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Europäische Union

Plan zur ESM-Hebelung führt das Bundesverfassungsgericht ad absurdum

Kaum ist die Tinte unter dem kontrovers diskutierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum ESM getrocknet, planen die Finanzminister der Eurozone bereits, den ESM durch zusätzliche Finanzinstrumente zu hebeln. Anstatt der vertraglich festgelegten 500 Mrd. Euro soll das Finanzierungsvolumen des ESM künftig offenbar auf bis zu 2.000 Mrd. Euro steigen, ohne dass dabei die maximale Haftungssumme für die einzelnen Länder steigt. Ein Gelingen dieses Plans ist zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber prinzipiell möglich. Die Hebelung hat jedoch einen ganz entscheidenden Nachteil – sie widerspricht ganz ausdrücklich dem mittlerweile ratifizierten ESM-Vertrag, über den die Karlsruher Richter entschieden haben und erhöht überdies die Haftungswahrscheinlichkeit für den Steuerzahler massiv. Von Jens Berger.

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: Die entscheidenden Fragen vor der Ratifizierung des ESM-Vertrages stellen sich erst noch

Dem Bundespräsidenten konnte es offenbar nicht schnell genug gehen: Teilte nach dem Karlsruher Urteil das Bundespräsidialamt mit, dass die Entscheidung nun erst einmal „unverzüglich ausgewertet werden“ müsse und dass man noch keinen Termin für die Ausfertigung der Gesetze zum „Euro-Rettungsschirm“ nennen könne, hat der Bundespräsident anders entschieden. Nur einen Tag nachdem das Bundesverfassungsgericht im Eilverfahren sein Urteil über den ESM-Vertrag und den Fiskalpakt gefällt hat, und entschieden hat, dass die Ratifikation dieser Verträge nur unter Auflagen erfolgen darf, hat Joachim Gauck diese Gesetze nun ausgefertigt.
Anlässlich der Verleihung des Theodor-Wolff-Preises für herausragenden Zeitungsjournalismus erklärte Joachim Gauck dieser Tage, dass im Gegensatz zum Qualitätsjournalismus im Internet „jeder posten und pesten kann, wie er will“. Also posten und pesten wir mal und stellen Fragen, die sich der Qualitätsjournalismus (bisher jedenfalls) nicht gestellt hat. Von Wolfgang Lieb

Um wessen Demokratie geht es hier?

Die Vertreter der Politik und die Kommentatoren der Tagespresse sind sich bei der Bewertung des gestrigen ESM-Urteils des Bundesverfassungsgerichts in einem Punkt einig – die Demokratie wurde gestärkt und das ist gut. Dass es begrüßenswert ist, wenn die Demokratie gestärkt wird, ist freilich ein Gemeinplatz. Die Frage, die sich hier stellt, ist jedoch, wessen Demokratie durch das ESM-Urteil gestärkt wurde – die deutsche oder die europäische? Während der Bundestag durch das Urteil in der Tat mehr Entscheidungsbefugnisse bekommen hat, bedeutet das Urteil für die künftigen Länder als Empfänger von ESM-Krediten keinesfalls mehr Mitsprache und Demokratie – im Gegenteil. Von Jens Berger.

Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Erfreuliche Korrekturen, aber trotz verfassungskonformer Einschränkungen bestätigt das Gericht die Austeritätspolitik des Fiskalpakts

Das Bundesverfassungsgericht hat am Mittwoch über die Klagen gegen den Rettungsschirm ESM und gegen den Fiskalpakt entschieden. Die Entscheidung erging zunächst im Eilverfahren und betraf die Anträge der verschiedenen Kläger – von den Linken und Demokratie e.V. bis zum CSU Abgeordneten Gauweiler – dem Bundespräsidenten zu verbieten, diese völkerrechtlichen Verträge zu unterzeichnen, um damit die Voraussetzungen für das Inkrafttreten der Regelwerke zu schaffen. Das BVerfG hat sämtliche Anträge der Kläger im Grundsatz abgelehnt, sodass die Verträge nun durch die Ausfertigung des Bundespräsidenten in Kraft treten können. Von Andreas Fisahn[*]

Karlsruhe stärkt die Demokratie – mit allen Vor- und Nachteilen

Sowohl die Befürworter als auch die Gegner des ESM können aufatmen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist Europa weder dem Untergang geweiht, noch der „Diktatur“ des ESM-Gouverneursrats ausgeliefert. Die Karlsruher Richter haben stattdessen den Einfluss des Bundestags bei wichtigen ESM-Entscheidungen deutlich gestärkt. Gleichzeitig haben sie jedoch präventiv der kontrovers diskutierten „Banklizenz“ für den ESM eine klare Absage erteilt. Dieses Urteil hat zweifelsohne die Macht die Demokratie gestärkt. Für die Bekämpfung der Eurokrise und der Spekulation der Finanzmärkte ist dies jedoch nicht unbedingt gutes Zeichen. Von Jens Berger

Die griechischen „Versäumnisse“ werden von Berlin maßlos übertrieben

Die Diskussionen über die Möglichkeit – oder Wahrscheinlichkeit – eines „Grexit“ geht weiter – auch nach dem Antrittsbesuch des griechischen Regierungschefs Samaras in Berlin und Paris. Innerhalb der deutschen Regierungskoalition reicht offenbar selbst ein Machtwort der Kanzlerin nicht aus, um geschwätzige Populisten im eigenen Lager zum Schweigen zu bringen („CSU macht Merkel lächerlich“). Zu den deutschen und vor allem bayerischen Stimmen, die den Abschied Griechenlands vom Euro als unvermeidlich und die Folgen für die gesamte Eurozone als „beherrschbar“ ansehen, gesellen sich mittlerweile gewichtige Politiker aus den Niederlanden, Finnland (Außenminister Tuomioja), Österreich (Außenminister und Vizekanzler Spindelegger), Estland und der Slowakei. Und selbst Luxemburgs Regierungschef Juncker, den man in Athen als den verlässlichsten Verbündeten im Euroraum sieht, schließt das Worst-Case-Szenario für Griechenland nicht mehr aus. Auf das bereitet man sich in Berlin, trotz der kreidebeladenen Formulierungen Merkels gegenüber ihrem Athener Gast, auch weiterhin vor. Insofern war es wohl ein kalkuliertes Signal, dass die FTD kurz vor dem Treffen Merkel-Samaras die Existenz einer bislang geheimen Arbeitsgruppe enthüllte, die seit einem Jahr die möglichen Konsequenzen eines Austritts Griechenlands aus der Eurozone prüft. Ein weiterer Lagebericht von Niels Kadritzke.

Ungehörter Weckruf

Die Eurokrise geht ins dritte Jahr und die immer aussichtslosere Entwicklung hat mittlerweile den Optimismus verdrängt. Man muss leider konstatieren, dass Deutschlands politische und ökonomische Eliten auf ganzer Ebene versagt und aufgrund ihrer ignoranten Borniertheit den europäischen Traum zu Grabe tragen. Sollte die Politik die Verantwortung der Stunde nicht erkennen, steht dem Kontinent eine düstere Periode bevor. Die Geschichte kennt keine Wiedergutmachung, die Weichen für unsere und die europäische Zukunft werden heute gestellt. Es sind jedoch nicht wir, die die Weichen stellen, sondern es sind genau die Eliten, die uns seit Jahrzehnten mit ihren ideologischen Scheuklappen auf diesen Irrweg geführt haben. Anscheinend sind wir dazu verdammt, sehenden Auges ins Verderben zu laufen. Es ist allerhöchste Zeit für einen Weckruf, der aber wahrscheinlich ungehört bleiben wird. Von Jens Berger

Heiner Flassbeck hat die Hoffnung auf die wirtschaftspolitische Vernunft der deutschen Seite verloren und empfiehlt die Scheidung der Euro-Partner

In dem folgenden Beitrag, den zu lesen und weiter zu verbreiten sich empfiehlt, erläutert Flassbeck, warum er die Zeit für gekommen hält: Weil er keine Hoffnung hat, dass das von der deutschen Regierung durchgesetzte und weiter geforderte „irrsinnige wirtschaftspolitische Programm“ korrigiert werden könnte. Außerdem böte die Trennung aus seiner Sicht die einzige Chance, dass die deutschen Provinzpolitiker und verstockten Ökonomen damit aufhören, Kübel voller Häme und Gehässigkeiten über den Völkern des europäischen Südens auszukippen. Die Folgen für Deutschland und Europa insgesamt wären bitter. Ich bin ziemlich sicher, dass die Aggression gegenüber anderen Völkern auch nach der Trennung nicht aufhört. Albrecht Müller.

EZB unter Beschuss

Nach Informationen des SPIEGEL plant die EZB „Zinsschwellen“, mit denen sie künftig ihren Interventionen am Markt für Staatsanleihen einen festen Rahmen geben kann. Ein solcher Interventionsautomatismus wäre durchaus geeignet, die Spekulation einzugrenzen und den südeuropäischen Staaten ein wenig Luft zu verschaffen. Wer jedoch glaubt, dass „die Märkte“ stets rational agieren und eine Entschärfung der Eurokrise den „Reformdruck“ von den angegriffenen Staaten nehmen würde, kann auch kein Interesse an einer politischen Deeskalation der Krise haben. Vor allem aus Deutschland gibt es daher zahlreiche Stimmen gegen die neue EZB-Linie. Finanzpolitische Hardliner denken sogar bereits daran, das EZB-Statut zu verändern, um Deutschland ein Vetorecht bei allen Entscheidungen zu verschaffen. Von Jens Berger

Griechenland: Ein Land ohne Perspektive

In seinem neuen Artikel schildert uns Niels Kadritzke die trostlose Situation, in der sich Griechenland momentan befindet, wirft einen Blick auf die sich verstärkende Emigration qualifizierter junger Menschen und beschäftigt sich ausgiebig mit der aktuellen Diskussion um die nächste Kredittranche durch den EFSF.

Die Renationalisierung Europas

Die als Denationalisierungsprojekt erhoffte Europäische Union hat sich längst in ihr Gegenteil verkehrt: Renationalisierung. Die Renationalisierung Europas hat mit der Dominanz einzelwirtschaftlichen Konkurrenzdenkens in gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen begonnen und führte auf der EU-Ebene zur Reduktion der europäischen Idee auf die Geschäftspolitik des industriellen Kerns. Heute ist das Vertrauen in den propagierten Selbstlauf des eurogekrönten Binnenmarktes bezüglich seiner Verteilungseffekte schwer getrübt, nur Deutschland scheint noch nicht einmal im eigenen Land mitbekommen zu haben, wer den nicht erklärten Klassenkrieg gewinnt. Von Orlando Pascheit.

Die deutsche Regierung heizt die Eurokrise weiter an

Ginge es nach François Hollande und Mario Monti würde der Euro-Rettungsschirm ESM mit einer Banklizenz ausgestattet, die es ihm erlauben würde, mit EZB-Krediten direkt Staatsanleihen notleidender Eurostaaten zu kaufen. Nach langem Zaudern und Zögern wäre dies ein echter Befreiungsschlag im Kampf der europäischen Bevölkerung gegen die destruktiven Auswirkungen der Finanzmärkte. Doch die deutsche Regierung scheint kein Interesse an einer Bekämpfung der Krise zu haben und wehrt sich mit fadenscheinigen Argumenten gegen den französisch-italienischen Vorstoß. Die Begründung lautet: Eine Entspannung würde den Reformdruck von den angegriffenen Ländern nehmen. Schon immer lag es vor allem an ideologischer Verbohrtheit, wenn die Welt ins Unglück gestürzt wurde. Von Jens Berger

Island – ein Fanal der Hoffnung in Zeiten der Krise

Wir befinden uns im Jahre 2012. In ganz Europa erleiden viel zu große Banken viel zu große Verluste und werden vom Staat auf Kosten des Steuerzahlers vor sich selbst gerettet. In ganz Europa zwingen die Finanzmärkte diese nun finanziell angeschlagenen Staaten dazu, Ausgaben zu kürzen, ihr Tafelsilber zu verscherbeln und die letzten Reste des Sozialstaats abzuschleifen. In ganz Europa? Nein! Der kleine Inselstaat Island hört nicht auf, dem Wahnsinn Widerstand zu leisten und reagiert auf die Finanzkrise mit exakt der entgegengesetzten Medizin wie der Rest Europas. Und Island hat damit sogar Erfolg. Von Jens Berger.

Demokratie, Austerität und die zwei Europas

Es gibt das marktkonforme Europa der Angela Merkel, das sich in Brüssel hinter den Institutionen der EU verschanzt hat und im Kielwasser der Krise die Mitgliedsstaaten auf die neoliberale Austeritätspolitik nach deutschem Vorbild umzukrempeln versucht. Die demokratische Legitimation dieses Europas ist jedoch zumindest fragwürdig. Es gibt aber auch noch das demokratische Europa, das trotz der unverhohlenen Erpressungen aus Berlin und Brüssel seine Stimme gegen diese Austeritätspolitik erhebt. Dieses Europa hat sich gestern in der parlamentarischen Versammlung des Straßburger Europarats eindrucksvoll zu Wort gemeldet und der Austeritätspolitik Merkelscher Schule eine klare Absage erteilt. Eine breite Mehrheit der Abgeordneten stimmte über alle Parteigrenzen hinweg mit siebzigprozentiger Mehrheit einem Bericht[*] des deutschen Linken-Politikers Andrej Hunko zu, in dem die europäischen Staaten aufgefordert werden, ihre einseitige Austeritätspolitik zu Lasten der Volkswirtschaft und der sozial Schwachen neu zu justieren, sowie die Staatshaushalte nicht durch Kürzungen, sondern durch eine höhere Besteuerung der Wohlhabenden zu sanieren. Von Jens Berger.

Zustimmung der Länder zum Fiskalpakt – Schmierentheater zweiter Akt

Nachdem der Bundesrat schon im Mai seine grundsätzliche Zustimmung zum Fiskalpakt signalisiert hatte [PDF – 117 KB], war es nicht mehr überraschend, dass es bei den Bund-Länder-Verhandlungen im Kanzleramt nicht mehr darum ging, ob eine der weitreichendsten vertraglichen Bindungen für Bund, Länder und Gemeinden sinnvoll oder ob er schädlich ist, sondern nur noch um den Preis, den die Bundesregierung für den von ihr in Europa vorangetriebenen Pakt an die Länder zu bezahlen bereit ist.
Wer bei einer Verhandlung seinem Verhandlungspartner in der Sache schon zugestimmt hat, kann natürlich keine harten Bedingungen mehr stellen, dementsprechend billig ließen sich die Länder durch die Bundesregierung auch abspeisen. Das Ergebnis der Bund-Länder-Verhandlungen vom Sonntag lässt sich so zusammenfassen: Wir (die Länder) zahlen jetzt in bar (nämlich mit der Zustimmung zum Fiskalpakt), ob und in welchem Umfang (vom Bund) geliefert wird, das wird irgendwann später ausgehandelt und wer dann Verhandlungspartner sein wird, das werden die Bundestagswahlen zeigen. Von Wolfgang Lieb.