Europäischer Rat profiliert sich als Top-Agent der Versicherungswirtschaft

Bei der Suche nach dem Positiven habe ich mich mit dem letzten Eintrag eindeutig vergriffen. Ein Freund aus Brüssel macht mich nämlich auf Passagen in den Beschlüssen des Rates aufmerksam, die alles andere als Lob verdienen. Er schreibt: „Die Beschlüsse des Rates vom 22./23. 3.05 zeigen den Eiertanz zwischen Versagen der bisherigen Lissabon-Rezepte und dem “Nicht-Aussteigekönnen” aus dem Denkkorsett der Angebotsökonomie. Besonders toll finde ich die Passagen in Anlage II zum Stabilitäts- und Wachstumspakt auf S.31 und 35 zur Einführung voll kapitalgedeckter Rentensysteme!“

Strategiewechsel der meinungsführenden Reformer

In den letzten Tagen zeichnet sich ein Strategiewechsel bei einigen herausragenden Reformern ab: Um den Jahreswechsel setzten sie noch auf den Erfolg der propagierten Reformen und lobten Gerhard Schröder für dessen Standhaftigkeit. Jetzt wird Rot-Grün als gescheitert dargestellt. So dreht man es hin, um nicht zugeben zu müssen, dass die Reformpolitik keine Erfolge gehabt hat. Nicht Rot-Grün als Idee eines Paktes von sozialem und ökologischem Engagement ist gescheitert; gescheitert ist die Reformagenda und die darin sichtbare Anpassung von Rot-Grün ans konservative Lager.

Wo bleibt das Positive? Hier ist es:

Die gestern in Brüssel beschlossene Veränderung der Dienstleistungsrichtlinie und die neuen Regeln zum Stabilitätspakt sind Erfolge auch der deutschen Regierung. Die Behauptung, der Stabilitätspakt würde aufgelöst, eine Behauptung, die nahezu einhellig und über alle politischen Lager hinweg von den Brüsseler Korrespondenten zu hören war, ist schon erstaunlich verwegen.

Schröder etc. ruinieren die SPD – systematisch, so gewinnt man den Eindruck

In Kiel sucht man jetzt den Schuldigen, den Enthalter, der seine Stimme nicht für Heide Simonis abgegeben hat. Ein lächerlich unbedeutender Vorgang. Um vieles gravierender war es, die Wahl zu verlieren. Nach den Ursachen dafür wie für den Niedergang des Potentials der SPD müsste man forschen. Dazu eine wichtige Beobachtung: Die SPD hat immer dann Wahlen gewonnen oder gerade noch gewonnen, wenn sie Menschen als Multiplikatoren mobilisieren konnte, die für sie und ihre Kandidaten warben. Siehe unten. In Nordrhein-Westfalen wird das mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr gelingen. Die letzte gute Chance wäre Schröders Rede letzten Donnerstag im Vorfeld des Gipfels mit Merkel und Stoiber gewesen.

Köhlers Denkfehlerrekord

Hier eine interessante Notiz eines NachDenkSeiten-Lesers: „Ich habe ausführlich die Rede unseres Bundes- (Arbeitgeber-) Präsidenten Horst Köhler vernommen. Ich habe mit viel Unsinn gerechnet, aber nicht annähernd einen so extremen Unsinn erwartet. Ich habe mir umgehend die Mühe gemacht, seine Rede mit den 40 Denkfehlern, Mythen und Legenden von Albrecht Müllers „Die Reformlüge“ zu vergleichen. Ich komme auf sage und schreibe 20 in einer einzigen Rede:“

Die Wachstumsschwäche hat eher etwas mit der steuerlichen Abschöpfung von Massenkaufkraft als mit den Unternehmenssteuern zu tun

Die 30 Dax-Unternehmen verbuchten im Jahr 2004 einen Gewinn von insgesamt 60 Mrd. €. Nach Rechnung des Statistischen Bundesamtes wuchsen die Einkünfte aus Unternehmertätigkeit und Vermögen in 2004 so stark wie noch nie nach der Wiedervereinigung. Auch für das Jahr 2005 erwartet die Bundesregierung ein weiteres starkes Wachstum der Gewinne.

Regierungserklärung des Bundeskanzlers: Gefangen in der Logik der Agenda

In seiner Regierungserklärung unter dem Titel „Aus Verantwortung für unser Land: Deutschlands Kräfte stärken“ hat Bundeskanzler sich nahezu ausschließlich auf solche Ergänzungsvorschläge beschränkt, die einem noch einfallen, wenn man den Agenda-Kurs nicht in Frage stellen will. Immerhin hat sich Schröder wohltuend von der vom Bundespräsidenten propagierten „Marktgesellschaft“ abgesetzt, in dem er wenigstens ein verbales Bekenntnis zum „Prinzip des Sozialstaates“ abgegeben hat. Diejenigen, die wie Merkel, Stoiber oder Gerhardt mit ihrer „Ordnung der Freiheit“ den Sozialstaat aufs Skelett abmagern lassen und die Arbeitnehmerrechte schleifen wollen, werden weiter fordern, die Regierung gehe nicht weit genug. Wer Vorschläge zur Stärkung der Binnennachfrage und damit zu einer aktiven Konjunktur- und Beschäftigungspolitik erwartet hatte, wurde mehr als enttäuscht.

Was Köhler vergessen hat

Die Köhler-Rede wird uns noch ein bisschen beschäftigen. Aus meiner Sicht zeigt sie ein bedenkliches Maß an Verlogenheit und auch Flucht aus der Verantwortung. Köhler flieht aus seiner Mitverantwortung dadurch, dass er bewährte und durch das Grundgesetz garantierte Errungenschaften wie die Sozialstaatlichkeit unseres Landes für die heutigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten verantwortlich macht. Das ist – alltagssprachlich ausgedrückt – eine miese Tour. Wie sehr Horst Köhler in die heutige Misere verwoben ist, zeigen die folgenden Anmerkungen eines unserer Leser.

Denkfehler Nr. 7: „Jetzt hilft nur noch private Vorsorge“

Markt und Politik vom 01.03.2005 – Die „Reformlüge“ ist der Titel von Albrecht Müllers Abrechnung mit der heutigen Wirtschaftspolitik. Der Autor war Redenschreiber des einstigen Bundeswirtschaftsministers Karl Schiller und saß in der Planungsabteilung von Willy Brand und Helmut Schmidt.

Der Bundespräsident der Arbeitgeber. Abgesang zur sozialen Marktwirtschaft

„Auflagen“, „Regulierungen“, „Bürokratie“, „Tarifverträge“, „immer neue Wohltaten und Geschenke“, „hohe Abgaben“, „hohe Löhne“, „hohe Lohnnebenkosten“, „abschreckendes Steuersystem“: „Deshalb ist die Arbeitslosigkeit über Jahrzehnte immer weiter gestiegen.“ Köhler dekliniert den gesamten Kanon der Miesmacherei der Wirtschaftsverbände durch; seine Lösungsvorschläge hätte auch einer der anwesenden Arbeitgeber aufsagen können, so einseitig und so orthodox wirtschaftsliberal sind seine Vorschläge.