Interessenverflechtung Versicherungswirtschaft mit Medien und Politik – immer dreister
- Da muss man zweimal hinschauen … um die Werbung zu erkennen.
- Selbst die, kommunistischer Umtriebe unverdächtige, Börsenzeitung berichtet darüber, wie die Regierung Versicherungsunternehmen unterstützt.
Dritter Nachtrag zu Becks Zielgruppe „Leistungsträger“
Die Dokumentation aus dem Wiesbadener Kurier zeigt eindrucksvoll, wie richtig unsere Feststellung zu dem Thema “Leistungsträger und Mittelschicht” ist:
Mittelschicht im Main-Taunus schrumpft langsam
Sozialbericht des Kreis-Caritasverbandes / Noch nie so viele Ratsuchende
Quelle: Wiesbadener Kurier vom 06.09.2006
Zwei kurze Vorabzitate:
- Arbeitslosigkeit sei längst nicht mehr die Hauptursache für den Besuch im Sozialbüro. “Es kommen immer mehr Menschen, die von dem, was sie durch ihre Berufstätigkeit erwirtschaften, nicht mehr leben können…”
- Die einzig positive Entwicklung sei, dass Arbeitssuche und Existenzsicherung kein Tabu-Thema mehr sei, “weil es alle Berufsgruppen und nicht mehr nur Geringverdiener trifft”…
Hinweise des Tages
Man kennt sich, man hilft sich, man lobt sich. Müller-Vogg und der Mittelstandspreis.
Hugo Müller-Vogg, der tägliche BILD-Kolumnist, erhält den diesjährigen Mittelstandspreis. Sein Laudator ist der frühere Regierungssprecher und ehemalige Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages, Friedhelm Ost. So weit, so gut.
Interessant ist, dass Müller-Vogg in seiner Rede vor der Jahreshauptversammlung des Bundesverbandes Deutscher Vermögensberater (BDV) im Mai 2006 unter der Überschrift „Abschied vom Versorgungsstaat“ das hohe Lied auf die „Eigentümerunternehmer, die Selbständigen und die Freiberufler“ und auf den Chef der Deutsche Vermögensberatung Aktiengesellschaft (DVAG), Reinfried Pohl, gesungen hat. Der „Mittelstandpreis“ ist also nahe liegend. Genauso wenig ist es Zufall, dass die Laudatio durch Friedhelm Ost gesungen wird, der seinerseits wiederum Generalbevollmächtigter der DVAG ist. Und Müller-Vogg revanchiert sich mit einem Buchtipp: „Reinhard Pohl, Ich habe Finanzgeschichte geschrieben“. So schließt sich ein Old-Boys-Network. Mit den wirklichen Interessen des Mittelstandes hat dieser Klüngel um den Mittelstandspreis allerdings kaum etwas zu tun.
So schlecht ging es unsere Wirtschaft mit den Konjunkturprogrammen in den 70er Jahren?
Das Wirtschaftswachstum in Deutschland hat sich im Verlauf der letzten dreieinhalb Jahrzehnte immer weiter verlangsamt. So stieg nach Mitteilung des Statistischen Bundesamtes das Bruttoinlandsprodukt für das frühere Bundesgebiet in der Zeit von 1970 bis 1980 um durchschnittlich 2,9% pro Jahr und im Zeitraum 1980 bis 1991 um durchschnittlich 2,6% pro Jahr. Seit der Wiedervereinigung fiel das durchschnittliche Wachstum der deutschen Wirtschaft deutlich niedriger aus und lag im Schnitt der letzten zehn Jahre nur noch bei 1,3% pro Jahr. Dies sind Ergebnisse der Rückrechnung der deutschen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) für das frühere Bundesgebiet für die Jahre 1970 bis 1991, die am 5.9.06 vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht wurden.
Sachverständigenrat will den Arbeitszwang erhöhen. Das Arbeitslosengeld II soll um 30% gekürzt werden.
Unsere Wirtschaftsweisen haben in ihrem im Auftrag der Bundesregierung erstellten Gutachten, mal wieder eine tolle arbeitsmarktökonomische Idee: Das Alg II, bisher als eine Sozialleistung zur Sicherung des Existenzminimums definiert, soll unter Umgehung des Grundgesetzes auf ein existenzbedrohendes Niveau von 240 Euro und außerdem die Einkommensgrenze für Mini-Jobs von 400 auf 200 Euro gesenkt werden. Zudem sollen Erwerbseinkommen bis zu 200 Euro künftig voll auf das Alg II angerechnet, sprich abgezogen werden. Der Hunger wird die Arbeitlosen und Mini-Jobber schon zur Arbeit um jeden Preis treiben. Mit den so eingesparten staatlichen „Transferleistungen“ sollen dann über ein Kombilohnmodell die Löhne der Arbeitgeber subventioniert werden.
Hamburger Appell, INSM, Stiftung Marktwirtschaft, Kronberger Kreis, CDU
Wirtschaftswissenschaftler werden immer mehr zum “Schulmeister” der Politik. Ein Leser der NachDenkSeiten hat eine winzige Ecke des Filzes zwischen Ökonomen, Propaganda-Agenturen, Stiftungen, Think-Tanks und der CDU gelüftet. Wir wollen Ihnen seinen sporadischen, keineswegs vollständigen Einblick in das Netz dieser Interessenverflechtungen nicht vorenthalten.
Zweiter Nachtrag zu Becks Treppenwitz
Uns erreichen Erfahrungsberichte aus der Arbeitswelt, die wir Ihnen nicht vorenthalten wollen. Diese Erfahrung kommt in den Talkshows ohnehin zu kurz. Ein Grund mehr für uns, die Spalten dafür zu öffnen. Hier der Bericht eines anderen „Leistungsträgers“:
Hartz IV: Ist das Existenzminimum für arme Familien zu hoch? – oder: wie Herr Jörges vom Stern der raffinierten Verschwörung des Fürsorgestaats zugunsten von Familien auf die Schliche gekommen ist.
Sie erinnern sich sicher, im Mai 2006 hat Ulrich Jörges, der stellvertretende Chefredakteur des Stern, unter der Überschrift „Der Kommunismus siegt“, „Arbeit wird verhöhnt, Nichtstun belohnt.“ eine Polemik gegen den Sozialstaat und gegen Hartz IV-Empfänger geschrieben, die Schlagzeilen und ihn zum Stammgast vieler Talk-Shows gemacht hat. Helga Spindler, Professorin für öffentliches Recht, Sozial- und Arbeitsrecht an der Universität Essen, ist den Fakten nachgegangen und sieht in der Argumentation von Jörges ein Beispiel dafür, wie ein Teil der Gesellschaft Abschied vom Anspruch an Solidarität im Staatswesen nimmt und es offenbar für schick hält, die humanitären und verfassungsgeschichtlichen Wurzeln zu kappen und dabei vermutlich noch nicht einmal ahnt, was das für Folgen haben wird. Helga Spindler hat den NachDenkSeiten diesen Beitrag zur Verfügung gestellt.
Studiengebühren: Feldversuch in England
Jugendliche aus armen Familien trauen sich kaum noch zu studieren. Die Angst vor einem Schuldenberg ist zu groß, zumal die Studiengebühren steigen und steigen. So überschreibt der SPIEGEL einen Beitrag über die Wirkung der vor 10 Jahren eingeführten Studiengebühren in England. Laut Statistik hätten Jugendliche mit bildungsfernem sozialem Hintergrund in Großbritannien die schlechtesten Karten. Viele müssen während des Studiums arbeite oder ihr Studium unterbrechen, um zu arbeiten, damit der Schuldenberg nicht zu hoch wird. Die Gebühren sind von umgerechnet 1.700 auf 3.000 Euro gestiegen und sollen ab Herbst auf 4.500 Euro weiter steigen.
Lediglich in Schottland ist die Zahl der Bewerber gestiegen. Schottische Studenten sind – bislang jedenfalls – von den Studiengebühren befreit.
Hinweise des Tages
INSM-Verlagsbeilage in der SZ: Was braucht Deutschland jetzt?
Mit einer achtseitigen Propagandaanzeige legt die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ der Kanzlerin, dem Arbeitsminister, Herrn Westerwelle und Herrn Bütikofer Floskeln über das „Wachstum“ in den Mund und sagt dann wie es geht: Steuern senken, Bildung fördern, Arbeit bezahlbar machen, Bürokratie stoppen.
Übersetzt heißt das: Unternehmenssteuern senken, Studiengebühren einführen, Löhne senken, Kündigungsschutz aufheben. So einfach ist das im ökonomischen Weltbild der INSM. Für Geld ist sich der Verlag der Süddeutschen Zeitung offenbar für nichts zu schade. Haben eigentlich alle mit Sprechblase Abgelichteten zugestimmt, dass Sie Propaganda für die Wirtschaftslobby betreiben? Wenn nein, werden Sie etwas dagegen unternehmen?
Wirtschafts- und Sozialpolitik mit “Tunnelblick” nennt Joachim Jahnke diesen Kurs und belegt mit vielen Daten und Grafiken, dass wir geradewegs auf die Klippen zu segeln.
Nachtrag zu Kurt Becks Treppenwitz
Die SPD Führung scheint keine Ahnung davon zu haben, was sie mit Hartz IV zusammen mit den Grünen und der Bundesratsmehrheit der Union angerichtet hat. Sie begreift offenbar nicht, dass weite Teile der Arbeitnehmerschaft, auch die so genannten Leistungsträger, mit Hartz IV der Unsicherheit preisgegeben worden sind. Ich komme darauf zurück, weil ich gerade einen Beitrag von Kurt Beck im sozialdemokratischen „Informationsdienst für aktive Mitglieder”, dem so genannten INTERN, gelesen habe.
Ich drücke mich vornehm aus: unsere Regierenden sind nicht mehr ganz bei Trost.
Unter der Überschrift „Bogen des Missvergnügens“ berichtet die Financial Times am 30.8. von einem gemeinsamen Auftritt der Bundeskanzlerin und des Vizekanzlers Müntefering. Selbiger meinte: “Wir werden im Moment gemessen an dem, was im Wahlkampf gesagt wurde. Das ist unfair.” Ich dachte, ich lese falsch. Aber, Sie lesen richtig. Unsere Regierenden werden immer dreister. Sie beklagen sich darüber, dass wir uns der Wahlkampfaussagen erinnern.