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Heute unter anderem zu folgenden Themen: Zerschlagung der Post; Briefe teurer; Gewinnsprung bei Goldman Sachs; Zusatzbeiträge für Millionen; FDP: gekaufte Politik; Arzneimittelprüfer muss gehen; Streit um Rente; Opel streicht; Hartz IV und die Folgen; gutes Geschäft mit Nacktscannern; Balance zwischen Markt und Staat; Gabriels Absage an die Linke in NRW; Hessenkrimi; schneller lernen, leiden lernen; Europäische Offensive; Workfare als Standortfaktor; Euro im Sog von Hellas; Haiti eine Katastrophe wird zum Politikum; Kritik: Hart, aber fair; Nachruf auf Diether Posser. (MB/WL)

  1. Zerschlagung der Post
  2. Portoanhebung: Briefe sollen teurer werden
  3. Gewinnsprung bei Goldman Sachs
  4. Millionen Versicherte sollen hundert Euro Zusatzbeitrag zahlen
  5. FDP: Wer die Politik bezahlt, kann auch bestellen, was er will
  6. Oberster Arzneimittelprüfer muss gehen
  7. Lebensversicherer kürzen heimlich die Leistungen
  8. Abzocke oder sinnvolle Vorsorge? Der Streit um Riester
  9. Bund hübscht Mitarbeiterfonds auf
  10. Opel streicht 4000 Stellen in Deutschland
  11. WDR-Politikum zum Luxemburger Richterspruch und zum Börsenboom
  12. Hartz IV und die Folgen
  13. Nacktscanner-Hersteller: Gutes Geschäft mit der Angst
  14. Robert von Heusinger: Eine Frage der Balance
  15. Politik, wozu?
  16. Sigmar Gabriel hält Linke nicht für regierungsfähig
  17. Wolf Wetzel: Hessenkrimi
  18. Abgeordnete wegen Plakats festgenommen
  19. Doch keine Solidarität mit DIW-Chef
  20. Schneller lernen, leiden lernen
  21. Europäische Offensive
  22. „Workfare – ein Standortfaktor für Europa? Nationale Umsetzungen der Lissabon-Strategie“
  23. Der Euro im Sog von Hellas
  24. Haiti: eine Katastrophe wird zum Politikum
  25. Frank Schirrmacher: “Natürlich nicht unter meinem wirklichen Namen”
  26. Fernsehkritik: Hart aber fair „Genug ist noch zu wenig – warum regiert uns die Gier?
  27. Ein später Nachruf auf Diether Posser

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Zerschlagung der Post
    1. FDP-Politiker drohen Post mit Zerschlagung
      Die Deutsche Post muss um ihre Marktmacht bangen: Wirtschaftsexperten der FDP erwägen die Zerschlagung des Konzerns. Grundlage ist das von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle erdachte Entflechtungsgesetz.
      Das Gesetz sei fast auf das gesamte Briefgeschäft des Konzerns anzuwenden, berichtete das “Handelsblatt” am Donnerstag unter Berufung auf ein vertrauliches Papier der Arbeitsgruppe Wirtschaft der Fraktion.
      Bisher galten die großen Energiekonzerne als Hauptadressaten des von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) geplanten Gesetzes. Grundlage einer verhältnismäßigen Entflechtung der Post sei “ihre anhaltende Marktbeherrschung im Briefmarkt trotz langjähriger Regulierung”, zitierte die Zeitung aus dem Papier der Fraktionsexperten. Nach deren Einschätzung seien bei dem Unternehmen alle im Gesetz für die Entflechtung vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt.
      Quelle: Spiegel Online

      Anmerkung WL: Jetzt ist also die Katze aus dem Sack. Da wurde in populistischer Weise der Eindruck erweckt, als ginge es bei dem Entflechtungsgesetz vor allem um die „Zerschlagung“ der Energiekonzerne. Doch kaum holten die Energielobbyisten zum „Gegenschlag“ aus, knickt die FDP ein und will das Gesetz nun gegen die Post wenden. Die Post kann anders als die Energieversorger sich dagegen kaum wehren; zwar hat der Bund keine eigenen Aktienanteile mehr, sie sind an die KfW übertragen worden, diese verfügt aber noch über etwa 30 Prozent der Aktien [PDF – 14 KB]. Die KfW steht unter der Regie des Bundes und wird mit Sicherheit nichts gegen die Zerschlagung unternehmen. Das die konsequente Fortsetzung der Privatisierung von Unternehmen der Daseinsvorsorge.

    2. Berlin dringt auf mehr Wettbewerb – Daumenschrauben für die Post
      Das Monopol ist weg, Konkurrenz muss die Post dennoch nicht fürchten. Berlin will das ändern. Im Visier: Steuerprivileg und Infrastruktur.
      Quelle: SZ

      Anmerkung MB: Über so schwachsinnige Ideen kann man einfach nur den Kopf schütteln. Mit dem Argument, es könne ja keiner wollen, dass jeder Wettbewerber eigene Briefkästen aufstellt und wir dann an einem Platz zehn verschiedene Briefkästen haben, hat der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP ja durchaus Recht. Schon Albrecht Müller bezweifelte in der „Reformlüge“ den volkswirtschaftlichen Nutzen von mehreren Paketdiensten, die nacheinander Kunden in der gleichen Straße beliefern. Aber die Idee, Konkurrenten sollten die Infrastruktur der Post nutzen, ist wirtschaftspolitischer Autismus. Wie soll das funktionieren, wenn unterschiedliche Postdienstleister Briefe in die gleichen Briefkästen einwerfen? Wer verteilt die Postsendungen nach der Entleerung an die verschiedenen Postdienstleister? Wer soll das bezahlen, regulieren, kontrollieren? Schon beim Wettbewerb auf dem Telefonmarkt kam es zu einem kaum überschaubaren Wirrwar von Tarifen, und eine eigene Regulierungsbehörde musste geschaffen werden. Aber Hauptsache Wettbewerb und dann von Bürokratieabbau faseln.

  2. Portoanhebung: Briefe sollen teurer werden
    Schlechte Nachrichten für Verbraucher: Die Deutsche Post will das Standardporto für Briefe von 55 Cent mittelfristig anheben. Eine Verteuerung noch in diesem Jahr scheitert an strengen Regulierungen.
    Quelle: Focus

    Ergänzende Anmerkung MB: Liebes Tagebuch. Eigentlich hätte ich im Herbst meine neue EC-Karte zugeschickt bekommen sollen. Dass ich sie nicht bekommen hatte, wurde mir bei meinem ersten 2010er Einkauf bewusst, als die EC-Karte verfallen war. Dann war ich bei meiner Volksbank und mir wurde erklärt, dass die EC-Karten bereits Ende Oktober 2009 verschickt wurden. Eine Ersatz-EC-Karte wurde bestellt. Na ja – dachte ich – seit der Privatisierung der Post gehen täglich bis zu 7.000 Postsendungen verloren; diesmal war ich das Opfer. Am Montag, den 18. Januar hatte ich den Umschlag im Briefkasten, mit Anschreiben vom 30. Oktober, ja wirklich. Einen Tag später bekam ich die Ersatz-EC-Karte.

  3. Gewinnsprung bei Goldman Sachs
    Die US-Investmentbank Goldman Sachs überrascht mit einem Gewinnsprung: 4,8 Mrd. Dollar verdiente sie allein im vierten Quartal, und 12,2 Mrd. im ganzen Jahr 2009. Nun konnte sie an die Rekordzahlen aus der Vorkrisenzeit anknüpfen. Trotz des glänzenden Abschlusses stellte die Bank im vierten Quartal keine zusätzlichen Mittel für Boni zurück. Die Angestellten müssen mit dem zurechtkommen, was die Bank in den ersten neun Monaten bereitgestellt hatte. Das ist nicht wenig. Insgesamt schüttet die US-Investmentbank 16,2 Mrd. Dollar an ihre Beschäftigen aus, 48 Prozent mehr als im Vorjahr. Damit bekommt jeder der 32’500 Mitarbeiter im Schnitt 498’000 Dollar. Das geht aus dem am Donnerstag vorgelegten Geschäftsbericht hervor. Die Goldman-Sachs-Banker zählen damit ohnehin zu den absoluten Top-Verdienern der Branche.- Gemessen an den Erträgen gibt sich Goldman Sachs aber betont bescheiden. Knapp 36 Prozent der Einnahmen gehen an die Mitarbeiter. Beim direkten Rivalen Morgan Stanley, der wesentlich schlechter verdient hat, sind es dagegen 62 Prozent – das entspricht 235’000 Dollar pro Mitarbeiter.
    Quelle: NZZ

    Anmerkung OP: 2008 machten die Personalkosten 48 Prozent der Einnahmen aus.

  4. Millionen Versicherte sollen hundert Euro Zusatzbeitrag zahlen
    Rund ein Dutzend Krankenkassen werden wohl schon bald Zusatzbeiträge erheben – in Höhe von fast hundert Euro pro Jahr, darunter auch die DAK. Mittelfristig droht allen gesetzlich Versicherten eine Erhöhung. Auch weil die Regierung lieber auf Klientel- als Sparpolitik setzt …
    Dass es mittelfristig bei den acht Euro bleibt, ist unwahrscheinlich. Das liegt nicht nur daran, dass die Kosten im Gesundheitswesen allein aufgrund der fortschreitenden Forschung steigen; die medizinische Inflation liegt bei rund vier Prozent pro Jahr. Mindestens genauso wichtig für den bevorstehenden Kostenanstieg ist die Tatsache, dass die schwarz-gelbe Koalition bisher vor allem Reformen plant, die zu einem drastischen Ausgabenplus führen dürften.
    So setzen Union und FDP im geradezu sozialistisch organisierten Medikamentenhandel auf mehr Regulierung statt Liberalisierung: Zugunsten der FDP-freundlichen Apotheker soll der Versandhandel über Drogerien und Supermärkte abgeschafft werden. Den Ärzten, überwiegend Anhänger der Liberalen, hat FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler höhere Honorare versprochen.
    Außerdem sollen die Rabattverträge überprüft werden, die die Krankenkassen mit den Pharmaherstellern abgeschlossen haben und die zu Millioneneinsparungen führen. Der Pharmaindustrie kommt es zudem sehr gelegen, dass Peter Sawicki, oberster Medikamentenprüfer der Republik, vor der Ablösung steht. Ein industriefreundlicher Nachfolger, der bei Arzneien nicht so genau auf Kosten und Wirkung gucken würde, käme den Herstellern sehr gelegen.
    Apotheker, Ärzte und Pharmaindustrie – an diese Gruppen hat die Koalition also bereits gedacht. Die Versicherten werden die schwarz-gelbe Politik dagegen wohl vor allem durch steigende Beiträge zu spüren bekommen. Da unterscheidet sich die neue Regierung nicht von der alten.
    Vielmehr liegt Kritikern zufolge der Verdacht nahe, dass der Bundesregierung die Einführung der Zusatzbeiträge und ihr rascher Anstieg nicht mal unrecht sind – handelt es sich doch um eine kleine Kopfpauschale. Und darauf will sie das System ohnehin umstellen.
    Quelle: SPIEGEL

    Anmerkung JA/AM: “Bürokratieabbau”, “mehr Netto vom Brutto”, “keine Klientelpolitik” – alles hohles Gerede. Kopfpauschale, das war eines der Markenzeichen des Leipziger Parteitags der CDU. Davon soll die „sozialdemokratisierte“ Angela Merkel nach Meinung einiger Meinungsmacher weit weg sein. Siehe dazu hier. Weit gefehlt, wie man an der praktischen Politik heute täglich sehen kann.

  5. FDP: Wer die Politik bezahlt, kann auch bestellen, was er will
    1. Die Rabatt-Könige der FDP
      Die Nähe der Liberalen zur privaten Versicherungswirtschaft geht über politische Kontakte weit hinaus. Zwischen der FDP und der Deutschen Krankenversicherung gibt es auch eine geschäftliche Kooperation: ein vergünstigtes Rundum-sorglos-Paket allein für Parteimitglieder.
      “Exklusiv für FDP-Mitglieder”, so lautet das Angebot. Genauer: die “liberale Alternative zur Gesundheitsreform”. So wirbt die Deutsche Krankenversicherung DKV, Europas größter Privatversicherer, auf der FDP-eigenen Internet-Plattform netzwerk-mit-nutzwert.de. Weitere Informationen? Nur für den, der sich als “FDP-Mitglied verifizieren” kann.
      Auf den Seiten der DKV wird es noch deutlicher. Das FDP-Logo prangt unter dem der DKV. Daneben drei glückliche Anzugträger und der Claim: “Freie Demokratische Partei und DKV – starke Partner”.
      Eine Partnerschaft, die sich auszahlt für FDP-Mitglieder und Mitarbeiter. Fünf Prozent Rabatt, Vorerkrankungen sind anders als üblich kein Grund, den Versicherungsschutz zu verweigern, Familienmitglieder werden mitversichert und Wartezeiten gibt es auch nicht.
      Quelle 1: SZ

      FDP und DKV

      Quelle 2: FDP und DKV Starke Partner

      FDP und SIXT
      Quelle 3: www.netzwerk-mit-nutzwert.de

      Anmerkung WL: Das hat man unter der von Westerwelle auf dem Dreikönigstreffen verkündeten „geistig-politischen Wende“ zu verstehen. „Mehr Freiheit zur Verantwortung“ kann man getrost so übersetzen, wir nehmen uns die Freiheit uns selbst zu bedienen.

      „Liebe Freunde der Freiheit, wir haben mit Unternehmen Sonderkonditionen für FDP-Mitglieder vereinbart. In unserem Netzwerk bieten Freunde der Freiheit ihre Produkte und Leistungen an. Ob Reisen, Übernachtungen, Versicherungen etc. Wenn Sie etwas suchen, schauen Sie doch erst mal hier vorbei.
      Ihre Bundesgeschäftstelle

      Dieser Rabatt-Deal der FDP mit der DKV geht weit über die politische Korruption hinaus. Bei allen politischen Zielen der FDP muss man sich offenbar zuerst fragen, welche Vergünstigungen die Partei und ihre Mitglieder von der jeweiligen Interessengruppe erhalten. Nur nebenbei: Zum ersten Februar wird Christian Weber, der bisherige Vize-Direktor des PKV-Verbands, als Abteilungsleiter ins FDP-geführte Gesundheitsministerium wechseln. Die Rabatte haben sich für die private Krankenversicherung wirklich gelohnt.

      FDP ist kaeuflich

      Copyright Klaus Hansen

    2. Die nächste Milliarde
      Es war der 9. November 2009, an dem das schwarz-gelbe Bundeskabinett vormittags das Wachstumsbeschleunigungsgesetz und damit die Senkung der Umsatzsteuer für Übernachtungen beschloss. Ein Milliarden- Geschenk für Hoteliers und Pensionsbetreiber, allesamt Mitglieder im Deutschen Hotel- und Gaststättenverband Dehoga. Just an diesem Abend feierte dessen Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges ihren 50. Geburtstag, ganz offiziell auf Dehoga-Einladung, allerdings im Haus der Parlamentarischen Gesellschaft gleich neben dem Reichstag, in die nur Bundestagsmitglieder einladen dürfen.
      Mit von der Partie unter anderem: FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, sein Staatssekretär und Ex-Tourismusbeauftragter der FDP, Ernst Burgbacher, Liberalen-Schatzmeister Hermann Otto Solms und von der CSU Verkehrsminister Peter Ramsauer und der Tourismusbeauftragte der schwarz-gelben Regierung, Ernst Hinsken. Voll des Lobes für die erfolgreiche Dehoga-Lobbyistin Hartges war nicht nur FDP-Mann Brüderle: „Machen Sie weiter so. Sie machen das prima.“ Auch CSU-Politiker Ramsauer hatte ein Geschenk dabei: Das sei die „erste Milliarde“ (Steuersubvention), sagte er, und versprach noch mehr: „Die nächste Milliarde kommt dann nicht erst zum 60.“
      Quelle: Tagesspiegel

      Anmerkung WL: Nach allem, was an Käuflichkeit durch Interessengruppen allein in den letzten Tagen an die Oberfläche schwappte, kann man bei solchen Sprüchen nicht mehr nur von dummen Scherzen sprechen, sondern dass hier unverfroren die bittere Wahrheit gesagt wird.

    3. Reine Privatsache
      Um auch mal ein gutes Wort über die FDP zu verlieren: Wenn bald Millionen gesetzlich Versicherten Briefe ihrer Krankenkasse ins Haus flattern, die ihnen einen Zusatzbeitrag ankündigen, haben die selbsternannten Liberalen damit wenig zu tun. Der einseitige Aufschlag für Arbeitnehmer und Rentner ist nicht auf dem Mist der FDP gewachsen, sondern von einem schwarz-roten Bündnis mit sozialdemokratischer Ressortchefin erkoren worden. So klar es um die Nicht-Zuständigkeit für Vergangenes steht, so vage ist, was der neue Gesundheitsminister allgemein für die Zukunft im Schilde führt und so alarmierend nehmen sich seine ersten konkreten Taten aus.
      Die Unklarheit über das große Ganze geht einher mit Taten und Fingerzeigen im Kleinteiligen. Wer soll in wenigen Tagen fürs Grundsätzliche und die Reformen zuständig werden im Beamtenapparat des neuen Ministers? Ein Spitzenfunktionär des Verbandes der Privaten Krankenversicherung. Woran noch mal wollte FDP-Mann Rösler “nicht rütteln”? Wem sollen laut Koalitionsvertrag demnächst wieder leichter Kunden zugeführt werden? Der PKV. Wo soll besonders kritisch hingeschaut werden? Beim Arzneimittelversand, wo es – Wettbewerb hin oder her – den der FDP besonders gewogenen Apothekern an den Kragen gehen könnte. Wer soll künftig in die Schranken gewiesen werden? Die pharmakritische Qualitätsprüfbehörde in Köln, die der Pillen-Industrie das Leben schwermacht und deren resoluter Chef jetzt rein zufällig wegen angeblicher Spesenvergehen und zu teurer Autos kurz vor dem Abschuss steht. Mit dieser unvollständigen Aufzählung soll wohlgemerkt nicht (nur) das Image der FDP als Klientel-Partei verfestigt werden. Wer als Bundesgesundheitsminister jedoch pausenlos verspricht, er wolle für die (zu 90 Prozent gesetzlich) Versicherten das System besser machen, der muss sich schon die Frage gefallen lassen, warum er mit seinen ersten Amtshandlungen durchweg Partikularinteressen bedient.
      Quelle: FR

    Dazu passt:

  6. IQWiG-Chef Sawicki: Oberster Arzneimittelprüfer muss gehen
    Der Krimi um IQWiG-Chef Peter Sawicki ist zu Ende: Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE soll der Chef des obersten Arzneimittelprüfinstituts seinen Posten räumen. Es ist ein Sieg der Interessenpolitik und der Pharmaindustrie über den Mann, der ihr lange Zeit ein Dorn im Auge war.
    Der Hauptgrund für Sawickis Rauswurf ist jedoch offiziell eine “Dienstwagenaffäre”…Tatsächlich jedoch bleibt bei näherer Betrachtung von der Dienstwagenaffäre wenig übrig: Ein von Sawicki in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten kommt zu dem Schluss, er habe keinesfalls gegen seinen Dienstvertrag verstoßen.
    Tatsächlich steckt viel mehr hinter Sawickis Rauswurf als Dienstwagen und Benzinquittungen. “Das riecht nach einer rein politischen Entscheidung”, sagt Norbert Schmacke, Gesundheitswissenschaftler von der Universität Bremen.
    Schon im Koalitionsvertrag hatten Union und FDP vereinbart, die Arbeit des Instituts zu prüfen und “damit die Akzeptanz von Entscheidungen für Patienten, Leistungserbringer und Hersteller” zu verbessern. Ende November wurde dann bekannt, dass Regierungskreise sowie die von FDP-Mitglied Baum geführte DKG offenbar die Ablösung Sawickis betrieben …
    Auch die Wirtschaftsminister der Länder (hatten sich) darauf verständigt, die IQWiG-Methodik sei nicht länger “volkswirtschaftlich hinnehmbar”. Bei der Bewertung von Arzneimitteln müssten auch Kriterien wie die “Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere der heimischen pharmazeutischen Unternehmen”, einfließen.
    Oft trieb das IQWiG mit seinen Entscheidungen die Pharmaindustrie auf die Barrikaden. Etwa mit seinem Urteil zu den kurzwirksamen Insulinanaloga, die von der Pharmaindustrie mit perfektem Marketing in den Markt gedrückt wurden. Sie seien nicht besser als herkömmliches Humaninsulin, entschied das Institut.
    Inzwischen hat sogar das renommierte Fachblatt “Science” über den Fall Sawicki berichtet. Die Überschrift: “Unter feindlichem Beschuss der Pharmaindustrie”.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung WL: Unbequeme Funktionsträger, die nicht so im Lichte der Öffentlichkeit stehen wie der ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, werden lautlos abgeschoben. Wo bleibt ein öffentlicher Protest, und wie nimmt sich die Bundestagsopposition dieses Falles an? Man muss in diesen Zeiten sofort daran denken, welche Gefälligkeiten die Pharmaindustrie wohl dem neuen Gesundheitsminister und seiner FDP erwiesen haben mag, um jemand, der sich gegen deren Interessen gestellt hat, mit lächerlichen Vorwürfen aus dem Amt zu jagen.

    Dazu:

    Offener Brief an Gesundheitsminister Rösler
    Quelle: Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. [PDF – 111 KB]

  7. Lebensversicherer kürzen heimlich die Leistungen
    Viele Lebensversicherer präsentieren sich besser, als sie sind. Im öffentlichen Bild dominiert die Zinsgutschrift, die bei vielen Anbietern für 2010 unverändert geblieben ist. „Doch dies ist nur die halbe Wahrheit“, stellt das Analysehaus Franke & Bornberg fest.
    Quelle: Handelsblatt
  8. Abzocke oder sinnvolle Vorsorge? Der Streit um Riester
    Riestern oder nicht riestern – das ist hier die Frage. Die Kritiker schimpfen über Gebührenschneiderei und gezielte Irreführung. Die Befürworter verweisen auf hohe Zulagen und die Notwendigkeit der privaten Vorsorge. Wer hat recht? Ein Verbraucherschützer, ein Branchenvertreter und ein Professor stehen Rede und Antwort.
    Quelle: Handelsblatt

    Anmerkung MB: Nach einigen kritischen Tönen wandelt sich der Beitrag leider zu einem undifferenzierten Sammelsurium von Empfehlungen. Interessant ist das Rumgeeiere von Peter Schwark (Gesamtverband der deutschen Versicherungsindustrie), der dann u.A. die Ausweitung der staatlichen Förderung fordert.

  9. Bund hübscht Mitarbeiterfonds auf
    Die Bundesregierung will Mitarbeiterfonds mit einer Gesetzesänderung zum Durchbruch verhelfen. Künftig sollen Arbeitnehmer bis zu 360 Euro im Monat von ihrem Bruttogehalt steuer- und abgabenfrei in ihr Unternehmen investieren können. Das geht aus einem Gesetzentwurf des Finanzministeriums hervor.
    Quelle: Financial Times Deutschland
  10. Opel streicht 4000 Stellen in Deutschland
    Das war’s für Opel in Antwerpen: Konzernchef Nick Reilly verkündete, dass das Werk in Belgien bis zum Sommer geschlossen wird. In Deutschland werden laut den jüngsten Plänen 4000 Opelaner ihren Job verlieren. Der Betriebsrat spricht von offenem Vertragsbruch.
    Quelle: Stern
  11. WDR-Politikum zum Luxemburger Richterspruch und zum Börsenboom
    EUGH gegen BVG? – Prof. Dr. Uwe Wesel kommentiert den Luxemburger Richterspruch gegen das deutsche Arbeitsrecht; Dax wieder oben und alles gut? – Ein Gespräch über die Tücken der Finanzmärkte mit Mr. Dax Dirk Müller.
    Quelle: WDR 5 Audiodatei von Politikum vom 21.01.2010
  12. Hartz IV und die Folgen
    1. Falsche Kochrezepte für den Arbeitsmarkt
      Eine Reform von Hartz IV darf nicht nur bei den Arbeitslosen ansetzen. Mehr Druck auf Hartz-IV-Empfänger fördert lediglich Lohndumping. Stattdessen müssen die Unternehmen in die Pflicht genommen werden.
      Quelle: Stern

      Anmerkung MB: Nachdem der Stern Jahre lang zu einem neoliberal-dogmatischen Boulevard-Magazin verkommen war, dass wir am liebsten nicht mal mit der Pinzette umblättern wollten, staunen wir nun über derart kritische Kommentare.

    2. Schluss mit der Hatz auf Hartz-IV-Empfänger!
      Wenn wir Arbeitsbereitschaft einfordern, dann müssen wir auch entsprechende Arbeitsplätze anbieten. Wenn wir das nicht können, müssen wir DARAN arbeiten. Wir können doch Hungernde nicht zum Essen zwingen, wenn nichts auf dem Tisch steht!?
      Quelle: BILD

      Anmerkung WL: Man fragt sich natürlich sofort, wie kann ein solcher Beitrag in die Bild-Zeitung geraten, wo doch seit langer Zeit eine systematische Hatz auf Hartz-IV-Empfänger getrieben wurde. Aber man sollte sich nicht zu früh freuen: Das ist einer der Alibi-Beiträge, mit denen dann die Diekmanns, wenn sie der Hetze bezichtigt werden, dann scheinheilig dokumentieren wollen, wie vielfältig die Bild-Zeitung doch ist. Die Bild-Zeitung ist ein Organ, das auch von vielen Arbeitslosen gelesen wird, weil sie vermeintlich billig ist. Um solche Leser nicht ständig vor den Kopf zu stoßen, muss halt auch wenigstens einige Male eine andere Meinung vorkommen.

    3. Rüdiger Böker: Stellungnahme zu den Ausführungen der Bundesregierung zur Ermittlung der Höhe von SGB XII-Regelsatz / SGB II-Regelleistung in den Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
      Zusammenfassung:

      • Die Ausführungen der Bundesregierung sind widersprüchlich, irreführend, unpräzise und in wesentlichen Punkten unwahr
      • Der Gesetzgeber hat in § 28 Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB XII (BGBl 1 2003, Seite 3022) das Ermittlungs-Verfahren für das sozio-kulturelle Existenzminimum festgelegt
      • Die Bundesregierung weigert sich, die Festlegungen des Gesetzgebers zu respektieren, und hat stattdessen eine andere, unzulässige Berechnungsbasis genommen
      • Der Gesetzgeber hat das Ergebnis der unzulässigen Berechnung (EUR 345) in § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II (BGBl 1 2003, Seite 2954) übernommen
      • Bei dem in § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II (BGBl 1 2003, Seite 2954) genannten Betrag (EUR 345) handelt es sich nicht um eine „Willens-Erklärung“ des Gesetzgebers, sondern lediglich um die Wiedergabe einer unrichtigen Behauptung der Bundesregierung
      • Bei gesetzes-konformer Umsetzung der im Bundesgesetzblatt veröffentlichten Vorgaben des Gesetzgebers (BGBl 1 2003, Seite 3022) ergibt sich ein Regelsatz in Höhe von EUR 460 monatlich für den Zeitraum 01. Januar 2005 bis 31. Dezember 2006

      Quelle: Tacheles [PDF – 1.6 MB]

  13. Nacktscanner-Hersteller: Gutes Geschäft mit der Angst
    Die USA wollen mindestens 450 neue, umstrittene Nacktscanner an den Flughäfen aufstellen. Davon profitieren zwei Firmen, die die Maschinen exklusiv bauen – und sich achtstellige Umsatzzahlen erhoffen.
    Quelle: Spiegel

    Anmerkung unseres Lesers H.L.: Ist das die gleiche Masche wie mit der Schweinegrippe? Es gibt immer einige, die verdienen …

  14. Robert von Heusinger: Eine Frage der Balance
    Es gibt viele Fälle, in denen erst der Staat durch eigene Unternehmen, wie Sparkassen oder sozialen Wohnungsbau, dafür sorgt, dass das Marktergebnis insgesamt gut wird. Es kommt auf das kluge Design von staatlichen und privatwirtschaftlichen Initiativen an. Es ist an der Zeit, den Irrglauben des Neoliberalismus zu korrigieren. Oder um es mit dem Wirtschaftsweisen Peter Bofinger zu sagen: “Konzeptionell muss es in allen Bereichen des Wirtschaftslebens darum gehen, von einem Staat unter der Aufsicht des Marktes wieder zu einem Markt unter der Aufsicht des Staates kommen.” Ganz konkret heißt das: Der Staat braucht kluge und gut bezahlte Experten, die das Design entwerfen. Und er braucht ausreichende finanzielle Mittel und darf nicht kaputtgespart werden.
    Quelle: Das Parlament

    Anmerkung Orlando Pascheit: Die Zeitschrift “Das Parlament” ist am 11. Januar mit dem Schwerpunkt “Privatisierung” herausgekommen. Auch wenn z. B. der Artikel zur Bahn in Großbritannien etwas Realität in die Debatte bringt, bewegen sich die Beiträge weitgehend im Rahmen des politischen Mainstreams, also pro Privatisierung, darunter ein selten unkritischer Bericht (Partnerschaft fürs Büffeln) über ein PPP-Schulprojekt in Köln, zu den Kosten kein Wort, keine Zahl. Schon eine Aussage wie “Allein aufgrund fehlenden Personals wie Bauingenieuren ist die Stadt nicht in der Lage” Renovierung und Umbau der Schule zu bewältigen, ist überhaupt kein Argument für PPP. Natürlich kann die Stadt eine Firma mit den Baumaßnahmen inklusive Planung beauftragen und muß dabei überhaupt nicht in das PPP-Geschäft einsteigen. Etliche Beispiele dafür, wie das schief gehen kann, finden sie auf den NDS z.B. hier.

  15. Politik, wozu?
    Viele werden die in der Überschrift aufgeworfene Frage schon mehr als einmal gestellt haben, sich selbst oder anderen. Nicht wenige werden, auf politische Themen angesprochen, auf diese Frage auch nur noch entnervt oder frustriert reagieren, und sähen sie deswegen lieber mit einem Ausrufe- als mit einem Fragezeichen versehen. Immer mehr Menschen haben schließlich aufgehört, diese Frage überhaupt noch zu stellen. Eine sinkende Wahlbeteiligung und die allseits beklagte Politikverdrossenheit sprechen dafür. Das politische Interesse der Menschen kann aber nur zurück gewonnen werden, wenn diese Frage wieder ernsthaft gestellt und beantwortet wird.
    Quelle: Wirtschaft und Gesellschaft
  16. Sigmar Gabriel hält Linke nicht für regierungsfähig
    Hessen, Saarland oder Brandenburg: Ob die SPD-Landesverbände mit der Linken Regierungsbündnisse eingehen wollten, sei allein ihre Sache, hieß es. Nun erteilt Parteichef Gabriel einer rot-rot-grünen Koalition in NRW eine Absage. Die Sozialdemokraten müssen klären, wer auf Länderebene das Sagen hat.
    Quelle: Welt

    Anmerkung WL: Die SPD ist lern-resistent. Man muss sicherlich keinen Koalitionswahlkampf führen und möglichst viele Stimmen bei sich versammeln, aber von vorneherein eine Koalitionsoption und damit eine Mehrheitsfähigkeit auszuschließen, wird auch in NRW zum gleichen Desaster führen wie im Bund.

  17. Wolf Wetzel: Hessenkrimi
    In der ›Steuerfahnderaffaire‹ in Frankfurt ist der Vorwurf der Steuerhinterziehung eine Bagatelle, ein kleiner Fisch. Dahinter verbirgt sich ein System, das Milliarden im Ausland außerbilanziell tarnt – nicht an der Regierung und den Gesetzen vorbei, sondern im Wissen und im Schutz der Regierung.
    Quelle: eyes wide shut, Blog von Wolf Wetzel
  18. Abgeordnete wegen Plakats festgenommen
    Die Bundestagsabgeordnete Dorotheé Menzner (Linke) ist in Prenzlauer Berg vorläufig in Gewahrsam genommen worden. Zusammen mit Jugendlichen aus der Linkspartei hatte Menzner am Mittwochabend versucht, Plakate gegen den für Februar geplanten Neonazi-Marsch in Dresden aufzukleben.
    Quelle: Tagesspiegel
  19. Doch keine Solidarität mit DIW-Chef
    Eine geplante Solidaritätserklärung der Abteilungsleiter zugunsten des Präsidenten Klaus Zimmermann fand doch nicht statt. Am Mittwoch hatte Klaus-Peter Schmidt-Deguelle, Zimmermanns Medienberater, die entsprechende Absicht der Abteilungsleiter bestätigt und von einem offenen Brief an Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner (SPD) gesprochen. Am Donnerstag hieß es dagegen im DIW: „Es gibt keinen Brief.“ Schmidt-Deguelle wiederum sagte, der Brief werde noch abgeschickt, wenn die Initiatoren alle Abteilungsleiter erreicht und einbezogen hätten. Das sei bislang nicht der Fall. Dem DIW und Zimmermann persönlich werden vom Rechnungshof Regelwidrigkeiten beim Umgang mit Steuergeldern vorgeworfen. Im Zusammenhang mit der Finanzkrise wird im DIW zunehmend auch der Führungsstil von Zimmermann und die erstaunlich hohe Fluktuation diskutiert. Seit dem Amtsantritt Zimmermanns vor zehn Jahren gab es eine Vielzahl von Vizepräsidenten, Geschäftsführern und persönlichen Referenten. In den so genannten Stabsabteilungen (dazu zählen Informationstechnik, Verwaltung, Personal und Kommunikation) gab es mehr als ein Dutzend Wechsel, die DIW-intern auch mit Zimmermann in Verbindung gebracht werden. Der Präsident gilt im eigenen Haus als misstrauisch und wenig kommunikativ. Von „Sonnenkönig“ und „Kontrollfreak“ ist ferner die Rede am Institutssitz in der Mohrenstraße.
    Quelle: Tagesspiegel

    Anmerkung WL: Übrigens beriet Schmidt-Deguelle auch Hans Eichel in Medienfragen. Es ist schon bemerkenswert, dass nun auch schon Forschungsinstitute bzw. deren Chefs Medienberater beschäftigen müssen. Wissenschaft als Marketing.

  20. Schneller lernen, leiden lernen
    Natürlich kann man ein Abitur nach zwölf Jahren machen, die ostdeutschen Länder machen es vor. Die Umstellungsphase in Berlin zeigt aber in einem Massenversuch unter Echtzeitbedingungen, was wir Kindern im Namen einer effektiveren Anpassung an die Leistungsgesellschaft zumuten.
    Quelle: Tagesspiegel
  21. Europäische Offensive
    Die Militärpläne der EU-Großmächte für dieses Jahrzehnt: Sich innerhalb der EU durchsetzen, die Außenpolitik militarisieren und Unternehmensinteressen sichern.
    Der am 1. Dezember in Kraft getretene Vertrag von Lissabon liefert nun auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, um die EU-Militarisierung zu forcieren. Bereits im Vorfeld begaben sich Europas Militaristen in die Startlöcher. In freudiger Erwartung wurden in den letzten Monaten zahlreiche »Wunschlisten« ausgearbeitet, welche Maßnahmen nun zu ergreifen seien. Der mit Abstand wichtigste Forderungskatalog ist in diesem Zusammenhang ein Sammelband des »Institute for Security Studies« (ISS) der Europäischen Union.
    Die Intensivierung dieser »zivil-militärischen Zusammenarbeit« (CIMIC) wird deshalb im ISS-Bericht in nahezu jedem Beitrag nachdrücklich gefordert, allerdings wird dort kaum näher spezifiziert, wie dies konkret erfolgen soll. In diese Bresche springt eine aktuelle Studie des einflussreichen »European Council on Foreign Relations«. Dort heißt es, die »dogmatische Unterscheidung« zwischen Sicherheits- und Entwicklungspolitik sei »obsolet«. Die EU müsse »ihre komplette Herangehensweise an Auslandsinterventionen überdenken.« Man müsse in der Lage sein, »Gewalt mit kürzerer Vorlaufzeit anzuwenden«. Für die 20 ohnehin unter permanenter Beobachtung stehenden »instabilsten« Staaten müsse jeweils ein EU-Sonderbeauftragter ernannt werden, unter dessen Ägide detaillierte Vorausplanungen erfolgen müssten: »Jeder Plan sollte einen Anhang haben, in dem Notfallpläne für militärische Interventionen enthalten sind.« Gleichzeitig sollen die zivilen Kapazitäten der EU massiv ausgebaut und engstens mit den militärischen Strukturen verzahnt werden. Als »Motivationshilfe« wird vorgeschlagen, dass EU-Länder, die die vorgegebenen Planziele verfehlen, künftig von jeglichen Führungspositionen in der EU ausgeschlossen werden. Generell lässt sich sagen, dass derzeit in der EU zusammenwächst, was in den Augen der führenden EU-Länder schon lange zusammengehört. So soll künftig etwa unter dem Dach des gerade im Aufbau befindlichen Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) die zivile und militärische Einsatzplanung ganz im Sinne einer »imperialen Machtpolitik aus einem Guß« untrennbar miteinander verzahnt werden.
    Exemplarisch seien hier die Aussagen von EU-Kommissionschef José Manuel Barroso in seinen »Politischen Leitlinien für die nächste Kommission« vom 3. September 2009 angeführt: »Der erfolgreiche Abschluss der Doha-Runde hat auch weiterhin oberste Priorität. Aber wir müssen uns auch für Freihandelszonen und Handelsvereinbarungen einsetzen und sicherstellen, dass bei Handelsrunden die Interessen der EU gewahrt werden. (…) Wir müssen daher stärker als bisher alle Register unserer Außenpolitik ziehen, um so mit ›sanfter Gewalt‹ solide Ergebnisse für die EU-Unternehmen und -Bürger zu erzielen. Das europäische Interesse muss in kohärenter Weise entschlossen geschützt und gefördert werden.«
    Quelle: Informationsstelle Militarisierung
  22. „Workfare – ein Standortfaktor für Europa? Nationale Umsetzungen der Lissabon-Strategie“
    Dokumentation einer Tagung der Forschungsgruppe „Der workfare state – Hausarbeit im öffentlichen Raum“ im Herbst 2008 in Dortmund, in der exemplarisch die aktuellen Veränderungen der Arbeits- und Sozialpolitik in Deutschland, Großbritannien, Niederlande und Dänemark dargestellt werden.
    Quelle: Wolfgang Richter, Irina Vellay (Hg.) [PDF – 550 KB]

    Das PDF-Dokument wurde uns von Irina Vellay zur Verfügung gestellt.

  23. Der Euro im Sog von Hellas
    Die europäische Gemeinschaftswährung notiert so tief wie zuletzt im August. Das große Thema an den Märkten: Griechenland. Die Zweifel an der Stabilität Europas mehren sich. Es ist ja noch nicht allzu lange her, da wurde bereits hitzig darüber diskutiert, wie tief der Dollar wohl noch fallen werde. Inzwischen ist es merklich still darum geworden. Kein Wunder: Am Mittwoch gab es in Asien gerade noch 1,4166 Dollar für einen Euro – so stark war die US-Währung zuletzt Mitte August vergangenen Jahres, und so schwach der Euro. In der westlichen Hemisphäre ging es danach noch weiter bergab für die europäische Gemeinschaftswährung. Am Nachmittag notierte sie bei 1,4109. Matthias Grabbe, Devisenspezialist bei der BHF-Bank, erwartet sogar, dass der Euro kurzfristig noch weiter unter Druck gerät. 1,40 und sogar darunter hält er für möglich.
    Quelle: Frankfurter Rundschau

    Anmerkung Orlando Pascheit: Es ist schon seltsam, wie Journalisten über Wechselkurse berichten. Steigt der Kurs einer Währung, so ist sie stark, fällt der Kurs, so schwächelt sie. Als ob ein Anstieg automatisch für die jeweilige Volkswirtschaft gut wäre und sinkende Kurse katastrophal wären. In anderen Zusammenhängen wird dann berichtet, dass z.B. ein tiefer Dollarkurs der Exportwirtschaft der USA helfe und somit genau das Richtige für die Krisenbewältigung sei, da damit das Handelsdefizit der USA verringert werde, das u.a. als Grund für den tiefen Dollarkurs gilt. Andererseits wird dann hierzulande über den hohen Eurokurs gegenüber dem Dollar gejammert, der die deutschen Exporte in den Dollarraum extrem verteuere und dann u.a. als Grund für Produktionsverlagerungen (z.B. von Mercedes) angeführt wird. Auf der Importseite freut man sich über einen hohen Eurokurs, da man für Importe aus dem Dollarraum weniger zahlen muß, wodurch z.B. ein ansteigender Ölpreis etwas kompensiert wird.

  24. Haiti-Katastrophe
    1. Haiti – Hilfe, Skurrilitäten und Kritik am Krisenmanagement der USA
      Quelle: Spiegelfechter
    2. Haiti vor neuer US-Besatzung?
      USA stocken ihre Truppen von 60 auf rund 10.000 Mann auf. Wachsende Kritik von Hilfsorganisationen und aus Lateinamerika. Gibt es eine verdeckte Agenda?
      Quelle: Telepolis
    3. Unter Zwangsverwaltung
      Kritiker warnen vor einer erneuten Kolonialisierung Haitis mittels der globalen Unterstützungsmaßnahmen nach dem dortigen Erdbeben. Die internationale Hilfe für Haiti sei “dringend notwendig”, dürfe aber nicht für “neokoloniale Einflussnahme” durch die USA und die EU missbraucht werden, fordert die Bonner Informationsstelle Lateinamerika, die seit 35 Jahren über die Entwicklung auf dem Subkontinent berichtet. Überlegungen, die polizeilich-militärische Präsenz von US-amerikanischen Truppen und EU-Polizisten auf Dauer aufrecht zu erhalten, werden tatsächlich in den westlichen Machtzentralen diskutiert. Man benötige “eine Methode, schlecht funktionierende Länder wie Haiti unter internationale Zwangsverwaltung zu stellen”, heißt es bei US-Think Tanks; die offene Übernahme staatlicher Aufgaben in Haiti durch die westlichen Großmächte hat inzwischen begonnen. Berlin, das in Südosteuropa umfangreiche Erfahrung mit Protektoraten gesammelt hat, ist in Haiti eher in zweiter Reihe involviert, beteiligt sich aber gleichwohl am Vorgehen der westlichen Mächte – im Rahmen der EU.
      Wie das Auswärtige Amt bemerkt, spielen derzeit in Haiti trotz aller Bemühungen der EU die Vereinigten Staaten “eine politisch und wirtschaftlich dominierende Rolle”.[5] Die Außenhandelszahlen verdeutlichen dies: Haiti bezieht rund die Hälfte seiner Importe aus den USA; etwa 80 Prozent seiner Ausfuhren werden in die USA verbracht. Die Obama-Administration hat bereits im Frühjahr 2009 begonnen, ihren Einfluss in Haiti zu verstärken und de facto mitzuregieren. Nach Gesprächen von Außenministerin Hillary Clinton mit dem demokratisch gewählten haitianischen Präsidenten René Préval im April ernannte der Generalsekretär der Vereinten Nationen den ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton zu seinem Sondergesandten für Haiti. Clinton ist dafür zuständig, Wirtschaftsprojekte und Investitionen in dem Karibikstaat anzusiedeln; das sind Tätigkeiten, die in souveränen Staaten der Wirtschaftsminister erledigt. Die Übernahme staatlicher Aufgaben, etwa der Flughafensteuerung, nach dem Erdbeben setzt die bereits vorher begonnenen Bemühungen fort, Haiti der direkten Kontrolle Washingtons zu unterstellen.
      Quelle: German-Foreign-Policy
    4. Frachtflugzeug von Ärzte ohne Grenzen wiederholt von Landung abgehalten
      Ein Frachtflugzeug von Ärzte ohne Grenzen mit 12 Tonnen medizinischer Ausrüstung, einschließlich Medikamenten, chirurgischem Material und zwei Dialysemaschinen, wurde seit Sonntagnacht dreimal von der Landung auf dem Flughafen von Port-au-Prince abgehalten. Dies trotz der wiederholten Zusicherung, dort landen zu können. Diese Fracht hatte Teile eines Charterfluges mit 40 Tonnen Hilfsgütern an Bord, der am Sonntagmorgen von der Landung abgehalten worden war. Seit dem 14. Januar wurden fünf Flugzeuge von Ärzte ohne Grenzen von ihrem ursprünglichen Ziel Port-au-Prince in die Dominikanische Republik umgeleitet. Diese Flugzeuge transportierten insgesamt 85 Tonnen medizinischer Hilfsgüter.
      Quelle: Ärzte ohne Grenzen (Österreich)
  25. Frank Schirrmacher: “Natürlich nicht unter meinem wirklichen Namen”
    Im Interview mit The European gesteht Frank Schirrmacher, Herausgeber der FAZ, dass er im Netz unter falschem Namen unterwegs ist. Nicht nur das: Er gewinnt dabei auch noch en passant neue Mitarbeiter für seine Qualitätszeitung.
    Quelle: Europeen
  26. Fernsehkritik: Hart aber fair „Genug ist noch zu wenig – warum regiert uns die Gier?
    Unsere Leserin Ursula Brümann hat uns ihre Kritik an der letzten Sendung [PDF – 57 KB] zur Verfügung gestellt.
  27. Ein später Nachruf auf Diether Posser
    Am Samstag, 9.Januar, ist der Essener SPD-Politiker Diether Posser mit 87 Jahren in einem Pflegeheim gestorben. Groß wahrgenommen wurde das in deutschen Medien nicht, obwohl er drei NRW-Landesregierungen als Minister angehörte und Ende der siebziger Jahre beinahe Ministerpräsident geworden wäre. Unser Autor begleitete ihn auf seiner letzten Tournee – als Pianospieler auf den Spuren von in der Nazizeit verfolgten Künstlern.
    Quelle: Neue Rheinische Zeitung

    Anmerkung WL: Ich kannte Diether Posser sehr gut und habe ihn nicht nur am Düsseldorfer Kabinettstisch schätzen gelernt. Auch seine Lust am Klavierspiel habe ich genossen. Diether Posser war eine Persönlichkeit, wie man sie in der heutigen politischen Landschaft kaum noch findet. Die Erinnerung an solche Politiker ist ein wichtiger Beitrag zur Rückgewinnung einer demokratischen politischen Kultur.

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