Es ist noch nicht lange her, da wollte Deutschland mit grüner Technologie nicht nur die Welt retten, sondern auch gleich das etwas angestaubte deutsche Wirtschaftsmodell aufpolieren. Klimainvestitionen sollten Deutschland zu einem Green-Tech-Standort mit Zukunft machen, in Koalitionsverhandlungen wurde gar eine Aufweichung der Schuldenregeln für Investitionen in diesem Bereich diskutiert. Diese Zeiten sind vorbei. Nun träumt Deutschlands Ökonomenzunft von einem „olivgrünen Wirtschaftswunder“, Rüstung und Militär sollen Wachstumsmotoren werden, statt Autos sollen künftig vermehrt Panzer über die Fließbänder deutscher Industriestandorte rollen. Nicht für grüne Investitionen, sondern für olivgrünen Konsum wurde nun sogar die Schwarze Null der Schuldenbremse außer Kraft gesetzt. Das ist nicht nur politisch fatal, sondern auch volkswirtschaftlich eine katastrophale Entscheidung. Wenn Deutschland diesen Kurs einschlägt, wird es daran langfristig zugrunde gehen. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Liest man in diesen Tagen Aufsätze deutscher Ökonomen, kommt man nicht drum herum, sich verwundert die Augen zu reiben. Genau die fiskalpolitischen Hardliner, die noch vor wenigen Jahren jegliche Form des „Schuldenmachens“ als Teufelswerk bezeichnet und der Schwarzen Null gehuldigt haben, sind nun zu Keynesianern konvertiert, die den volkswirtschaftlichen Segen kreditfinanzierter Investitionen loben. Freilich ist damit nicht die Art von Investitionen gemeint, die von der kleinen Diaspora progressiver Ökonomen gefordert wurde – also Investitionen in Bildung, Infrastruktur oder gar die Energiewende. Nein, es geht um Rüstungsausgaben. Diese werden seit neuestem nach einer Revision des internationalen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen zwar tatsächlich den „Investitionen“ zugerechnet, erfüllen aber bei näherer Betrachtung keine der Bedingungen, die man gemäß volkswirtschaftlicher Logik an Investitionen anlegen muss. Rüstungs- und Militärausgaben sind vielmehr „kollektiver Konsum“, wie es bereits 1982 der große Ökonom Hyman Minsky formuliert hat.
Doch wer auf volkswirtschaftliche Logik zählt, hat es in diesen Tagen nicht einfach. Der neue, von Politik und Medien gefeierte deutsche Starökonom scheint Moritz Schularick zu sein. Schularick ist Präsident des steuerfinanzierten Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), hat sich als Falke in den letzten Jahren einen Namen gemacht und gehört zu den lautesten Stimmen, wenn es darum geht, höhere Rüstungsausgaben zu fordern. Sein Motto lautet: „Aufrüsten für den Wohlstand“. Sein Programm wird von Medien wie dem Handelsblatt bereits als „olivgrünes Wirtschaftswunder“ abgefeiert. Das ist seltsam, sind die volkswirtschaftlichen Aussagen Schularicks doch – sagen wir es mal sehr diplomatisch – „angreifbar“.
Welche volkswirtschaftlichen Effekte haben eigentlich Rüstungsausgaben? Schaut man sich die Argumentation der Aufrüstungsfans an, so überwiegen dort vor allem die Effekte, die man als kurzfristig bezeichnen könnte. Vollkommen klar. Wenn der Staat einen Kredit aufnimmt und damit beispielsweise Panzer eines deutschen Herstellers kauft, kurbelt er damit zunächst die Wirtschaft an. Der Panzerhersteller macht Umsatz, stellt vielleicht sogar Arbeitnehmer ein. Und da so ein Panzer ein sehr physisches Gut ist, werden auch Zulieferer, wie z.B. Stahlwerke, ihren Umsatz steigern. Isoliert betrachtet ist das natürlich ein positiver Impuls. Aber das ist auch keine Kunst, denn ein solch kurzfristiger positiver wirtschaftlicher Impuls entsteht natürlich immer, wenn der Staat über Schulden frisches Geld schöpft und es ausgibt. Auch wenn Friedrich Merz mit seinem Privatjet über Berlin fliegen und frisch gedruckte 100-Euro-Scheine aus dem Fenster werfen würde, hätte dies kurzfristig einen positiven wirtschaftlichen Impuls.
Weniger banal sind die zwei Folgefragen: Wie bewertet man die volkswirtschaftlichen Folgen im Vergleich zu alternativen Investitionen? Und wie steht es mit den mittel- bis langfristigen volkswirtschaftlichen Folgen?
Fangen wir mit der Frage der Alternativen an. Wenn der Staat beispielsweise eine Milliarde Euro in die zivile Forschung stecken würde, würde dieses Geld auch zunächst bei denjenigen landen, die damit am Ende der Kette bezahlt werden – Hiwis an den Instituten, Forscher und vielleicht auch die Mitarbeiter von Ausrüstern oder Baufirmen, die die Infrastruktur für die Forschungseinrichtungen stellen. Hier ist zunächst kein Unterschied zu Rüstungsausgaben festzustellen. Ob ein Zerspanungsmechaniker bei Rheinmetall oder ein Doktorand in einem Forschungsinstitut Geld bekommt, spielt volkswirtschaftlich auf der ersten zeitlichen Ebene eine untergeordnete Rolle. Auf späteren zeitlichen Ebenen sieht dies jedoch anders aus.
Der Forscher entwickelt im Idealfall Ideen, Konzepte oder gar Patente, die ihrerseits die Produktivität steigern, und die Investitionen können daher – volkswirtschaftlich gesprochen – als reproduktive Staatsausgaben gelten. Der Doktorand gründet beispielsweise dank seiner Forschungsergebnisse ein Unternehmen, stellt Mitarbeiter ein und so weiter. Und was macht der Panzer? Der steht auf einem Kasernenhof herum und produziert – wenn überhaupt – höchstens volkswirtschaftliche Kosten, da er gewartet werden muss, und wenn er einmal herumfährt, die Infrastruktur beschädigt. Daraus wird klar, warum Ökonomen wie Minsky Rüstungsausgaben als „Konsum“ einordnen und von Investitionen unterscheiden. Das „olivgrüne Wirtschaftswunder“ ist aus dieser Perspektive ein reines Strohfeuer, während beispielsweise Investitionen in die Weiterentwicklung regenerativer Energieerzeugung zweifelsohne einen gesellschaftlichen Mehrwert erzeugen, der auch volkswirtschaftlich messbar ist.
Noch deutlicher wird der Widerspruch, wenn man sich die langfristigen volkswirtschaftlichen Folgen anschaut. Der Doktorand, der später sein Unternehmen gründet, steigert nicht nur das Bruttoinlandsprodukt, sondern zahlt auch Steuern – so wie seine Mitarbeiter. Fiskalisch ist das im Idealfall ein gutes „Geschäft“, da die so zusätzlich generierten Steuereinnahmen höher sind als die Zinsen für den Kredit, mit dem die Forschung finanziert wurde. Ein wenig komplizierter ist es bei Investitionen in die Infrastruktur, da der Nutzen hier breiter gefasst ist und die gesamte Volkswirtschaft betrifft. Letztlich sind aber auch Infrastrukturinvestitionen langfristig volkswirtschaftlich sinnvoll.
Ganz anders sieht es bei Rüstungsausgaben aus. Will man beispielsweise die Jobs bei Rheinmetall und seinen Zulieferern langfristig sichern, reicht es ja nicht, nur einen Panzer zu bestellen. Dann muss man jedes Jahr einen neuen Panzer kaufen und dies dauerhaft. Die Jobs sind nur so lange „sicher“, wie der Staat zusätzliches(!) Geld für Rüstung ausgibt. Ökonomen sprechen hier von einem Monopson – einem Markt, bei dem es zwar verschiedene Anbieter, aber nur einen einzigen Abnehmer gibt.
Pikant ist in diesem Zusammenhang, dass die Rüstungsausgaben ja kreditfinanziert sein sollen. Und spätestens hier entsteht dann auch ein gesamtgesellschaftlicher Schaden. Um dies zu verdeutlichen, hilft hier sogar ein Bild aus der Betriebswirtschaftslehre. Wenn ein Betrieb einen Kredit aufnimmt, den er in die Verbesserung seiner Produktivität investiert, muss der wirtschaftliche Nutzen der Investitionen höher als die Kosten des Kredits sein. In diesem Fall ist der Kredit sinnvoll. Wenn der gleiche Betrieb jedoch einen Kredit aufnimmt, der keine Verbesserung der Produktivität bringt, er die Kreditsumme also „konsumiert“, stehen den zusätzlichen Kreditkosten auf der Einnahmeseite keine zusätzlichen Einnahmen gegenüber. In diesem Fall ist der Kredit nicht nur sinnlos, sondern sogar schädlich. Sind die Kosten zu hoch, wird der Betrieb sogar um seine wirtschaftliche Existenz fürchten müssen.
Ähnlich verhält es sich bei den Rüstungsausgaben. Die Zinsen dafür werden über einen sehr langen Zeitraum von unseren Steuern bezahlt, also der Volkswirtschaft entzogen, und können zudem vom Staat nicht mehr für andere – sinnvollere – Dinge ausgegeben werden. Die Ausgaben steigen, auf der Einnahmeseite steht jedoch nichts. Panzer zahlen keine Steuern und erwirtschaften auch keinen Gewinn, wenn sie erst einmal ausgeliefert wurden. Indirekte positive ökonomische Effekte bei Dritten lösen Panzer – anders als beispielsweise neue Bahn- oder Stromtrassen – auch nicht aus. Dies ist sowohl nach betriebswirtschaftlicher als auch nach gesamt- bzw. volkswirtschaftlicher Logik eine klare Fehlinvestition.
Auch wenn ein Moritz Schularick sicher vor allem ein Ideologe ist, so hat er ja dennoch eine volkswirtschaftliche Ausbildung genossen und weiß sicher auch, dass seine Argumentation schlichtweg falsch ist. Um dies zu kaschieren, greift er zu einem rhetorischen Trick: Er stellt zusätzliche positive Effekte in den Raum, die so nicht messbar sind und bestenfalls als „Wishful Thinking“ durchgehen. So träumt er beispielsweise von einem „Technologietransfer“ vom militärischen in den zivilen Sektor. Unternehmen, die in der echten Marktwirtschaft agieren, so die Logik dahinter, haben also einen „Kollateralnutzen“ durch militärische Technologien.
Und ja, so was hat es ja früher in der Tat gegeben. Während des Zweiten Weltkriegs entwickelten und verbesserten beispielsweise amerikanische Flugzeughersteller mit staatlichen Investitionen ihre Turbinentechnik und entwickelten dabei Technologien, mit deren Hilfe sie nach dem Krieg auch zivile Flugzeuge herstellten, die bald die Luftfahrt dominieren sollten. Aber dieses Beispiel – das Schularick auch verwendet – ist schon sehr selektiv. In den letzten vierzig, fünfzig Jahren war es genau andersherum. Egal ob es sich um neue Technologien aus dem Bereich der Informationstechnologie, der Telekommunikation, der Mikroinformatik oder der Künstlichen Intelligenz handelt – abseits der Grundlagenforschung waren hier stets zivile Forschungseinrichtungen, deren Erfindungen und Weiterentwicklungen vom militärischen Sektor adaptiert worden. Der Technologietransfer ist also in der Tat zu beobachten, nur findet er empirisch genau umgekehrt statt. Dass Deutschland künftig Großproduzent ziviler Drohnentechnologie werden könnte, nur weil die Bundeswehr zusammen mit dem militärisch-industriellen Komplex Deutschland mit „einer Million Drohnen“ aufrüstet, ist doch sehr unwahrscheinlich.
Wenn der Staat nun also einen kreditfinanzierten Rüstungswettlauf startet, wird der volkswirtschaftliche Nutzen daraus nicht nur nicht vorhanden, sondern sogar negativ sein. Reiche und prosperierende Volkswirtschaften können sich solche Torheiten ja vielleicht auch leisten. Deutschland ist aber weder reich noch prosperierend. Gemäß der westlichen Erzählung war es ja der von Ronald Reagan vorangetriebene Rüstungswettlauf, der dem damaligen Systemgegner Sowjetunion zunächst ökonomisch und dann politisch das Genick brach. Ich will diese Aussage hier nicht bewerten, aber in den 1980-ern, als Westdeutschland in der Tat Rüstungsausgaben in Höhe von rund drei Prozent des BIPs hatte, war das Land noch vergleichsweise reich und hatte ein substanzielles Wirtschaftswachstum. Heute schwankt Deutschland zwischen Stagnation und Rezession, während das politische System von Jahr zu Jahr instabiler wird. Wenn Deutschland sich also auf einen volkswirtschaftlich desaströsen Rüstungswettlauf einlässt, könnte als historisches Vorbild nicht die USA der 1980-er, sondern die späte Sowjetunion gelten. Deutschland wird diesen Wettlauf verlieren und möglicherweise gar an ihm zugrunde gehen. Wer ein „olivgrünes Wirtschaftswunder“ herbeiredet, wird sein blaues Wunder erleben.
Titelbild: Anelo/shutterstock.com
Wer sich für die volkswirtschaftlichen Hintergründe der Debatte interessiert und tiefer ins Thema einsteigen will, dem sei Günther Grunerts gestern erschienener Artikel „Ein olivgrünes Wirtschaftswunder?“ ans Herz gelegt, der sich mit der gleichen Thematik auseinandersetzt.