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Hochschulen und Wissenschaft

Hochschulzugang im Wandel – von der Verteilung von Studienplätzen zur Selektion

Ob Studiengebühren, Verschärfung der Zulassungsverfahren oder „unternehmerische“ Hochschule, die aktuellen “Reformen” im Hochschulbereich weisen in eine Richtung, welche die universitäre Verfasstheit, das Selbstverständnis und die Struktur der Hochschulen nachhaltig verändern werden. Der Rektor einer Hochschule heißt mittlerweile in Baden-Württemberg offiziell laut Landeshochschulgesetz (LHG) ‘Vorstandsvorsitzender”, das Rektorat ‘Vorstand’, der Universitätsrat ist der ‘Aufsichtsrat’. Schon die Wortwahl zeigt die Richtung an, in die es gehen soll. An vielen Einzelmaßnahmen wird inzwischen dieser Strukturwandel immer für die Hochschulangehörigen immer spürbarer. Gerda auch am Beispiel der Regelung des Hochschulzugangs – also am Verfahren der Verteilung der knappen Studienplätze auf Studieninteressierte – lässt sich der beschriebene “Paradigmenwechsel” exemplarisch darstellen. Von unserem studierenden Leser Michael Kolain.

Studie: Hochschulräte als Steuerungsinstrument?

Die Mitglieder externer Hochschulräte werden mit jeweils einem runden Drittel aus der Wirtschaft und der Wissenschaft rekrutiert, wobei auf Seiten der Wirtschaft die Vertreter von Großunternehmen dominieren. Während an Universitäten die Großunternehmen eindeutig dominieren, werden insbesondere an Fachhochschulen, aber auch bei privaten und technischen Hochschulen die Vertreter kleiner und mittlerer Unternehmen mit regionalem Bezug wichtiger. In den Fachhochschulen, technischen Universitäten und privaten Hochschulen sind die Anteile der Wirtschaftsvertreter deutlich höher. Ein rundes Fünftel der externen Hochschulratsmitglieder kommt aus Politik, Verwaltung oder von Interessengruppen. Nur rund ein Zehntel kommt aus sonstigen Bereichen des öffentlichen Lebens. Gewerkschaftliche Mitglieder sind in den bundesdeutschen Hochschulräten mit nur 3% marginal vertreten und damit ihrem gesellschaftspolitischen Stellenwert als Sozialpartner entsprechend deutlich unterrepräsentiert. Das sind die wichtigsten Ergebnisse einer Studie der Ruhruniversität Bochum [PDF – 484 KB] über die Zusammensetzung von extern (mit)besetzten Hochschulräten an deutschen, schweizerischen und österreichischen Hochschulen. Wolfgang Lieb

Julian Nida-Rümelin: Der nächste Bildungsnotstand

Der Umbau auf Bachelor und Master setzt auf Dequalifizierung. Es schadet dem Land, wenn immer mehr junge Menschen studieren sollen – besser wäre es, die Lehrberufe zu fördern, meint Nida-Rümelin in der SZ. Nida-Rümelin ist ja bekannt dafür, dass er sich mit unorthodoxen Ideen hervortut. Nun spricht er sich in der SZ – entgegen den übereinstimmenden Forderungen von der OECD bis hin zum Urteil nahezu aller Bildungsfachleute – gegen eine allgemeine Anhebung der Akademiker-Quote in Deutschland aus und plädiert für einen Ausbau der beruflichen Lehrberufe. Eine ziemlich unseriöse Alternative und ein unsinniger Weg aus der Überlastung der Hochschulen. Wolfgang Lieb

Baden-Württemberg setzt auf Studierfähigkeitstest

„Studieren im Land Baden-Württemberg ist gar nicht so einfach: 90 Prozent aller Studiengänge sind zulassungsbeschränkt. Wer zum Beispiel an der Fachhochschule Pforzheim das Fach Wirtschaftswissenschaften belegen möchte, dem reicht eine gute Schulnote nicht aus. Er muss einen Studierfähigkeitstest machen. Er soll die Eignung des Studierenden für das Fach überprüfen.“ So berichtet der DLF Statt Geld in die Hand zu nehmen und die Studienkapazitäten auszudehnen, setzt das Land auf Verknappung und Selektion. Das Abitur verliert seine Bedeutung als „allgemeine Hochschulreife“. Die Zeiten sind gekommen, wo wie in Japan oder in den USA Studierwillige nach der Schule ein oder gar zwei Jahre teure und private Paukkurse besuchen müssen, um an eine Hochschule gelangen zu können.

Handelsblatt: „Manager erobern Kontrolle an den Unis“

So titelt am Freitag, den 12. Oktober 2007 das Wirtschaftsblatt: „Die deutsche Wirtschaft gewinnt an Hochschulen mehr und mehr Einfluss: In den neu entstehenden Hochschulräten stellen Manager bereits ein Drittel aller Mitglieder. Von den Vorsitzenden dieser Kontrollgremien kommt sogar fast jeder zweite aus der Wirtschaft. Für die Hochschulen ein Engagement mit Zukunft.“
Am (nicht am selben Tag, sondern) 16. Januar 2008 berichtet die Frankfurter Rundschau: „Mitarbeiter fühlen sich verschaukelt, weil ihr Kandidat nicht in den Hochschulrat darf.“ Ein Gewerkschafter, den die zahlenmäßig größte Gruppe an der Frankfurter Stiftungsuni, die nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter, als hochschulinternes Mitglied des Hochschulrates vorgeschlagen hatten, erhielt von der Professorenschaft keine Stimme und fiel durch. Offenbar hätten die Professoren Bedenken gehabt, dass ein Gewerkschafter „nicht genügend Renommee“ für ein Gremium wie den Hochschulrat mitbringt, meint die GEW-Hochschulgruppe.
An der „unternehmerischen“, von Unternehmern gesteuerten Hochschule haben Gewerkschafter nichts verloren. Wolfgang Lieb

Buchbesprechung: Jochen Krautz: Ware Bildung

Krautz beschreibt treffend und faszinierend die Transformation von Bildung zur Ware. Doch wenn er daraus folgert, dass jede Veränderung des Althergebrachten von Übel ist, dann muss er die Vergangenheit idealisieren und verurteilt sich zum Immobilismus.
Von Karl-Heinz Heinemann.

Diese Herrschaften beherrschen künftig die Unis

Gestern haben wir auf einen lesenswerten Beitrag von Martin Kaul über die wissenschafts- und demokratieschädlichen Folgen der Unterwerfung der Hochschulen unter den Primat der Ökonomie hingewiesen. Ich selbst habe schon in mehreren Artikeln davon berichtet, dass wenn man die bisher eingesetzten Hochschulräte in ihrer Zusammensetzung einmal durchgeht, man bei den meisten Hochschulen mit Hochschulräten ehrlicherweise statt von „unternehmerischen“ eher von Unternehmensführern gesteuerten oder wesentlich bestimmten Hochschulen sprechen müsste. Der am 15.12.07 ernannte Hochschulrat der Technischen Universität Dortmund liefert dafür einmal mehr eine Bestätigung. Wolfgang Lieb

Knatsch um Pisa – CDU fordert den Rauswurf des Pisa-Koordinators

Darf Pisa-Koordinator Andreas Schleicher seine Daten überhaupt interpretieren? Die Daten der verschiedenen PISA-Erhebungen sind nicht vergleichbar, weil sie auf unterschiedlichen Fragebögen und Auswertungskriterien beruhten, sagt er angesichts der Euphorie über den deutschen 13. Platz im Pisa-Ranking. Vor zwei Jahren haben die CDU-Kultusminister mit genau diesem Argument Schleichers Vorwurf entkräften wollen, die soziale Auslese in deutschen Schulen sei schärfer geworden. Hinter der Empörung der Kultusminister steckt etwas anderes.
Ein Beitrag von Karl-Heinz Heinemann.

Die Zukunft der Hochschulen – Politische Ökonomie der Hochschulpolitik in der Ära des Finanzmarkt-Kapitalismus

Das deutsche Bildungssystem – Hochschulen und Schulen – befindet sich seit Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts in einem von den ökonomischen und politischen Eliten gewollten Transformationsprozess. Das bisher staatliche Hochschulsystem verliert dabei schrittweise seinen Charakter als Öffentliches Gut und entwickelt sich hin zu einem formell halbstaatlichen Teilsystem unter indirekter Kontrolle der privaten Wirtschaft. Für diese Umgestaltung wird es nach dem Vorbild der privaten Wettbewerbswirtschaft reorganisiert, ökonomisch rationalisiert und technokratisch gesteuert. Zugleich wird es einer internen Partizipation wie einer externen parlamentarischen Kontrolle entzogen. Günter Buchholz stellte uns seinen Beitrag zur Verfügung.

Hochschulen sollen selbst über die Zahl der Studienplätze entscheiden können

Unter der Überschrift „Weg mit den alten Zöpfen“ drängt Bundesbildungsministerin Annette Schavan auf eine Abschaffung der Kapazitätsverordnungen. Solche Verordnungen wurden vor allem durch das sog. Numerus Clausus-Urteil durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in den 70er Jahren erzwungen. Das Gericht hatte in mehreren Urteilen entschieden, dass öffentlich finanzierte Hochschulen auf Grund des Grundrechts der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG, des Gleichheitssatzes und des Sozialstaatsprinzips zu einer erschöpfenden Nutzung der an den Hochschulen vorhandenen Ausbildungskapazitäten und zu einer vergleichbaren Auslastung der verschiedenen Hochschulen verpflichtet seien.
Die Bundesregierung fordert nun die Länder auf, die auf diesen Urteilen basierenden Kapazitätsverordnungen abzulösen: „Die Freiheit der Länder und Hochschulen, miteinander in Wettbewerb zu treten, die Studienplatzvergabe zu dezentralisieren, Studienentgelte zu erheben und damit die Lehrbedingungen… deutlich zu verbessern, verdeutlicht, wie unzeitgemäß die Orientierung an einer maximalen Kapazitätsausschöpfung ist“, sagt die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion [PDF -760 KB]. Wolfgang Lieb

Bei Studiengebühren hört das Völkerrecht auf

Artikel 13 des „Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“, in dem sich die Bundesrepublik Deutschland zur „allmählichen Einführung der Unentgeltlichkeit“ des „Hochschulunterrichts“ [PDF – 36 KB] verpflichtet, ist nach Auffassung des OVG Münster „weder darauf angelegt noch geeignet, innerstaatlich als unmittelbar geltendes Recht angewandt zu werden“.
Über diese Begründung der Juristen können sich die Mächtigen dieser Welt, von Präsident Bush bis Präsident Putin und natürlich auch der NRW-Innovationsminister Pinkwart nur freuen. Völkerrecht als unverbindliches Programm, das man je nach politischem Gusto beiseite schieben kann! Wolfgang Lieb

Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes – Der Staat zieht sich zurück, der Wettbewerb steuert

Die Bundesregierung will das Hochschulrahmengesetz (HRG) aufheben und damit ein Signal geben, “die Hochschulen zugunsten von mehr Wettbewerb aus der staatlichen Detailsteuerung zu entlassen”. In einem Gesetzentwurf [PDF – 88 KB] schreibt sie weiter, mit der Reform seien unter anderem die Rahmengesetzgebungskompetenzen des Bundes für die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens und für die Rechtsverhältnisse der im öffentlichen Dienst der Länder stehenden Personen entfallen. Mit dem Pathos von „Freiheit und Autonomie“ werden nun die Hochschulen dem „unternehmerischen“ Wettbewerb auf dem Ausbildungs- und Wissenschaftsmarkt entlassen. Der Staat entledigt sich seiner grundgesetzlichen Pflicht die Freiheit der Wissenschaft der Wissenschaft zu garantieren. Wolfgang Lieb.

Der Bologna-Prozess für einen „Europäischen Hochschulraum“ – oder wie ein europäischer Traum an der Wettbewerbsideologie zerplatzte

Der Aufsatz von Dieter Lemke „Lernen im Gleichschritt“ hat mich in meiner Kritik bestätigt, die ich seit längerer Zeit am Hochschulreformprozess hin zur „unternehmerischen“ Hochschule übe. Lemke endet mit dem Satz „Schade, dass der Name Bologna nun auch zum Symbol für das Begräbnis der Europäischen Universität geworden ist!“ So sehe ich das auch.
Die Bologna-Erklärung für einen „Europäischen Hochschulraum“ ist 1999 von 31 europäischen Bildungsministern unterzeichnet wurde. Ich war bis zum Jahre 2000 Staatssekretär im Nordrhein-Westfälischen Wissenschaftsministerium und habe deshalb die Diskussion um diese Erklärung mitverfolgt, ja sogar mitbegleitet. Aus heutiger Sicht muss ich enttäuscht feststellen, dass die Visionen und Hoffnungen, die ich zu Beginn damit verbunden habe, im Verlauf des Bologna-Prozesses geradezu pervertiert worden sind. Wolfgang Lieb

Lernen im Gleichschritt – die schöne neue Hochschulwelt

„Der Bolognaprozess mit seinen 45 Mitgliederstaaten setzt Standards, die auf der Ebene des jeweiligen Landes umgesetzt werden müssen“. Dies ist eine grotesk falsche Sachaussage, und man kann fast nicht annehmen, dass die Landesregierungsministerialen, die ja in der Regel Juristen sind, so blind gewesen sind, dies zu übersehen. Viel näher liegt da schon die Vermutung, dass die wahren Motive, die die Bundesländer zur zwingenden Durchsetzung der Bologna-Beschlüsse treiben, verdeckt werden sollen. Es ist also die Frage zu stellen: Welchen Vorteil haben die Bundesländer von der neuen Studienstruktur – einmal abgesehen von den hehren Phrasen zu Propagandazwecken? Die Antwort ist vor dem Hintergrund, dass fast alle Hochschulen seit zwei Jahrzehnten systematisch kaputt gespart worden sind, leicht zu finden: Es geht darum, Reformaktivität zu zeigen, ohne dass es etwas kostet, besser noch: dass die Reformaktivität sogar Argumente für weitere Einsparungen liefert.
Ein Beitrag von Dietrich Lemke, er ist als apl. Professor Schulpädagoge an der Universität Bielefeld.