Typisch Osten – eine Region bekommt ihr Fett weg durch das mutige Theaterprojekt Inside Outside Europe, so der Deutschlandfunk

Typisch Osten – eine Region bekommt ihr Fett weg durch das mutige Theaterprojekt Inside Outside Europe, so der Deutschlandfunk

Typisch Osten – eine Region bekommt ihr Fett weg durch das mutige Theaterprojekt Inside Outside Europe, so der Deutschlandfunk

Ein Artikel von Frank Blenz

Die Deutschlandfunk-Sendung „Kultur heute“ (DLF, 14. April 2025) nahm sich im Beitrag „Grenzen in den Köpfen: Das Theaterprojekt „Inside Outside Europe“ in Chemnitz“ einerseits einer bemerkenswerten künstlerischen Produktion von vier Werken an. Der DLF transportierte für mich andererseits irritierend ein gängiges Bild über den Osten: Heimat völkischer Mobber, herzlose Behörden, latente bis offene Ablehnung von Migranten. Das Theaterprojekt beschäftigte sich für mich jedoch mit der Rolle der Deutschen insgesamt in Europa. Im DLF-Beitrag hörte ich am Ende vor allem irritierende Sätze, die zum Schluss kommen ließen: Typisch Osten. Doch muss es typisch Deutschland heißen. Ein Zwischenruf von Frank Blenz.

Typisch Osten?

Nach dem Hören des Beitrags „Grenzen in den Köpfen: Das Theaterprojekt „Inside Outside Europe“ in Chemnitz“ im Deutschlandfunk (DLF) kam mir kurz der Gedanke: ‘Typisch Osten‘. Warum? Mir schien, als wurde im DLF eine andere Geschichte als die eines Theaterprojekts erzählt, als bekäme eine Region ihr Fett weg, weil das politisch und moralisch im gespaltenen Einheitsdeutschland angesagt scheint. Richtig so. Was ist es dann auch ein Wunder, wenn Urteile über einen Teil der Bundesrepublik, dem voller renitenter Menschen, entsprechend kritisch ausfallen. Typisch Osten halt? Ich wurde das Gefühl nicht los, dass es den Theaterleuten des Projekts ganz im Gegensatz zum DLF-Autor nicht darum ging, allein wieder mal diesen Osten als politisch rückschrittlich und rassistisch zu adressieren. Die vielfältigen Probleme Ausgrenzung, Rassismus, Vorurteile, die auch im Osten, jedoch unstrittig ebenso im ganzen Land zu Hause sind, werden im Projekt gesamtgesellschaftlich behandelt. Auf der Seite des Theaters Chemnitz ist über das Theaterprojekt im Rahmen „Chemnitz Kulturhauptstadt Europa 2025“ u.a. zu lesen:

Europa ist heterogen und begreift sich zugleich als Gemeinsames – gemeinsam an Geschichte und an Erfahrungen. Die vier großen Stadttheater der Kulturhauptstadtregion nähern sich diesem Erfahrungsraum, indem sie in einem Bühnenbild ganz unterschiedliche Geschichten aufblättern. Die vier Uraufführungen erzählen von Clowns und dem Lachen in Europa, von Verstrickungen in den deutschen Faschismus, von Heimat und migrantischen Erfahrungen.
(Quelle: Theater Chemnitz)

Wie lebt es sich im Erzgebirge, wenn man eine Migrationsgeschichte hat?

Mit den Anfangssätzen wurde meinem Eindruck nach eine Grundrichtung vorgegeben, die vor allem die Region Osten trifft. „Wie lebt es sich im Erzgebirge, wenn man eine Migrationsgeschichte hat?“, fragt die DLF-Kultur-heute-Moderatorin zu Beginn des Deutschlandfunk-Beitrags „Grenzen in den Köpfen: Das Theaterprojekt „Inside Outside Europe“ in Chemnitz“. Schon kommt der Autor konkreter darauf zu sprechen, als er eines der Stücke, „Call It Home. Wie kann man Heimat teilen?“ (Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz), vorstellt. Erzählt wird eine Geschichte aus ebendieser kleinen Stadt Annaberg-Buchholz im Erzgebirge, in der Mobber, völkische Parolen und eine mysteriöse Pandemie, die rechtes Gedankengut verbreitet, vorkommen. Es gruselt einen.

Andere Informationen zum Stück auf der Seite „Erzgebirgische Theater“ nehmen mich ehrlich mit. Ich finde, das Beispiel Erzgebirge steht nicht für sich typisch. Viele ähnliche Episoden landauf, landab tragen sich in jeder Region des Landes zu:

Die georgische Theatermacherin Tamó Gvenetadze ist durch das Erzgebirge gereist, hat Interviews geführt und daraus ein Stück entwickelt. „Call It Home. Wie kann man Heimat teilen?“ thematisiert die Herausforderungen von Migration, Identität und Integration vor dem Hintergrund einer fiktiven Pandemie. Im Zentrum stehen Maleeka und ihre Töchter Sya und Junah, die aus dem Iran ins Erzgebirge geflüchtet sind und versuchen, in ihrer neuen Heimat Fuß zu fassen. Maleeka bemüht sich emsig um die Integration. Sie spricht perfekt Deutsch, sie erlernt traditionelle Bräuche und beginnt, diese zu lieben. Sie feiert jedes Jahr den Tag, an dem sie in ihre erste eigene Wohnung gezogen ist, indem sie Gäste einlädt und Neinerlaa kocht – als wäre dieser Tag ihr Weihnachten, ihr Fest.
(Quelle: Erzgebirgische Theater)

Er schwärmt vom Leben in Sachsen, sie hadert bereits damit

Im vierten Theaterstück „Eudaimonía“ (Theater Plauen-Zwickau) ist von Glückseligkeit die Rede. In Sachsen ist das für Migranten nicht einfach, erzählt das Stück, in dem die gesamtbundesdeutsche Bürokratie in ihrer vollendeten Kälte gezeigt wird.

Ein glückseliges Leben erhoffen sich auch zahlreiche Menschen, die nach Europa strömen. Verkörpert Europa wirklich eine sichere und glückliche Zukunft? Das fragt sich auch Dea, eine georgische Ärztin, die schon lange in Sachsen arbeitet, sich jedoch immer noch nicht willkommen fühlt. Als Dea in der Ausländerbehörde den jungen Georgier Erekle kennenlernt, prallen ihre Erfahrungen und seine Hoffnungen aufeinander. Er schwärmt von dem neuen Leben in Sachsen, sie hadert bereits damit. Dea hat schon unzählige Behördengänge hinter sich, und trotzdem fordert die Bürokratie von ihr ständig neue Unterlagen. Immer wieder wird ihr die Einbürgerung verweigert. Auch Erekle lernt schnell die Bürokratie kennen. Warum verweigert sie ihm ein Visum ohne Arbeitsvertrag, wo doch umgekehrt sein Arbeitgeber ihm keinen Arbeitsvertrag ohne Visum ausstellen kann? „Machen Sie doch eine Ausnahme“, fleht Erekle. Aber die deutsche Bürokratie kennt keine Ausnahmen.
(Quelle: Theater Plauen)

Der Osten „fiel auf“

Die Rolle der Deutschen in Europa wird im Projekt beleuchtet. Rassismus, Ausgrenzung, Hass kommen ins Blickfeld, dem wird Humanismus entgegengestellt, erfahre ich noch im DLF-Beitrag. Darauf zieht der Autor ein Fazit, das mich zum schon genannten „Schluss“ kommen ließ: Typisch Osten.

Das ist mutig in einer Region, die bei den jüngsten Wahlen mit Bestergebnissen für die AfD auffiel.

Die Stücke zeigen außerdem, wie zerstörerisch es wirken kann, wenn Migration vor allem als Problem diskutiert wird, an den Stammtischen wie in der Bundespolitik.
(Quelle: DLF)

Der Osten fiel auf – mit Bestergebnissen für die AfD. Dem Autor sei gesagt, dass in dieser auffälligen, wahrscheinlich umstrittenen Region die neue Partei BSW ebenfalls zweistellige Zahlen bei den jüngsten Wahlen zu verzeichnen hatte.

Dass es mutig sein soll, in sächsischen Theatern für sächsisches, deutsches, internationales Publikum kritische, tiefgründige Stücke aufzuführen, erschloss sich mir nicht. Die vielfältige, engagierte sächsische Theaterlandschaft – Macher wie Publikum – gerade in der Chemnitzer Kulturhauptstadtregion hätte vielmehr schon lange den Titel Immaterielles Weltkulturerbe verdient.

Titelbild: Electric Egg/shutterstock.com

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