Vom Schlendern und vom Glück auf halber Höhe

Vom Schlendern und vom Glück auf halber Höhe

Vom Schlendern und vom Glück auf halber Höhe

Ein Artikel von Frank Blenz

Sebastian Schoepp ist ein Mann der schreibenden Zunft, Journalist, Schriftsteller. Seine Profession, seine Leidenschaft, Geschichte und Geschichten festzuhalten, das Leben, verlangte ihm lange Jahre viel Energie ab – in unseren rastlosen Zeiten unbedingte Voraussetzung, um Erfolg und Anerkennung beim Klettern auf der Karriereleiter zu erlangen. Der Journalist gestand sich ein, dass das so ging, bis es nicht mehr ging. Er hielt endlich, im Zustand der Erschöpfung, inne. Er rannte und kletterte nicht mehr, er ging – langsamer; seiner Passion, dem Wandern viel mehr Zeit als bisher einräumend und damit vor allem sich selbst. Das langsamere Schreiben, das Wandern, das Nachdenken dabei, in sich gehen, das Träumen, Schwärmen, Umschauen zu einer wundervollen Einheit verbindend, bündelt Schriftsteller Sebastian Schoepp in “Seelenpfade – Warum ich durch Deutschland wandere, um zu mir selbst zu finden“. Eine Buchbesprechung von Frank Blenz.

Zuerst zum Schluss von „Seelenpfade“

Die letzten Seiten von “Seelenpfade – Warum ich durch Deutschland wandere, um zu mir selbst zu finden“ von Sebastian Schoepp lesen sich im dankbaren wie melancholischen Gefühl, als wären, sagen wir, eine Woche langsames, unaufgeregtes, entspanntes, aufmerksames Gehen, Schlendern, Wandeln, Wandern durch hügelige Landschaften, durch Dörfer, entlang an Flüssen einschließlich erholsamer Aufenthalte in Herbergen schon wieder ruck zuck vorbei. Ich wäre gern weitergewandert. Der Autor und Wanderer bietet zum Trost für mich im Nachwort eine Idee an, die naheliegend und einfach umzusetzen ist: einfach spontan Wandern, wobei fünf Kilometer reichen, immer wieder oder in den Alltag eingebunden. Und zwar gleich daheim, von zu Hause aus, die nähere Umgebung zu Fuß, die Heimat im Jetzt erlebend, geerdet. Sebastian selbst hört auf einen Rat von Mitmenschen in seiner bayerischen Heimat und gibt diesen weiter: „Lass es ruhiger angehen.“ Ich lese, er setzt sich auf eine Bank, futtert eine Brezel auf und blinzelt in die Sonne.

Für jeden etwas: “Seelenpfade” entpuppt sich als Ratgeber, Sachbuch, Reisetagebuch …

Sehr schön: Schoepp ist zwar nicht Goethe, ein wenig aber schon, finde ich. Denn der Autor packt in seine kraftvollen, liebevoll gesetzten Zeilen auf mehr als 200 Seiten vielfältige Formen des Schreibens, des Ausdrucks, der Poesie, des Gedanken schweifen Lassens. Sein kurzweilig zu lesendes wie auch manchmal nachdenklich stimmendes Buch “Seelenpfade“ liegt vor einem wie eine erlesene Sammlung verschiedener Genres: Ratgeber, Sachbuch, Autobiografie, Reisetagebuch, angereichert mit kleinen Kapiteln voller Lyrik und Herzlichkeit – ja, der Goethe kommt durch. Schoepp gesteht, dass beim Wandern wenig Spektakuläres geschieht, und dies aus einem einfachen Grund: „weil ich gar nichts Spektakuläres erleben will“. Schoepp reicht die Betrachtung, „eine Flussschleife im Abendlicht, das goldene Funkeln in den Weinstöcken, der dichte Nebel, der alle Geräusche verschluckt …“. Den Verantwortlichen vom Westendverlag, die mit dem Slogan “Bücher für die Wirklichkeit“ werben, sei zum Buch “Seelenpfade“ gesagt: Stimmt.

Beim Wandern kann man oft allein sein

Die Wanderung im Geiste beginnt. Bald vereinen sich Leser und Wanderer Schoepp, es ist, als liefe man in vertrauter Gemeinschaft. Ich fühle mich wie Schoepp: Das gleiche Tempo, die gleichen Gedanken, Ziele oder auch keine; das Privileg, auch mal „einen Schlenker“ einzubauen in die Route; die heimliche oder offene Freude, wenigen bis gar keinen Menschen auf dem Weg durch den Wald zu begegnen (damit ist nicht etwa gemeint, kein Menschenfreund zu sein). Beim Wandern kann man oft allein sein. Durchatmen. Ach. Ja. Gut. Schoepp rät auch, ja keine Kilometer machen, dem folge ich gern, sportlicher Ehrgeiz hin oder her.

Reisebuch. Seine fein gesetzten Zeilen ergänzt Sebastian Schoepp mit charmanten, kleinen Wegzeichnungen seiner Touren durch die Bundesrepublik, die auf den Innenseiten des Buchumschlags zu finden sind, wie zum Beispiel: Hermannsweg, Pfälzer Weinsteig, Malerweg. Diese Skizzen sind überaus einladend, einfach gehalten, so ganz anders als die genauesten Karten im Internet. Beim Lesen blättere ich des Öfteren vor oder zurück, um Textpassagen mit den Skizzen zu vergleichen. Mir kommt ein froher Gedanke beim Vergleich von Internetkarten mit klassischen Wanderkarten zum Falten: Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, passend zum Entschleunigungskonzept von Schoepp, dass das Mitführen einer Karte schöner, sogar genauer, übersichtlicher und griffiger ist, als in der Botanik stehend auf das Smartphone zu schauen. Die Landschaft, die Komplexität einer Route in der Gesamtheit wie im Detail erschließt sich auf einer Faltkarte einfach besser als via der kleinen Bildschirmfläche des Smartphones, selbst wenn die Fläche „scrollbar“ ist. Gut, ein Kompromiss muss her, wende ich ein: Wir leben im 21. Jahrhundert, beide Möglichkeiten vereinen – das ist in Ordnung.

So einen Heimatkundeunterricht wünschte ich mir

Sebastian Schoepp wandert immer wieder mal durch das Land, allein oder mit Freunden und ihm nahestehenden Menschen. Er lehrt mich mit seinem Buch sozusagen im Fach Heimatkunde. Derlei Unterricht wirkt wunderbar. Vom Wort „Heimat“ fällt dank ihm alles ab, was einen misstrauisch werden lassen könnte. Und die Frage „Warum in die Ferne schweifen?“ beantwortet der weltweit Gereiste Schoepp: Wandert daheim, denn „dem Glücklichen ziemt es, zu Hause zu bleiben“. Zu Hause, durch die Pfalz, durch das Elbsandsteingebirge, entlang der Donau, durch den Teutoburger Wald oder auch mal ins Tschechische oder nach Polen. Schoepp malt ein Gemälde der anderen Art: Die Mittelgebirge sind unsere Achttausender, die Gastlichkeit der Wirtsleute herzlich und widerstandsfähig gegenüber schnelllebigen Trends, die obligatorische Pilzsoße in den Wirtschaften und Herbergen an der Strecke jedoch durchaus mitunter ein Grund, freundlich nein zu sagen. Schöne Momente sind festgehalten: Schoepp mag Wein, Schnitzel, und es glückt ihm, dazu keine Pilzsoße zu bekommen. Und beim Schlürfen edlen Traubengesöffs sinniert er darüber, wie es sein kann, dass so viele Wirtschaften dichtgemacht haben und überm Land eine Decke der Lähmung liegt, als wäre eine bleierne Zeit bestimmend.

Trotz Prinzipien doch ab und an E-Mails öffnen

Sebastian Schoepp schreibt rückblickend, dass er während seiner aktiven, hektischen, Energie zehrenden Journalistenzeit dann doch etwas tut, was er auf Wanderschaft sonst nicht macht: Er öffnet sein Email-Programm. Dieses Öffnen beschreibt er, dass die Leser begreifen: Das ist der Moment, in dem sich sein Leben ändert, wenn er die Frage „Ist das die Chance, aus der Ritterrüstung, aus dem Stress, aus der Hatz auszubrechen?“ stellt. Er offenbart seine monumentale Sehnsucht, wieder durchlässig für den Atem der Welt zu werden. Zu erfahren ist, dass sich ihm tatsächlich die Möglichkeit eröffnet, ein freiwilliges Ausstiegsprogramm zu nutzen, bei dem sein Arbeitgeber, der Verlag, Abfindungen anbietet. Das könnte bedeuten: Finanzielle Unabhängigkeit für eine gewisse Zeit. Und eine große Chance. Der Absprung von der Karriereleiter? Der Sprung gelingt.

Adenauer und das Glück der halben Höhe

Über Konrad Adenauer würde ich bei der Wanderung mit Sebastian in eine Diskussion geraten, auf der Wanderung und schließlich bei einem Feierabendtrunk in einer Schenke. Schoepp schwärmt in seinem Buch vom Altkanzler und der sozialen Marktwirtschaft, dabei außen vor lassend, welche anderen Seiten über Adenauer zu besprechen wären. Am nächsten Tag ginge die Tour durch unser schönes Land versöhnt weiter, durch die Republik der reichlich vorhandenen Mittelgebirge. Und schon würde es zu erleben sein: Das Glück auf halber Höhe. Schoepp findet wundervolle Worte der Beschreibung von Momenten des Innehaltens und zitiert auch gern sowie trefflich berühmte Leute wie Nietzsche: „Bleib nicht auf dem Feld, steig nicht zu hoch hinaus, am schönsten sieht die Welt von halber Höhe aus.“

Vielleicht hilft es: in rastlosen Zeiten mehr Wandern, Innenhalten

Kürzer treten? Von wegen. Das Buch liegt da und vereint eine grandiose Menge an Informationen, Gefühlen, Ratschlägen, Offenbarungen. Für einen, der im Leben zu viel gearbeitet hat, ist das Buch “Seelenpfade“ abermals ein beeindruckendes Ergebnis einer immensen Fleißarbeit. Als Journalist düste Sebastian Schoepp rastlos durch die Welt. Und richtigerweise entgegnete er dem Druck, einer Depression mit Fragen und mit Reaktionen. „Geht es nicht auch langsamer?“ Ja. Deutschland zu Fuß. Schoepp kann nicht ganz aus seiner Haut – einmal Journalist, immer … So wandert er und fragt. Zum Beispiel: „Wer hat das Wandern erfunden? Wie entstehen eigentlich Pfade? Warum tut Wandern so gut in Zeiten des Beschleunigungsdiktats?“

„Lass es ruhiger angehen.“ Ich lese, er setzt sich auf eine Bank, futtert eine Brezel auf und blinzelt in die Sonne. Ein Einwand bleibt mir, nachdem die finale Seite „aufgelesen“ ist: Wohl sind Gehen, Wandern, Laufen, Rennen einfache „Übungen“, die jedermann ohne Aufwand tätigen kann. Sie eignen sich wirklich dazu, sich wohler zu fühlen. Doch sind sie für viele Menschen allenfalls Pausen vom Alltag, der – ein Blick in die nahe und die weite Welt genügt – zunehmend viel, zu viel verlangt. Und das, ohne vielleicht Karriere machen zu wollen. Und das, ohne große Ziele zu haben, einfach leben zu wollen. Heute steht Grundsätzliches völlig unnötig und willkürlich zur Disposition. Und ja, das Wandern ist langsam und wohltuend – die Welt müsste sich ebenso langsamer drehen. Sie tut es nicht. Es sei denn, es würden viel mehr Menschen wandern?

Sebastian Schoepp: Seelenpfade. Warum ich durch Deutschland wandere, um zu mir selbst zu finden. Neu-Isenburg 2025, Westend Verlag, gebundene Ausgabe, 256 Seiten, ISBN 978-3864894862, 24 Euro

Verlagsinfo zum Autor:
Sebastian Schoepp ist Schriftsteller und Wanderer. Bei Westend sind bisher von ihm die Titel “Das Ende der Einsamkeit” (2011), “Mehr Süden wagen” (2014), “Seht zu, wir ihr zurechtkommt” (2018) und “Rettet die Freundschaft” (2022) erschienen. Früher war er auch Journalist und hat unter anderem für das Argentinische Tageblatt, La Prensa und die Süddeutsche Zeitung geschrieben, bei der er lange Jahre als außenpolitischer Redakteur für Spanien und Lateinamerika zuständig war. Außerdem hat er an der Universität Barcelona Journalismus gelehrt. Mittlerweile lebt er in einem kleinen Ort bei München, in dem man alles zu Fuß erledigen kann und wo er als selbstständiger Autor, literarischer Coach, Lektor und Moderator arbeitet.

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