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Hochschulen und Wissenschaft

Pluralisierung der Ökonomik

Mit den wirtschaftlichen Krisen seit 2007/2008 ist die Wirtschaftswissenschaft (Ökonomik) zunehmend in die öffentliche Kritik geraten. Immer öfter werden dabei inzwischen auch kritische Stimmen aus der Ökonomik selbst laut und wahrgenommen. Kursorisch dafür seien genannt:

  • der 2009 im Handelsblatt publizierte Beitrag von Christoph Gran vom Netzwerk Plurale Ökonomik „Wirtschaftswissenschaft droht der Absturz“;
  • die Diskussion um den Zustand der ökonomischen Lehre im Spiegel (Olbrisch und Schießl 2011);
  • das Memorandum besorgter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für eine Erneuerung der Ökonomie (MeM-Denkfabrik für Wirtschaftsethik 2012);
  • der offene Brief, mit dem sich das Netzwerk Plurale Ökonomik im Jahre 2012 an den Verein für Socialpolitik (VfS) – der Standesvereinigung der deutschen Volkswirte – wandte;
  • die Rede von Gustav Horn auf der Eröffnungsveranstaltung des Vereins für Socialpolitik 2014 (Horn 2014).

Interessant ist, dass die Initiative für einen Kurswechsel in der Wirtschaftslehre zunehmend von Studierenden ausgeht. Dies zeigt sich besonders eindrücklich an einem offenen und zudem internationalen Brief vom Mai 2014 von Studierenden (International Student Initiative for Plural in Economics, kurz: ISIPE, 2014).

Angesichts der steten Regelmäßigkeit, mit welcher derlei Kritiken vorgetragen werden, werden viele Menschen, die nicht Ökonomik studiert haben, womöglich den Eindruck gewinnen, dass sich hier gar nichts bewegt. Oder warum sonst taucht die Kritik an der VWL immer wieder auf?
Eine Analyse von Sebastian Thieme und Jens Wernicke.

Akademisierung in der Wissensgesellschaft – Wahn oder Notwendigkeit?

So lautet das Thema über das ich heute auf der 8. Wissenschaftskonferenz der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mit dem ehemaligen Berliner Senator für Wissenschaft und Forschung, Professor George Turner, in Haltern am See ein „Streitgespräch“ führe.
Im letzten Jahr begann erstmals mehr als die Hälfte eines Altersjahrgangs ein Studium. Der sprunghafte Anstieg der Studienanfängerquote in den letzten Jahrzehnten ging zu Lasten der betrieblichen Berufsausbildung. Seit einiger Zeit hat deshalb eine Debatte über einen „Akademisierungswahn“ und über die Krise der beruflichen Bildung eingesetzt.
Es gibt eine hohe Plausibilität für die These, dass die hohe Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft aus dem Ineinandergreifen von beruflicher und akademischer Bildung resultiert. Ist die deutsche Bildungspolitik mit der steigenden Zahl von Studierenden und dem Rückgang der beruflichen Bildung also auf dem Holzweg?
Hierzu meine Thesen, an denen ich mich in der Diskussion orientieren werde. Von Wolfgang Lieb

Wider den Bildungsmarkt

Dass Bildung immer mehr zur Ware wird [PDF], ist der interessierten Fachöffentlichkeit seit Langem bekannt. Aber auch Schüler, Studierende und Lehrpersonal spüren mehr und mehr den Ökonomisierungsdruck. Da gibt es immer mehr Wettbewerb, immer mehr Druck, immer knappere Ressourcen, immer mehr Konkurrenz; da wurden Studiengebühren eingeführt und da entwickelte die OECD bereits 1996 in einem Papier eine Strategie zur schrittweisen Einführung flächendeckender Schulgelder im Land [PDF]. Um auf diese Problemlage hinzuweisen, veranstaltet ein zivilgesellschaftliches Bündnis nun Mitte September eine Tagung [PDF] in Berlin. Jens Wernicke sprach hierzu mit Torsten Bultmann [*], einem der Veranstalter.

Rezension: „Warum unsere Studenten so angepasst sind“ – von Christiane Florin – Vom WIR zum ICH-ICH-ICH

Warum unsere Studenten so angepasst sind

“Oh“, meinte erstaunt ein mir bekannter junger Student, als ich ihm von dem Büchlein mit dem Titel „Warum unsere Studenten so angepasst sind“ erzählte. „Das will ich auch lesen!“, rief er interessiert. Das vorneweg: Diese Schrift wird ihn, ebenso wie hoffentlich zahlreiche Leser, nicht enttäuschen.
Allein das Reizwort „angepasst“ provoziert Nachdenklichkeit, prägt es doch einen pejorativen Beigeschmack. Keiner will als angepasst gelten. Weder Studenten noch Bürger. Das ist Mitläufertum, nachäffen wollen, willenloses Nachahmen, Vorgekautes schlucken müssen, blind gehorchen und, und, und… Nicht zu verwechseln mit dem Denken und Tun aus tiefster innerer Überzeugung. Buchtipp von Harry Popow

Bundesverfassungsgericht stärkt die individuelle Wissenschaftsfreiheit und die Selbstverwaltungsrechte der Hochschulangehörigen

Das Urteil des BVerfG vom 24. Juni 2014 stärkt die individuelle Wissenschaftsfreiheit und die akademischen Selbstverwaltung und schränkt die Macht des Hochschulmanagements ein. Die Entscheidung stellt die zeitgeistigen wettbewerblichen Steuerungsmodelle für die Hochschulen und deren unternehmerische Aufsichtsratsstrukturen in Frage. Der Karlsruher Spruch dürfte Auswirkungen auf nahezu alle Länderhochschulgesetze haben, besonders auch auf das geltende Hochschulgesetz in NRW. Es müsste die hochschulpolitische Diskussion um ein „Hochschulzukunftsgesetz“ in diesem Lande in eine neue Richtung lenken. Der Richterspruch sollte der nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministerin Mut machen, endlich einen Leitbildwechsel zu vollziehen, nämlich weg vom Paradigma der „unternehmerischen Hochschule“ mit seiner Hochschulratsstruktur hin zu einer sich wieder selbstverwalteten Hochschule in staatlicher Verantwortung und hin zu einer von „gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen freien Wissenschaft“. Von Wolfgang Lieb.

Zur Zukunft der Hochschulen – Anhörung zum Gesetzentwurf für ein „Hochschulzukunftsgesetz“ in NRW

Am 18. Juni 2014 findet im Düsseldorfer Landtag eine öffentliche Anhörung über den Gesetzentwurf der NRW Landesregierung für ein „Hochschulzukunftsgesetz“ statt. Gleichzeitig soll auch der Entwurf eines Wissenschaftsgesetzes NRW behandelt werden, der von der Fraktion der PIRATEN eingebracht wurde. Ich bin zu dieser Anhörung als Sachverständiger benannt worden.
Meine schriftliche Stellungnahme möchte ich auch unseren hochschulpolitisch interessierten Leserinnen und Lesern anbieten. Die Novellierung des von der damaligen schwarz-gelben Landesregierung im Jahre 2006 durchgesetzten Hochschul-„Freiheits“-Gesetzes wird vor allem von den Hochschulleitungen, von Hochschulräten und von Unternehmerverbänden massiv bekämpft. Auch in anderen inzwischen rot-grün regierten Ländern wird diese Auseinandersetzung in NRW im Hinblick auf eigene Gesetzgebungspläne genau beobachtet. Der Ausgang der Kontroverse hat somit bundesweite Bedeutung.
Sollte Sie Hochschulpolitik nicht interessieren, so könnten Sie ja meine Stellungnahme an Ihnen bekannte Hochschulangehörige oder mit Hochschulpolitik Befassten weiterleiten.
Ich wäre an Kritik, Anregungen und zusätzlichem Rat interessiert. Wolfgang Lieb

Betr.: Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Innovation, Wissenschaft und Forschung am 18. Juni 2018

Wolfgang Lieb: Stellungnahme zu den Beratungsgegenständen [PDF – 175 KB]

Staatsanwaltschaft Düsseldorf lehnt Aufnahme von Ermittlungen wegen der Veröffentlichung der Gehälter der NRW-Hochschulrektoren ab

Am 17. Februar 2014 veröffentlichten wir auf den NachDenkSeiten einen Beitrag von Karl-Heinz Heinemann mit einer Liste der zwischen Rektoren und Hochschulratsvorsitzenden ausgehandelten und bisher geheim gehaltenen Gehältern. Mit der Veröffentlichung der aus Steuermitteln finanzierten und der mit dem Hochschul-„Freiheits“-Gesetz“ seit 8 Jahren drastisch gesteigerten Gehälter von Hochschulrektoren, hatten die NachDenkSeiten in ein Wespennest gestochen. Die ertappten Präsident/inn/en redeten von „Skandal“ und „Rechtsbruch“ und es gab Anzeigen wegen „Geheimnisverrats“. Wie nun aus einem Schreiben der Wissenschaftsministerin Svenja Schulze an den Vorsitzenden des Wissenschaftsausschusses des NRW-Landtages hervorgeht, hat die Staatsanwaltschaft Düsseldorf dem Ministerium mitgeteilt, dass sie die Aufnahme von Ermittlungen wegen einer möglicherweise verfolgbaren Straftat ablehnt. Von Wolfgang Lieb.

DLF-Abgesang auf Privat-Unis – Bertelsmann debattierte mit sich selbst

Der staatstragende Deutschlandfunk (DLF) bot am 25.04.2014 diversen Bertelsmann-Lobbyisten und Vertretern „unternehmerischer“ Hochschulen ein Forum zur Debatte von Bertelsmanns Lieblingsthema, nämlich der Bildungsprivatisierung. Es ging darum, das klägliche Scheitern der deutschen Privat-Unis zu erklären. Drei Dinge interessierten in dieser Sendung überhaupt nicht: 1.Bildung, 2.Wissenschaft und 3. die Belange der Studierenden. Es ging um Bildungsvermarktung, -finanzierung und sonstige Bildungs-Konzerninteressen sowie um die Selbstdarstellung der Diskutanten und Moderatoren. Von Daniela Lobmueh[*].

Wissenschaft – gläserne Leuchttürme oder Irrlichter?

Forscher handeln Wissen wie Bobl-Futures [1]. Sie glauben selbst meist nicht mehr dran und konzentrieren sich auf Boni für ausgefüllte DFG-Anträge. Angel-Investors kreisen um neue Technologien, Produkte und Dienstleistungen, brauchen schnell positive Ergebnisse und etikettieren Wachstum als Nachhaltigkeit. Ein wesentlicher Teil öffentlicher Forschungsetats sollte deshalb kompensierend für solche Projekte genutzt werden, die frei von Sponsoren und auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit gerichtet sind. Statt wie bisher jene wissen­schaft­lichen Irrlichter zu nähren, die im schnellen Strom des Geldes treiben, sollten gläserne Leuchttürme dort Richtung weisen, wo unser Wissen im Dunkel der Geschäftsge­heim­nisse zu versinken droht. Von Wolfgang Wodarg [2]

5 Thesen zum Streit um das „Hochschulzukunftsgesetz“ in NRW

  • Ein Vergleich zwischen dem geltenden Recht und der Novelle zeigt: Beim Widerstand von Rektorinnen und Rektoren geht es vor allem um die Verteidigung deren Macht und deren Privilegien.
  • Der hochschulpolitische Streit geht um die Verteidigung des Paradigmas der „unternehmerischen“ bzw. der „entfesselten“ Hochschule gegen das Leitbild einer demokratischen und sozialen Hochschule in gesellschaftlicher Verantwortung.
  • Der Öffentlichkeit und sogar auch der Politik wird ein falsches Bild über die Stimmungslage an den Hochschulen vermittelt.
  • Die behaupteten Erfolge der „unternehmerischen“, wettbewerbsgesteuerten Hochschulen sind sehr zweifelhaft.
  • Der derzeit vorliegende Entwurf eines „Hochschulzukunftsgesetzes“ verbaut eher die Zukunft für eine wirkliche und notwendige Reform der Hochschulen. [*]

Von Wolfgang Lieb

NRW-Rektoren setzen auf bedingungslose Kapitulation der Landespolitik

Wenn nun die Landesregierung NRW gehofft hatte, durch einen Kotau vor den Hochschulleitungen den Hochschulfrieden wieder herstellen zu können, so muss sie sich spätestens durch das Interview der Vorsitzenden der Landesrektorenkonferenz und Rektorin der TU Dortmund, Ursula Gather mit der Welt am Sonntag vom 23. März 2014 vom Gegenteil belehren lassen. Die Rektorinnen und Rektoren setzen offenbar auf die bedingungslose Kapitulation der Landespolitik gegenüber den Hochschulen. Von Wolfgang Lieb.

Was nützt ein „Hochschulzukunftsgesetz“, das Reformen in der Zukunft verbaut?

Die NRW-Landesregierung hat am 20. Februar einen überarbeiteten Entwurf eines Hochschulzukunftsgesetzes (HZG NRW) [PDF – 795 KB] vorgelegt. Im Neuentwurf sind zum allergrößten Teil nur redaktionelle, klarstellende oder symbolische Änderungen vorgenommen worden. An einigen Stellen sind verbindliche Regelungen zu Soll-Bestimmung abgeschwächt worden. Ein kleiner Reformschritt könnte der neu eingefügte „Rahmenkodex für gute Beschäftigungsbedingungen“ sein. Bei den vor allem von Seiten der Rektoren, der Hochschulratsvorsitzenden und von Wirtschaftslobbyisten besonders bekämpften Regelungen sind jedoch im neuen Entwurf entweder Klarstellungen im Sinne der Kritiker vorgenommen worden oder die Regierung ist vor dem öffentlichen Aufstand zurückgewichen oder hat einige Reizparagrafen gleich ganz gestrichen.
Man muss sich fragen, ob ein so entkerntes „Hochschulzukunftsgesetz“, das die Zukunft für ein Leitbild zu einer demokratischeren Hochschule in öffentlicher Verantwortung eher verbaut, überhaupt noch Sinn macht. Von Wolfgang Lieb.

Die Illusion vom Bildungsaufstieg

Von Jens Wernicke

Dass das deutsche Bildungssystem hochgradig sozial selektiv ist, ist inzwischen ein Allgemeinplatz. Dass die meisten aktuellen Reformbemühungen jedoch faktisch auf eine umfassende „Modernisierung von Auslesemechanismen“ hinauslaufen, wie Torsten Bultmann und Oliver Schwedes dies bereits vor einigen Jahren in ihrem Aufsatz „Die Zukunft des Bildungssystems: Lernen auf Abruf – eigenverantwortlich und lebenslänglich!“ konstatierten, gerät bei weitergehender Analyse aktueller Bildungsreformen zu schnell aus dem Blick.