„Ein Angriff auf Truppen in Berlin, Hamburg, München und Köln gleichzeitig“ – verfangen in der politischen Propaganda

„Ein Angriff auf Truppen in Berlin, Hamburg, München und Köln gleichzeitig“ – verfangen in der politischen Propaganda

„Ein Angriff auf Truppen in Berlin, Hamburg, München und Köln gleichzeitig“ – verfangen in der politischen Propaganda

Ein Artikel von Marcus Klöckner

„Wir rechnen mit 1.000 Verletzten pro Tag, ein Viertel davon schwerstverletzt, also 250 Menschen.“ Das sind die Worte des Generalsekretärs zweier medizinischer Fachgesellschaften, Dietmar Pennig. In einem Interview mit der Welt gibt der Unfallchirurg einen Einblick in aktuelle Überlegungen in Sachen „Kriegstüchtigkeit“ aus medizinischer Sicht. Dabei wird deutlich: Immer mehr Akteure verfangen sich in der Logik der Propaganda. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.

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Die „Vorbereitungen für den Ernstfall müssen jetzt getroffen werden“, sagt Dietmar Pennig. „Wenn das Land verteidigt werden muss, können wir nicht anfangen, Leute zu trainieren“, führt der Vorsitzende der medizinischen Fachgesellschaften für Unfallchirurgie und für Orthopädie und Unfallchirurgie in einem Welt-Interview weiter aus.

Es ist ein längeres Interview, Pennig kommt ausführlich zu Wort. Er spricht von 1.000 Verletzten pro Tag, mit denen Deutschland im Falle eines Krieges rechnen müsste. Er spricht davon, wie in einer solchen Situation auch zivile Krankenhäuser „herangezogen“ werden müssten. Und er spricht von den schweren Verletzungen, die durch Kriegswaffen an den Soldaten entstehen und mit denen die Ärzte, aber auch generell das Krankenhauspersonal klarzukommen hätten.

Pennig bezieht sich in seinen Ausführungen auf Simulationen der NATO und sagt: „Im militärischen Ernstfall wäre Deutschland ein Aufmarschgebiet mit 700.000 Soldatinnen und Soldaten aus den Mitgliedstaaten. Aufmarschgebiete werden angegriffen, das zeigt die Realität anderer kriegerischer Auseinandersetzungen.“

So betrachtet ist es natürlich nachzuvollziehen, dass hochrangige Funktionsträger im medizinischen Bereich vorausschauen und entsprechende Überlegungen anstellen, wie es um die medizinische Versorgung von Kriegsverletzten in Deutschland bestellt ist. Doch Vorsicht! Da ist eine Falle!

Pennig tappt – wie viele andere über Hierarchieebenen und Berufszweige hinweg – in die Falle der politischen Propaganda.

Die Annahme, auf die das gesamte politische Großvorhaben Kriegstüchtigkeit baut, lautet: Ein Angriff Russlands ist realistisch. Diese Annahme ist aber reine Propaganda.

Anstatt zum Ausdruck zu bringen, wie realitätsverzerrend das Unterfangen Kriegstüchtigkeit vom Grundsatz ist, stützt der Mediziner seine Lageeinschätzung auf die Prämissen einer Politik, die im Feindbilddenken verfangen ist.

„Ein Angriff auf Truppen in Berlin, Hamburg, München und Köln gleichzeitig mit massenhaft Schwerverletzen, die sofort versorgt werden müssten, wäre ein anderes Kaliber“, sagt Pennig, und man fragt sich als Leser, ob hier überhaupt die Dimension dessen verstanden wird, was ausgesprochen wird. Ein solcher gleichzeitiger Angriff auf „Truppen“ in fünf großen deutschen Städten würde bedeuten, dass zwischen Russland und NATO ein Krieg stattfindet – und in Anbetracht der Gesamtlage wäre davon auszugehen, dass schnell und zu einem frühen Zeitpunkt auch der Einsatz von Atombomben möglich wäre.

Bei einem solchen Szenario bedürfte es wohl besser Krankenhäuser auf dem Mond oder dem Mars samt entsprechender Raumschiffe, mit denen Verletzte und Verstrahlte in Massen schnell transportiert werden könnten. Anders gesagt: Die medizinische Versorgung für einen Krieg zwischen NATO und Russland zu planen ist in etwa so, als würde man ein Papierhaus vor einem Brand schützen wollen, indem man zum Schutz des Hauses etwas Papier davorlegt. Das ist ein aussichtsloses Unterfangen, das Haus wird trotzdem brennen.

Warum bekennen sich Funktionsträger wie Pennig nicht öffentlich gegen das wahnsinnige und auf tönernen Füßen gebaute politische Großvorhaben Kriegstüchtigkeit? Warum nicht sagen: „Ich weigere mich, unsere Krankenhäuser ‚kriegstüchtig‘ zu machen. Ich fordere die Politik auf, die Kriegstüchtigkeit abzublasen und den Weg einer Politik des Friedens zu beschreiten.“? Fällt das wirklich so schwer?

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Titelbild: e-crow/shutterstock.com

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