Hinweise des Tages

Jens Berger
Ein Artikel von:

Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “Mehr” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (WL/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Gauck
  2. Griechenland gerettet – Wahnsinn ohne Ende!
  3. Übersicht Bankenrettungsmittel des Bundes (Soffin)
  4. Horn: Krise im Euroraum geriete durch Insolvenz Griechenlands außer Kontrolle
  5. Ein Kontinent rutscht ab
  6. Rhön Klinikum Salzgitter: Personaldecke weiter Ritt auf der Rasierklinge
  7. Stuttgart 21: Schlichterspruch ist nicht bindend
  8. Finanzpolitische Entwicklungstendenzen und Perspektiven des Öffentlichen Dienstes in Deutschland
  9. Amerikaner werden liberaler
  10. Syrien und der Westen – Neue Thesen zum Freiheitskampf
  11. Dramatischer Appell an die Weltwirtschaft
  12. Europäische Union: Paradoxien aus 20 Jahren Integration und Erweiterung

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Gauck
    1. Bürger gegen Joachim Gauck
      Alle lieben diesen Mann. Wirklich alle? Linke Aktivisten und Migrantenvertreter stimmen nicht in den Jubel über den Präsidentschaftskandidaten Gauck ein.
      Quelle: taz
    2. Verzerrte Zitate – Gauck und die Stille Post im Netz
      Der Umgang mit Joachim Gauck zeigt: Auch im Netz will richtiges Zitieren gelernt sein. Schnell wurde aus dem Liebling ein Hassobjekt gemacht, basierend großteils auf verzerrten Zitaten. Das verstümmelte Zitat, eine Erfindung der Massenmedien, wird in den sozialen Medien schlecht nachgeahmt. […]
      Nur am Rande sei die Gefahr der Trivialisierung des Holocaustgedenkens erwähnt. Unübersehbar gibt es eine Tendenz der Entweltlichung des Holocaust. Das geschieht dann, wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird, die letztlich dem Verstehen und der Analyse entzogen ist. […] Im weiteren Verlauf der Rede wird klar, dass Gauck mit dem Halbsatz eigentlich meinte, dass es gefährlich sei, so zu tun, als könne sich ein Holocaust sowieso nie wieder ereignen und man daher gar nicht besonders erinnern, analysieren, aufarbeiten müsse – das Gegenteil einer Verharmlosung.”
      Quelle: SPIEGEL Online

      Anmerkung JB: In dem Punkt „Trivialisierung des Holocaust“ hat Sascha Lobo Recht. Auch die NachDenkSeiten verwiesen in den gestrigen Hinweisen auf den von Lobo kritisierten Artikel von Deniz Yücel. Hätte Lobo es dabei belassen, wäre sein Artikel zwar korrekt, aber wohl nicht kontrovers genug. Alle übrigen lt. Lobo „verzerrten Zitate“ mögen zwar losgelöst vom Kontext aufgegriffen worden sein – sinnentstellend und damit „verzerrt“ sind die jedoch keinesfalls. Dazu empfehle ich (nicht nur Sascha Lobo) die Lektüre dieses Artikels:

      Der “böse Gauck” und das Netz
      “Gauck erscheint, wenn man seine Aussagen im Kontext liest, als durchaus komplexer und differenzierender Denker, der selbstverständlich zu Gedanken fähig ist, denen man in 140 Zeichen nur schwer gerecht werden kann. Er erscheint aber auch als Vertreter einer zutiefst konservativen Weltsicht, die sich fast ausschließlich aus den tatsächlichen oder von ihm narrativ konstruierten Leitmotiven seiner eigenen Biographie speist. Er ist deshalb bestenfalls in der Lage, die Herausforderungen der Gegenwart zu erkennen — ernsthafte Ansätze zu ihrer Lösung hat er an keiner Stelle anzubieten. Im Gegenteil.”
      Quelle: SciLogs

      Anmerkung unserer Leserin A.S.: Anatol Stefanowitsch beschäftigt sich differenziert mit der “Kritik and der Kritik an Gauck” und zeigt, weshalb Gaucks Aussagen auch dann noch fragwürdig sind, wenn sie im Kontext betrachtet werden. Als Beispiele greift er Gaucks Standpunkte zu Thilo Sarrazin, Hartz IV und Vorratsdatenspeicherung heraus.

    3. MDR löscht Umfrage weil 77 Prozent gegen Joachim Gauck waren
      Tja, wenn die Umfragewerte nicht in die politische Linie passen, dann wird einfach mal eine Umfrage beim MDR “depubliziert” oder anders gesagt “gelöscht”…
      Hier sehen Sie einen Snapshot der gelöschten Umfrage des MDR vom 20.02.2012:

      Quelle: Bundesblog
    4. Unsere leitenden Ossis – Merkel, Gauck und den Geist der DDR-Opposition
      Angela Merkel ging mit ihrer Freundin in die Sauna, als sich an einem Novembertag in Berlin die Mauer öffnete. Ihrer Sehnsucht nach Freiheit gab sie eher gemächlich, dann freilich mit ungeheurem Erfolg. […] Nein, die Pfarrerstochter stand, wie ihr Vater auch, dem System eher nahe als fern. Dass sie es heute zulässt, fast in die Nähe von DDR- kritischen Geistern gerückt zu werden, ist wohl eher einem geschönten Selbstbildnis als realer Einschätzung zu verdanken.
      Aber das ist ja nun bei Joachim Gauck doch ganz anders, nicht wahr?
      Nun, was man im heutigen Sprachgebrauch Bürgerrechtler nennt, hat man früher als DDR-Opposition bezeichnet. Zur DDR-Opposition hat Gauck niemals gehört. Er trat auch nicht in den system-kritischen Friedens- und Umweltgruppen im Umfeld der Evangelischen Kirchen je in Erscheinung. In den Publikationen, die in der DDR von kritischen Gruppen illegal herausgegeben wurden, taucht der Name Gauck als Verfasser nicht auf. Joachim Gauck hat sich im Oktober 1989 in Rostock dem „Neuen Forum“ angeschlossen. Vorher ist ein politischen Engagement gegen den repressiven Staat nicht auszumachen. Ihn jetzt ständig als Repräsentanten all jener zu würdigen, die den freiheitlichen Geist gegen das System aufrecht erhalten haben, ist eine grobe Überzeichnung seines Lebensweges.
      Quelle: WDR5 Politikum [PDF – 63.1 KB]

      Anmerkung JB: Joachim Gauck als „Widerstandskämpfer“ zu bezeichnen, ist schon reichlich schräg. Zu diesem Thema hatte der Journalist Gerhard Rein bereits im Juni 2010 einen offenen Brief geschrieben [PDF – 14.6 KB].

    5. Jutta Ditfurth – Der Prediger der verrohenden Mittelschicht
      Mit Christian Wulff hat sich die politische Klasse eines lästig geworden kleinbürgerlichen korrupten Aufsteigers entledigt, während die viel größeren Geschäftemacher der Parteien weiter ungestört ihren Interessen nachgehen können.
      Um die Peinlichkeit zu übertünchen, wurde nun Joachim Gauck, der Prediger für die verrohende Mittelschicht gerufen. Dass CDU/SPD/FDP und Grüne ihn gemeinsam aufstellen verrät uns, dass uns noch mehr Sozialstaatszerstörung, noch mehr Kriege und noch weniger Demokratie drohen. Einen wie ihn holt man, um den Leuten die Ohren vollzuquatschen.
      Quelle: trend onlinezeitung
    6. Friedrich Schorlemmer – “Gauck muss von Gerechtigkeit sprechen”
      Als Bundespräsident dürfe Joachim Gauck nicht nur von Freiheit reden, sondern müsse auch soziale Probleme ernst nehmen, sagt der Theologe und Ex-Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer – und wirft Gauck “ungeheure Arroganz” vor.
      Quelle: Berliner Zeitung
  2. Griechenland gerettet – Wahnsinn ohne Ende!
    Die permanente Rettungszone feiert einen weiteren Sieg, das nächste Rettungspaket von 130 Mrd. Euro für Griechenland ist durch, wie zu erwarten war, die falsche Strategie der Troika in Bezug auf Griechenland bleibt am Leben und das griechische Elend innerhalb der Eurozone geht in die Verlängerung. Die Beteiligung der privaten Gläubiger erfolgt etwas höher als erwartet, sie verzichten auf 53,5% der Forderungen, alles in allem kommen -107 Mrd. Euro von der Schuldenuhr runter. Allerdings müssen die einzelnen Gläubiger dem Schuldenschnitt noch zustimmen, die Umsetzung des Forderungsverzichts und die Umwandlung des “Restes” der Forderungen von 93 Mrd. Euro in neue langlaufende Anleihen ist ein zeitraubende Angelegenheit.Ein den Finanzministern der Eurozone vorgelegtes streng vertrauliches Papier (Preliminary Debt Sustainability Analysis) der Troika (IWF, EU, und EZB) vom 15.02.2012 verdeutlicht die Dramatik und die Hoffnungslosigkeit der Situation. Selbst in diesem Bericht, wird im optimistischen Baseline Szenario nur mit einem Absenken der Bruttostaatsschulden auf 129% des nominalen BIPs bis 2020 gerechnet. Im negativeren Alternative Scenario (Downsideszenario) sinkt allerdings bis 2020 der Bruttoschuldenstand nur auf 159% des nominalen BIPs, aber zuvor in 2015 klettert er noch auf 178%! Diese Rettung ist schon jetzt reine Makulatur, kleinste externe Schocks werden die Verlautbarungen in Luft auflösen lassen und zum Ziel einer relevanten Schuldenverringerung werden sie nicht führen. In dem Papier der Troika wird der Finanzierungsbedarf Griechenlands bis 2020 mit gewaltigen 245 Mrd. Euro angegeben. Allein 50 Mrd. Euro werden als Rekapitalisierung für die griechischen Banken benötigt. Die Troika stellt in dem Papier fest, dass sich die makroökonomischen Aussichten in Griechenland wesentlich verschlechtert hätten! Daran wurde seitens der Troika auch hart gearbeitet, denn mit dem rigiden Spardiktat tat sie alles, um die griechische Wirtschaft in die Depression zu bringen, was einem realistischen Weg zu einer Schuldenabsenkung klar konterkariert.
    Quelle 1: Querschuesse
    Quelle 2: Preliminary Debt Sustainability Analysis [PDF – 369 KB]

    passend dazu: Bernard-Henri Lévy: Athener Albtraum
    Europa besaß neben anderen Tugenden (Frieden, Wohlstand) auch jene, solche Völker – im Süden wie im Osten – mit der Praxis der Freiheit zu versöhnen, denen man sie für eine mehr oder weniger lange Zeit geraubt hatte. Und jetzt könnten die gleichen Institutionen, die gleichen gemeinschaftlichen Regeln, könnte die gleiche Währung, kurz, das gleiche Europa genau den gegenteiligen Effekt haben, weil es ein Mitglied in die Anarchie stürzt oder, was auf das Gleiche hinausliefe, in eine erzwungene Ordnung, eine Diktatur, den Faschismus. Das wäre ein Fehlschlag, dessen Schockwelle weit über das Platzen der Wirtschafts- und Währungsunion hinausginge. Man hätte sich in einer solchen Affäre, politisch wie wirtschaftlich, in der man es mit einer so leicht entflammbaren Materie zu tun hat wie den Völkern, ihrem Willen, ihrem Stolz, ihrem Gedächtnis, ihrer Revolte, ihrem Überleben, mehr Fingerspitzengefühl gewünscht. Man hätte es geschätzt, wenn die Erklärungen der Verantwortlichen in Deutschland und Frankreich einen Ton gehabt hätten, der nicht einer des Diktats und der Verachtung ist.
    Quelle: Welt Online

    Anmerkung Orlando Pascheit: Man muss nicht Lévys Engagement für Libyen teilen, man muss nicht seiner Analyse zu Griechenland folgen, aber in der Tat ist es keine Formfrage mehr, wie sich französische und deutsche Politiker und Journalisten in Sachen Griechenland in abfälligster Weise über das europäische Selbstverständnis von Demokratie erheben. Insbesondere Wofgang Schäuble scheint neuerdings kein Fettnäpfchen zu versäumen bzw. Rat-Schläge zu verteilen. In seinem jüngsten Interview mahnt er u.a. an: “Zur Hilfe gehört immer jemand, der sich helfen lassen will. Wir stehen seit geraumer Zeit bereit, den Griechen mit Finanzbeamten beim Aufbau einer effizienteren Steuerverwaltung zu helfen. Das Angebot wird bis heute nicht genutzt.”
    Dabei weiß Schäuble genau, dass z.B. seit längerem eine „Task Force Griechenland“ der Europäischen Kommission tätig ist, welche die griechische Regierung in Fragen einer besseren Steuereintreibung, der Reformen der Verwaltung und des Gesundheitssystems, der besseren Nutzung elektronischer Kommunikationsdienste im öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft bis hin zu einer besseren Nutzung der unzureichend abgerufenen Fördermilliarden der EU-Strukturfonds berät. Die technische Hilfe für einen Mitgliedstaat durch die Kommission bzw. über die Kommission durch die Mitgliedstaaten ist ein bisher einmaliger Vorgang. Die Leitung hat Horst Reichenbach, ein Deutscher, der für Griechenland drei Investitionsfelder ausländische Direktinvestitionen ausgemacht hat: Tourismus, erneuerbare Energien und Agribusiness. Reichenbach hat u.a. schon längst begriffen, dass der von der Troika vorgelegte Zeitplan für Privatisierungen im derzeitigen wirtschaftlichen Umfeld illusorisch ist. Hinzukommt, dass die Privatisierungen nur zum kleinen Teil (15 Prozent) Unternehmen umfassen. Der weitaus größte Teil sind Gebäude oder Grund und Boden. Derzeit wird wieder einmal mit erhobenem Zeigefinger darauf hingewiesen, dass Griechenland bis 2020 eine Schuldenquote von 120 Prozent des BIP erreichen müsse. Dabei pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass dieser Wert für schwächere Volkswirtschaft nicht zu handhaben ist. Im übrigen, was sollen diese Schuldenkennziffern im Verhältnis zum BIP, wenn das BIP schneller einbricht als die Griechen sparen können.

  3. Übersicht Bankenrettungsmittel des Bundes (Soffin)
    Stand: Februar 2012
    Quelle: Übersicht [PDF – 20 KB]
  4. Horn: Krise im Euroraum geriete durch Insolvenz Griechenlands außer Kontrolle
    Eine Insolvenz Griechenlands würde höchst wahrscheinlich zu einer unkontrollierbaren Eskalation der Krise im Euroraum führen. Darauf weist Prof. Dr. Gustav A. Horn hin. “Wenn es stimmt, dass wichtige Personen in der Bundesregierung eine Pleite des griechischen Staates mit anschließendem Schuldenschnitt für einen Beitrag zur Krisenlösung halten, dann gilt in der Eurozone wieder Alarmstufe rot”, sagt der Wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.
    “Eine Staatsinsolvenz ist immer ein tiefer Einschnitt, der in den betroffenen Ländern zu Wohlstandsvernichtung und oft zu Chaos führt”, betont Horn. Alle historischen Erfahrungen zeigten, dass Staaten nach einer Pleite über lange Zeit von den Kapitalmärkten abgeschnitten blieben. In einer Währungsunion sei von diesen Konsequenzen nicht nur das insolvente Land selber betroffen, sondern auch seine Währungspartner. “Es ist naiv darauf zu setzen, dass die Finanzmärkte eine Insolvenz Griechenlands insgeheim schon antizipiert hätten und darum als rein formalen Akt hinnehmen würden. Eine Pleite würde vielmehr vollends Panik bei den Anlegern auslösen. Wir haben bereits im vergangenen Herbst erlebt, wie schnell ein daraus entstehender Käuferstreik auf Länder übergreift, bei denen sich das zuvor niemand hat vorstellen können. Die Ansteckungsgefahr ist riesig”, sagt Horn.
    Quelle: Hans-Böckler-Stiftung
  5. Ein Kontinent rutscht ab
    Beinahe in der gesamten Euro-Zone ist die Wirtschaft Ende 2011 geschrumpft. Nur in Frankreich, Zypern und Finnland gab es zwischen Oktober und Ende Dezember im Vergleich zum Vorquartal keine roten Zahlen. Im Durchschnitt aller 17 Länder der Gemeinschaftswährung ging die Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent zurück, wie das Statistikamt Eurostat am Mittwoch in Luxemburg bekannt gab. Besonders tief war die Krise in den Schuldenländern. Das Minus von 0,2 Prozent in Deutschland, der größten Volkswirtschaft Europas, hatte das Statistische Bundesamt bereits Anfang Januar geschätzt, die endgültigen Zahlen fielen nur geringfügig besser aus, als damals angegeben. Wirtschaftsforscher und Politiker hoffen darauf, dass die Wachstumspause hierzulande bald vorüber ist und Deutschland keine Rezession erlebt. „Im Jahresverlauf findet die deutsche Wirtschaft wieder zu einem höheren Wachstum zurück“, ließ Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) erklären. Die Prognosen für das Gesamtjahr liegen allerdings noch recht weit auseinander: Während das gewerkschaftsnahe Institut IMK für 2012 ein Minus von 0,1 Prozent kommen sieht, erwartet die Großbank Unicredit ein Plus von 0,9 Prozent.
    Quelle 1: Tagesspiegel
    Quelle 2: BIP im Euroraum und in der EU27 um 0,3% gefallen – eurostat [PDF – 130 KB]
    Quelle 3: Bruttoinlandsprodukt im 4. Quartal 2011 leicht zurückgegangen – destatis

    Anmerkung Orlando Pascheit: Man fragt sich wie z.B. Herr Rösler bei diesem Umfeld von einer “Wachstumsdelle” sprechen kann. Die Eurozone ist immer noch die wichtigste Destination für deutsche Exporte und was machen ihre Mitglieder: Sie fahren auf deutsches Geheiß einen Austeritätskurs. Dabei lernt jeder Erstsemestler, dass der Aufschwung die richtige Zeit für fiskalische Austerität ist. Wer einwenden möchte, das die Währungsunion einen immer kleineren Teil der deutschen Exporte aufnimmt und auf die Weltwirtschaft verweist, hat die jüngsten Warnungen von IWF und Weltbank nicht mitbekommen. “Das Risiko ist real, dass die Märkte weltweit einfrieren und eine globale Krise wie im September 2008 ausbricht”, schreiben die Ökonomen der Weltbank. Eine Verschärfung der Euro-Schuldenkrise würde zu einem Absinken der weltweiten Wachstumsrate um vier Prozentpunkte führen und somit einen Rückgang der globalen Wirtschaftsleistung auslösen. – Vor allem aber, was ist eigentlich im XXL-Jahr 2011 in Deutschland passiert? O.K, das BIP ist um drei Prozent gewachsen, schon weniger beeindruckend ist die Beschäftigung um 1,3 Prozent gestiegen. Aber was hat uns das wirklich gebracht? Das reale Masseneinkommen ist um 0,3 Prozent höher als 2001. Die monatlichen, realen Nettolöhne- und Gehälter je Arbeitnehmer erreichen nicht einmal die Werte von 1992, melden nicht nur der DGB, sondern auch die nicht unbedingt arbeitnehmernahe FTD (15.2.2012). Soviel zur Binnennachfrage als Ausgleich für den Ausfall an der Außenwirtschatsfront..

  6. Rhön Klinikum Salzgitter: Personaldecke weiter Ritt auf der Rasierklinge
    Patientenversorgung nach wie vor gefährdet – Gewerkschaft und Betriebsrat fordern Sofortprogramm zu Risikomanagement und Krankheitsausfällen
    Die Personaldecke im Rhön Klinikum Salzgitter ist nach wie vor für Patienten und Beschäftigte ein „täglicher Ritt auf der Rasierklinge“. Geändert hat sich nichts. So lautete die Bilanz der Gewerkschaft ver.di drei Monate nachdem sie bereits im November vergangenen Jahres auf den erheblichen Personalmangel hingewiesen hatte. Die ordnungsgemäße Patientenversorgung ist weiter gefährdet, weil das Personal häufig mit der aktuellen Besetzung nicht alle erforderlichen Tätigkeiten gewissenhaft im Sinne der Patientenversorgung erbringen kann.
    Gewerkschaft und Betriebsrat fordern deshalb nun ein Sofortprogramm zu Risikomanagement und Krankheitsausfällen.
    ver.di-Sprecher Jens Havemann: „Es kann kein „Weiter so“ geben! Es muss dringend genau geregelt werden, was passiert, wenn Beschäftigte vor Ort absehen können, dass sie aufgrund der zu geringen Personaldecke nicht alles schaffen können. Wir müssen sicherstellen, dass im Akutfall die Maßnahme sofort greift, ohne dass es zu einer Unterversorgung kommt.“ Dies soll in einer Betriebsvereinbarung detailliert festgeschrieben werden.
    Gleiches gilt für die Verfahrensweise bei Krankheitsausfällen. Diese sind häufig Ursache für Versorgungsengpässe und von daher eine der wichtigsten Risikoquellen bei der Patientenversorgung.
    Havemann weiter: „Kaum ein Krankheitsausfall kann bei der engen Personalausstattung von den übrigen diensthabenden Pflegekräften noch aufgefangen werden. Fällt jemand krank aus, ist die Patientenversorgung akut gefährdet.
    Beschäftigte, die selbst dringend auf ihre Erholung angewiesen sind, werden dann angerufen und zur Arbeit eingeteilt. Das ist sehr aufwändig, dauert und ist letztlich nicht im Sinne einer verlässlichen Patientenversorgung.
    Zudem werden die Beschäftigten durch das ständige „Holen aus dem Frei“ gesundheitlich extrem belastet, weil sie sich nicht regenerieren können. In der Häufung führt das unweigerlich zu weiteren Krankheitsausfällen und verschärft damit die Lage statt sie zu lösen.“
    Die Lösung sehen Gewerkschaft und Betriebsrat in einem zielgerichteten Ausfallmanagement. Krankheitsausfälle sind in einem großen Krankenhaus an der Tagesordnung. Bevor dauernd aufwändig den Beschäftigten, die eigentlich frei haben, hinterher telefoniert wird, wäre es sinnvoller, von vornherein einen Springerpool oder eine Rufbereitschaft einzurichten. So kann dann die Vertretung schnell und effektiv organisiert werden kann, ohne dass es zur Beeinträchtigung der Patientenversorgung kommt.
    Gern verweist die Geschäftsführerin auch darauf, dass in Salzgitter konzernübliche Stellenpläne eingehalten und umgesetzt würden. Havemann: „Selbst wenn die Behauptung tatsächlich zutreffen sollte, was keiner überprüfen kann, beweist die Realität, dass der Stellenplan den Praxistest nicht besteht. Wenn am Ende permanent nur die Wahl zwischen Unterversorgung der Patienten oder Gesundheitsgefahr für die Beschäftigten bleibt, kann doch wohl etwas nicht stimmen. Wer im Krankenhaus am Personal spart, spart letztlich bei den Patienten.“
    Quelle: ver.di
  7. Stuttgart 21: Schlichterspruch ist nicht bindend
    Geißler selbst hat sehr wohl gewusst, dass sein Spruch nicht einklagbar sein werde: „Es war klar, dass daraus keine rechtliche Bindung entstehen konnte, wohl aber eine psychologische und politische Wirkung die Folge war“, so hat er es in seinem Papier selbst formuliert. Letztere Effekte allerdings hat der Mediator wohl etwas überschätzt.
    So sinnvoll und erhellend der sogenannte Faktencheck zu Stuttgart 21 auch gewesen sein mag, der erhebliche Schwachstellen des Bahnprojekts aufdeckte, so wenig taugt Geißlers Spruch als in Stein gemeißeltes Gebot für die weitere Planung und Finanzierung des Bahnprojekts. Dementsprechend haben Klagen von Stuttgart-21-Gegnern unter Berufung auf die Geißler-Doktrin auch keinerlei Aussicht auf Erfolg.
    Quelle: Stuttgarter Zeitung

    Anmerkung WL: Einen besseren Beleg, dass das ganze Schlichtungsverfahren nur ein Ablenkungsmanöver war und Heiner Geißler nur der Gaukler der das Publikum ablenken sollte, kann man kaum finden.

    Zum Thema: Abstellgleis für alle
    Der Bahnhofsbau von Stuttgart liegt auf der Resterampe des Feuilletons. Dort grübelt man über Modernisierungsverweigerer, grüne Ideologen und schwäbische Wutbürger. Eine tragisch verzerrte Wahrnehmung. Denn Stuttgart 21 ist ein Abstellgleis, auf das alle Bahnkunden geschoben werden, der Personenverkehr ebenso wie der Güterverkehr. Eine tiefer gelegte Sackgasse der deutschen Verkehrspolitik. Milliarden werden in Stuttgart und auf der Schwäbischen Alb verbaut, die für ungleich wichtigere Bahnprojekte fehlen. Deutlich mehr Güter auf die Schiene zu bringen, dieses Ziel wird Deutschland auf absehbare Zeit nicht erreichen – auch wegen Stuttgart 21. Wilm Hüffer rekonstruiert anhand zahlreicher bahninterner Unterlagen den Schacher um das schwäbische Großprojekt.
    Quelle: das ARD radiofeature

    Anmerkung JB: Hörenswert!

  8. Finanzpolitische Entwicklungstendenzen und Perspektiven des Öffentlichen Dienstes in Deutschland
    In Deutschland trägt der Staat auf verschiedene Weise beschäftigungspolitische Verantwortung. Seine finanzpolitischen Entscheidungen beeinflussen nachhaltig die Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Akteure. Der Staat ist verpflichtet, bei seinen finanzpolitischen Entscheidungen gesamtwirtschaftliche Belange zu berücksichtigen. An dieser Aufgabe hat sich auch nichts durch die Einführung der sog. Schuldenbremse geändert. Zudem tritt er als Arbeitgeber unmittelbar als Nachfrager auf dem Arbeitsmarkt auf; gegenwärtig sind rund 15 % aller Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst beschäftigt. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich der Staat auf beiden Feldern zumeist defensiv verhalten: Im Wesentlichen zielten die finanzpolitischen Maßnahmen auf eine Verringerung der Staatstätigkeit: Zu hohe Sozialausgaben würden, so hieß es allerorten, die Antriebskräfte des Systems zum Schaden aller erlahmen, mehr Deregulierung und Privatisierung staatlicher Leistungen würden die allokative Effizienz erhöhen. Die hohe Arbeitslosigkeit wurde als strukturell interpretiert, sie wurde mittels umfangreicher Steuersenkungen bekämpft. Vor diesem Hintergrund waren Einschnitte Ausgabenseitig unvermeidlich, und Kürzungen im öffentlichen Dienst waren vorprogrammiert. Von ihnen gingen negative Einflüsse auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum und die Beschäftigung aus, die weitaus stärker waren als die expansiven Einflüsse der verschiedenen Steuerentlastungen.
    Quelle: IMK [PDF – 953 KB]
  9. Amerikaner werden liberaler
    In den USA schärfen Kulturkämpfer ihre Worte. Je deutlicher die Wirtschaftsdaten ins Positive tendieren, desto stärker steuern konservative Politiker die Debatte in Richtung Moral und “Familienwerte”. Irgendetwas Zündendes wird sich ja wohl gegen Barack Obama finden lassen. Doch heute will “das Volk” nicht mehr richtig mitmachen. Die US-Amerikaner sind in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten toleranter geworden, vor allem die jungen Amerikaner. Anders als in den 90er Jahren hat sich das Familienbild gewandelt. 41 Prozent der Mütter insgesamt und mehr als die Hälfte der Mütter unter 30 Jahren sind bei der Geburt ihres Kindes nicht verheiratet. Nach jüngsten Umfragen befürwortet auch rund die Hälfte der US-Amerikaner die Zulassung gleichgeschlechtlicher Ehen. Bei den 18- bis 34-Jährigen sind es sogar 70 Prozent. Der Bundesstaat Washington hat vergangene Woche als siebter (von fünfzig) US-Bundesstaat gleichgeschlechtliche Ehen zugelassen. Maryland steht kurz davor. Dagegen gehen in der Abtreibungsfrage die Meinungen auseinander. Doch nur eine Minderheit fordert ein umfassendes Verbot.
    Quelle: taz
  10. Syrien und der Westen – Neue Thesen zum Freiheitskampf
    Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur arabischen Welt an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, ist überzeugt: Die Oppositionellen in Syrien werden vom Westen ausgerüstet und logistisch unterstützt. Es geht um starke geopolitische Interessen des Westens in diesem Raum. Wir haben mit ihm gesprochen.
    Quelle: 3sat Kulturzeit
  11. Dramatischer Appell an die Weltwirtschaft
    Umweltforscher wollen die Berechnung von Wohlstand und Wachstum neu definieren. Der schleichende Niedergang von Ökosystemen soll mit in die Berechnung des Wohlstandes einfließen und die bisherige Mess-Methode, das Bruttosozialprodukt, ergänzen.
    Quelle: Frankfurter Rundschau
  12. Europäische Union: Paradoxien aus 20 Jahren Integration und Erweiterung
    Die Ergebnisse aus den vergangenen 20 Jahren europäischer Integration sind paradox. Noch vor zwei Jahrzehnten hatten Paris, Rom und Bonn ein enormes Vertrauen darin, die europäische Einigung vertiefen zu können. Die Schaffung der Europäischen Währungsunion (EWU) durch den Vertrag von Maastricht wurde als fortschrittlichstes und erfolgreichstes Beispiel dafür angesehen, wie sich Staaten zu einer engen Kooperation verbinden können. Nationale Währungen, immer ein Symbol staatlicher Souveränität, konnten auf dem Altar europäischer Integration geopfert werden. Mögliche Bedrohungen, so dachte man, kämen von außen, etwa ausgelöst durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und Jugoslawiens. Wie berechtigt diese Befürchtungen waren, bestätigte sich bereits wenige Jahre später in den Balkankriegen, die deutlich vor Augen führten, dass das Ende des Kommunismus mit Instabilität, Konflikt und Gewalt einhergehen konnte. Heute stellt sich das Bild genau andersherum dar. Mittel- und Osteuropa scheinen stabil zu sein; Staaten wie Polen präsentieren sich geradezu als Musterschüler guten Haushaltens und demokratischer Regierungstätigkeit. Sorgen um die Stabilität gehen heute eher von älteren EU-Mitgliedstaaten aus wie Griechenland, Irland oder Italien sowie von der Krise der EWU. Dieser Beitrag wird den Prozess der europäischen Integration über die zurückliegenden zwei Jahrzehnte zurückverfolgen und fragen, wie Europa in die Krise geraten konnte und ob es tatsächlich droht, auseinanderzufallen.
    Quelle: Aus Politik und Zeitgeschichte

    Anmerkung Orlando Pascheit: In einer der letzten Beilagen “Aus Politik und Zeitgeschichte” der Zeitschrift das Parlament bildete Europa den Schwerpunkt.
    Auch wenn man im Einzelnen den Beiträgen nicht in allem folgen mag, Anregungen zum Nachdenken bieten sie allemal. So auch:

    Die Fiskalkrise und die Einheit Europas
    Die Finanzkrise von 2008 und die anschließende, bis heute andauernde Fiskalkrise der westlichen Industriegesellschaften haben ein Maß an Turbulenz in die nationale und internationale Politik gebracht, wie man es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gekannt hat. Rasch erreichten die Erschütterungen auch die Europäische Union, die gerade dabei war, sich nach den Rückschlägen der Volksabstimmungen über ihren später nicht mehr so genannten „Verfassungsvertrag“ neu zu organisieren. …. Ob die zurzeit in die Wege geleitete technokratische Disziplinierung der europäischen Nationen zur Durchsetzung von Austerität im Süden und Kollektivhaftung („Solidarität“) im Norden gelingen wird, steht dahin. Die Alternative allerdings – eine Verschiebung der auf nationaler Ebene gegenstandslos werdenden Demokratie auf die supranationale Ebene, um derentwillen demokratisch inspirierte Integrationsbefürworter die Erosion der nationalen Demokratie ebenso sehnlich herbeiwünschen wie die Kapitalmärkte und die Brüsseler Technokraten – erscheint illusorisch, weil sie vielleicht nicht für die Empfänger-, auf jeden Fall aber für die Gebernationen und ihre Wirtschaft unakzeptabel wäre. So bleibt die Demokratie in Europa eng an den Nationalstaat und seine Souveränität gebunden, die im Begriff sind, in der sich unter dem Krisendruck weiterentwickelnden Währungs- und Fiskalunion und einer nach den Bedürfnissen der internationalen Finanzindustrie geformten politischen Union gemeinsam unterzugehen.
    Quelle: Aus Politik und Zeitgeschichte

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