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Heute unter anderem zu folgenden Themen: Die Mittelschicht verliert; Sanktionen gegen Hartz IV-Empfänger; sparen in den Niedergang; das W-Wort; Schiedsrichter für die Banken; Konjunkturorakel; Deutsche arbeiten länger; ein klein wenig Diktatur; „Eliten“ schreiben Merkel ab; Horst Köhler und die Koalition; Gauck und Bertelsmann; Kraft wollte nicht; Rohstoff der Träume; nehmt dem Neger die Tröte weg. (WL)

  1. Die Mittelschicht verliert
  2. Sanktionen im Bereich des Zweiten Sozialgesetzbuches
  3. Sparen in den Niedergang
  4. Die Kanzlerin und das W-Wort
  5. Schiedsrichter für die Banken
  6. Konjunkturumfragen
  7. Deutsche arbeiten wieder länger
  8. Ein klein wenig Diktatur
  9. „Eliten“ schreiben Merkel ab
  10. Horst Köhler und die Koalition: Geschichte eines Missverständnisses
  11. Gauck und Bertelsmann
  12. Lafontaine: Kraft wollte nicht wirklich mit uns verhandeln
  13. Rohstoff der Träume
  14. Nehmt dem Neger endlich die Tröte weg!

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Die Mittelschicht verliert

    1. DIW-Studie
      Arm und Reich driften in Deutschland immer weiter auseinander. Das ist das zentrale Ergebnis einer neuen Studie des DIW Berlin zur Einkommensverteilung in Deutschland auf Basis von Daten des Sozio-Oekonomischen Panels (SOEP). Die Studie zeigt deutlich, dass nicht nur die Anzahl Ärmerer und Reicherer immer weiter wächst – seit zehn Jahren werden ärmere Haushalte auch immer ärmer. Für die DIW-Experten Martin Gornig und Jan Goebel ist das eine besorgniserregende Entwicklung: „Dieser Trend verunsichert die Mittelschicht“, sagen sie. „Eine starke Mittelschicht ist aber wichtig für den Erhalt der gesellschaftlichen Stabilität.“
      Nur 60 Prozent der Menschen in Deutschland gehören noch zur Mittelschicht, mit Nettoeinkommen zwischen 860 und 1.844 Euro. 2000 waren es noch mehr als 66 Prozent. Stark gestiegen ist vor allem die Zahl der Menschen mit niedrigem Einkommen, von 18 Prozent 2000 auf fast 22 Prozent 2009. Zudem steigt die Zahl der Menschen mit Niedrigeinkommen nicht nur immer mehr an – diese Gruppe verdient auch in absoluten Zahlen immer weniger: Verdiente ein Singlehaushalt der unteren Einkommensgruppe 2000 im Schnitt noch 680 Euro, waren es 2008 nur noch 645 Euro. Gleichzeitig ist auch der mittlere Verdienst höherer Einkommensgruppen gestiegen, von 2.400 auf 2.700 Euro – der Abstand zwischen Arm und Reich vergrößerte sich also erheblich.
      Quelle 1: DIW
      Quelle 2: DIW Wochenbericht Polarisierung der Einkommen [PDF – 458KB]
      Quelle 3: Interview mit Jan Goebel, dem Mitverfasser der Studie: Besorgniserregend ist der langfristig gleichbleibende Trend [PDF – 258KB]

      Anmerkung WL: Ob allerdings diese Studie der Selbsttäuschung der Mittelschicht abhelfen kann ist fraglich. Siehe Ulrike Herrmann: Hurra, wir dürfen zahlen.

    2. Siehe dazu:

    3. Ulrike Herrmann: Es ist Zeit, umzudenken
      Es gibt kein anderes Industrieland, in dem die Reallöhne nicht nur in der Krise sinken – sondern sogar im Aufschwung. Die Zäsur ist genau datierbar, wie auch die neue DIW-Studie zeigt: Es ist das Jahr 2000. Damals regierte bekanntlich Rot-Grün, und ausgerechnet diese Koalition der selbst ernannten Weltverbesserer begann mit einer Politik, die die Mittelschicht systematisch erodiert und die Top-Verdiener begünstigt. Einige Stichworte sind: Senkung des Spitzensteuersatzes, Unternehmensteuerreform, Ausweitung des Niedriglohnsektors.
      Die folgenden Koalitionen haben dieses Klientelprogramm für die Reichen nur noch fortgesetzt. Dazu gehört dann etwa die Abgeltungsteuer oder die Reform der Erbschaftsteuer, die zu dem bizarren Ergebnis führt, dass Firmenerben selbst Milliardennachlässe völlig gratis übernehmen können und nicht einen Cent ans Finanzamt abführen müssen.
      Inzwischen wird selbst Konservativen klamm, wenn sie die gesellschaftliche Spaltung beobachten.
      Quelle: taz

      Anmerkung WL: Die Hoffnung von Ulrike Herrmann kann ich nicht ganz teilen, denn die CDU-Wirtschaftsführer könnten zwar mit einer Anhebung des Spitzensteuersatzes leben, aber gleichzeitig fordern sie eine Senkung der Unternehmenssteuer.

    4. Die Antwort der Oberschichten-Presse

    5. Die falschen Freunde der armen Deutschen
      Eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforderung (DIW) euphorisiert die Hobby-Soziologen in Gewerkschaften, Medien und bald auch Politik. Ihr von Käthe Kollwitz designtes Weltbild wird bestätigt. Scheren öffnen sich, Klüfte vertiefen sich, und Risse reißen weiter auf.
      Auf eine sich ausdifferenzierende Gesellschaft wird seit Jahrzehnten mit einer stets gleichermaßen undifferenzierten Umverteilungslogik reagiert.
      Dabei bietet die Studie einen aufregenden und erfreulichen Trend. Gehörten im Jahr 2000 nur 16 Prozent zu den Wohlhabenden im Land, so ist diese Zahl im Jahr 2008 auf 19 Prozent gestiegen. Dies ist mithin fast ein Fünftel der Gesellschaft.
      Ein Urversprechen der Siebzigerjahre-Sozialdemokratie ist eingelöst: das des selbst verantworteten sozialen Aufstiegs.
      Die Perspektivlosigkeit weiter Teile des Prekariats hat auch mit der paternalistischen Entmündigung durch seine falschen Freunde zu tun. Nur als Opfer dienen die Armen deren Interessen. Wer diese Menschen in die Arbeit zwingen will – also in die Logik von Leistung und Vergütung – gilt als kaltherzig.
      Quelle: Die Welt

      Anmerkung WL: Wenn es dem oberen Fünftel besser geht, dann ist ja alles in Ordnung in dieser Gesellschaft. Man braucht sich nur noch anzustrengen und nicht in seiner paternalistischen Entmündigung zu verharren.
      Richtig ist allerdings, dass nun (vorübergehende) die Betroffenheitsrhetorik von Spiegel und anderen Leitmedien eher heuchlerisch wirkt, haben diese doch über Jahre hinweg diesen Weg der Umverteilung nicht nur begleitet sondern aktiv vorangetrieben.

  2. Sanktionen im Bereich des Zweiten Sozialgesetzbuches
    Im Jahr 2009 waren 126.946 der insgesamt 4.906.916 erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (SGB II) von einer Leistungskürzung auf null Euro betroffen. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung (17/1837) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (17/1642) hervor. Letztere hatte eine Übersicht der verhängten Sanktionen differenziert nach Altersgruppen und Sanktionsstufen erbeten. Für das Jahr 2007 beziffert das Ministerium für Arbeit und Soziales die Gesamtzahl der Hilfebedürftigen mit 5.098.218, unter denen 130.812 eine Leistungskürzung auf null Euro, und somit die höchstmögliche Strafe erfuhren. Im darauffolgenden Jahr war dieser Anteil bei einer Gesamtzahl von 4.798.063 Arbeitssuchenden und 131.443 entsprechend Sanktionierten um einen Prozentpunkt gewachsen. Als Gründe zur Verhängung von Sanktionen nennt die Regierung unter anderem Meldungsversäumnis, Weigerung zumutbarer Arbeit und Pflichtverletzung. Im Widerspruchsverfahren seien im Jahr 2009 26.896 Sanktionsentscheidungen zurückgenommen wurden, vor Gericht wurde im selben Jahr in 3.535 Fällen erfolgreich geklagt.
    Quelle: Deutscher Bundestag
  3. Harald Schumann: Sparen in den Niedergang
    Geht es nach der Merkel-Regierung, dann gibt es nur eine Lösung: Alle Euroregierungen sollen schnellstmöglich die Staatsdefizite auf das im Stabilitätspakt vereinbarte Niveau herunterfahren. Anschließend, so die Annahme, werden die Anleger an den Kapitalmärkten wieder Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit der Euroländer gewinnen, und alles wird gut. Doch dieses Konzept kann nicht funktionieren, weil es grundlegende wirtschaftliche Zusammenhänge ignoriert.
    Denn die zentrale Ursache für die Ausweitung der Staatsverschuldung ist, dass die Krise Unternehmen und private Haushalte ohnehin zum Sparen zwingt. In der Folge sind Nachfrage, Gewinne und Investitionen auf breiter Front eingebrochen und mit ihnen die Steuereinnahmen. Das schmutzige Geheimnis des Kapitalismus ist aber, dass entweder der private oder der staatliche Sektor Schulden machen und mit diesem Geld in neue Produktion und Infrastruktur investieren muss, wenn die Wirtschaft prosperieren soll. Darum war es richtig, mit kreditfinanzierten Konjunkturprogrammen die Krisenfolgen auszugleichen. Wenn nun aber alle 27 EU-Staaten gleichzeitig sparen, während Unternehmen und Verbraucher nach wie vor das Gleiche tun, dann ist der Rückfall in die Rezession programmiert und damit weitere Steuerausfälle und Defizite.
    Quelle: Tagesspiegel
  4. Die Kanzlerin und das W-Wort
    Für die einen war sie stets ein Albtraum, den anderen gilt sie als unverzichtbar. Seit der Grundsteinlegung für die Währungsunion Anfang der 90-er Jahre ist die Wirtschaftsregierung fester Bestandteil europäischer Reformdebatten. Die Kontrahenten waren meist die gleichen: hier die Deutschen mit einer überschaubaren Anzahl von Unterstützern, die vor staatlichem Interventionismus und einem Angriff auf die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank warnten; dort Frankreich, das − keineswegs allein − anmahnte, ein einheitlicher Markt sowie eine gemeinsame Währung benötigten zwingend auch eine engere Koordinierung der Wirtschaftspolitik. (…) Wenn es nach dem Willen der Kanzlerin geht, sieht die Marschroute so aus: Die EU-Finanz- und Wirtschaftsminister werden (weiter) an Einfluss verlieren, und die ohnehin mindestens viermal jährlich tagenden Chefs (der Europäische Rat) nehmen sich der Sache an. Der Bundesregierung liege viel daran, künftig die Wettbewerbsfähigkeit in Europa stärker zu überwachen, hieß es gestern in Berlin. “Fehlentwicklungen” im Kreise der 27 sollen aufgezeigt werden; eine “Schwachstellen-Analyse” soll Wachstumshemmnisse zwischen Lappland und Larnaka enttarnen; wo nötig, soll die Chefrunde auch Strukturreformen und Budget-Korrekturen anmahnen können.
    Quelle: FR

    Anmerkung unseres Lesers G.K.: Mit der Einführung des Euro wurde das “europäische Pferd” von hinten aufgezäumt, denn der Einführung der gemeinsamen Währung hätte eine stärkere europäische Koordination der Finanz-, Steuer- und vor allem der Lohnpolitik vorgeschaltet werden müssen. Dies wurde jedoch von den Marktfundamentalisten – insbesondere den hiesigen Neoliberalen – verhindert. Die europäische “Koordinierung” soll nach deren Willen den “Märkten” überlassen bleiben. So ist beispielsweise die Arbeitslosigkeit in den Augen der Neoliberalen vor allem eine Folge zu hoher Löhne. Folglich sind Reallohnsenkungen erforderlich, um die Arbeitslosigkeit abzubauen. Dass Löhne und Gehälter zugleich ganz maßgeblich die Nachfrage und damit die Entwicklung des Privaten Verbrauchs bestimmen, wird von den neoklassisch-marktfundamentalistischen Modellen ausgeblendet. Die neoliberale “Medizin” zur Behebung von Eurokrise und außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten innerhalb der Eurozone lautet dementsprechend: “Moderate” Lohnpolitik, “Strukturreformen” (z.B. “Deregulierung” der Arbeitsmärkte) und staatliche “Sparpolitik”. Aktuell läuft diese “Rezeptur” Gefahr, Europa in eine deflationäre Abwärtspirale zu führen. Merkel und die schwarz-gelbe Bundesregierung werden alles tun, um beispielsweise die dringend erforderliche Koordinierung der europäischen Lohnpolitik zu hintertreiben. Neoliberaler Dogmatismus in Deutschland und in der Eurozone gehen bei der schwarz-gelben Bundesregierung Hand in Hand. Siehe auch den Beitrag Heiner Flassbecks: “Das Falsche – zur falschen Zeit am falschen Ort”. Merkels angeblicher “Erfolg” gegenüber Sarkozy droht vor allem zu Lasten der Arbeitnehmer in Deutschland und in Europa zu gehen.

  5. Schiedsrichter für die Banken
    Die Bundesregierung schiebt den Umbau der Finanzaufsicht auf die lange Bank. Das ist ein Fehler. Neue Finanzmarktregeln brauchen erst recht schlagkräftige Aufseher. Die Bundesregierung hat eine weitere Reform abgeblasen: Das Finanzministerium sieht sich angesichts der Probleme mit der von der Koalition beschlossenen Zusammenführung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und der Bundesbank nicht mehr in der Lage, dieses Thema zeitnah zu bewältigen. Inoffiziellen Verlautbarungen war zu entnehmen, dass der Verzug bei der Neuordnung der Finanzaufsicht so schwerwiegend nicht sei. Wichtiger sei die Gestaltung des Regelwerks für die Finanzmärkte. Das wäre so, als würde man sich für die Fußballweltmeisterschaft mit der Definition der Spielregeln begnügen und auf die Nominierung der Schiedsrichter aber verzichten.Der einseitige Blick auf die Regeln verkennt, dass diese erst durch eine starke Aufsicht letztlich wirksam werden. Viele Fehlentwicklungen in den Finanzmärkten sind nur korrigierbar, wenn die Aufsicht gezielt interveniert. Die Empörung über manipulierende Spekulanten, wie es sie auch bei Leerverkäufen auf der Basis von Insiderinformationen gibt, führt bei uns zu dem billigen Ratschluss des Verbots. Angemessen wäre eine Stärkung der Aufsicht, um rechtswidriges Verhalten gezielt angehen zu können
    Quelle: FTD

    Anmerkung Orlando Pascheit: Man muss die Skepsis des Autors gegen ein Verbot von Leerverkäufen wie seinen Vorschlag, die Finanzaufsicht in eine GmbH zu überführen, nicht teilen, aber es ist schon bemerkenswert, dass sich der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) für eine stärkere Intervention der Aufsicht in die die Finanzmärkte ausspricht. Das IW tritt ansonsten wie kein anderes Institut für die Freiheit des Marktes ein. Die BaFin hat ihr Versagen in der Finanzmarktkrise u.a. mit mangelnden Ermittlungsbefugnissen und Eingriffmöglichkeiten begründet. Eine Stärkung der Interventionsmacht wie auch das Zahlen von marktfähigen Gehältern an die Mitarbeiter ist durchaus eine Überlegung wert.

  6. Konjunkturumfragen
    1. Krise war gestern
      Fast zwei Jahre nach Beginn der Finanzkrise macht sich in der deutschen Wirtschaft wieder Optimismus breit. Die Unternehmen sind so zuversichtlich wie vor der Rezession und planen neue Jobs. Erstmals seit Verschärfung der Finanzkrise im Herbst 2008 gab es mehr Firmen, die ihre Lage als gut einschätzten (28 Prozent), als solche, die sie für schlecht hielten (18 Prozent).
      Quelle 1: Tagesspiegel
      Quelle 2: DIHK [PDF – 653KB]

      Anmerkung Orlando Pascheit: Grundsätzlich ist es erstaunlich, wie ernst die Presse Umfragen zur wirtschaftlichen Zukunft nehmen. Aber selbst wenn man die Umfrage des DIHT ernst nimmt, ist es traurig, dass einfach die bereits sehr selektive und kurzgefasste Pressemeldung übernommen wird und Jubelmeldungen hoch stilisiert wird. Die Meldung, dass die Mehrheit der Unternehmen Lage und Zukunftsaussichten nicht als gut oder schlecht, sondern mit einem mageren befriedigend bzw. gleichbleibend einschätzen, wird einfach unter den Tisch fallen gelassen. Natürlich, kann man die Einschätzung, dass es nicht mehr schlimmer komme, positiv würdigen, aber ist die Krise dann schon vorbei?

    2. Schrecksekunde durch ZEW-Index
      Die Konjunkturerwartungen haben sich überraschend deutlich eingetrübt. Das zumindest signalisieren die Einschätzungen der Finanzexperten, die das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) befragt hat.
      Laut ZEW-Präsident Wolfgang Franz ist die derzeitige Erholung aus Sicht der befragten Analysten und institutionellen Anleger noch “fragil”. Die Politik sei gut beraten, notwendige Konsolidierungsschritte jetzt festzulegen, aber erst im Jahr 2011 umzusetzen, um die Konjunktur nicht abzuwürgen.
      Quelle: boerse.ARD.de

      Anmerkung WL: Nun scheint selbst der Oberkonsolidierer und Wirtschafts-“Weise“ Wolfgang Franz kalte Füße wegen des Sparkurses zu bekommen.
      Im Übrigen belegen die völlig unterschiedlichen Einschätzungen über die konjunkturelle Lage nur, wie wenig man sich um solche Vorhersagen kümmern sollte und lieber auf die nackten Tatsachen schauen sollte.

  7. Deutsche arbeiten wieder länger
    Der Aufschwung führt zu längeren Arbeitszeiten. Erstmals seit der Rezession stieg im ersten Quartal 2010 auch die Zahl der Überstunden. Die Beschäftigtenzahl in der Industrie ist hingegen weiter gefallen.
    Teilzeit legte dagegen weiter kräftig zu. Im Jahresvergleich gebe es 1,7 Prozent mehr Teilzeitbeschäftigte. Ihr Anteil an allen Arbeitnehmern beträgt der Studie zufolge inzwischen 34,8 Prozent.
    Quelle: Handelsblatt

    Anmerkung unseres Lesers J.D.: Ich würde diese Zahlen allerdings vorsichtig interpretieren, da

    • nur wenige Betriebe ihr Personal aufstocken, wodurch die Belegschaften bei mehr Aufträgen natürlich Überstunden machen müssen.
    • in der Leiharbeit sich meistens Verträge mit einer 35-Stunden-Woche finden. Hier werden natürlich dann schnell Überstunden gemacht. Dies ist auch so gewollt, da diese Stunden auf Zeitkonten gehen, um bei Auftragsflaute diese Überstunden abfeiern zu dürfen (müssen). Darum sind diese Zeitkonten meist mit 100 und mehr Stunden zu füllen, bevor die Überstunden dann endlich ausgezahlt werden.

    Das heißt auch, dass der Aufschwung – vorausgesetzt es gibt ihn wirklich – an den Arbeitern und Angestellten wohl zumindest vorerst mal vorbeigehen wird.

  8. Ein klein wenig Diktatur
    Außenpolitiker aus dem Berliner Establishment diskutieren über einen möglichen Nutzen diktatorischer Regierungsformen. Nach Auffassung mancher Beobachter befinde sich der Westen derzeit in einem “Zustand der Erschöpfung demokratischer Energie und der Erosion demokratischer Institutionen”, heißt es in der aktuellen Ausgabe der führenden deutschen Zeitschrift auf dem Feld der Außenpolitik. Zugleich sei “verschiedentlich von diktatorischen Befugnissen und Maßnahmen die Rede”, wenn auch meistens im Sinne einer temporären Diktatur. Die zentrale Frage sei, ob “jenseits der Legalordnung Legitimitätsreserven angezapft” werden könnten, um “eine in die Jahre gekommene Ordnung” – die Demokratie – “zu verjüngen”, schreibt die Zeitschrift unter Nutzung von Begriffen, die der NS-Kronjurist Carl Schmitt in den 1930er Jahren verwendete, um die Außerkraftsetzung einer demokratischen Verfassung zu begründen. Der Artikel legt nahe, dass manche Wirtschaftsvertreter autoritären Maßnahmen keineswegs abgeneigt sind, und fragt, ob “der Verfassungsstaat im Systemwettbewerb” gegenüber China und Russland “noch bestehen” kann. Die Diktatur, urteilt der Autor, ein Beiratsmitglied der Berliner Bundesakademie für Sicherheitspolitik, “hat sich als Irrweg erwiesen”. Einer Grundsatzdebatte über den Nutzen diktatorialer Praktiken verweigert er sich jedoch nicht.
    Quelle: German Foreign Policy
  9. „Eliten“ schreiben Merkel ab
    1. Andreas Theyssen – Es reicht, Frau Merkel
      Schwarz-Gelb und die Bundeskanzlerin Angela Merkel führen unerträglich absurdes Theater auf. Ein CDU-Wähler verabschiedet sich. Angela Merkel, so wird kolportiert, zögere lange bei ihren Entscheidungen, weil sie als Physikerin die Dinge vom Ende her denke. Inzwischen aber muss man sich die Frage stellen, ob die Kanzlerin nicht besser an ihr Ende denken sollte. Ich tue es. Im September habe ich Angela Merkel und ihrer CDU meine Stimme gegeben. Das war, so muss ich heute gestehen, ein Fehler. Denn das, was sich diese schwarz-gelbe Chaostruppe erlaubt, ist beispiellos. Dabei sind wir wahrlich nicht verwöhnt. Die Anfangszeit von Gerhard Schröders Rot-Grün glich einem Tollhaus. Die Große Koalition startete mit einem mathematischen Wunder: Die CDU hatte die Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte erhöhen wollen, die SPD um null, nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen gab es einen Aufschlag von drei Prozentpunkten. Doch auch für Tollhaus gibt es noch eine verbale Steigerungsform. Sie heißt Merkelei. Merkel gilt als Taktikerin der Macht. Dagegen wäre per se nichts einzuwenden. Nur: Inzwischen ist sie zur reinen Taktikerin der Parteimacht verkommen, sieht die Welt nur noch durch ihre CDU-Brille, und damit heizt sie die Krise massiv an.
      Quelle: FTD

      Anmerkung Orlando Pascheit: Ein recht vielsagendes und erfrischendes Bekenntnis, vor allem vor dem Hintergrund zahlreicher Artikel des Leiters des Politikressorts der FTD.

    2. Top-Entscheider strafen Bundesregierung ab
      Deutschlands Führungsspitzen sind von der Bundesregierung zutiefst enttäuscht. Das ist das Kernergebnis des neuen Capital-Elite-Panels, eine Umfrage unter 533 repräsentativ ausgewählten Führungsspitzen aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung, die das Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) für Capital zwei Mal jährlich erhebt. Nur sechs Prozent sind mit der Arbeit von Schwarz-Gelb zufrieden, dagegen zeigen sich 92 Prozent enttäuscht. Mehr als drei Viertel (76 Prozent) halten die einstige Wunschkoalition für zu schwach, um die anstehenden Probleme zu lösen.
      Die Mehrheit der Wirtschaftsbosse traut der Bundesregierung eine erfolgreiche Sanierung der Staatsfinanzen nicht zu: 60 Prozent glauben nicht, dass der Bund die Schuldenbremse einhalten wird. Die Führungsspitzen wären im Zuge des Sparpakets zu deutlich härteren Einschnitten bereit gewesen: 86 Prozent halten den Abbau von Steuervergünstigungen für akzeptabel, etwa bei Schicht- und Nachtarbeit.
      Quelle: Capital

      Anmerkung WL: Klar, dass die „Top-Entscheider“ beim Abbau von Steuervergünstigungen zuerst an die Steuerentlastung bei Schicht- und Nachtarbeit denken. Diese „Eliten“ werfen Merkel eigentlich nur vor, dass sie nicht gut genug nach deren Pfeife tanzt und nicht in der Lage ist für deren Melodie ausreichende Zustimmung zu schaffen.

  10. Horst Köhler und die Koalition: Geschichte eines Missverständnisses
    Horst Köhler galt 2004 als Vorbote einer neuen schwarz-gelben Reformzeit. Doch als Union und FDP tatsächlich 2009 an die Macht kamen, war der Bundespräsident entrückt.
    Quelle: SZ

    Anmerkung WL: Siehe dazu Der schwarz-gelbe Präsident: „Zur Freiheit gehört Ungleichheit“ und zahlreiche andere Artikel über Horst Köhler in den NachDenkSeiten.

  11. Nur nebenbei:

  12. Gauck und Bertelsmann
    Am Donnerstagabend, 21. Januar (2010), wird die Bundeskanzlerin ab ca. 18 Uhr an der Veranstaltung anlässlich des 70. Geburtstages von Joachim Gauck in der Bertelsmann-Repräsentanz Berlin teilnehmen und dort auch ein Grußwort sprechen. Die Veranstaltung wird als Podiumsgespräch mit dem Titel “Die friedliche Revolution 1989/1990 in Deutschland und Mittel- und Osteuropa” vom Siedler-Verlag und der Bundeszentrale für politische Bildung organisiert. Die Veranstaltung ist presseöffentlich.
    Quelle: Bundesregierung
  13. Lafontaine: Kraft wollte nicht wirklich mit uns verhandeln
    Herr Lafontaine, die Kanzlerin wirft der NRW-SPD eine Verweigerungshaltung vor. Stimmen Sie ihr zu?
    Lafontaine: Ich stimme ihr zu. Aber ich wundere mich. Frau Merkel profitiert davon. Frau Kraft trägt die Verantwortung dafür, dass Sozialabbau im Bundesrat eine Mehrheit hat.
    Deswegen plädiert Sigmar Gabriel dafür, dass sich Frau Kraft zur Ministerpräsidentin wählen lässt. Sie soll regieren, um andere am Regieren zu hindern. Ist es nicht zu tricky?
    Lafontaine: Nein, ich teile Gabriels Argument. In dem Moment, in dem Rüttgers dem Sparpaket im Bundesrat zustimmt, ist es um Krafts Glaubwürdigkeit geschehen. Sie spielt Rüttgers in die Hände.
    Aber die SPD hält sie für regierungsunfähig.
    Lafontaine: Es ist absurd, wenn die SPD meint, sie müsste die Linke auf Demokratie und auf Rechtsstaatlichkeit prüfen.
    In der heutigen Führung der Linken sind fünf ehemalige Sozialdemokraten und zwei ehemalige Mitglieder der SED. Alle anderen sind später zur Linken gestoßen.
    Quelle: Thüringische Landeszeitung
  14. Rohstoff der Träume
    Die Nachricht kam zur rechten Zeit. Afghanistan verfügt offenbar über ungeheure Rohstoffvorkommen, die dem Land glänzende Zukunftsperspektiven verheißen. Dies hat zu Wochenbeginn die militärischen Entwicklungen am Hindukusch erst einmal in den Hintergrund gedrängt: Das Eingeständnis des Kommandeurs der Nato-Schutztruppe, US-General Stanley McChrystal, dass die Offensive der Nato in der Provinz Helmand stockt und der als Entscheidungsschlacht angekündigte Vorstoß in der Talibanhochburg Kandahar bis auf weiteres verschoben wird. Für den internationalen Militäreinsatz in Afghanistan kommt dies beinahe einer Bankrotterklärung gleich. Vielleicht ist es daher kein Zufall, dass die „New York Times“ gerade jetzt Ergebnisse von vielversprechenden Luftmessungen und Probebohrungen aus Afghanistan verbreitet und US-Regierungsstellen Afghanistan zum „Saudi-Arabien des Lithium“ausrufen, jenem Stoff, der etwa für Akkus und Laptops gebraucht wird. Nur einen Tag nach dem Beitrag vom Montag berichtet das Blatt, Obama laufe Gefahr, zum Ende seiner ersten Amtszeit mehr Truppen in Afghanistan zu haben als zu Beginn. Wer die Logik amerikanischer Politik kennt, der weiß, dass dies keine guten Aussichten für den Präsidenten sind. Erfolgsmeldungen, die noch dazu indirekt eine Legitimation für einen längeren Afghanistaneinsatz bieten, dürften dem Weißen Haus daher höchst gelegen kommen.
    Quelle 1: Tagesspiegel
    Quelle 2: Tagesspiegel

    Anmerkung Orlando Pascheit: Erfreulich, dass etliche Zeitungen, wie auch der Tagesspiegel, der ansonsten für den Afghanistaneinsatz plädiert, entdecken, dass die vom Pentagon lancierten Meldungen den USA gelegen kommen.

  15. Das Allerletzte: Nehmt dem Neger endlich die Tröte weg!
    Quelle: Spiegelfechter

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