Wehrpflicht und Wehrwahn: Der Zwang zum Dienst an der Waffe ist falsch

Wehrpflicht und Wehrwahn: Der Zwang zum Dienst an der Waffe ist falsch

Wehrpflicht und Wehrwahn: Der Zwang zum Dienst an der Waffe ist falsch

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Unter der Überschrift „Wir brauchen wieder die Wehrpflicht“ spricht sich FAZ-Herausgeber Berthold Kohler für die Pflicht zum Dienst an der Waffe aus. Das ist falsch. So falsch wie seine Prämisse von der „Bedrohungslage“. Erstens gibt es keine reale „Bedrohung“ durch Russland und zweitens braucht ein Staat seine Bürger nicht zur Verteidigung oder zum Kampf zu verpflichten: Wer sein Land verteidigen will, wird es tun. Und wer nicht, der nicht. Mit den Konsequenzen müssen alle leben und sich abfinden. Was ist daran so schwer zu verstehen? Ein Kommentar von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

In den Parlamenten und den Medien gibt es einen autoritären Kern. Und dieser autoritäre Kern wird zunehmend zu einer Gefahr für Deutschland und seine Bürger. Der Nukleus des Herrischen zeigte sich der Gesellschaft bereits während der Coronazeit. Wo Augenmaß und Demokratieverständnis gefragt waren, keimte aus dem zentralen Nervensystem der Demokratie die Politik der harten Hand.

Zunächst traten Staat und Medien mit ihrer Obsession für die Maskenpflicht an den Körper der Staatsbürger ran, dann versuchte der Staat über die allgemeine Coronaimpfpflicht, an der wir nur knapp vorbeigeschrammt sind, in den Körper der Bürger einzudringen. Und jetzt? Greifen Politik und Medien wieder nach dem Körper junger Männer und Frauen. Wehrpflicht – lautet das Schlüsselwort.

Unter einem Bündel falscher Prämissen und verqueren Realitätsvorstellungen soll Deutschland „kriegstüchtig“ werden und dafür wollen Politiker und hochrangige Medienvertreter unbedingt, dass Männer und Frauen zum Dienst an der Waffe herangezogen werden.

Mit Nachdruck hat sich einer der FAZ-Herausgeber die Tage in einem Artikel für ein „Ja“ zur Wehrpflicht ausgesprochen. In seinem Blatt erschien im Dezember 2023 übrigens ein Artikel unter der bezeichnenden Überschrift: „Es gibt kein Recht auf Fahnenflucht“.

Berthold Kohler beklagt sich also, dass „der Wille zur Wehrhaftigkeit nicht sehr ausgeprägt“ sei und meint, „die Reaktivierung der Wehrpflicht würde den Deutschen zeigen, dass es wirklich ernst ist“. Außerdem sähe Putin so, „dass er es mit einem wehrhaften Volk zu tun bekäme, das wie das ukrainische bereit wäre, für seine Freiheit zu kämpfen“.

Ja, Sie bemerken es: Wo soll man bei einem derartigen Unsinn mit der Kritik ansetzen? Erstens gibt es nicht das ukrainische Volk, das für „seine Freiheit“ kämpft – die vielen Videos von ukrainischen Männern, die gegen ihren Willen von Rekrutierungskommandos von der Straße in Autos gezerrt werden, zeugen davon. Zweitens könnte der „Wille zur Wehrhaftigkeit“ noch so stark ausgeprägt sein: Russland drückt einmal auf den Atombombenknopf und es ist aus mit „Wehrhaftigkeit“. Drittens in Richtung Putin und damit an Russland zu adressieren, es gehe darum zu zeigen, dass die Deutschen ein „wehrhaftes Volk“ seien, hat in Anbetracht der Tatsache, dass Deutsche Millionen von Russen im 2. Weltkrieg ermordet haben, den Geschmack historischer Asozialität.

Doch von diesen Wirrungen des FAZ-Artikels einmal abgesehen: Die Forderung nach einer Wehrpflicht verkennt etwas Elementares: Wehrhaftigkeit ist eine Individualeigenschaft. Diese Eigenschaft in ein Kollektiv zu pressen, indem ein Staat den einzelnen Staatsbürger zur „Wehr“ verpflichtet, um so das Kollektiv in seiner Gesamtheit wehrfähig zu machen, heißt, den Weg des Autoritären zu beschreiten – mit weitreichenden Konsequenzen. Wehrpflicht kann im Ernstfall für den die militärische Grundausbildung Durchlaufenden bedeuten: Zum Krieg eingezogen zu werden. Und damit gezwungen zu werden, gegen seinen Willen zu töten oder sich töten zu lassen. Ein Staat, der zu solchen Mitteln im Kriegsfall greift, verlässt den Boden der Humanität. Die Entscheidung darüber, einen „Feind“ zu töten oder sich selbst töten zu lassen, kann, darf und muss einzig und allein beim Bürger selbst liegen.

Ein Staat mag aus noch so edlen Motiven heraus handeln (was in aller Regel ohnehin kaum je der Fall sein wird), wie etwa, dass er die Soldaten seines Landes deshalb an die Front schickt, damit die Alten und Schwachen im Land vor einem angreifenden Feind geschützt sind: Zwang darf es aber auch hierbei nicht geben. Denn ein solcher Zwang würde die Würde des einzelnen Bürgers mit Füßen treten und sein Leben zum Verfügungsobjekt staatlicher Zielsetzung degradieren.

Die Wehrpflicht mögen manche als „harmlos“ betrachten. Bei ihr geht es ja zunächst „nur“ darum, den militärischen Kampf zu erlernen. Doch was wird einer Wehrpflicht in Zeiten folgen, in denen Politiker und Journalisten zur „Kriegstüchtigkeit“ aufrufen? Und überhaupt: Alle die, die im Geiste des Autoritären versuchen, die Pflicht zur Wehr durchzudrücken, sollten sich einmal die Frage stellen, warum sich nicht genügend Bürger freiwillig zur Bundeswehr melden.

Ein Großteil der Bürger hat längst die politischen Lügen durchschaut. Ein Großteil der Bürger weiß: In Kriegen wird politisch ein Feind ausgerufen. Gegen diesen Feind sollen sie dann kämpfen, sich verstümmeln lassen oder gar gleich ihr Leben aufopfern – während die Schreibtischstrategen gemütlich im Warmen sitzen. Ein Großteil der Bürger hat darauf keine Lust. Verständlich. Zum Glück gehört es zur Intuition von Menschen, auch ganz ohne Nachrichten und Politik zu wissen, wer wirklich ihr Feind ist und wer mit Hilfe politischer Propaganda zum Feind stilisiert wird.

Für einen Staat mag ein, wie der FAZ-Herausgeber es formuliert, „nicht stark ausgeprägter“ Wille zur Wehrhaftigkeit fatal sein. Vielleicht mag das sogar sein Ende bedeuten. Das kann schlimm, tragisch oder vielleicht ja auch gut sein – weil so nicht hunderttausende oder gar Millionen von Männern und Frauen im Krieg verheizt werden.

Deutschland braucht keine Wehrpflicht. Und für den Wehrwahn von sesselpupsenden Politikern und Journalisten sind keine 18-jährigen Männer und Frauen zuständig.

Titelbild: Arnoldas Vitkus / Shutterstock

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