Hinweise des Tages
Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “Mehr” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (WL/JB)
Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:
- Reallohnanstieg in Deutschland?
- Niedriglöhne
- Arbeitslosigkeit von Älteren – statistisch hui, tatsächlich pfui
- Europa unter deutscher Fuchtel
- Merkel versucht sich im Neusprech
- Simon Johnson – Hört auf, die Banken zu schonen
- George Monbiot – Die Freiheit des Hechtes
- Bundesbank fordert deutlichen Sparkurs
- Die Mär von der Kreditklemme
- Peter Bofinger – “Weiter so” könnte die teuerste Lösung werden
- Arbeitsgerichte handeln schwer durchschaubar
- Im Schatten der Wahrheit
- Mit zweierlei Maß
- Ein bisschen „wahre Demokratie“
- Hetzblatt “Zuerst” – DGB kritisiert Bauer wegen Rechtspostille
- Investigativ gegen Kostendruck
- Daniel Cohn-Bendit und Slavoj Žižek – Wir Europäer haben die Ressource der Aufklärung
- Zu guter Letzt: Peter Zudeick – Der Satirische Jahresrückblick
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
- Reallohnanstieg in Deutschland?
Gestern berichtete das Statistische Bundesamt (Destatis) von schwach steigenden Reallöhnen in Deutschland. In Q3 2011 stieg der Reallohnindex nur um +0,6% zum Vorjahresquartal und damit um die niedrigste Rate seit Q4 2009. Selbst diese maue Rate ist noch eine Beschönigung, denn der Reallohnindex basiert auf der vierteljährlichen Verdiensterhebung und diese spiegelt nur die Bruttomonatsverdienste einschließlich der Sonderzahlungen nach Abzug des Anstiegs beim Verbraucherpreisindex (VPI) von Vollzeitbeschäftigten wider. Alle relevanten Problemfelder des Arbeitsmarktes bleiben bei der Verdiensterhebung und damit beim Reallohnindex ausgespart und damit relativiert sich auch die Aussagekraft des Reallohnindex zu einem potemkinschen Dorf.
Denn nicht einbezogen bei der Verdiensterhebung werden alle Teilzeitbeschäftigten, geringfügig Beschäftigen, Auszubildende, Praktikanten, Personen, die keinen Verdienst für ihre Leistung erhalten, tätige Inhaber, Mitinhaber und Familienangehörige ohne Arbeitsvertrag, ausschließlich auf Honorarbasis bezahlte Personen und Personen in so genannten 1-Euro-Jobs. […]
Während die Summe aller Arbeitnehmerentgelte saisonbereinigt nominal um +0,65% zum Vorquartal anstieg, sanken die realen saisonbereinigten Arbeitnehmerentgelte um -0,39% zum Vorquartal. Zieht man die Sozialbeiträge der Arbeitgeber ab, erhält man die Summe aller Bruttolöhne und -gehälter und bricht man diese Summe dann auf die Anzahl der Beschäftigten im 3. Quartal 2011 und je Monat herunter, erhält man die durchschnittlichen Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer und je Monat. Diese betrug dann Brutto (nominal) 2’448 Euro und sank zum Vorquartal um -0,37% bzw. um -9 Euro je Arbeitnehmer und je Monat zum Vorquartal. Real (preisbereinigt) sanken die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer und je Monat im 3. Quartal 2011 um -0,82% bzw. um -18,12 Euro!
Quelle: Querschüsse - Niedriglöhne
- Arm mit und ohne Arbeit
Rund 2,8 Millionen Beschäftigte verloren in den zurückliegenden zwölf Monaten ihren Arbeitsplatz. 737000 davon hatten keinen oder nur geringfügigen Anspruch auf Arbeitslosengeld I. Jeder vierte ist einer Studie der Bundesagentur für Arbeit zufolge unmittelbar auf Leistungen nach »Hartz IV« angewiesen. Dies berichtete am Donnerstag die Süddeutsche Zeitung, der das Dokument zunächst exklusiv vorlag. »Entweder war die Beschäftigungszeit zu kurz, um Ansprüche zu erwerben, oder das früher erzielte Lohneinkommen war zu niedrig, um mit dem daraus abgeleiteten Arbeitslosengeld-Anspruch den Bedarf zu decken, und muß mit Arbeitslosengeld II aufgestockt werden«, heißt es in dem Papier, das die BA gestern auf Nachfrage zur Verfügung stellte.
Quelle: Junge WeltAnmerkung Orlando Pascheit: Wer angesichts solcher Zustände wagt, weiter vom deutschen Jobwunder und von positiven Aspekten befristeter, prekärer Jobs zu fabulieren, gehört, ob nun dumm oder interessengeleitet, nicht unkommentiert in eine seriöse Berichterstattung, sondern … Zur obigen Meldung passt eine Mitteilung des Statistischen Bundesamtes, dass Niedriglöhne nicht mehr vor allem im Osten, sondern auch im Westen also flächendeckend in unsere Arbeitswelt gehören. Und nicht nur gering qualifizierte Beschäftigte, sondern auch Fachkräfte verdienen in einigen Branchen wenig. Kein Wunder, wenn dann Lohneinkommen so niedrig ausfallen können, dass kein Arbeitslosengeld in Anspruch genommen werden kann – dabei wurden vom Statistischen Bundesamt nur die tarifgebunden Minilöhne erfasst. Genaueres zum heutigen Stand werden wir erst durch neue Auswertungen durch das IAQ erfahren. Für 2009 meldete das IAQ: Fast 3,6 Mio. Beschäftigte in Deutschland arbeiteten im Jahr 2009 für weniger als 7 Euro brutto pro Stunde. Dies entspricht gut elf Prozent aller Beschäftigten. Mehr als 1,2 Mio. bekamen sogar einen Stundenlohn von weniger als 5 Euro.
- Deutschland verkommt zum Billiglohnland
In Deutschland ist ein flächendeckender Niedriglohnsektor entstanden. Verdienste von unter 6,50 Euro pro Stunde sind längst nicht nur im Osten der Republik zu finden. Auch manche bayerischen Konditoren und schleswig-holsteinischen Friseure verdienen sehr wenig. Und ihre Unternehmen verstoßen damit noch nicht einmal gegen Gesetze, sie erfüllen geltende Tarifverträge.
Eine Analyse des Statistischen Bundesamtes zeigt, wo in Deutschland die niedrigsten Tariflöhne gelten. Die Statistiker haben dafür mehr als 600 Flächentarifverträge ausgewertet. Die niedrigsten Gehälter bekommen demnach insbesondere gering qualifizierte Beschäftigte…
Um wie viele Beschäftigte es bei ihrer Untersuchung geht, sagen die Statistiker nicht. Einen Richtwert lieferte vor einigen Wochen aber eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung: Demnach verdienen fünf Millionen Menschen in Deutschland weniger als 8,50 Euro pro Stunde.
Gewerkschafter sehen sich einem Zwiespalt ausgesetzt. “Wir stehen in solchen Branchen bei Tarifverhandlungen immer wieder vor der Alternative, niedrigen Tarifen zuzustimmen oder ganz auf eine tarifliche Regulierung der Arbeitsbedingungen zu verzichten”, sagte vor kurzem Reinhard Bispinck, der Leiter des Tarifarchivs der Hans-Böckler-Stiftung.
Quelle 1: Spiegel Online
Quelle 2: Statistisches BundesamtAnmerkung Jürgen Karl: Wer, wenn nicht der Spiegel, hat denn durch jahrelange neoliberale Propaganda die ideologische Begleitmusik für diese Entwicklung geliefert? Jetzt kommt plötzlich die Erkenntnis?
Ist die Forderung nach einer forcierten sozialen Polarisierung nicht ein wesentlicher Bestandteil der neoliberalen Ideologie um die entsprechende Lohnflexibilität auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen? Weshalb also die Aufregung? Aus neoliberaler Perspektive ist die Lohnentwicklung doch angemessen. Gibt es nun Millionen Niedriglöhner so gibt der Arbeitsmarkt eben kein höheres Lohnniveau her – so einfach ist das.
Dazu ein Zitat aus einem Inteview mit Friedrich August von Hayek in der Wirtschaftswoche vom März 1981:“Ungleichheit ist nicht bedauerlich, sondern höchst erfreulich. Sie ist einfach nötig. Leider Gottes ist das Sozialprodukt nur da, weil Menschen nach ihrer Produktivität entlohnt und dorthin gelockt werden, wo sie am meisten leisten. Gerade die Unterschiede in der Entlohnung sind es, die den einzelnen dazu bringen, das zu tun, was das Sozialprodukt entstehen lässt. Durch Umverteilung lähmen wir diesen Signalapparat. Und nicht nur das: Wir unterbinden auch die ständige Anpassung an sich laufend verändernde Umstände, durch die allein die Wirksamkeit unseres Produktionsapparates erhalten werden kann, Umstände, von denen der einzelne nichts weiß, über die er nur durch den Marktmechanismus informiert werden kann.“
- Arm mit und ohne Arbeit
- Arbeitslosigkeit von Älteren – statistisch hui, tatsächlich pfui
Die Arbeitslosigkeit Älterer wird von der Bundesregierung und den Regierungsfraktionen systematisch verharmlost. Mit einem Trick fallen über 58-Jährige Arbeitsuchende aus der Arbeitslosenstatistik, auch wenn sie keine Arbeit gefunden haben. Von Problembewusstsein kann bei Bundesarbeitsministerin von der Leyen jedoch keine Rede sein. In einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen redet sie den Effekt klein. Sie will den schönen Schein wahren, auf Kosten der Betroffenen. Deren Chancen auf Unterstützung und einen neuen Job sinken gemäß dem Motto „Aus der Statistik, aus dem Sinn.“
Quelle 1: Brigitte Pothmer, MdB [PDF – 12 KB]
Quelle 2: Die Antwort der Bundesregierung auf die sich die Stellungnahme der Abgeordneten Pothmer bezieht [PDF – 860 KB]
Quelle 3: SZ: Regierung schönt Arbeitslosenstatistikdazu: Kreative Statistik: Wie Regierungen mit Arbeitslosenzahlen tricksen
Jede Arbeitsministerin, jeder Kanzler stellt sich gern vor die Kameras und feiert den neuesten “Erfolg” der Regierung. Man sei froh, dass die Zahl der Menschen ohne Job nun unter drei Millionen liege, heißt es dann. Oder: Eine so niedrige Quote gab es zuletzt vor der Wiedervereinigung. Doch nun zeigt sich wieder einmal, wie absurd solche Erfolgsmeldungen sind. An diesem Freitag wurde bekannt, dass in der offiziellen Zahl von 2,7 Millionen mehr als 100.000 Arbeitslose fehlen. Das teilte das Arbeitsministerium auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion bekannt. Hintergrund ist, dass Menschen über 58 Jahre, die mindestens ein Jahr Hartz IV beziehen und kein Jobangebot bekommen haben, nicht mehr als arbeitslos gezählt werden. Obwohl sie es faktisch natürlich sind. Bei Opposition und Sozialverbänden löste die Meldung Empörung aus. Die “verschwundenen” 100.000 Arbeitslosen beruhen auf einer Gesetzesänderung von 2008. Der Kniff ist also nicht der aktuellen schwarz-gelben Regierung eingefallen, sondern der Großen Koalition aus Union und SPD. Ein Blick ins Archiv zeigt zudem: Beim Frisieren der Arbeitslosenstatistik zeigten sich auch die Regierungen Kohl und Schröder einfallsreich. Eine Auflistung der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigt, dass in den vergangenen Jahren immerhin 18 Maßnahmen die Messung der Arbeitslosigkeit verändert haben. – Klar ist, dass die etablierte Arbeitslosenzahl an sich in die Irre führt. Denn auch Ein-Euro-Jobber und Erwerbslose, die sich weiterbilden lassen, tauchen in dieser Statistik nicht auf. Ehrlicher ist die Unterbeschäftigtenstatistik der BA. In dieser waren im November mehr als 3,8 Millionen Menschen gelistet – eine Zahl, die die Zustände auf dem Arbeitsmarkt ungeschönt wiedergibt.
Quelle: Spiegel OnlineAnmerkung Orlando Pascheit: Recht lächerlich ist der künstliche Aufschrei der Opposition. Es dürfte unseren Politikern kaum entgangen sein, dass die 58er- Regel zum Beiwerk der gesetzlichen Umsetzung der Rente 67 gehört – passenderweise. Aber auch die Presse gibt kein gutes Bild ab, wenn sie erst eine Anfrage der Grünen benötigt, um auf die von den Regierungen statistisch aufgehübschten Arbeitslosenzahlen hinzuweisen. Es liegt in der Hand der Zeitungsredaktionen, den von der Regierung gefeierten Arbeitslosenzahlen zumindest die Zahl der Unterbeschäftigten gegenüber zu stellen. Zu Recht verweist Wilhelm Adamy darauf, dass die Statistik der Arbeitsagentur eine hervorragende Übersicht anbietet. Aber auch die NachDenkSeiten weisen schon immer auf Zahl der Unterbeschäftigten bzw. regelmäßig auf die Aufarbeitung der BA-Berichterstattung z.B. durch das Bremer Institut für Arbeitsmarkt und Jugendberufshilfe hin.
Dabei ist die Zahl der Unterbeschäftigten immer noch kein Abbild der Realität, so haben die Nachdenkseiten im November auf eine allen zugängliche Pressemitteilung des statistischen Bundesamtes hingewiesen, in der es heißt: “Im Jahr 2010 wünschten sich nach Ergebnissen der Arbeitskräfteerhebung rund 8,4 Millionen Menschen im Alter von 15 bis 74 Jahren Arbeit oder mehr Arbeitsstunden. Im Vergleich zum Vorjahr sank ihre Zahl um 324 000 Personen (– 3,7 %). Trotz der günstigen Entwicklung am Arbeitsmarkt bleibt somit weiterhin ein erhebliches Potenzial an Arbeitskräften ungenutzt.”
Hinter der bei der StaBu üblichen “neutralen” Rede vom “ungenutzten Arbeitskräftepotenzial” verbergen sich Problemsituationen, welche über die einzelnen, prekären Schicksale hinaus die ganze Volkswirtschaft gefährden, indem z.B. unser Sozialversicherungssystem unterfinanziert wird und in der Folge zusammengestrichen wird. So ist z.B. ein beachtlicher Teil der in Teilzeit Unterbeschäftigten (2,2 Mio.) auf Arbeitslosengeld II angewiesen und wer heute kein existenzsicherndes Einkommen hat, wird später auch keine Rente erhalten, die zum Leben reicht – ganz zu schweigen von der stillen Reserve (1,2 Mio.). Wer sich aus statistischer Sicht mit dem Thema Unterbeschäftigung näher befassen möchte, sei auf die Artikel “Unterbeschäftigung und Teilzeitbeschäftigung im Jahr 2008” [PDF – 750 KB] und “Umfassende Arbeitsmarktstatistik: Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung” [PDF – 360 KB] verwiesen. Letzterer arbeitet u.a. die unterschiedlichen Konzepte der Unterbeschäftigung anderer Institutionen heraus. Das StaBu verwendet das ILO-Konzept, nach dem z.B. bereits eine Stunde Arbeit pro Woche ausreicht, um als erwerbstätig klassifiziert zu werden. - Europa unter deutscher Fuchtel
Mit den Beschlüssen des EU-Gipfels vom 8. und 9. Dezember hat Europa seine Bemühungen um die „Rettung“ seiner Kreditwürdigkeit fundamental erweitert – was die britische Regierung prompt zum Ausstieg veranlasste. Beschlossen wurden nicht mehr neue Rettungsschirme, Kredite und Auflagen für angeschlagene Euroländer. Im Kern ging es um ein neues Design der europäischen Finanzpolitik – also um die Regeln, nach denen EU-Staaten künftig Geld ausgeben dürfen.
Durchgesetzt – und zwar auf der ganzen Linie – hat sich dabei Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Man kann sagen, es ist der Durchbruch zu einer Stabilitätsunion“, und das „ohne faule Kompromisse“, verkündete sie.
Quelle: Blätterpassend dazu: Sehnsucht nach Großmacht
[…] Während die deutsche Bevölkerung mit der Rolle Deutschlands in der Welt ganz zufrieden ist, verfolgen die gesellschaftlichen Eliten – und zwar parteiübergreifend – unbeirrt das Ziel, Deutschland wieder in den Kreis der Großmächte zu hieven. Was wesentlich bedeutet, die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs zu revidieren.
Ein Beleg dafür ist der bisher erfolglos gebliebene, aber hartnäckig weiter verfolgte Versuch, Deutschland einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu verschaffen. Ein anderer ist die Eile, mit der die Osterweiterung der EU vorangetrieben wurde, um sich ein politisch und ökonomisch abhängiges Hinterland zu sichern. […]
Die deutschen Eliten sehen die USA als unwiderruflich geschwächt an. Ob diese Analyse nun stimmt oder nicht, ist nicht die Frage. Jedenfalls hat man sich in Deutschland zum Verteidiger eines “gesunden”, nämlich auf industrieller Basis fußenden Kapitalismus aufgeschwungen, im Gegensatz zum “entarteten” angelsächsischen Finanzkapitalismus. […]
Quelle: taz - Merkel versucht sich im Neusprech
Die Kanzlerin deutet den Begriff Fiskalunion gefährlich um – zum Schaden Europas. […]
Auch die deutsche Kanzlerin hat jetzt einen seit Jahren gängigen Begriff bis zur Unkenntlichkeit reduziert. Man schaffe eine “Fiskalunion”, sagte Angela Merkel nach dem letzten Euro-Gipfel. Die Verhandlungen darüber haben schon begonnen. Die deutsche Presse übernimmt den Begriff meist unreflektiert. Dabei hat das, worauf sich die Staats- und Regierungschefs verständigt haben, ganz und gar nichts mit der ursprünglichen Bedeutung einer Fiskalunion zu tun. Merkel deutet hier einen Begriff um, um den Denkspielraum der Öffentlichkeit zu reduzieren.
Wesentliches Merkmal einer richtigen Fiskalunion ist ein Mechanismus, der die Folgen regionaler Konjunkturschwankungen glättet. Rutscht in den USA etwa ein Bundesstaat in die Rezession, zahlen die Bewohner dort weniger Steuern und erhalten Transfers – er profitiert von den höheren Einnahmen in anderen Regionen. Innerhalb Deutschlands stützen strukturstärkere Länder wie Bayern und Baden-Württemberg die schwächeren wie Berlin und Bremen.
Für Europa hieße eine echte antizyklisch wirkende Fiskalunion also: Relativ starke Länder wie Deutschland unterstützten die angeschlagenen Randländer. Das hätte übrigens auch Zahlungen nach Deutschland bedeutet, als die Bevölkerung in den 90er-Jahren schwer unter den hohen Kosten der Wiedervereinigung und den Folgen einer geplatzten Vermögensblase litt, vielleicht auch noch Anfang der 2000er-Jahre.
Quelle: FTD - Simon Johnson – Hört auf, die Banken zu schonen
In diesem Jahr ist der finanzielle Druck auf alle Staaten drastisch gewachsen – dennoch tasten die Politiker die Verantwortlichen für die Krise weiterhin nicht an. […]
Große Banken repräsentieren die höchste Stufe der konzentrierten Wirtschaftsmacht in den heutigen Volkswirtschaften. Sie können allen durchgreifenden Reformen widerstehen, die ihre Vergütungspläne tatsächlich ändern könnten. Ihre Manager wollen alle Vorteile, keinen wirklichen Nachteil.
Aber Kapitalismus ohne die Möglichkeit des Scheiterns ist keine wahre Marktwirtschaft. Wir unterhalten eine groß angelegte, nicht transparente und gefährliche staatliche Subvention, die hauptsächlich einigen wenigen, extrem wohlhabenden Menschen zugutekommt.
Quelle: FTD - George Monbiot – Die Freiheit des Hechtes
Freiheit: Wer könnte gegen sie etwas einzuwenden haben? Doch wird dieser Begriff heute in der rechten Presse und Blogosphäre, von Thinktanks und Regierungen benutzt, um unzählige Formen der Unterdrückung, Ausbeutung und Ungleichheit zu rechtfertigen. Wie konnte die libertäre Bewegung, die einst einzig für einen edlen Impuls stand, zu einem Synonym für Ungerechtigkeit werden? […]
Der moderne Libertarianismus ist der Deckmantel derer, die ohne Beschränkung ausbeuten wollen. Er tut so, als würde allein der Staat unsere Freiheiten beschneiden und ignoriert die Rolle von Banken, Unternehmen und der wohlhabenden Bevölkerung. Er leugnet die Notwendigkeit eines Staates, um sie zu bremsen und damit die Freiheiten der Schwächeren zu schützen. Diese verfälschte und einäugige Philosophie ist ein fauler Trick. Ihre Fürsprecher versuchen, der Gerechtigkeit ein Schnippchen zu schlagen, indem sie die Freiheit gegen sie in Stellung bringen. Damit haben sie die Freiheit aber zu einem Herrschaftsinstrument gemacht.
Quelle: Der Freitag - Bundesbank fordert deutlichen Sparkurs
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann drängt die Bundesregierung zu weiteren Einschnitten. Denn vor allem die Euro-Rettung kostet Geld. Experten schlagen die Streichung der Pendlerpauschale und von Steuervergünstigungen für Lohnzuschläge vor.
Quelle: SPIEGEL OnlineAnmerkung JB: Weidmanns Vorschläge sind einfach nur noch grotesk zu nennen. Wer im Angesicht der kommenden Rezession spart, verstärkt nicht nur die Rezession, sondern sorgt auch dafür, dass die Staatseinnahmen im Folgejahr einbrechen. Dadurch wird nicht gespart, die Defizite werden durch solche Torheiten vielmehr erhöht.
- Die Mär von der Kreditklemme
Fast eine halbe Billion Euro haben sich Europas Banken bei der EZB geliehen – für drei Jahre, zu einem Zinssatz von einem Prozent. 523 Banken haben die Einladung dankbar angenommen, sich in beliebiger Höhe mit billigem Geld vollzupumpen. Schließlich müssen sie im kommenden Jahr hunderte von Milliarden Euro fällig werdender Bankanleihen ablösen. Der offizielle Grund dafür, dass die EZB die Banken jetzt nicht nur für ein Jahr, sondern für drei Jahre mit unbegrenzter Liquidität ausstattet, ist die Angst vor einer Kreditklemme. EZB-Präsident Mario Draghi ist in den vergangenen Tagen und Wochen nicht müde geworden, dieses Problem zu betonen. Doch wie schon 2009/10 ist die Kreditklemme bisher noch ein Phantom. In Deutschland gibt es bisher zwar viele Warnungen davor, aber nur wenige konkrete Klagen. In Ländern Südeuropas, wo das Bankensystem wackelt und die Wirtschaft in eine Rezession abrutscht, mag es Probleme mit der Kreditversorgung geben, vor allem sobald die Konjunktur wieder anzieht, aber in der Euro-Zone als Ganzem geben die Zahlen bisher keinen Anlass, von einer Klemme zu sprechen.
Quelle: HandelsblattAnmerkung Orlando Pascheit: Die von französischer Seite offen ausgesprochen Hoffnung, dass die Banken mit dem neu geschaffenen Geld Anleihen peripherer Euro-Staaten erwerben und damit den Kapitalmarkt stabilisieren würden, dürfte sich im Falle Griechenlands, Portugals oder auch Spaniens nicht erfüllen. Die Banken dürften sich wie in den vergangenen zwei Jahren eher darum bemühen, ihre Exponierung gegenüber diesen Staatsschulden abzubauen. Im Falle Italiens zeigen die Märkte die Tendenz, bei kurzfristigen Anleihen – bei den sechsmonatige sank die Rendite von 6,50% auf 3,25% – in das Risiko zu gehen, bei den langfristigen Anleihen, nimmt man die richtungweisenden zehnjährigen Titel, sank die Rendite vom Rekordhoch von 7,56% nur auf 6,98%.
- Peter Bofinger – “Weiter so” könnte die teuerste Lösung werden
Die falsche Krisenstrategie der Bundesregierung ist die Hauptursache für die zunehmende Instabilität des Euroraums. Nun müssen die Problemländer vor der Panik der Investoren geschützt werden – am besten durch einen Schuldentilgungspakt. Sonst ist auch ein Zusammenbruch nicht ausgeschlossen.
Quelle: Tagesschau - Arbeitsgerichte handeln schwer durchschaubar
Für die Mannheimer Arbeitsrichter bestand kein Zweifel: 29 Mitarbeiter der Elektronikkette Pro-Markt hatten gegen ihre Entlassung geklagt – und alle bekamen recht. Im benachbarten Ludwigshafen zogen 18 Pro-Markt-Beschäftigte gegen ihre Kündigung vor Gericht, erfolgreich waren aber nur zwei. Dabei folgten die Kündigungen alle dem gleichen Sozialplan, und der Arbeitgeber ließ sich von derselben Kanzlei vertreten. Das Beispiel zeigt, wie viel Ermessensspielraum deutsche Arbeitsgerichte haben, wenn es um die Rechtmäßigkeit einer Entlassung geht. Wovon hängt es ab, ob die Richter zugunsten der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber entscheiden? Diese Frage haben die Ökonomen Michael Neugart von der TU Darmstadt und Helge Berger von der FU Berlin in einer empirischen Studie untersucht, die demnächst in der Fachzeitschrift „German Economic Review“ erscheint.
Quelle 1: Handelsblatt
Quelle 2: IAB [PDF – 75 KB] - Im Schatten der Wahrheit
Christian Wulff unterschrieb das dritte Darlehen für sein Haus erst, als die Öffentlichkeit schon von seinem Privatkredit erfahren hatte. […]
Wulffs Stellungnahme vom 15. Dezember ist aber noch an einer weiteren Stelle unvollständig. Er teilte damals mit, er habe inzwischen ein „langfristiges Bankdarlehen festgeschrieben“. Später wurde bekannt, dass es zu einem effektiven Jahreszins von 3,62 Prozent vereinbart wurde. Unklar blieb aber, was er mit „festschreiben“ meinte und wann es „festgeschrieben“ wurde. Zunächst teilte sein Anwalt dieser Zeitung mit, der Zinssatz sei „Anfang Dezember“ vereinbart worden. Auf die Frage, ob die Zeitangabe präzisiert werden könne, erhielt diese Zeitung am Freitag die Antwort, das sei „in den ersten Dezembertagen“ gewesen. Kurz darauf wurde die Angabe noch einmal korrigiert: Bereits am 25. November 2011 sei der Zinssatz „fixiert“ worden. Die Verträge seien dann Anfang Dezember „ausgefertigt“ worden.
Quelle: FAZ - Mit zweierlei Maß
Die Kritik des Westens am iranischen Atomprogramm ist scheinheilig. Der letzte Bericht der IAEO bietet dafür nicht die Grundlage. Eigentlich ist nur eines klar: Zivile und militärische Nutzung von Atomenergie lassen sich nicht voneinander trennen.
Quelle: The European - Ein bisschen „wahre Demokratie“
Die Zerstörungskraft des Kapitalismus hat sich potenziert. Doch im linken Lager gibt es keine Konzepte. Stattdessen wird lediglich Gegen-Macht simuliert. […]
Das allerdings kann man mit guten Gründen als fatal ansehen: Die Destruktionswucht des Kapitalismus hat sich in den vergangenen Jahrzehnten unaufhörlich potenziert und in selbstzerstörerischem Trieb mehr und mehr gegen die eigenen Voraussetzungen gewandt. Gegenbewegungen sind gewiss seit einigen Monaten erkennbar, auf Konferenzen, Kundgebungen, in Zeltdörfern. Doch dort simuliert man derzeit lediglich Gegen-Macht, spielt ein bisschen „wahre Demokratie“. Um es zweifellos sehr pessimistisch zu formulieren: intellektuell, organisatorisch, personell sind all diese Bewegungen auf den Ausgangspunkt dezidiert antikapitalistischer Strömungen irgendwo und irgendwann in den 1840er-Jahren zurückgeworfen.
Quelle: Frankfurter RundschauAnmerkung JB: Walter fischt, wie so oft, im Trüben und kommt in seinem Aufsatz nicht über undifferenzierte Verallgemeinerungen hinaus. Es ist schon interessant anzusehen, wie einer der bekanntesten deutschen Politikwissenschafter krampfhaft versucht, das „linke Lager“ in der Occupy-Bewegung und unter den S-21-Demonstranten zu verorten und sowohl die Linkspartei als auch die Gewerkschaften komplett ignoriert. Ferner ist es interessant, dass Walter dem „linken Lager“ implizit unterstellt, es müsse Konzepte entwickeln, die sich außerhalb des Grundgesetzes bewegen. Die Konzepte sind da, sie müssen lediglich mehrheitsfähig werden. Zwischen den Zeilen liest sich Walters Aufsatz eher wie ein Bewerbungsschreiben für die Nachfolge von Jan Fleischhauer beim „Schwarzen Kanal“.
- Hetzblatt “Zuerst” – DGB kritisiert Bauer wegen Rechtspostille
Ist es in Ordnung, dass die Bauer Media Group ein rechtsradikales Magazin vertreibt? Nein, findet der DGB und fordert in einem offenen Brief dazu auf, die Zeitschrift “Zuerst” aus dem Sortiment zu werfen. Bei Bauer jedoch sieht man den Vertriebsdeal durch die Meinungsfreiheit gedeckt.
Die erste Ausgabe im neuen Jahr verheißt eine wilde Verschwörungstheorie: “Bestellter Terror” ruft es vom Titelblatt des Magazins “Zuerst” und die Unterzeile fragt: “Wem nützt die ‘rechte Gewalt’?” Die Redaktion des in Kiel erscheinenden Magazins hält die Zwickauer Terrorzelle offensichtlich für ein politisches Konstrukt – und verspricht “ganz andere Hintergründe” der Mordserie zu enthüllen.
Quelle: Spiegel Online - Investigativ gegen Kostendruck
Immer mehr Medienkonzerne gründen eigene Recherche-Teams. Dahinter steckt ein Strategiewechsel: Nach langen Sparzwängen soll die Qualität gesteigert werden, um nicht noch mehr Leser zu verlieren…
Beinahe zwei Drittel der Deutschen sind überzeugt, dass sich Journalisten von Interessen der Wirtschaft beeinflussen lassen und nur noch 40 Prozent halten Tageszeitungen für glaubwürdig.
Mit dem Investigativ-Ressort will die Zeit gegensteuern, „Distanz zur Macht halten“, sagt Lebert…
Johannes Ludwig ist Medienwissenschaftler und hat ein Buch über investigativen Journalismus geschrieben, er sagt: „Die schwindende Glaubwürdigkeit der Medien hängt eng mit der schwierigen wirtschaftlichen Situation zusammen.“
Quelle: Berliner ZeitungAnmerkung Volker Bahl: Die schwierige wirtschaftliche Situation ist aber nur die eine Seite – die dogmatisch einseitige “Auslieferung” an eine Ideologie, den “Marktradikalismus”, der das “Denken” so einfach macht, weil der Markt ja alles “richtig” macht mit den heute immer mehr sichtbaren asozialen Folgen, den so “menschenfeindlichen“, ist die andere.
- Daniel Cohn-Bendit und Slavoj Žižek – Wir Europäer haben die Ressource der Aufklärung
Wie reagieren wir auf die vielfältigen politischen und kulturellen Herausforderungen der Zukunft? Dietmar Dath, Slavoj Žižek und Daniel Cohn-Bendit stecken die Richtung ab.
Quelle: FAZ - Zu guter Letzt: Peter Zudeick – Der Satirische Jahresrückblick
So viel Neues war selten. 2011 überschlugen sich die Ereignisse weltweit: Der arabische Frühling, die Nuklearkatastrophe in Fukushima, das Ende von Osama bin Laden. Und in Deutschland? Zunächst hielt die EHEC-Epidemie die Bundesbürger in Atem und alle Gurken, insbesondere die spanischen, gerieten fälschlicherweise in Verdacht. Dann wurde ein fränkischer Baron als Lichtgestalt gefeiert und anschließend als Schaumschläger entlarvt. Die FDP schaffte sich in weiten Teilen ab, der Bundespräsident präsentierte sich aufregender, als viele ihm das zugetraut hätten. Eine Menge Stoff für Peter Zudeicks Satirischen Jahresrückblick also.
Quelle: WDR5 [MP3]Anmerkung JB: Viel Spaß!