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Wirtschaftspolitik und Konjunktur

Sachverständigenrat will den Arbeitszwang erhöhen. Das Arbeitslosengeld II soll um 30% gekürzt werden.

Unsere Wirtschaftsweisen haben in ihrem im Auftrag der Bundesregierung erstellten Gutachten, mal wieder eine tolle arbeitsmarktökonomische Idee: Das Alg II, bisher als eine Sozialleistung zur Sicherung des Existenzminimums definiert, soll unter Umgehung des Grundgesetzes auf ein existenzbedrohendes Niveau von 240 Euro und außerdem die Einkommensgrenze für Mini-Jobs von 400 auf 200 Euro gesenkt werden. Zudem sollen Erwerbseinkommen bis zu 200 Euro künftig voll auf das Alg II angerechnet, sprich abgezogen werden. Der Hunger wird die Arbeitlosen und Mini-Jobber schon zur Arbeit um jeden Preis treiben. Mit den so eingesparten staatlichen „Transferleistungen“ sollen dann über ein Kombilohnmodell die Löhne der Arbeitgeber subventioniert werden.

Joachim Jahnke über die angebliche Trendwende auf dem Arbeitsmarkt: Saisonbereinigt ist die Zahl der Arbeitslosen gegenüber Juli leicht gestiegen

Wir haben auf den NachDenkSeiten auch gegenüber den jahrelangen Miesmachereien die Position durchgehalten, die wirtschaftliche Lage Deutschlands nicht schlechter zu reden, als sie tatsächlich ist. Denn wir wissen, wie wichtig es für einen wirtschaftlichen Aufschwung ist, eine positive Aufbruchsstimmung zu schaffen. Uns ärgert aber, wenn Politiker, die so ziemlich alles falsch gemacht haben, Zahlen schönreden und – wie etwa der CDU-Generalsekretär Pofalla – das dann noch „als Verdienst der Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel“ verkaufen wollen.
Joachim Jahnke hat sich wie jeden Monat, die Zahlen genauer angesehen und kommt zum Ergebnis: Saisonbereinigt ist die Zahl der Arbeitslosen im August gegenüber Juli nicht weiter zurückgegangen, sondern um 5.000 leicht gestiegen.

William Baumol: Die Irrtümer der (Mainstream-)Ökonomen

Der inzwischen über 80jährige Princeton-Professor William J. Baumol, als Wettbewerbs- und Innovationsforscher ein weltbekannter Ökonom und mehrfach für den Nobelpreis vorgeschlagen, hat radikal mit einigen Irrtümern seiner neoliberalen (Mainstram-)Kollegen in der Ökonomenzunft abgerechnet. (Siehe William J. Baumol: “Errors in economics and their consequences“ , in Social Research Vol. 72 (2005) No. 1, pp. 1-26) Ein Leser der NachDenkSeiten hat die wesentlichen Aussagen zusammengefasst und übersetzt.

Neoliberale und einige so genannte Linke sind sich einig in der Abwertung keynesianischer Methoden

Christian Girschner nennt seine Kritik eine Kritik von ‚links’ und weist daraufhin, dass Hirsch ähnlich indifferent wie der in den NachDenkSeiten am 23.8. kritisierte Robert Kurz argumentiere.
Ich habe bei der Lektüre des im folgenden wiedergegebenen Textes von Girschner gleich auf der zweiten Seite viel gelernt. Immer wieder werde ich nämlich mit der These konfrontiert, keynesianische Methoden hätten nur zwischen 1967 und 1974 funktioniert. Nach 1975, so hatte der verstorbene Peter Glotz in einer Besprechung von „Die Reformlüge“ ergänzend behauptet, habe es kein Wachstum mehr gegeben. Dass diese fast schon exotischen Behauptungen immer gleich lautend des Wegs kommen, war rätselhaft. Ich fand aber die Quelle dieser Gleichrichtung nicht. Jetzt kenne ich sie. Vielen Dank dem Autor.

Joachim Jahnke: „Armes“ Deutschland, „glücklicheres“ Frankreich

Am 25. August 2006 hat auch das statistische Amt Frankreichs INSEE die Ergebnisse der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des 2. Quartals veröffentlicht. Der Vergleich ist für Deutschland besonders interessant und zeigt, dass Frankreich wirtschaftlich, aber vor allem sozialpolitisch, auf einem besseren Weg ist. Der Index des dort „salaire mensuel de base” genannten Arbeitseinkommens stieg mit einem realen Plus von fast 1 % (D = minus 3,2 %) gegenüber Vorjahresperiode und schob damit den Konsum privater Haushalte mit 3,1 % Plus (D = minus 0,2 %) vor sich her. Auch die für die Zukunft des Landes und den Arbeitsmarkt entscheidenden Bruttoanlageninvestitionen entwickelten sich mit einem fetten Plus von 4,1 mehr als doppelt so stark (D = 2,0 %), was zu einer besseren Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts insgesamt beitrug. Schließlich ist das Land wesentlich weniger von der sich derzeit eintrübenden weltwirtschaftlichen Entwicklung abhängig als Deutschland. Während im wiedervereinigten Deutschland die Einkommensunterschiede noch nie so groß waren wie heute, öffnet sich in Frankreich die Schere zwischen den Unternehmenseinkommen und denen aus Arbeit nicht.

Mittelmaß regiert uns, eine geistig beschränkte Ideologie beherrscht die öffentliche Debatte.

Wir haben einen Finanzminister, der offenbar keine Ahnung von gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen und obendrein Wahrnehmungsstörungen hat. Er könnte nämlich den Deutschen nicht empfehlen zu sparen, noch dazu beim Urlaub, wenn er begriffen hätte, dass das Hauptproblem unserer Volkswirtschaft die schwache Binnenkonjunktur ist.
Wir haben eine Bundesregierung, die den minimalen Aufschwung dieses Jahres mit einer dreiprozentige Mehrwertsteuererhöhung zu erdrosseln droht.
Wir haben eine Führungselite, die Studien braucht, um zu erkennen, dass Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit seelisch krankmachen. An diesem Beispiel kann man gut erkennen, wie eng der Horizont der herrschenden Ideologie ist.

Stärkstes Wirtschaftswachstum seit fünf Jahren. Ist wirklich ein tragfähiger Aufschwung in Sicht?

Geradezu Begeisterung löste in den elektronischen Medien die heutigen Wachstumszahlen des Statistische Bundesamt aus, dass das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal um 0,9 Prozent (Vorquartal 0,7 Prozent) stieg und das Wachstum kalenderbereinigt gegenüber dem Vorjahresquartal bei 2,4 Prozent lag. Dass Schweden im gleichen Zeitraum 5% und Deutschland beim Wachstum vor Japan und Italien immer noch an drittletzter Stelle liegt, wird natürlich nicht erwähnt. Völlig unter den Tisch fällt die negative Entwicklung der Einkommen, die langfristig stagnierende Binnenkonjunktur, die anhaltende Massenarbeitslosigkeit bei weiter abnehmenden versicherungspflichtigen Arbeitsplätzen und die Tatsache, dass der Außenhandelsüberschuss wesentlich der verhaltenen Lohnentwicklung geschuldet ist. Joachim Jahnke spricht deshalb lieber von einem „Mehrwertsteuer-WM-Quartal“ und schaut auf die nüchternen Zahlen hinter den euphorischen Schlagzeilen.

Jean-Paul Fitoussi: Warum in Europa auf eine makroökonomische, nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik verzichtet wird

Fitoussi ist seit 1982 Professor am Institut Institut d’études politiques de Paris (IEP) und seit 1989 Präsident de l’Observatoire français des conjonctures économiques (OFCE). Er ist Mitglied des Rates für ökonomische Analysen beim französischen Premierminister. Wir geben hier eine Zusammenfassung eines Aufsatzes vom April 2006 als ein Beispiel für die weitaus vielfältigere Diskussion auch innerhalb der etablierten französischen Wirtschaftswissenschaften wieder.
Gerhard Kilper hat den Aufsatz zusammengefasst und übertragen.

NachDenkSeiten Leser sind auch früher im Bild

Am 5.8 erschien in der Berliner Zeitung ein wichtiger Hinweis auf die Gefährlichkeit der deutschen Strategie, die mangelnde Binnennachfrage mit Exportüberschüssen auszugleichen. „Riskante Rekorde“ ist der Artikel überschrieben, in dem beschrieben wird, dass Deutschlands Exportoffensive sogar die Währungsunion bedrohen könnte, jedenfalls absolut irrational ist.
Einer unserer Leser hatte uns daraufhingewiesen und zugleich darauf aufmerksam gemacht, dass diese Gefahr, und zwar ziemlich präzise, schon auf Seite 113 von „Machtwahn“ beschrieben ist. Ähnlich haben wir immer wieder in den NachDenkSeiten für eine offensive und konjunkturanregende Politik im Innern plädiert. Seit langem könnte die Politik wissen, was sinnvollerweise zu tun ist.

Das „deutsche Problem“ mit dem Arbeitsmarkt: Das IW sieht die Schuld bei den Arbeitslosen, das IAB sieht das Problem im Auftragsmangel der Unternehmen

Das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) sieht 3 Millionen Stellenangebote und 1,3 Millionen offene Stellen. Nirgendwo in Europa seien mit 3,2% so viele Arbeitsplätze unbesetzt wie in Deutschland. Das IW sieht „ein deutsches Problem“ in der mangelnden Mobilität und Flexibilität und in der „recht großzügigen“ staatlichen Alimentation der Arbeitslosen.
Sind also die Arbeitslosen an der hohen Arbeitslosenrate selbst schuld?

Staunen über makroökonomische Abläufe

Zur Zeit erscheinen immer wieder Meldungen über die Unsicherheit der wirtschaftlichen Entwicklung. Bei managermagazin-online erschien am 18.7. ein Beitrag unter dem Titel: „Konjunktur – Der schwarz-rote Bremsklotz“. Vor einem Einbruch der Wachstumserwartungen wird mit Berufung auf das Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung gewarnt. Und auf die schlechte Finanzpolitik der Bundesregierung verwiesen. Angesichts dieser späten Einsicht dürfen wir vielleicht darauf hinweisen, dass unsere Leser – anders als die der meisten Wirtschaftsteile deutscher Medien – davor bewahrt blieben, jetzt darüber zu staunen, dass aus dem großen Aufschwung nichts wird. Und dass dies viel mit der makroökonomischen Unfähigkeit der handelnden Personen zu tun hat.