OECD für weitergehende Reformen – Suchen Sie selbst nach der Begründung.
Heute melden die Zeitungen wie gestern das Fernsehen und der Hörfunk, dass die OECD die Reformen der Agenda 2010 unterstützt und weitere fordert. Welch eine Überraschung!
Heute melden die Zeitungen wie gestern das Fernsehen und der Hörfunk, dass die OECD die Reformen der Agenda 2010 unterstützt und weitere fordert. Welch eine Überraschung!
Seit über zwanzig Jahren immer nur dieselben Rezepte und nichts hat sich verbessert. Am 9. September 1982 hat der damalige Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff sein „Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ – den „Scheidebrief“ für die damalige sozialliberale Koalition – veröffentlicht. Seit dieser Zeit wird Politik – manchmal mehr, manchmal weniger – nach dieser Rezeptur gemacht. Und dennoch haben sich die Staatsschuld und die Zahl der Arbeitslosen vervielfacht.
Die Argumentationsweise der Wirtschaftsverbände gegen sozialstaatliche Errungenschaften sind heute verblüffend ähnlich wie vor 75 Jahren. Darauf macht mich Claus Hofmann aufmerk-sam. Was er da in einer Denkschrift des Reichsverbandes der deutschen Industrie von 1929 ausgegraben hat, ist interessant für alle Nutzer der NachDenkSeiten, die gelegentlich ein Zitat für ihre eigenen Artikel und Reden brauchen.
Die öffentliche Debatte in Deutschland wird immer verrückter – und verlogener. So verschickte die Friedrich-Naumann-Stiftung, die politische Stiftung der FDP am 14. Juli eine Presseinformation unter dem Titel „Auf dem Weg in die Unfreiheit – Deutschland fällt immer weiter zurück – Economic Freedom Report 2004 erschienen.“ Da wird behauptet, es ginge uns schlechter, weil wir wirtschaftlich kein richtig freies Land seien. Diese Behauptung ist sachlich abstrus. Fast schon komisch ist, dass die Behauptung von der Stiftung einer Partei kommt, die von Beginn der Bundesrepublik bis 1998 mitregiert hat und von 1974 bis 1998 den Bundeswirtschaftsminister stellte. Absender ist eine mit Steuergeldern finanzierten Stiftung.
Heute ist der neue Bundespräsident Köhler vereidigt worden und hat seine Antrittsrede gehalten. Der beste Kommentar dazu erschien schon heute früh in der Süddeutschen Zeitung, wenn auch ohne jeglichen Bezug auf das heutige Ereignis: „Auf zum letzten Gefecht“ von Heribert Prantl. Der Innenpolitiker der Süddeutschen Zeitung beschreibt darin die Folgen von Hartz IV für die betroffenen Arbeitslosen. Er kommentiert die Abwendung der SPD von den Schwächeren unserer Gesellschaft, die mit der Politik des „Umbaus des Sozialstaates“ verbunden ist, wie es beim Bundeskanzler und beim neuen Bundespräsidenten in gleicher Weise heißt. Es lohnt sich unbedingt, Prantls Kommentar zu lesen. Er enthält viele wichtige Informationen über die Folgen der Agenda 2010, die nach meiner Kenntnis auch viele politisch Interessierte noch nicht wahrgenommen haben. Es lohnt sich auch, die Rede des Bundespräsidenten zu lesen. Zu finden bei www.bundespraesident.de. Mit dieser Rede wird weiter deutlich, dass sich der Bundespräsident voll auf die Seite jener stellt, die eine Systemänderung zu Lasten der breiten Schichten unsres Volkes wollen und das beschönigend Erneuerung nennen.
Die OECD hat einen 222 Seiten starken Bericht zur „Regulierungsreform in Deutschland – Konsolidierung der wirtschaftlichen und sozialen Erneuerung“ vorgelegt. Wir dokumentieren die Kurzfassung, die zugleich eine Pressemitteilung ist. An diesem Beispiel kann man wieder einmal gut sehen, wie sehr diese Organisation von den Neoliberalen unterwandert ist und – diesem Fall mit Steuergeldern – ideologische Arbeit leistet. Mit welchem Recht, so kann man und muss man wohl auch fragen, wird hier der Privatisierung und Deregulierung das Wort geredet, mit welchem Recht wird dazu aufgefordert, in Deutschland auf diesem Weg weiterzugehen, obwohl bisher jeglicher Erfolg für unsere wirtschaftliche Entwicklung ausgeblieben ist.
Schon 1949 mussten Bundesregierung und Bundesbank ermahnt werden eine vernünftige Wirtschaftspolitik zu machen.
Auf den „NachDenkSeiten“ versuchen wir, die Eindimensionalität des politischen Diskurses aufzubrechen. Wir haben nur allzu oft Grund dazu, das ungeprüfte nachplappern von Denkschablonen durch die Medien zu beklagen. Um so erwähnenswerter sind Beiträge, die vom Mainstream abweichen. Die Abhandlung „Der Mythos vom Abstieg“ von R. von Heusinger und W. Uchatius in der Wochenzeitschrift „DIE ZEIT“ Nr. 17, 2004 soll deshalb nicht unerwähnt bleiben. Eine Analyse, die den wirklichen Ursachen für das mangelnde wirtschaftliche Wachstum nachgeht und Alternativen zur angeblich alternativlosen Spar-, Lohnkürzungs- und Sozialabbaupolitik aufzeigt.
Da meldet das Statistische Bundesamt für März 2004 einen neuen Rekordüberschuss im Außenhandel mit einem Plus von 16,6% gegenüber dem Vorjahr. Eigentlich ein Grund zum Jubel über die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland. Doch auch aus den seit Jahren weltweit höchsten Exportwerten wird bei unseren notorischen Miesmachern ein “Untergangsszenarium” (Bundespräsident Johannes Rau in seiner “Berliner Rede” vom 12. Mai 2004). Es handle sich dabei nur um “Basar-Ökonomie”, weil Deutschland “die Weltmärkte mit den Waren bedient, die wir in unserem osteuropäischen Hinterland produzieren lassen” meint der Chef des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung in seiner “Deutschen Rede” unter der Überschrift “Der kranke Mann Europas” vom 15. November 2003. Deutschlands “klügster Wirtschaftsprofessor” (BILD vom 21. April 2004) unterliegt einem Denkfehler: Bei der Außenhandelsbilanz sind die Importe von den Exporten abgerechnet!
Seit 20 Jahren erklärten alle Bundesregierungen die Haushaltskonsolidierung zu einem der wichtigsten politischen Ziele, im Gegensatz dazu sind aber die Schulden der öffentlichen Haushalte immer weiter auf nunmehr 1,3 Billionen Euro gestiegen. Finanzminister Eichel, der die Nettokreditaufnahme durch Einsparungen ab 2006 auf Null zurückfahren wollte, steht vor immer größere Löchern in der Kasse, weil die Steuereinnahmen immer weiter hinter den Schätzungen zurückbleiben weil Steuern gesenkt wurden und die Konjunktur nicht anspringt. Bush Senior hinterließ 1992 Bill Clinton ein Haushaltsdefizit von fast 5 Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts; am Ende seiner Amtszeit hatten die USA sogar einen Haushaltsüberschuss. Mit Sparen? Mit Steuersenkungen? Mit Kürzung der Sozialleistungen?
Der Markt kann alles besser? Der amerikanische Nobelpreisträger für Wirtschaft, Joseph E. Stiglitz, entzaubert die Marktapologeten.
Seit Jahren hören wir von unseren Wirtschaftssachverständigen oder von dem laut BILD “klügsten Wirtschaftsprofessor”, dem ifo-Chef Hans-Werner Sinn immer nur das gleiche Klagelied: Eine zu hohe Staatsquote und eine aufgeblähte Staatsbürokratie seien eine der Hauptursachen für die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands. Überregulierung, Bürokratie, zu hohe Steuern fesselten die Marktkräfte. In der internationalen wirtschaftswissenschaftlichen Debatte spielen zwar unsere Ökonomen seit Jahrzehnten keine Rolle mehr, aber deren Marktgläubigkeit wird in den deutschen Medien und von der deutschen Politik kritiklos nachgeplappert. Die Thesen vom “verloren gegangenen Gleichgewicht zwischen Markt und Staat” und die “Alternative zum Diktat des Marktes”, wie sie der amerikanische Nobelpreisträger für Wirtschaft, Joseph E. Stiglitz entwickelt, werden bei uns nicht zur Kenntnis genommen.
Es gehörte schon immer zur Strategie konservativer Politik, Ängste zu schüren, um damit rückwärtsgewandte Ziele durchzusetzen. Genauso gehört es zum Handwerkszeug der Wirtschaft, zu jammern, um niedrigere Steuern und niedrigere Löhne durchzusetzen und Arbeitnehmerrechte abzubauen. Allmählich scheint es in der rot-grünen Koalition zu dämmern, dass man mit Angstmache die Wirtschaft nicht in Schwung bringen kann. Man braucht nicht alles schön zu reden, was in diesem Land geleistet wird, aber besser wird es auch nicht dadurch, dass man alles schlecht redet. Um mehr Aufklärung in die politische Debatte zu bringen soll in lockerer Folge die “Miesmache” auf den verschiedensten Politikfeldern mit Nachrichten konfrontiert werden, die ein anderes Bild liefern, als das was uns täglich eingeredet wird, um angebliche “Reformen” durchzusetzen. Heute zum Thema: “Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist schlecht”.
Verschiedene aktuelle Meldungen, unter anderem Äußerungen Joschka Fischers in einem Spiegel-Interview, deuten darauf hin, dass die Bundesregierung verstanden hat: ihre bisherige Reformpolitik bringt die wirtschaftliche Belebung nicht. Angeblich will sie den Kurswechsel. Die neoliberale Linie hat versagt. Die Chance, einen solchen Kurswechsel auch personell zu verankern, hat sie sich entgehen lassen. Sie hätte zum Bundesbankpräsidenten, der ja die Politik der eigenen Zentralbank und – weit wichtiger – den geldpolitischen Kurs der Europäischen Zentralbank mitbestimmt, eine Person durchsetzen können, die ein klares Zeichen für einen auf Expansion der Binnennachfrage setzenden Kurs gewesen wäre. Der Würzburger Professor Peter Bofinger war im Gespräch. Finanzminister Eichel hat dem widersprochen. So haben wir mit Axel Weber einen ziemlich unbeschriebenen Professor, dessen Nominierung der neoliberale Mainstream begeistert beklatschte, zum Bundesbankpräsidenten bekommen. Eine verpasste Chance.
Man kann der Bundesregierung zugute halten, dass sowohl die meinungsführende Wissenschaft von der Nationalökonomie als auch die Mehrheit der Medien in der wirtschaftspolitischen Debatte einen bemerkenswerten Grad an Inkompetenz erreicht hat.
Beim Versuch, die Qualitäten unseres Landes und seiner bisherigen Strukturen „herunter zu machen“, wird in den letzten Monaten immer wieder das Phänomen der Abwanderung von Arbeitsplätzen und der angebliche Niedergang des Weltmarktanteils Deutschlands beschworen. Hier ist offenbar eine richtige Kampagne zu Gange. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber und auch der hessische Ministerpräsident Roland Koch beteiligen sich aktiv an dieser Kampagne. Edmund Stoiber mit der Behauptung, monatlich würden 50.000 Arbeitsplätze verlagert. Roland Koch mit der Behauptung, der Weltmarktanteil der USA sei auf 19 Prozent gestiegen und sie hätten uns damit weit überholt.
Gerhard Bosch: Innovationspolitik: Vom Nachbarn lernen. In: WSI Mitteilungen, 2/2004