Kategorie:
Innere Sicherheit

Aus Verzweiflung erbrüteter Sprengstoff

Anmerkungen und Fragen zur Messerattacke im Jobcenter von Neuss.
Man müsste den Neusser Fall zum Gegenstand einer gründlichen Recherche machen. Wir könnten, sollten und müssten aus ihm lernen. Wo sind die Repräsentanten einer engagierten Literatur, die sich eines solchen Geschehens annehmen?
Es geht nicht darum, den Täter zu exkulpieren. Eine Tat verstehbar werden zu lassen, ist etwas anderes, als sie und den Täter zu entschuldigen.
Schon ist davon die Rede, es sollten Barrieren zwischen Mitarbeitern und Kunden errichtet sowie Fluchtwege ausgebaut werden. Auch der Einsatz von qualifiziertem Sicherheitspersonal in “sensiblen” Verwaltungsbereichen wird diskutiert.
Eine Gesellschaft, der es ernst wäre mit dem Gedanken der Prävention, würde jenseits der und unabhängig von den Zwängen und Begrenzungen der juristischen Wahrheitsfindung umgehend ein interdisziplinäres Forschungsprojekt auf den Weg bringen, dessen Aufgabe es wäre, all das auszuleuchten, was vom Gericht als „nicht zur Sache gehörig“ erklärt und außer Acht gelassen wird. Es hätte den gesellschaftlichen Hintergründen und psycho-sozialen Bedingungen der Möglichkeit dieser Tat rückhaltlos auf den Grund zu gehen. Von Götz Eisenberg [*]

Ein weiterer Tabubruch: Bundesverfassungsgericht lässt den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im Inneren zu

Die strikte Trennung von innerer Gefahrenabwehr durch die Polizei und äußerer Gefahrenabwehr durch das Militär war eine bewusste Reaktion der Väter (und Mütter) des Grundgesetzes auf den offenen oder verdeckten Einsatz der Reichswehr im Innern in der Weimarer Republik. Diese Trennung wurde zwar schon mit der Notstandsgesetzgebung im Jahre 1968 gelockert (Einfügung des Art. 87a Abs. 4 GG). Dennoch blieb es bei einer strikten Unterscheidung bei der Regelung des Katastrophen-Notstandes und des Staats-Notstandes. Kampfeinsätze der Bundeswehr im Innern, die auf die Vernichtung des Gegners gerichtet sind, blieben prinzipiell ausgeschlossen. Das Bundesverfassungsgericht weicht nun mit seiner heutigen Entscheidung die bisherige Trennung von Polizei und Militär weiter auf.
Die Regelungen für den Katastrophenschutz nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG, ließen bisher – auch nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtes – den Einsatz der Streitkräfte im Innern mit militärischer Waffengewalt nicht zu. Die 16 Richter des Plenums haben nun entschieden, dass die „Verwendung spezifischer militärischen Waffen bei Einsätzen der Streitkräfte nach diesen Vorschriften nicht grundsätzlich“ ausgeschlossen ist. Damit ist ein fundamentales Prinzip unserer Verfassung – unter Umgehung einer Verfassungsänderung durch den Gesetzgeber – durchbrochen. Wenn auch in engen Grenzen, ist damit die Tür für eine weitere Militarisierung im Innern aufgestoßen. Von Wolfgang Lieb

Die Renationalisierung Europas

Die als Denationalisierungsprojekt erhoffte Europäische Union hat sich längst in ihr Gegenteil verkehrt: Renationalisierung. Die Renationalisierung Europas hat mit der Dominanz einzelwirtschaftlichen Konkurrenzdenkens in gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen begonnen und führte auf der EU-Ebene zur Reduktion der europäischen Idee auf die Geschäftspolitik des industriellen Kerns. Heute ist das Vertrauen in den propagierten Selbstlauf des eurogekrönten Binnenmarktes bezüglich seiner Verteilungseffekte schwer getrübt, nur Deutschland scheint noch nicht einmal im eigenen Land mitbekommen zu haben, wer den nicht erklärten Klassenkrieg gewinnt. Von Orlando Pascheit.

Amok in Erfurt / Teil 3 – Schulen: Verlässliche Orte oder Zulieferbetriebe für Markt und Industrie?

Am heutigen Tag vor 10 Jahren lief ein Schüler am Erfurter Gutenberg-Gymnasium Amok und tötete 16 Menschen und sich selbst. Götz Eisenberg hat auf die damaligen schrecklichen Ereignisse zurückgeblickt und danach gefragt, was aus diesem Massaker wirklich gelernt wurde. Lesen Sie heute den letzten Teil seiner Beobachtungen und seinen Schlussfolgerungen. Im Anhang finden Sie eine kommentierte Chronik der zurückliegenden Schulamokläufe.

Amok in Erfurt / Teil 2

„Schrei nach Veränderung“
Von Götz Eisenberg
Im August 2005 wurde der Schulbetrieb im umgebauten und gründlich sanierten Erfurter Gutenberg-Gymnasium mit einer Feierstunde wieder aufgenommen. Neben dem Eingang brachte man eine Gedenktafel mit den Namen der sechzehn Getöteten an. Gesellschaften und Gemeinschaften brauchen Orte der Erinnerung und kollektive Rituale zur Bewältigung eines Traumas, um ihr erschüttertes Gleichgewicht wieder zu erlangen. Es gibt allerdings Formen der Erinnerung, die in Wahrheit eher das Vergessen befördern. Man schafft, salopp gesagt, „Kranzabwurfstellen“, Orte, an denen man an Jahrestagen Blumen niederlegt, Kerzen entzündet und sich einer ritualisierten Gedächtnisübung unterzieht, um hinterher umso schneller vergessen zu können und über die Ursachen der Gewalt nicht reden zu müssen.

Amok in Erfurt

Am 26. April 2002 tötete der 19-jährige Robert S. am Erfurter Gutenberg-Gymnasium 16 Menschen und sich selbst. Kurz darauf gründete sich die Schülerinitiative „Schrei nach Veränderung“, die dazu aufrief, sich „verstärkt mit den gesellschaftlichen Ursachen dieser Tat auseinander zu setzen“, weil nur deren Kenntnis es ermögliche, weiteren Taten vorzubeugen. Aus dem Abstand von zehn Jahren blickt Götz Eisenberg auf die damaligen Ereignisse zurück und fragt, was aus dem Massaker von Erfurt wirklich gelernt wurde. Wir präsentieren seinen Text von heute an bis zum 26. April in drei Teilen. Beschließen wird ihn eine kommentierte Chronik der Schulamokläufe.

„Verrückt“ oder „böse“? Zum Prozessauftakt gegen Anders Behring Breivik

Amokläufe enden meist mit dem Tod des Amokläufers, der sich am Ende seines mörderischen Wütens selbst umbringt, von den Sicherheitskräften getötet wird oder sich von der Polizei umbringen lässt. Man hat es oft bedauert, dass man sie deswegen nicht vor Gericht stellen und der irdischen Form der Gerechtigkeit zuführen kann.
Wie schwer sich allerdings eine Gesellschaft mit einem überlebenden Amokläufer und der juristischen Wahrheitsfindung tun kann, ist seit Juli 2011 in Norwegen zu beobachten. Der Prozess gegen Anders Breivik wird am heutigen Montag beginnen und wir können gespannt sein, wie das Gericht in der umstrittenen Frage der Schuldfähigkeit entscheidet und wie es seine von Größen- und Allmachtsphantasien und paranoiden Projektionen durchtränkte Programmatik wertet: böse oder krank, Gefängnis oder Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt? Gespannt aber vor allem auch darauf, was der Prozess an wirklicher Aufklärung über die Hintergründe und Motive der Tat und für die Aufrechterhaltung des Zusammenhalts der norwegischen Gesellschaft leistet. Von Götz Eisenberg

Wer bewacht die Wächter?

Die politische Aufarbeitung des jüngst entdeckten Staatstrojaners lässt die Öffentlichkeit in einen Abgrund aus Fahrlässigkeit, Inkompetenz und Ignoranz gegenüber der Verfassung blicken. Was eigentlich ein großer Skandal sein sollte, droht jedoch im technischen Kleinklein unterzugehen. Nicht nur die Politik und die Sicherheitsbehörden haben Defizite beim Verständnis der Risiken moderner Informationstechnologie, auch die meisten Journalisten und Bürger sind sich deren Tragweite nicht bewusst. Von Jens Berger

Es lebe die Anonymität im Netz!

Zwei Wochen nach den schrecklichen Anschlägen in Norwegen wagt sich Innenminister Hans-Peter Friedrich aus der Deckung und versucht in einem Interview mit dem SPIEGEL Kapital aus dem Fall Breivik zu schlagen. Nicht die rechtspopulistische Hetze als solche, sondern das Internet trage die Verantwortung für die „Radikalisierung des Einzeltäters“, so die Quintessenz des Interviews. Nicht Aufklärung und die politische Auseinandersetzung, sondern die Aufhebung der Anonymität im Netz sei ein probates Mittel, um die Radikalisierung zu verhindern. Dabei geht es jedoch weniger um Klarnamen und Anonymität, als vielmehr um die Verlagerung der Diskussion um Rechtspopulismus auf ein „Netzthema“. Von Jens Berger

Die Verschiebung der Achse nach Rechts ist das Ergebnis eines Zusammenspiels von solchen, die sich Demokraten nennen, mit der Rechten – verbunden über „kommunizierende Röhren.“

Mit bisher drei Beiträgen sind wir bei der Analyse der Gewalttat in Norwegen auf die Rolle der „Brandstifter“ eingegangen – hier, hier und hier. Ich verstehe, dass sich die möglichen Brandstifter gegen diesen Vorwurf wehren. Aber sie täten besser daran, darüber nachzudenken, wie eng ihr Denken und Handeln mit dem Gewalttäter von Norwegen verbunden ist und wie weit dies zurückreicht. Politik, Wissenschaft und Publizistik sind in vielfältiger Weise und seit langem mit der gewaltbereiten Rechten verbunden – viele sicher ohne es zu wollen, aber das macht im Ergebnis keinen Unterschied. Ich bin einigen Belegen für diese Beobachtung nachgegangen und skizziere sie im Folgenden. Das sind Denkanstöße für eine Einordnung des Geschehens und der weiteren Entwicklung. Albrecht Müller.

Grobe Fahrlässigkeit bei Versicherungssumme LoveParade: Fehlende Auflage der Genehmigungsbehörde?

„Üblich bei solchen Veranstaltungen sind dreistellige Millionenbeträge als Versicherungssumme. Erstaunlich ist, dass die Erlaubnis zur Durchführung der Loveparade nicht davon abhängig gemacht wurde, dass eine auskömmliche Versicherungssumme gegen existentielle Risiken nachgewiesen wird. Schließlich handelt es sich bei der Veranstalterin um eine GmbH mit erkennbar limitiertem Vermögen“, schreiben Dr. Johannes Fiala und Peter A. Schramm in einer Erläuterung zur Versicherungsproblematik. Auch hier wieder eine Folge des Rückzugs staatlicher Regelung und Verantwortung. Albrecht Müller

Die Verantwortung der Medien für die Toten von Duisburg.

Wir werden auf die Verantwortung der Medien und diese Ursache für die Schonung des Duisburger OB in den Medien aufmerksam gemacht. In einem Nachtrag zum Artikel „Stellen wir uns vor, Duisburgs OB hätte Ypsilanti (SPD) und nicht Sauerland (CDU) geheißen“ haben wir in den Hinweisen schon von diesen Einwänden berichtet. Siehe letzten Hinweis von heute.
Ein Nutzer der NDS macht zusätzlich darauf aufmerksam, dass die Lokalmedien (z.B. WAZ) im Vorfeld nicht gerade kritisch mit den Organisatoren umgegangen seien und notiert: „Wahrscheinlich auch ein Grund dafür, warum man Berichte aus der Zeit vor der Veranstaltung nicht mehr abrufen kann“. Siehe hier. Albrecht Müller

Stellen wir uns vor, Duisburgs OB hätte Ypsilanti (SPD) und nicht Sauerland (CDU) geheißen

Wäre ein/e linke/r Sozialdemokrat/in Oberbürgermeister von Duisburg, hätte diese/r gegen die Bedenken von Polizei und Feuerwehr und des eigenen Bauordnungsamtes die Genehmigung für die Loveparade durchsetzen lassen und sich hinterher auch noch so billig aus der Verantwortung gestohlen, wie der Oberbürgermeister Sauerland von der CDU dies tut, dann wäre diese Person von Deutschlands Medien in der Luft zerrissen worden. Mit dem CDU-Mann gehen sie ausgesprochen sanft um. Albrecht Müller.

Der Verfassungsschutz dient dem Machterhalt der herrschenden Kreise. So ist es. So war es von Anfang an.

Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden. Die Partei Die Linke und auch Bodo Ramelow dürfen vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Lächerlich. Aber diese antidemokratische Lächerlichkeit hat Tradition in dieser FdGO. In einem Beitrag vom 21. Mai hatte ich schon darauf hingewiesen, wie wir als Schüler Anfang der Fünfzigerjahre ungeschützt von irgend einem Verfassungsschutz den verbliebenen Nazi-Lehrern und ihrer Verherrlichung des Militärs ausgesetzt waren. Später habe ich dann als Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt mit SPD-Parteibuch erlebt, wie der Verfassungsschutz offen Jagd auf Sozialdemokraten gemacht hat. Diese sollten sich nicht zu früh freuen über das Urteil von Leipzig. Ihre Option zur politischen Führung und zu einer politischen Alternative zu Schwarz-Gelb ist in Leipzig neben der Demokratie auch noch zu Grabe getragen worden, wie die taz in diesem Beitrag zu Recht feststellt. Albrecht Müller