Im vergangenen September kündigte US-Sicherheitsberater John Bolton in einer Hasstirade auf den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) Sanktionen gegen dessen Ermittler an, sollten Verfahren gegen US-Amerikaner wegen Kriegsverbrechen in Afghanistan eingeleitet werden. Im März verkündete US-Außenminister Mike Pompeo eine neue US-Richtlinie von Visa-Restriktionen gegen Personal des Strafgerichtshofs, die Anfang April in die Realität umgesetzt wurde, als das Visum der gambischen IStGH-Chefanklägerin Fatou Bensouda entzogen wurde. Eine Woche später entschied der IStGH, seine Afghanistan-Ermittlungen zu beerdigen. Diese Episode ist das jüngste Beispiel des Paradigmenwechsels der USA im Umgang mit dem internationalen Recht, den wir seit dem Einzug von Donald Trump ins Weiße Haus beobachten können: Einer jahrzehntelangen Kultur des Völkerrechtsbruchs und passiver Gleichgültigkeit gegenüber seinen Institutionen folgt nun Amerikas aktiv geführter Krieg gegen das Völkerrecht. Von Jakob Reimann.
Verachtung für das Völkerrecht
Die außenpolitische Geschichte der USA seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist eine Geschichte der Kriegsverbrechen und anderen Völkerrechtsverletzungen. Der versuchten Auslöschung Koreas, dem Ökozid in Vietnam und unzähligen Staatsstreichen im Nahen Osten und Lateinamerika folgten nach dem Untergang der Sowjetunion illegale Kriege vom Balkan bis Afghanistan, ein weltweites Netzwerk aus Foltergefängnissen, die globale NSA-Überwachung, Obamas Drohnenprogramm „extrajudizieller Hinrichtungen“, Schattenkriege von Somalia bis in die Philippinen sowie das Menschheitsverbrechen der Irak-Invasion 2003. Wer diese Völkerrechtsbrüche aufdeckt, wird vom „Leuchtfeuer der Freiheit“ nicht etwa als Held gefeiert, sondern weggesperrt, ins Exil getrieben oder anderweitig mundtot gemacht – mit den tragischen Schicksalen von Whistleblowerin Chelsea Manning und WikiLeaks-Gründer Julian Assange nur als aktuelle Beispiele der Verfolgung mutiger Personen, die echte Checks and Balances der Mächtigen darstellen.
Als Verantwortlicher des permanenten Völkerrechtsbruchs verfügt das Washingtoner Establishment überparteilich über die Chuzpe, sich zur moralischen Autorität aufzuplustern und das Völkerrecht als Waffe gegen seine Widersacher zu instrumentalisieren. So wurde die „illegale Annexion der Krim“ verurteilt, um Sanktionen gegen Moskau zu rechtfertigen; auch wurde noch jedes Mal ein vermeintlich Völkerrechtsbruch-dokumentierendes Foto eines toten Babys gefunden, um sich in den nächsten Krieg hineinzulügen. Das absurde Sinnbild dieser Verachtung für das internationale Recht ist der 2002 von George W. Bush erlassene sogenannte „Hague Invasion Act“. Das Gesetz autorisiert den US-Präsidenten, militärische Gewalt einzusetzen, um Staatsangehörige der USA aus dem Gewahrsam des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag zu befreien: die Invasion des NATO-Partners Niederlande also. Gesetze sind für die anderen da, nicht für Washington.
Trump sägt an der liberalen Weltordnung
Nach acht Jahren Regierung des etwas dümmlich anmutenden Cowboys aus Texas galt Barack Obama als der hochgebildete, eloquente und charismatische Superstar der liberalen Weltordnung. In dieser Geschichte formen die USA als „liebevoller Hegemon“ eine regelbasierte Welt von Gleichen. Die „westlichen Werte“ dienen als moralischer Kompass und US-dominierte multilaterale Institutionen wie Weltbank, UNO, Freihandelsabkommen, IWF und NATO als ihr rechtliches Fundament. Mag jede und jeder selbst die Überzeugungskraft dieses Narrativs beurteilen, war Barack Obama zweifelsohne ihr perfekter Verkäufer. Neben einer sehr überschaubaren Zahl tatsächlicher Errungenschaften Obamas auf dem Gebiet des Völkerrechts – Pariser Abkommen, Iran-Deal – waren es vor allem Lippenbekenntnisse und der einnehmende Charme des Friedensnobelpreisträgers, hinter denen sich Washingtons Großmachtgehabe der alten Schule im Streben nach der vermeintlich werte- und völkerrechtbasierten Welt verstecken konnte.
Mit Donald Trumps Einzug ins Weiße Haus brach diese Farce endgültig in sich zusammen. Sein America-First-Nationalismus als alles dominierendes Mantra erklärte dem Multilateralismus den Krieg und dient als Brandsatz, um das internationale Regelwerk abzufackeln. Im Trumpschen Universum kann es kein Win-Win geben, jede Interaktion ist immer ein Nullsummenspiel, in dem A gewinnt, was B verliert. Jeder zwischenstaatliche Vertrag ist demnach eine Bedrohung der nationalen Souveränität und eine nicht hinnehmbare Kastrierung eigener Handlungsspielräume. Nach dieser paranoiden Logik ist es leicht zu sehen, dass jemand, der mit TRUMP DIGS COAL Jagd auf Wählerstimmen macht, selbst die zartesten, nichtbindenden Statuten des Pariser Klimaabkommens als untragbare Einschnitte in die nationale Souveränität zum Teufelswerk erklärt.
Trump zerreißt einen Vertrag nach dem andern
Trump scharte ein Kabinett aus Ultranationalisten um sich und so stand seine Präsidentschaft von Beginn an unter der Prämisse, wichtige multilaterale Abkommen und Institutionen zu sabotieren. Neben dem Pariser Klimaabkommen trat Trump auch aus der UNESCO und dem UN-Menschenrechtsrat aus und strich die Finanzierung wichtiger humanitärer UN-Organisation wie dem UNFPA-Bevölkerungsfonds oder dem UNRWA-Flüchtlingswerk. Besonders tragisch war Trumps Aussteigen aus dem russisch-US-amerikanischen INF-Vertrag, einem der wichtigsten Abrüstungsverträge seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Nach Analyse des MIT-Professors Theodore A. Postol haben sowohl die USA als auch Russland den Vertrag verletzt. Doch anstatt dass der selbsternannte „Master of the Deal“ sein Verhandlungstalent unter Beweis stellt und unter Einbeziehung auch von Saudi-Arabien, Iran, Israel, Japan, beiden Koreas und vor allem China den Vertrag neuverhandeln und so etwas wahrhaft Historisches zustande bringen würde – zerreißt er ihn. Und Putin folgt am Tag darauf.
So fehlerbehaftet und reformbedürftig all diese Institutionen und Abkommen auch sein mögen, sind sie doch das Beste, was wir haben, und müssen verbessert, nicht sabotiert werden.
Im Mai vergangenen Jahres schrieb Trump das wohl düsterste Kapitel dieses Themenkomplexes, als er mit dem Iran-Nuklearabkommen unilateral aus einem der wichtigsten völkerrechtlichen Verträge der letzten Jahrzehnte ausstieg. Den in UN-Resolution 2231 kodifizierten Iran-Deal bezeichnete ich an anderer Stelle als „Blaupause für friedliche, lösungsorientierte Diplomatie im 21. Jahrhundert“. Trumps Zerreißen des Deals folgten dann auch präzedenzlose Sanktionen, direkte kriegerische Konfrontation beider Länder in Syrien und Anfang April die Klassifizierung iranischer Eliteeinheiten zur terroristischen Vereinigung – ebenfalls ein völkerrechtlich hochbrisantes Novum: nie zuvor wurde ein Regierungsorgan eines anderen Landes zum Terroristen erklärt.
Als Fortsetzung der völkerrechtswidrigen Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt und des Umzugs der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem erkannte Trump seiner anti-iranischen Agenda folgend am 26. März auch die syrischen Golanhöhen offiziell als israelisches Staatsgebiet an. In der von der Reagan-Regierung mitgetragenen UN-Resolution 497 von 1981 werden die Golanhöhen zwar als illegal von Israel besetztes Staatsgebiet Syriens festgeschrieben, doch traf sich Trump mit den Anti-Iran-Falken Netanjahu, Bolton, Pompeo und Kushner zur feierlichen Unterzeichnung der Urkunde in Washington. Als Dankeschön wird Netanjahu eine neue illegale Siedlung auf dem Golan nach Trump benennen. Völkerrechtsbruch zum zeremoniellen Pomp aufgeblasen, zum Medienzirkus degradiert.
Der Krieg gegen den IStGH
Auf Basis einer vorläufigen Untersuchung aus 2016 beantragte die IStGH-Chefanklägerin Fatou Bensouda 2017, wegen Kriegsverbrechen in Afghanistan Strafverfahren einzuleiten. Neben den Taliban und den afghanischen Streitkräften sollte auch gegen das US-Militär und die CIA wegen Folter und Vergewaltigung von Kriegsgefangenen in den Jahren 2003-2004 ermittelt werden. Zwar sind die USA kein Mitglied des IStGH – doch ist seit 2003 Afghanistan eines, weshalb sämtliche Kriegsverbrechen auf afghanischem Territorium in der Zuständigkeit des Gerichtshofs liegen. „Der IStGH ist für uns gestorben“, wetterte Trumps Sicherheitsberater John Bolton in einer Hasstirade auf das Kriegsverbrechertribunal im September 2018 und drohte gleichzeitig seinen Ermittlern: „Wir werden sie in den USA strafrechtlich verfolgen.“
Mitte März legte Trumps Außenminister Mike Pompeo nach und verkündete eine neue US-Richtlinie von Visa-Restriktionen gegen IStGH-Personal und drohte mit ökonomischen Sanktionen gegen Den Haag. Pompeo betonte, er unterstützte zwar die Verfahren gegen Jugoslawien und Ruanda und würde auch solche gegen Syrien und Myanmar begrüßen, doch da Ermittlungen gegen die USA „politisch motiviert“ seien und „die nationale Souveränität der USA“ bedrohten, lehnt er diese kategorisch ab – die Arroganz des Empire, US-Exzeptionalismus in Reinstform.
Die Causa Fatou Bensouda
Anfang April machte Trump die Drohung schließlich wahr – ohne Pulver zu verschießen, direkt an der Spitze – und entzog das Visum der IStGH-Chefanklägerin Fatou Bensouda. Die gambische Juristin warnte, der IStGH „wird sich auch weiterhin offenen Feindseligkeiten gegenübersehen“, zeigte sich jedoch noch optimistisch-unbeeindruckt: „Sie können uns nicht davon abschrecken, unsere Arbeit zu tun.“ Sich der Tragweite der Ereignisse vollkommen bewusst, kochte die Welt der Menschenrechts-NGOs und internationalen Juristenverbände vor Empörung, während die EU zwar ihre „ernste Besorgnis“ zum Ausdruck brachte, mit ihren hohlen Floskeln jedoch selbst bei einer derart historischen Zäsur einmal mehr ihre transatlantische Unterwürfigkeit demonstrierte.
Die Causa Bensouda stellt einen gefährlichen Präzedenzfall dar. Fragen über Washingtons weiteres Vorgehen im Krieg gegen das Völkerrecht drängen sich auf: Als die Vereinten Nationen beschlossen, das UN-Hauptquartier in New York anzusiedeln, schlossen die USA als Gastgeberin mit den UN das UN Headquarters Agreement von 1947, in dem Immunität ausländischer Diplomaten sowie der reibungslose Ablauf des UN-Tagesgeschäfts zugesichert wurden. Was folgt nun auf Bensouda? Werden in Zukunft iranische, russische oder nordkoreanische Diplomaten auf ihrem Weg zur UN am JFK Airport festgesetzt? Sollte Nicolas Maduro im Juni lieber nicht zur UN-Generalversammlung nach New York aufbrechen?
Mit dem Visumsentzug von IStGH-Chefanklägerin Bensouda stieß Donald Trump das Tor in eine potentiell düstere Zukunft auf. Parallel zu seinem Kampf gegen Meinungsfreiheit, Whistleblower und die „Staatsfeinde“ der Presse schafft die Trump-Regierung nun auch auf dem Gebiet des internationalen Völkerrechts eine feindselige Atmosphäre der Einschüchterung und drohenden Verfolgung ihrer Protagonisten. Es herrscht Krieg. Und neben all den physischen Schlachtfeldern, der Ökonomie, der Medien und dem Cyberspace wird das Völkerrecht zum neuen Kriegsschauplatz – nicht im Innern von Gerichten, sondern in Form von Angriffen auf den Prozess als solches. Wenige Tage, nachdem das US-Visum von Chefanklägerin Bensouda entzogen wurde, verkündete der Gerichtshof, er werde keine Afghanistan-Verfahren einleiten.
Titelbild: Chekalin Nikolai/shutterstock.com