicke in die Welt überlegen.

Einer der Schüler kritisiert laut Thüringer Zeitung, dass die Schule vor der Firmenkontaktmesse nicht mit den Schülern über die Präsenz der Bundeswehr ins Gespräch gegangen sei. Wenn dem so ist, dann rundet es das Bild einer Schule ab, die mehr als nur unglücklich agiert.

Wo eine kritische Aufklärung über die Gefahren des Soldatentums von Lehrern ausbleibt, müssen eben weitsichtige Schüler die Aufgabe übernehmen. Dass sie dabei „Grenzen“ überschreiten, die ihnen die Schule setzt: Wer wollte ihnen das wirklich übel nehmen? Oder gilt an der Fachhochschule Gotha die Einsicht des Literaturnobelpreisträgers Hermann Hesse, wonach das Ausbildungsziel einer jeden Schule „der Untertan“ sei? Hoffentlich nicht! Die Schulverantwortlichen sollten ihre Entscheidung schnellstmöglich korrigieren, um sich dann gemeinsam mit den Schülern kritisch mit dem Thema Bundeswehr und Krieg auseinanderzusetzen. Dies zu leisten, kann, darf und muss von einer Schule erwartet werden.

Titelbild: © privat

Marcus Klöckner hat das Buch Kriegstüchtig – Deutschlands Mobilmachung an der Heimatfront verfasst.

Anmerkung der Redaktion: In einem Beitrag des Mediums ND heißt es zu dem Fall:

Bereits im Vorjahr hatte es an der Fachschule in Gotha einen ähnlichen Protest gegeben – dies wird in dem aktuellen Verweis als erschwerend angeführt. Die Schulleiterin Andrea Nette soll damals angedeutet haben, dass Schüler*innen, die mit der Präsenz der Bundeswehr nicht einverstanden seien, sich fragen könnten, »ob dies auch die richtige Schule« für sie sei – eine Formulierung, die als Androhung eines dauerhaften Schulverweises verstanden werden könne. Nette war für eine Stellungnahme für »nd« nicht zu erreichen und antwortete auch nicht auf Mails.