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Rezensionen

Rezension zu: Götz Eisenberg „ …… damit mich kein Mensch mehr vergisst! Warum Amok und Gewalt kein Zufall sind.“

Über das Phänomen Amok ist immer noch wenig bekannt. Dabei häufen sich seit den 90er Jahren die Fälle von Amokläufen an Schulen und in anderen Bereichen der Gesellschaft. Warum verüben Menschen, die es mit sich und der Welt nicht länger aushalten, derartige Verzweiflungstaten, deren Spezifikum darin besteht, nicht nur sich selbst, sondern noch möglichst viele Andere mit ins Verderben zu reißen? Wir neigen dazu, derartige Gewaltexzesse als Wahnsinnstat eines Einzelnen abzutun, als etwas Unvorstellbares, Außergewöhnliches und letztlich Unerklärliches.
Der Gefängnispsychologe und Sozialwissenschaftler Götz Eisenberg weist uns darauf hin, dass Amokläufer und Gewalttäter keineswegs „Wesen von einem fremden Stern“ sind, sondern meist aus der sog. Mitte der Gesellschaft stammen. Von Joke Frerichs

Rezension: Mythen der Krise – Einsprüche gegen falsche Lehren aus dem großen Crash

Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist noch lange nicht überwunden, und der Kampf um die Deutungshoheit der Ursachen ist in vollem Gang. Die Nachdenkseiten haben bereits oft auf verschiedene Legenden hingewiesen, die um das Thema Finanzkrise gesponnen werden. Der Kampf um die Deutungshoheit folgt einem klaren Kalkül: Wer soll die Kosten der Krise tragen? Aus diesem Anlass haben der Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- umweltpolitische Alternativen (BEIGEWUM) und ATTAC Österreich das Buch „Mythen der Krise. Einsprüche gegen falsche Lehren aus dem großen Crash“ herausgegeben, das Katharina Muhr für die Nachdenkseiten rezensiert hat.

Rezension: Dieter Wellershoff: Der Himmel ist kein Ort

Wellershoff erweist sich in deren gradliniger Darstellung als ein Meister im Umgang mit ambivalenten Stimmungen und Gefühlen in einer Zeit, in der Gewissheiten einer sinnstiftenden Ordnung mehr und mehr verloren gehen. Ein lesenswerter, nachdenklich stimmender Roman, der Fragen aufwirft, die viele Menschen bewegen dürften. Wellershoff ist einer von ihnen. Von Joke Frerichs

Franziska Augstein: Von Treue und Verrat. Jorge Semprún und sein Jahrhundert, München (Beck Verlag) 2008, 382 S.

Die Generation von Menschen, die man als „alte Kämpfer“ bezeichnen möchte, die gegen ein Zwangsregime wie die Franco-Diktatur aufbegehrten, gar eine KZ-Haft überlebten und darüber auch noch in literarischer Form geschrieben haben, stirbt aus. Umso verdienstvoller ist es, wenn die Historikerin und Journalistin Franziska Augstein mit einem der schillerndsten von ihnen, dem spanischen Autor Jorge Semprún, über mehrere Jahre hinweg Gespräche geführt und diese zu einem Buch gebündelt hat, das Zeitgeschichte und Biographie vereint. Von Petra Frerichs*

Buchbesprechung: „Die 68er in der SPD – Marsch durch die Institutionen?“

Wer sich ein einigermaßen realistisches Bild über einen öffentlich weniger wahrgenommenen aber durchaus prägenden Teil der 68er-Bewegung verschaffen möchte, der sollte das Buch von Jeanette Seiffert studieren. Anders als die meisten anderen Autoren, die sich mit dieser Epoche der Nachkriegsgeschichte auseinandersetzen, betreibt diese von Professor Eckart Conze betreute und am Fachbereich Geschichtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg eingereichte Dissertation keine persönliche Vergangenheitsbewältigung und keine aus der heutigen ideologischen Sicht geprägte Abrechnung, sondern zeichnet an Hand von Quellen und Leitfadengesprächen mit unmittelbar Beteiligten die Entwicklung und den Niedergang der 68er aus der Perspektive des Sozialdemokratischen Hochschulbundes (SHB) und der Jungsozialisten (Jusos) nach. Für mich auch ein biografisches Geschichtsbuch. Wolfgang Lieb

Mit Blindheit geschlagen: Wie Marxisten dem neoliberalen Soziologen Heinz Bude zu einem linken Image verhelfen

Das neue Buch „Marx. Ein toter Hund?“, das im linken VSA-Verlag [1] im Oktober dieses Jahres erschien und das Resultat einer Marxkonferenz an der Universität Kassel ist, wäre normalerweise nicht erwähnenswert, wenn der Herausgeber dieses Sammelbandes und der Organisator dieser Tagung nicht Heinz Bude heißen würde. Heinz Bude? Stimmt, das ist doch der marktradikale Soziologe aus Kassel. Wieso bringt dieser ein Buch über Marxsche Theorie in einem linken Verlag heraus? Wie kann es sein, dass gesellschaftskritische Wissenschaftler der Einladung eines bekennenden „Agenda 2010-Soziologen“ Folge leisten? Von Christian Girschner

Heiner Flassbeck: „Gescheitert – Warum die Politik vor der Wirtschaft kapituliert“

Das neueste Buch des Direktors der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf ist eine Generalabrechung mit der Wirtschaftspolitik der zurückliegenden dreißig Jahre und der handelnden Akteure aus makroökonomischer Perspektive. Flassbeck beschreibt darin auch das politische Scheitern der Sozialdemokratie.
Flassbeck ist ein Vertreter der – wie er es nennt – „Revolution im ökonomischen Denken“, also des Keynesianismus und auch der Lehren von Josef Schumpeter, Michal Kalecki oder Wilhelm Lautenbach, deren zentrales Moment „die Unsicherheit“ sei. Eine sich selbst überlassene Marktwirtschaft sei nicht stabil, im Gegenteil, sie sei extrem instabil. Sie brauche ständiges Beobachten und aktives Gegensteuern durch einen Staat, der in kritischen Momenten die Lage einschätzen könne und bewusst gegen den Strom schwimme. (S. 256) Wolfgang Lieb

Rezension: „Hochschule im historischen Prozess“ von Jens Wernicke

Es kann mittlerweile kein Zweifel mehr daran bestehen, dass wir am Beginn einer epochalen Umstrukturierung des deutschen Hochschulsystems stehen, die einige Kommentatoren mit der Zäsur der von Humboldt inspirierten preußischen Universitätsreform (1810) vergleichen. Die treibenden Kräfte dieses Umbaus bringen selbst zum Ausdruck, dass es nicht um die Reform einer überlieferten Struktur ginge, sondern um eine gänzliche Neukonstruktion der Hochschulen in ihren tragenden Säulen. Als Leitbild wurde dafür aus dem angelsächsischen Raum der Terminus der »unternehmerischen Hochschule« importiert.
Die vorliegende Veröffentlichung ist hervorragend dazu geeignet, das Verständnis dieses Umbaus und die mit ihm verbundenen politischen Widersprüche und Auseinandersetzungen zu fördern und begrifflich zu schärfen. Dieses Vorwort von Torsten Bultmann ist zugleich eine gute Rezension.

Engagierte Literatur – Zum Erscheinen des vierten Bandes der Roman-Tetralogie „Die Kinder des Sisyfos“ von Erasmus Schöfer

Mit der Veröffentlichung des vierten Bandes seines Roman-Zyklus hat der Kölner Schriftsteller Erasmus Schöfer sein Prosawerk über die jüngere deutsche und europäische Geschichte der linken Arbeiter- und Bürgerrechtsbewegungen zwischen 1968 und 1990 abgeschlossen. Wie in den drei Romanen zuvor werden aus der Perspektive von Beteiligten die politischen und gesellschaftlichen Konflikte dieser Jahre literarisch rekonstruiert. Dabei nimmt Schöfer nicht die Position des distanzierten Betrachters ein, der aus heutiger Sicht auf die Ereignisse von damals zurückblickt. Vielmehr zeigt er, wie sich die Hauptfiguren seiner Romane durch ihre aktive Teilnahme an den zentralen Auseinandersetzungen selbst entwickeln. Wie sie in den jeweiligen Situationen gedacht, gefühlt und gehandelt haben. Welche Hoffnungen, Enttäuschungen und Niederlagen sie geteilt haben. So kann nur einer schreiben, der selbst in diese Auseinandersetzungen involviert war, der sie als aktiv Beteiligter aus der Binnenperspektive kennt. Von Joke Frerichs

Rezension: Weltdemokratie als aktuelle Gestaltungsaufgabe

Von Globalisierung ist die Rede, wenn es um die weltweiten selbstzerstörerischen Entwicklungen geht, wenn die großen Zukunftsaufgaben – die Bändigung des Finanzmarktkapitalismus, die Überwindung von Massenarmut in den Entwicklungsländern und von sozialen Spaltungen in der Wohlstandszone, die Ersetzung fossiler und nuklearer Ressourcen durch erneuerbare Energiequellen – angemahnt werden. Politisch-institutionelle Antworten (polity) auf die Weltprobleme bleiben in der Regel jedoch unscharf. Eine Rezension des Buches von Christoph Zöpel „Politik mit 9 Milliarden Menschen in einer Weltgesellschaft“ von Klaus-Jürgen Scherer

Rezension: Hochschule und Demokratie 1968-2008

Zum 40jährigen Jubiläum von „1968“ erschien das fünfte BdWi-Studienheft „Hochschule und Demokratie“. Nach Meinung der HerausgeberInnen soll jedoch gerade kein Jubiläum gefeiert werden, sondern der Frage nachgegangen werden, „ob die Themen, Analysen, und Strategien, die im politischen 68er-Milieu und der durch dieses nachhaltig mitgeprägten zeitlich folgenden Bildungsreformbewegung entwickelt wurden, etwas zum Verständnis des Aktuellen beitragen“ (S. 2). Deshalb gliedert sich das Heft in drei Teile: Retrospektive (I), Hochschule in der Demokratie – 1968-2008 (II) und Demokratie in der Hochschule – 1968-2008 (III). Von Dominik Düber

Buchrezension: Neue Wirtschaftspolitik – von Richard Werner

Nicht Deregulierung und Liberalisierung sind Richard Werner zufolge die Voraussetzung für Wachstum und Wohlstand, sondern eine ausreichende und zielgerichtete Bankkreditversorgung. Die Hauptverantwortung für Spekulationskrisen und Rezessionen weist er den Zentralbanken zu. Seine Thesen scheinen außergewöhnlich solide empirisch fundiert zu sein. Eine Rezension von Kai Ruhsert.

Die Gerechtigkeitslücke, wie Politik die Gesellschaft spaltet – Rezension des Buches von Ottmar Schreiner

Ein Sozialdemokrat in der SPD, Ottmar Schreiner, hat in seinem Buch „Die Gerechtigkeitslücke“ die Ursachen der sozialen Kluft, die sich aufgrund der neoliberalen Politik aufgetan hat und die mit der Agenda 2010 Programm der SPD wurde, von unterschiedlichen Seiten beleuchtet. Seit Jahren werden Reformen mit der Begründung, dass der „Standort Deutschland“ den Stürmen der Globalisierung trotzen müsse, vorangetrieben und Eckpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft herausgebrochen. In seinem aufrüttelnden Buch, das Zahlen und Fakten nennt und Wege aus der Krise aufzeigt, rechnet Ottmar Schreiner, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen und Mitglied im SPD-Parteivorstand, mit dem Scheitern des derzeitigen politischen Kurses ab, notwendige Reformen sozialverträglich zu gestalten – auch mit den krassen Versäumnissen der eigenen Partei. Von Christine Wicht

Buchrezension: „Die Ausgeschlossenen. Das Ende vom Traum einer gerechten Gesellschaft“ von Heinz Bude

„Unsere Gesellschaft steht vor einer tiefen Spaltung. Dieses Buch macht deutlich, warum wir uns vom Traum einer gerechten Gesellschaft verabschieden müssen. Immer mehr Menschen sind von den Segnungen des Wohlstands ausgeschlossen und haben keine Hoffnung, dass sich daran etwas ändert. Lebensläufe, die man für solide hielt, geraten ins Schlingern, weil Arbeitsplätze, die man sicher glaubte, wegbrechen. Ungelernte Aushilfskräfte kann es genauso treffen wie hochqualifizierte Wissenschaftler. Heinz Bude, einer der besten Kenner der deutschen Gesellschaft, entwirft zum ersten Mal ein umfassendes Bild jener zerklüfteten Verhältnisse, die in Zukunft immer stärker unsere Gesellschaft prägen werden. Jetzt ist es Zeit, darüber zu diskutieren, wie wir künftig leben wollen.“
So preist der Klappentext das neue Buch des Professors für „Makrosoziologie“ an der Universität Kassel an.
Der Sozialwissenschaftler Christian Girschner hat für uns das Buch rezensiert.
Sein Fazit: Das Buch „Die Ausgeschlossenen“ ist eine ideologische Rechtfertigungsgrundlage für eine Politik der „neuen Mitte“, die nicht mehr über die ungleiche Verteilung des Reichtums sprechen will, weil man sich von jeden politischen Ansatz der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums (einschließlich einer keynesianisch orientierten Wirtschafts- und Sozialpolitik) längst verabschiedet und diese durch eine sozial-politische Metaphorik der noch zu realisierenden „Chancen- und Leistungsgerechtigkeit“ ersetzt hat.