„Wir haben uns als Familie am 6. April an Hubertus Heil und am 14. April an Karl-Josef Laumann gewandt. Bisher hat keiner von beiden geantwortet, es gibt kein Signal für eine Lösung des Problems.“ Das sagt Thomas Wasilewski im Interview mit den NachDenkSeiten. Wasilewski, der nach 35 Jahren berufsunfähig geworden ist, bezieht Hartz IV – wie seine drei Söhne im Alter von 12, 14 und 17 Jahren. Aufgrund der aktuellen Corona-Situation benötigen sie dringend einen Computer. Das Jobcenter Mönchengladbach und das Sozialgericht Düsseldorf haben dagegen entschieden. Im Interview erzählt Wasilewski von der Situation und zeigt so auf, was es heißt, arm in einem reichen Land zu sein. Von Marcus Klöckner.
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Herr Wasilewski, Sie beziehen Hartz-IV und Ihre Söhne benötigen dringend einen Computer für die Schule. Doch das Jobcenter in Mönchengladbach hat den Antrag abgewiesen.
Würden Sie uns bitte mitteilen: Wie stellt sich für Sie die Situation dar? Warum genau benötigen Ihre Söhne einen Computer?
Meine Söhne sind 12, 14 und 17 Jahre alt und besuchen öffentliche Schulen, die aufgrund einer Verfügung der Landesregierung in Nullkommanichts geschlossen wurden. Bisher hatten wir leihweise einen Computer von meiner Schwester, den braucht sie in der Corona-Krise im eigenen Homeoffice. Infolgedessen waren wir technisch nicht auf den Hausunterricht in der Corona-Zeit vorbereitet. Von heute auf morgen benötigte ich für die Jungen einen Computer mit Monitor und Drucker. Ohne Rücklagen ist mir so eine Investition jedoch nicht möglich. Die Arbeitsblätter für den Hausunterricht werden im digitalen Zeitalter auf den Homepages der Schule veröffentlicht, können aber mit einem alten Smartphone nicht bearbeitet werden. Obendrein müssen die Arbeitsblätter erst ausgedruckt werden und einen Drucker haben wir nicht. Ein Homeoffice ohne Computer nur mit zwei alten Smartphones ist nicht praxistauglich. Dadurch ist das sogenannte Homeschooling für meine Söhne zu einem Wettbewerb des Unmöglichen geworden, ohne Computer ist für sie digitale Bildung einfach nur Science Fiction.
Ist die Versetzung Ihrer Söhne gefährdet?
Am 18. März dieses Jahres hat mein Sohn einen „Blauen Brief“ bekommen, seine Leistungen sind in einigen Fächern nicht ausreichend und deshalb ist die Versetzung gefährdet. Mein Sohn ist in ein tiefes Loch gefallen. In der Corona-Zeit sind alle sozialen Kontakte zu seinen Klassenkameraden unterbrochen. Deshalb ist die Situation für ihn ganz besonders schwierig und belastend, er fühlt sich hilflos, weil er noch nicht mal die technischen Möglichkeiten hat, um seine Wissenslücken in den angemahnten Fächern auszugleichen. Lernvideos zu schauen oder Arbeitsblätter und Text zu lesen, ist mit einem defekten Display problematisch. Wir wissen auch nicht, wie es nun weitergehen soll.
Was wären denn die Kosten, um die es geht? Ihre Söhne würden sicherlich auch einen Drucker benötigen, oder?
Dem Jobcenter haben wir ein Angebot eines Händlers vorgelegt, für einen Computer mit Monitor, Drucker und Software verlangt der Händler 750,00 Euro. Runtergebrochen belaufen sich die Kosten auf 250,00 Euro pro Kind.
Mit welcher Begründung haben denn das Jobcenter in Mönchengladbach und das Sozialgericht in Düsseldorf den Bescheid abgelehnt?
Wenn ich das Sozialgericht Düsseldorf und das Jobcenter Mönchengladbach richtig verstehe, bestehen Zweifel daran, ob die von den Schulen digital zur Verfügung gestellten Aufgaben verpflichtend sind. Zudem ist man anscheinend der Meinung, dass ein Computer und Drucker für Kinder aus armen Familien im Homeoffice überflüssig ist. Das Jobcenter betont, dass die Bearbeitung von schulischen Arbeitsblättern auch an einem Smartphone möglich sein müsste. Darüber hinaus braucht das Jobcenter Mönchengladbach für die Bearbeitung des Antrags länger Zeit und sieht hier in der Corona-Zeit keine besondere Dringlichkeit.
Wie sehen Sie diese Begründung?
Das Sozialgericht und das Jobcenter Mönchengladbach hätten eine weisere Entscheidung treffen können. Millionen Kinder haben keinen Computer und sind von der digitalen Welt ausgeschlossen. Aber die Chancenungleichheit ist zu einer empörenden Selbstverständlichkeit geworden und macht solche Entscheidungen erst möglich. Schaut man in die Schulen, haben Lehrer in NRW Anspruch auf einen Computer für den Heimarbeitsplatz. Hierfür kämpft die GEW schon längere Zeit und stößt bei den „Zahlmeistern“ immer auf Mauern der Gleichgültigkeit. In einer vergleichbaren Situation befinden sich die Schüler aus armen Familien. Von der digitalen Schule 4.0 sind Kinder aus armen Familien Lichtjahre entfernt, das rächt sich in der Corona-Krise. Die Entscheidungsunfähigkeit der Regierung wird hier auf dem Rücken der Lehrer und Schüler ausgetragen. Im Leben kann ich mir nicht vorstellen, dass meine Söhne an ihren alten Smartphones „Homeschooling“ erfolgreich gestalten können. Viele Dateien lassen sich schlichtweg nicht öffnen. Die modernen Lernplattformen wie „moodle“ könnten von meinen Söhnen nicht genutzt werden und würden so nur von Kindern reicher Eltern genutzt. Die Chancenungleichheit in Corona-Zeiten nimmt weiter zu und die Regierung schaut gleichgültig drein, kein „Untertan“ muckt auf, es ist mucksmäuschenstill. Erschreckend! Hinzu kommt, dass wochenlanger Hausunterricht ohne ordnungsgemäße Teilnahme am Unterricht bestimmt keine gleichen Bildungschancen schafft. Durch meinen häuslichen Unterricht kann die Schulpflicht oder der Schulbesuch meiner Söhne nicht erfüllt werden. All das halte ich für unerträglich und ungerecht.
Sie haben am 14. April einen Brief an den Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-Westfalen geschickt. Hat Ihnen Karl-Josef Laumann geantwortet?
Wir haben uns als Familie am 6. April an Hubertus Heil und am 14. April an Karl-Josef Laumann gewandt. Bisher hat keiner von beiden geantwortet, es gibt kein Signal für eine Lösung des Problems. Was soll ich als Bürger von solchen Ministern halten? Das ist keine Sternstunde für uns, denn wir hatten natürlich etwas Empathie erwartet.
Sie haben uns den Brief dankenswerterweise zur Verfügung gestellt. In dem Brief heißt es, die ehemalige NRW-Schulministerin Barbara Sommer habe gesagt: „Kein Kind darf in unserem Schulsystem verlorengehen.“ Sie bitten Minister Laumann eindringlich um rasche Hilfe.
Haben Sie Hoffnung, dass Herr Laumann sich des Problems Ihrer Söhne annimmt?
Ein Sozialminister, der in diesen Zeiten die Fördermittel der Arbeitslosenzentren in NRW streicht, macht damit deutlich, welchen Stellenwert arme Menschen haben. Zuerst kümmert sich der Staat um systemrelevante Kinder, das erweckt bei mir das Gefühl, der „schäbige Rest“ wird ausgeblendet. Um es auf den Punkt zu bringen: Es ist unanständig, dass Kinder aus Moria oder aus Hartz-IV-Familien verrecken oder verblöden. Es ist haarsträubend, dass nur über die Abiturprüfungen gesprochen wird und „Unterschicht-Kinder“ mit Schulproblemen alleingelassen werden. Aber es ist eine Selbstverständlichkeit in diesem Land! Diese Chancenungleichheit hört nicht auf, nur weil der Herr Minister sie nicht sehen will. Er muss etwas tun – und bei uns stirbt die Hoffnung zuletzt.
Die taz hat über den Fall berichtet. In dem Artikel führt die Zeitung an, dass im Regelsatz auch 2,51 Euro pro Erwachsenem und 2,07 Euro pro Kind „für Kauf und Reparatur von Festnetz- und Mobiltelefonen und anderen Kommunikationsmitteln“ einberechnet sind. Für den Betrag kann man sich im Billigladen eine Packung Buntstifte kaufen, aber keinen Computer. Was müsste sich ändern?
Das Grundrecht auf Bildung passt nicht zum Hartz-IV-Kind. Das Recht wird von den Verantwortlichen nicht ernst genommen und einfach beiseitegeschoben. Das ist für die Mächtigen ganz einfach. Den Ärmsten und Schwächsten fehlt die Kraft, sich zu wehre Sie sind wehrlose Opfer und oft erinnert es mich an den Kälbermarsch von Berthold Brecht. Zudem werden die Werte des Grundgesetzes, das die Schwächsten schützen soll, durch unsere Volksvertreter nach Kassenlage ausgelegt. Ändern müsste sich also die Moral in diesem Land. Nächstenliebe, Barmherzigkeit und Solidarität fallen nicht vom Himmel und Grundrechte sollten grundsätzlich gelten.
Dürfen wir Sie fragen: Warum beziehen Sie Hartz IV?
Ich bin nach 35 Berufsjahren erwerbsunfähig geworden und kann nicht mehr arbeiten. Die kleine Rente reicht nicht zum Überleben.
Wie machen sich, wenn es um Ihre Kinder geht, die knappen finanziellen Mittel noch bemerkbar?
In den Ferien ist für meine Söhne im Schwimmbad Endstation. Die Frage Eisdiele oder Aldi-Eis ist schon vor den Ferien entschieden. Blamabel wird es für die Kinder nach den Sommerferien, in den Gesprächsrunden am ersten Schultag nach den Ferien geht es um den Urlaub. Das ist der Horrortag für die drei und bereitet vorher viele schlaflose Nächte. Kleidung, Kino, Wochenendausflüge, Erlebnisse – in einer Welt, die auf Konsum ausgerichtet – spürt man die Armut jeden Tag. Das ist nicht schön. Dafür verbringen wir aber viel Zeit miteinander und lachen oft und gerne.
Wie nehmen Ihre Kinder die Lebenssituation wahr?
Für die Jungen ist es schwer, sie führen ein armes Leben. Sie erleben, dass, verzeihen Sie mir, wenn ich es so direkt sage, die Scheiße immer den Berg runterrollt – wer unten steht, kriegt alles ins Gesicht und hat in Corona-Zeiten noch nicht mal Klopapier. Die Worte hören sich zwar brutal an, beschreiben aber die Situation bestens. Doch im Grunde ist es noch viel schlimmer. Aber alle drei sind Kämpfer und wollen den Gipfel erklimmen. Das macht mich als Vater stolz.
Was ist Ihre Sicht: Was läuft im Hinblick auf unseren Sozialstaat falsch?
Im Umgang mit Hartz-IV-Empfängern wird oft gesprochen wie vor 80 Jahren, das macht mich wütend. Diese Art und Weise, über arme Menschen herzufallen, verleitet dazu, genauso zu handeln, wie man redet. Manche Medien und Volksvertreter bezeichnen die sogenannten „sozial Schwachen“, also die Unterschicht – also mich – also meine Söhne – als bildungsfern oder als Faulpelze, das ist ein Frontalangriff. Auch wird immer so getan, als sei ein Hartz-IV-Empfänger an seiner Situation selbst schuld. So kann man uns natürlich leicht verunglimpfen. Doch jeder, der seine Augen öffnet, kann sehen, dass in unserem Land die Ungleichheit wuchert. Politiker sprechen darüber, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht, und machen Wahlversprechungen wie „Weltbeste Bildung“. In der Realität wird jedoch Arbeitslosigkeit finanziert und an der Bildung gespart. Die größten Bruchbuden in Mönchengladbach sind unsere Lehranstalten. Diese Schieflage wird auf dem Rücken der Kinder und Lehrer ausgetragen und einige Volksvertreter finden das anscheinend bedenkenlos. Die Entscheidung des Jobcenters Mönchengladbach passt genau in dieses Muster. Heute schließen wir die Kinder von der digitalen Bildung aus und „morgen“ zahlen wir ihnen Hartz-IV und einen „Leergang“. Lieber finanzieren wir die Abwrackprämie für ein neues Auto oder eine Super Hornet als einen Schulcomputer für ein Kind. Das mag verstehen wer will – ich nicht. Und ehrlich gesagt finde ich das schäbig und sozial schwach.
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