Das Volk hat gewählt, aber sein Verdikt passt den Koalitionspartnern in spe nicht ins Konzept. Die versuchen sich nämlich nun in der Quadratur des Kreises und wollen Billionen für Waffen ausgeben, ohne in anderen Bereichen zu kürzen. Dafür wollen sie die Rüstungsausgaben von der Schuldenbremse ausnehmen. Doch dafür brauchen sie dann auch eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat. Die haben sie nicht, also versuchen sie es nun mit „Überzeugungsarbeit“. Das alles erinnert eher an einen Viehmarkt als an ein demokratisch gewähltes Parlament. Der Wille des Wählers interessiert dabei nicht. Bei den nächsten Sonntagsreden über hehre demokratische Werte wird dies jedoch wieder vergessen sein. Schließlich zerstört man die Demokratie ja nur, um sie zu retten. Ein Kommentar von Jens Berger.
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So geht Demokratie für Fortgeschrittene: Im Wahlkampf lehnte die CDU eine Aufweichung der Schuldenbremse und neue Schulden kategorisch ab und schloss bis zum Wahlsonntag noch aus, dass sich daran etwas ändern könnte. Die Grünen wiederum hatten im Wahlkampf eine Aufweichung der Schuldenbremse und neue Schulden für Investitionen gefordert. Keine drei Wochen nach der Wahl haben offenbar beide Parteien – wie Annalena Baerbock es ausdrücken würde – eine 360-Grad-Wende vollzogen. Nun fordert die CDU neue Schulden, wie sie das Land noch nicht gesehen hat, und die Grünen gerieren sich als fiskalkonservativer Torwächter, der die Schuldenbremse mit seinem Leben verteidigt. Und der Wähler? Der reibt sich die Augen und staunt.
Allein schon, dass die Großkoalitionäre in spe extra noch vor der formalen Aufnahme ihrer Koalitionsverhandlungen den alten Bundestag einberufen haben, um die drei Grundgesetzänderungen, die erst den fiskalischen Rahmen für das, was nun verhandelt wird, schaffen, ist eigentlich ein Skandal. Aber ja, der Wähler hat halt anders abgestimmt, als man wollte, und mit einer Sperrminorität aus AfD und Linken wird es im neuen Bundestag sehr schwer, sowohl einen Schattenhaushalt für nicht näher spezifizierte Investitionen als auch einen Blankoscheck für Rüstungsausgaben durchzubekommen. Also nimmt man halt die vorhandenen – abgewählten – Parlamentarier und hofft, von ihnen die Ermächtigung zu bekommen. Demokratie? Wählerwille?
Aber selbst das ist ungewiss, da CDU und SPD auch im alten Bundestag zumindest die Stimmen der Grünen bräuchten, um auf eine Zweidrittelmehrheit zu kommen. Die zieren sich jedoch, weil sie sich offenbar ob des Gepolters der Herren Merz und Söder gekränkt fühlen. Wer die Grünen kennt, ahnt jedoch bereits, dass sie nächste Woche bei der zweiten und dritten Lesung wieder aus der Schmollecke kommen und zustimmen werden. Schließlich geht es um Waffen und moderne Grüne lieben Waffen und wollen davon möglichst viele kaufen – natürlich auf Kosten der Steuerzahler.
Am Ende dumm aus der Wäsche könnte indes die SPD gucken. Denn dass der Blankoscheck für Rüstungsausgaben durch den Bundestag geht, ist anzunehmen; ob das von der SPD geforderte Sondervermögen für Investitionen auch eine Zweidrittelmehrheit finden wird, steht jedoch in den Sternen. Zwar fordern die Grünen auch ein Sondervermögen, aber irgendwie müssen sie ja dem Wähler zeigen, dass sie sich nicht von Merz und Söder am Nasenring durch die Manege führen lassen. So könnte es durchaus möglich sein, dass die Grünen am Ende „schweren Herzens“, getrieben von staatstragender Verantwortung und militaristischem Wahn, für die Rüstungsorgie, aber gegen das Sondervermögen für Investitionen stimmen werden. Aber reicht das den Großkoalitionären?
Was bei der ganzen Groteske von den meisten Kommentatoren unterschlagen wird, ist, dass nicht nur der Bundestag, sondern auch der Bundesrat für die drei geplanten Grundgesetzänderungen ein wahres Minenfeld ist. Denn auch hier braucht es dreimal eine Zweidrittelmehrheit und die Koalitionsverträge der Länder sehen vor, dass man sich enthält, wenn man sich nicht einig ist. Wenn die betreffenden Parteien also ihre Position nicht ändern, dürften Länder mit Regierungsbeteiligung von BSW, Linkspartei und FDP – die alle drei die Gesetzesänderungen ablehnen – im Bundesrat nicht für diese Änderungen stimmen. Das wäre noch nicht einmal tragisch, da die betreffenden Landesregierungen zusammen auf 22 Stimmen kommen und somit eine Zweidrittelmehrheit mit einer einzigen Stimme Mehrheit gesichert wäre. Doch es gibt ja noch Bayern mit seinen sechs Stimmen im Bundesrat und Söders Juniorpartner Hubert Aiwanger hat bereits lauthals getönt, die Schuldenbremse zu bewahren und dem Gesetzespaket „in dieser Form“ nicht zuzustimmen.
Was nun? Auch mit den Grünen kommen die drei Änderungen des Grundgesetzes also nicht durch den Bundesrat, wenn, ja wenn, alle Parteien bei ihren Positionen bleiben. Nun wird hinter den Kulissen wie auf dem Viehmarkt geschachert. Offenbar sind sowohl die im Bundestag nötigen Grünen als auch die im Bundesrat nötigen Freien Wähler offen für eine wie auch immer geartete Ausnahmeregelung für die horrenden Rüstungsausgaben; bei einer Ausnahme für die Investitionen sieht es jedoch eher düster aus. So könnte das Sondervermögen am Ende am Trotz der Grünen oder am Überlebenswillen der Freien Wähler scheitern und die SPD stünde mitten in den Koalitionsverhandlungen ziemlich dumm da. Neuwahlen will sie schließlich auch nicht. Und der Wähler? Den interessiert offenbar ohnehin niemanden.
Und was passiert, wenn die Grünen sich beugen und Hubert Aiwanger standhaft bleibt? Die CSU hat ja Erfahrung darin, entgegen der Regelungen aus Koalitionsverträgen abzustimmen; es wäre in einem solchen Fall also sogar wahrscheinlich, dass man die ohnehin unbeliebte Koalition mit den Freien Wählern opfert, um im Bund bequem zusammen mit CDU und SPD regieren zu können. Den Wähler wird ein solches Manöver schon nicht stören; und wenn doch, dann vergisst er dies sowieso bis zum nächsten Wahlsonntag.
Integrität? Wahrhaftigkeit? Ehrlichkeit? Das sind doch Sekundärtugenden, mit denen man ein Kinderheim führen kann. In der Politik zählt der Wille zur Macht und der ist vorhanden. Und über „Demokratie“ sollte man ohnehin lieber auf Sonntagsreden von der Kanzel predigen. Wer so naiv ist, sie auch einzufordern, steht stattdessen gar im Verdacht, ein Feind der Demokratie zu sein. Vox populi, vox Rindvieh.
Titelbild: Juergen Nowak/shutterstock.com