Alfred Weber, Jahrgang 1946, hat zwei Semester Germanistik und Anglistik/Amerikanistik in Mainz studiert, übersiedelte anschließend in die USA und studierte dort Englisch, Politikwissenschaften und Literaturwissenschaft. Nach seiner Rückkehr aus den USA war er als Bibliothekar und Übersetzer tätig. Er ist seit langem in verschiedenen Initiativen politisch aktiv, angefangen von der Anti-Vietnamkriegs-Bewegung in den USA über die Bürgerrechtsbewegungen gegen Berufsverbote, die Nachrüstung, Atomkraftwerke, die Irak-Kriege, den NATO-Krieg in Jugoslawien. Aktuell engagiert Weber sich in der #Aufstehen-Bewegung.
Gastbeiträge von Alfred Weber
Mühen des Denkens – zu den Hintergründen des Konflikts um die Ukraine
Wie so oft reagieren fast alle Medienredaktionen und die meisten Politiker auf die Ereignisse in der Ukraine auf Grund ihrer Prägung reflexiv statt reflektiert. Reflexion kostet Zeit und Anstrengung, während die reflexiven Schnellschüsse einem wenig abverlangen. (Siehe Daniel Kahnemann, Schnelles Denken und Langsames Denken, 2011) Was ist die für die Medien und Politiker*innen hier relevante Prägung? Wie Howard Gardner in seinem wegweisenden Buch The Unschooled Mind (1992) dargestellt hat, neigen erwachsene Menschen dazu, in spontan auftretenden Situationen auf vorschulische, kindliche Verstehensmuster zurückzugreifen. Bezeichnenderweise verwendete er als ein Beispiel die Reaktion eines US-amerikanischen Historikers, der sich intensiv mit der Entstehungsgeschichte des Ersten Weltkriegs befasst und dessen Komplexität jenseits einfacher Schuldzuschreibungen erfasst hatte, auf den Irakkrieg des Bush Seniors. Statt auch da die gebotene wissenschaftliche Vorsicht walten zu lassen, urteilte dieser Historiker nach Kinderart mit schneller Unterscheidung zwischen absolut Bösem (Saddam Hussein) und absolut Gutem (den Absichten und Taten der USA). Wie alle klassischen Märchen bedient ein solches eindeutiges Urteil den Kinderwunsch nach einfacher und eindeutiger Erkennung und Bestrafung des Bösen und Belohnung des Guten. Von Alfred Weber.