Götz Eisenberg ist Sozialwissenschaftler und Publizist. Er arbeitete mehr als drei Jahrzehnte lang als Gefängnispsychologe im Erwachsenenstrafvollzug. In der »Edition Georg Büchner-Club« erschien im Juli 2016 unter dem Titel »Zwischen Arbeitswut und Überfremdungsangst« der zweite Band seiner »Sozialpsychologie des entfesselten Kapitalismus«. Dort hat er im Herbst 2016 unter dem Titel: »Es ist besser, stehend zu sterben als kniend zu leben! No pasarán!« auch ein Bändchen zum Spanischen Bürgerkrieg veröffentlicht. 2018 erschien von Eisenberg im Verlag Wolfgang Polkowski der dritte Band seiner Sozialpsychologie unter dem Titel “Zwischen Anarchismus und Populismus”.
Gastbeiträge von Götz Eisenberg
„Wir können eine Welt gestalten, wie sie die Welt noch nie gesehen hat“ – Vor 50 Jahren wurde Rudi Dutschke Opfer eines Attentats
Am Gründonnerstag, dem 11. April 1968 schoss ein junger Rechtsradikaler auf Rudi Dutschke und verletzte ihn schwer. Dutschke hatte Kopf und Leidenschaft der antiautoritären Bewegung verkörpert. Der Anschlag auf ihn wurde zum Auslöser der sogenannten Osterunruhen und setzte die Gewaltfrage auf die Tagesordnung. Die Bewegung verlor ihre spielerische Leichtigkeit und Heiterkeit und zerfiel kurz darauf. Das freibeuterische Denken der Revolte und ihr libertärer Sozialismus wichen einer Rückkehr zu einer sterilen Orthodoxie und geschichtlich überholten Vorstellungen von Klassenkampf und parteiförmiger Organisation. Von Götz Eisenberg.
Der kurze Frühling der Anarchie – Zu Simon Schaupps „Tagebuch der bayerischen Revolution“
Wann immer in den letzten Wochen der Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer zu sehen war, der in der geplanten neuen „GroKo“-Regierung Minister für Inneres, Bauen und Heimat werden soll, dachte ich: „Weiß der Seehofer überhaupt, wem er dieses Amt verdankt und auf wessen Schultern er steht?“ Der Freistaat Bayern und das Amt seines Ministerpräsidenten sind Früchte der Revolution von 1918. Am 8. November vor 100 Jahren wählte der spontan entstandene Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat Kurt Eisner zum ersten Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern, nachdem man am Tag zuvor die 738 Jahre währende Wittelsbacher Dynastie gestürzt und die Bayerische Republik proklamiert hatte. Eisner würde sich im Grabe rumdrehen, wenn er erführe, in wessen Hände sein Erbe gefallen ist. Der Umschwung zum Konservativ-Reaktionären deutete sich allerdings schon zu seinen Lebzeiten an, als im Januar 1919 die Bayerische Volkspartei, die Vorläuferin der CSU, als stärkste Kraft aus den Landtagswahlen hervorging. Herbert Achternbusch hat das widersprüchliche Verhalten seiner Landsleute einmal mit den Worten zu beschreiben versucht: „Die Bayern sind Anarchisten, von denen 60 Prozent die CSU wählen.“
Von Götz Eisenberg.
Geschichtsrevisionismus oder bloß ein überforderter Moderator?
Nachdem ich vorige Woche den Sender 3sat und seine Sendung Kulturzeit schon einmal wegen eines Beitrags über 1968 kritisiert habe, muss ich die Kulturzeit nun schon wieder geißeln. Der Moderator Peter Schneeberger begann die Sendung vom 26. Januar mit dem Satz: „Morgen gedenkt die Welt dem Holocaust.“ Ich zuckte zusammen. Dann dachte ich: Schulden wir den Opfern des von uns, den Deutschen, begangenen Massenmordes, nicht auch sprachlich und grammatikalisch einen gewissen Respekt? Das Wort gedenken gehört zu den Verben, denen stets ein Genitiv folgt – wie zum Beispiel auch nach bedürfen, sich bedienen, sich enthalten, sich erbarmen, sich erinnern, sich schämen oder sich vergewissern. Da haben sich in den letzten Jahren in der Folge diverser Rechtschreibreformen Schlampereien eingeschlichen. Aber doch nicht in einer Kultursendung mit einem gewissen Anspruch! Und, fragte ich mich weiter in meinem Fernsehsessel: Muss ein Moderator eigentlich alles so vom Teleprompter ablesen, wie es irgendein Redaktionsmitglied geschrieben hat? Wird so etwas zuvor nicht zigmal geprobt? Der Sender hat im Laufe der letzten Monate das „Moderations-Team“ ausgetauscht und „verjüngt“, wie man neuerdings sagt. Um sich an ein jüngeres Publikum anzuwanzen, hat man bei der Auswahl der Neuen offenbar mehr Wert auf das Aussehen als auf inhaltliche und sprachliche Kompetenzen gelegt. Von Götz Eisenberg.
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Öffentlich-rechtliche Gegenaufklärung über 1968. Von Götz Eisenberg.
Die Sendung “ttt – titel, thesen, temperamente” brachte am Sonntag, den 14 Januar 2018 einen Beitrag zum 50. Jahrestag der 68er Revolte, den 3-sat in der Sendung Kulturzeit vom 17. Januar wiederholt hat. „Fünf Minuten über die Ideen von 68“ zu reden, das sei „gaga“, sagte Daniel Cohn-Bendit. Warum lässt er sich, wenn er das erkannt hat, auf so einen Unfug ein? Man muss nicht in jedes Mikrophon reinreden, das einem hingehalten wird! Das blieb dann aber auch eine der wenigen richtigen Bemerkungen in diesem Beitrag.
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Der (Alp-)Traum von Reinheit und Gesundheit. Zu Uwe Timms Roman Ikarien.
Götz Eisenberg[*] hat das Buch „Ikarien“ von Uwe Timm gelesen, für die NachDenkSeiten besprochen und zugleich ergänzt. Albrecht Müller.
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Vom bewaffneten Kampf zur Strategie des Glücks – Über die Autobiographie von Lutz Taufer
„Es dauerte lange, bis ich in meinem Fühlen und Denken zulassen konnte, dass die Tötung zweier Geiseln auf grausame Weise, für die ich mitverantwortlich bin, ein Verbrechen ist, das durch nichts zu rechtfertigen ist“, notiert Lutz Taufer in seiner Autobiographie Über Grenzen. Er beschreibt den Weg aus der badischen Provinz in die antiautoritäre Revolte und nach deren Auflösung in den bewaffneten Kampf der RAF. Im Gefängnis setzten Lernprozesse ein und es wurde ihm klar, dass die befreite Gesellschaft bereits in den Mitteln erkennbar sein muss, die zu ihrer Erreichung angewandt werden. Hass und Gewalt verzerren die Züge der Kämpfenden und entstellen das Antlitz der Revolution. Am Ende kommt es zu der grotesken Situation, dass sich die, um deren Befreiung es gehen soll, von denen bedroht fühlen, die sie befreien wollen. Nach der zwanzigjährigen Haft ging Lutz Taufer als Entwicklungshelfer nach Brasilien und versuchte dort in den Favelas, Ansätze einer „Strategie des Glücks“ zu verwirklichen. Von Götz Eisenberg[*].
Wie alles anfing – Zum Verhältnis von 2. Juni 1967 und Deutschem Herbst 1977
Heute vor 50 Jahren starb der Student Benno Ohnesorg durch die Kugel eines Polizisten. Aus Anlass des 40. Jahrestages dieses Mordes entstand der folgende Text. Er stammt also aus dem Jahr 2007. Er erschien damals in einer „Jubiläumsausgabe“ der Gießener Alternativzeitung „Elephantenklo“, die zwanzig Jahre zuvor ihr Erscheinen eingestellt hatte. Der Text scheint mir nach wie vor aktuell und die in ihm getroffenen Aussagen stimmen im Wesentlichen auch zehn Jahre später. Von Götz Eisenberg[*].
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Freiwillige digitale Knechtschaft.
„Es gibt gute Menschen, und es gibt schlechte Menschen. Nun stell dir eine Welt vor, in der die Guten belohnt und die Schlechten bestraft werden“, sagt der chinesische Computerwissenschaftler Zhang Zheng und umreißt damit die Utopie der chinesischen Staatsführung. Schon in Harald Welzers Buch Die smarte Diktatur war ich auf das „soziale Kreditsystem“, das man in China praktiziert, um die Massen zu gesellschaftskonformem Verhalten anzuhalten, gestoßen. Am Wochenende nun berichtete die Süddeutsche Zeitung unter der Überschrift Schuld und Sühne ausführlich über dieses Projekt. Von Götz Eisenberg
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Vom Recht auf Stille
Endlich mal ein sonniger Frühlingstag, dachte ich, und trug mein Frühstück auf einem Tablett auf den Balkon. Zur Feier des Tages hatte ich Brötchen geholt und öffnete ein Glas Johannisbeermarmelade, das eine Cousine mir im Herbst geschenkt hatte. Kaum saß ich auf dem Balkon und freute mich, dass die Mauersegler um den Block schwirrten und dabei ihr fröhliches srieh-srieh ausstießen, begann unten ein Nachbar den Rasen zu mähen. Kurz darauf warf jemand seinen Laubbläser an und schließlich wurde schräg gegenüber bei geöffneten Fenstern Staub gesaugt. Die diversen Maschinen-Geräusche verbanden sich mit dem städtischen Grundlärm zu einer schrillen Kakophonie. Ich zog mich fluchtartig ins Innere der Wohnung zurück. Was nützt die schönste Frühlingssonne, wenn man von allen Seiten mit Lärm traktiert wird? Im alten China hat man Kriminelle, die sich eines besonders schweren Verbrechens schuldig gemacht hatten, durch Lärm hingerichtet. Der Verurteilte wurde unter eine große Glocke gelegt, die anschließend vom Henker geschlagen wurde. Es soll der qualvollste Tod sein, den ein Mensch erleiden kann. Ungefähr so fühle ich mich manchmal in dieser Wohnung, in dieser Stadt, in dieser Gesellschaft – wie unter einer chinesischen Hinrichtungsglocke. Von Götz Eisenberg.
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Verlogene Empörung. Anmerkungen von Götz Eisenberg
Als von Seiten der Ermittler verlautete, dass hinter dem Anschlag auf die Mannschaft von Borussia Dortmund mutmaßlich ein Aktienspekulant steckt, war die Empörung groß. Politiker aller Parteien beeilten sich, ihre Betroffenheit über die Tat und ihre Abscheu vor dem Motiv des Täters zu äußern: Habgier. Die zur Schau gestellte und lautstark vorgetragene Empörung über die Tat von Dortmund ist insofern verlogen, als sie von einem Schweigen über den Handel mit Derivaten und die Spekulation mit Nahrungsmitteln begleitet wird, die rund um den Globus täglich massenhaft Tote produzieren. Habgier nennt man auf dieser Ebene Profit, und an diesem Motiv wagt kaum noch jemand Kritik zu üben.
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