„Jobmotor Mittelstand“, eine Legende?

Keine wirtschaftspolitische Rede, ohne dass die besonderen Anstrengungen des Mittelstands bei der Arbeitsplatzsicherung gelobt werden und kaum eine „Reform“ die nicht mit dem Versprechen auf die positiven Auswirkungen für den „Jobmotor Mittelstand“ begründet wird. Die Große Koalition versprach sogar eine „Mittelstandsoffensive“, mit verbesserten Abschreibungsbedingungen, erleichterten Kreditvergaben und vor allem erhebliche Entlastungen bei der Schenkungs- und Erbschaftssteuer.
Das allgemeinen Gerede vom „Jobmotor Mittelstand“ hat Joachim Wagner von der Universität Lüneburg empirisch überprüft [PDF – 512 KB]. Überraschendes Ergebnis: Die These vom „Jobmotor Mittelstand“ ist viel zu undifferenziert. In mittelständischen Betrieben entstehen viele Arbeitsplätze, aber es werden auch viele abgebaut und dasselbe gilt für Großbetriebe.
Wirtschaftspolitische Maßnahmen mit einer spezifischen Ausrichtung auf bestimmte Firmengrößen lassen sich jedenfalls nicht mit einem besonders ausgeprägten Beitrag dieser Firmen zur Beschäftigungsdynamik rechtfertigen. Wolfgang Lieb.

Stiftung Marktwirtschaft: Bürgergeld und Grundeinkommen – Geniestreich oder Wahnsinn

Eine denkwürdige Veranstaltung der erzliberalen Stiftung Marktwirtschaft [PDF – 544 KB] mit einem bemerkenswerten Referentenkreis: Dieter Althaus (Ministerpräsident Thüringens), Thea Dückert (stellv. Fraktionsvorsitzende der Grünen), Michael Eilfort (Vorstand Stiftung Marktwirtschaft), Clemens Fuest (Kronberger Kreis), Wolfgang Grotthaus (stellv. Sozialpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion), Kattja Kipping (stellv. Parteivorsitzenden der Linken), Dirk Niebel (Generalsekretär der FDP), Horst Siebert (ehem. Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft), Götz W. Werner (dm-Drogerie-Markt). Große Koalition der Vertreter des bedingungslosen Grundeinkommens oder Klärung der Fronten? Wolfgang Lieb.

Widersprüchliches zur „Generation Praktikum“

Der DGB [PDF – 364 KB] kommt nach einer Befragung der Absolventenjahrgänge des Wintersemesters 2002/03 der FU Berlin und der Universität Köln zu Praktika nach dem Studium zu folgendem Ergebnis: „Gegenüber dem Absolventenjahrgang 2000 stieg der Anteil der Absolventen, die nach dem Studium noch ein Praktikum absolvieren, von 25 auf 41 Prozent. Bei diesen Praktika handelt es sich oftmals um »verdeckte reguläre Beschäftigung«.“ Die Mehrheit der Praktika sei weniger ein Ausbildungs- als ein Arbeitsverhältnis: Nur 32 Prozent geben an, dass das Lernen bei den Praktika im Vordergrund stand.
Anders dagegen das Hochschulinformationssystem (HIS) [PDF – 148 KB] im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung: Praktika nach dem Studium hätten zwar in den letzten
Jahren zugenommen haben. Die präsentierten Zahlen ließen jedoch die Schlussfolgerung zu, dass es sich bei Praktika nach dem Studium gegenwärtig nicht um ein Massenphänomen handle und der Begriff „Generation Praktikum“ nicht gerechtfertigt sei. Außerdem falle die Bewertung des Praktikums nach dem Studium in wesentlichen Dimensionen positiv aus und die Absolventen empfänden das Praktikum in den meisten Fällen nicht als Ausbeutung.
Mein persönlicher Eindruck ist allerdings, dass die ZEIT vor 2 Jahren mit ihrer Überschrift „Generation Praktikum“ nicht so falsch lag. Wolfgang Lieb.

Stirbt die Erbschaftsteuer? Der „Kirmeskrach“ um Steuersenkungen geht weiter

Wenige Tage nach seinem Vorstoß zur Senkung der Einkommensteuer (Hinweise vom 10. April 2007 Ziffer 5), woraufhin BILD ein tagelanges Trommelfeuer für diese Steuersenkung abgab, legt Wirtschaftsminister Glos nach und plädiert für die Abschaffung der Erbschaftsteuer – und wieder liefern BILD und ihr Chefkolumnist Hugo Müller-Vogg den Resonanzboden.
Thomas Fricke von der FTD nannte den Steuerwahn des Wirtschaftsministers zu Recht einen „Kirmeskrach“ und sprach von „einer absurden Finanzpolitik nach Kassenlage“.
Als Hauptargumente für die Abschaffung der Erbschaftsteuer werden genannt: Alles was vererbt werde, sei schon einmal versteuert worden, erben sei eine Privatangelegenheit und die Erbschaftsteuer sei mit Einnahmen von 4 Milliarden jährlich so niedrig, dass das Eintreiben der Steuer den Verwaltungsaufwand nicht lohne.
In Wahrheit geht es um die generationenübergreifende Verfestigung der Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich. Wolfgang Lieb.

Oettinger hat die Opfer der Nazis in den Schmutz gezogen. Vermutlich mit Absicht.

Ich habe den Autor und Journalisten Gunter Haug aus Baden-Württemberg um eine Bewertung des Falls Oettinger gebeten. Haug kennt den Umgang mit den Opfern aus eigenem Erleben; er ist mit der Enkelin eines von den Nazis Ermordeten aus Oettingers und Filbingers Heimat verheiratet. Um die Opfer aus dem Volk haben sich diese Politiker nie gekümmert. Und treten jetzt wieder nach. – Zur ideologischen Nähe siehe auch unsere gemeinsamen Veranstaltungen zum Thema am 16.4., am 22.4. und 10.5. und als lesenswerter Text auch Frank Schirrmacher. Albrecht Müller.

„Solidarisches Bürgergeld“ – PR-Aktion zur Imageergänzung bei Althaus.

Von einem unserer Leser werden wir auf das PR-Netzwerk zum Bürgergeldvorschlag von MP Althaus hingewiesen: Der thüringische Ministerpräsident verweise auf seiner Seite und auf Seiten des Landes Thüringen auf einen “Verein Pro Bürgergeld”, der sich selbst als “Zusammenschluss engagierter Bürger” darstellt und den Althaus als “unabhängig” bezeichnet. Tatsächlich wird der “Verein” Pro Bürgergeld jedoch von dem Chef der PR-Agentur RCC-Public geführt (Wolfgang Stock). Albrecht Müller.

Angela Merkel möchte den Verfassungsprozess bis 2009 abgeschlossen haben. Das globalisierungskritische Netzwerk Attac hat 10 Prinzipien für einen demokratischen EU-Vertrag aufgestellt.

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac sieht in der jetzigen Form der Europäischen Union eine ernsthafte Bedrohung für demokratische Errungenschaften, Grundrechte, soziale Sicherheit, Geschlechtergleichstellung und ökologische Nachhaltigkeit. Zudem leide die Union an einem Mangel an Demokratie, Legitimität und Transparenz und beruhe auf einer Reihe von Verträgen, die den Mitgliedsstaaten und der ganzen Welt eine neoliberale Politik aufdrängen. Der vorgeschlagene Verfassungsvertrag stelle keine Verfassung im strengen Sinn dar, sondern es handele sich um eine Zusammenfügung und Weiterentwicklung früherer Verträge und Rechtsnormen. Das Netzwerk hat in länderübergreifender Zusammenarbeit 10 Prinzipien für einen demokratischen EU-Vertrag erarbeitet und das Ergebnis [PDF – 84 KB] am 11. März veröffentlicht. Christine Wicht referiert.

Bei BILD heute zwei Strategieelemente der Neokonservativen erkennbar.

Zum einen geht es ganz auf der Linie, die der Spiegel mit seinem Titel in der Vorosterwoche schon gefahren hat, um die Einengung des staatlichen Handelns. Zum andern soll konservatives Personal veredelt und geadelt werden. „Nobelpreis für Kohl. Immer mehr Politiker dafür!“ Heißt eine der Headlines auf der ersten Seite.
Die Hauptschlagzeile: „Unsere Politiker spinnen! Steuern runter erst in 1000 Jahren?“. Albrecht Müller.

Nachtrag zum 19. Pleisweiler Gespräch am 22.4.

Aus Versehen ist die komplette Einladung zum 19. Pleisweiler Gespräch über „Machtwahn – damals und heute“ bei den Buchlesungen nicht vermerkt. Sie folgt als Anlage 1. Bitte beachten. Die Reinwaschung Filbingers durch Oettinger wird notwendigerweise auch Thema unserer Gespräche in Münsingen (16.4.), Pleisweiler (22.4.) und Heidelberg (10.5.) sein. Die einschlägige Passage von Ministerpräsident Oettinger ist unten als Anlage 2 angefügt.
So weit Sie in der Nähe des Südwestens wohnen, sind Sie herzlich willkommen. Albrecht Müller.

Korrektur zu „Happiness Economics“ bei der Deutschen Bank

In einem Beitrag vom 11.4.07 habe ich geschrieben: „Das Ergebnis der Glücksforscher von der Deutschen Bank ist nicht anders zu erwarten: Zu den Glücksnationen zählen solche bei denen die Einkommensungleichheit hoch und der Staatssektor mickrig, bei den Miesepetern sind die Einkommen eingeebnet und der Staatssektor ausufernd.“
Stefan Bergheim, Senior Economist, Macro Trends, Deutsche Bank Research und Autor der zitierten Studie schreibt uns dazu: „Das ist eindeutig nicht meine Aussage. Vielmehr ist richtig (Seite 17): “Daneben gibt es viele Daten, die zwar verfügbar sind und oft in internationalen Ländervergleichen verwendet werden, die aber keinen empirischen Zusammenhang zur Lebenszufriedenheit aufzeigen. Dies gilt zum Beispiel für die Größe des Staatssektors, die Einkommensungleichheit, die Forschungsausgaben und die Religiosität.”
Stefan Bergheim bittet um eine entsprechende Korrektur meines Beitrags. Dem komme ich gerne nach. Wolfgang Lieb.