Kategorie:
Innen- und Gesellschaftspolitik

NPD-Verbotsantrag: Volker und die starken V-Männer

Kommentar von Jörg Wellbrock

Durch alle Parteien zieht sich die Diskussion darüber, ob ein Verbot der NPD durchsetzbar ist und etwas am politischen Klima in Deutschland ändern würde. Wie geheuchelt diese Debatte sein kann, zeigt ein Blick auf die Aktivitäten von Volker Bouffier, dem Ministerpräsidenten Hessens.

Die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche, der Rückzug der öffentlichen Verantwortung und die neoliberale Indoktrination unserer „Eliten“. Ein nachgetragener Wochenrückblick.

Beim Rückblick auf die vergangene Woche sind mir Gemeinsamkeiten verschiedener Begebenheiten und Informationen aufgefallen. Sie zeigen, wie falsch die Weichen immer noch gestellt sind. Bisher kein Halten. Keine Besinnung. Der politische Einfluss kommerzieller Interessen scheint nicht zu bremsen zu sein. Sie haben auch die Hochbegabtenförderung der Studienstiftung des Deutschen Volkes erfasst. Siehe unten Ziffer 6. – Vielleicht fördert die Verknüpfung sehr verschiedener Ereignisse Ihren Widerstandswillen. Albrecht Müller.

Aus Verzweiflung erbrüteter Sprengstoff

Anmerkungen und Fragen zur Messerattacke im Jobcenter von Neuss.
Man müsste den Neusser Fall zum Gegenstand einer gründlichen Recherche machen. Wir könnten, sollten und müssten aus ihm lernen. Wo sind die Repräsentanten einer engagierten Literatur, die sich eines solchen Geschehens annehmen?
Es geht nicht darum, den Täter zu exkulpieren. Eine Tat verstehbar werden zu lassen, ist etwas anderes, als sie und den Täter zu entschuldigen.
Schon ist davon die Rede, es sollten Barrieren zwischen Mitarbeitern und Kunden errichtet sowie Fluchtwege ausgebaut werden. Auch der Einsatz von qualifiziertem Sicherheitspersonal in “sensiblen” Verwaltungsbereichen wird diskutiert.
Eine Gesellschaft, der es ernst wäre mit dem Gedanken der Prävention, würde jenseits der und unabhängig von den Zwängen und Begrenzungen der juristischen Wahrheitsfindung umgehend ein interdisziplinäres Forschungsprojekt auf den Weg bringen, dessen Aufgabe es wäre, all das auszuleuchten, was vom Gericht als „nicht zur Sache gehörig“ erklärt und außer Acht gelassen wird. Es hätte den gesellschaftlichen Hintergründen und psycho-sozialen Bedingungen der Möglichkeit dieser Tat rückhaltlos auf den Grund zu gehen. Von Götz Eisenberg [*]

Quotensturm im Genderwasserglas

Es kommt selten vor, dass die im Bund regierenden Koalitionsparteien CDU, CSU und FDP in einem Punkt derart über Kreuz liegen, dass es innerhalb der Koalition eine offene Rebellion gibt, der Fraktionszwang in Frage gestellt wird und die FDP in einem „Brandbrief“ (Zitat: BILD) die Kanzlerin auffordert, ein schrödersches Basta! zum Besten zu geben. Doch wer nun denkt, es ginge bei diesem Streit um bedeutende Dinge wie die Zukunft Europas, die gesetzliche Rente oder den boomenden Niedriglohnsektor, der irrt gewaltig. Die Herren und Damen Koalitionäre zoffen sich stattdessen lieber bis aufs Blut um die Frage, ob Deutschlands börsennotierte Unternehmen genug Frauen in ihren Aufsichtsräten haben. Dies ist nicht nur ein Luxusproblem, sondern auch ein Elitenproblem, das an der Lebenswirklichkeit von 99,9% der Menschen komplett vorbeigeht und noch nicht einmal viel mit Gleichberechtigung zu tun hat. Ein Kommentar von Jens Berger.

Ein weiterer Tabubruch: Bundesverfassungsgericht lässt den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im Inneren zu

Die strikte Trennung von innerer Gefahrenabwehr durch die Polizei und äußerer Gefahrenabwehr durch das Militär war eine bewusste Reaktion der Väter (und Mütter) des Grundgesetzes auf den offenen oder verdeckten Einsatz der Reichswehr im Innern in der Weimarer Republik. Diese Trennung wurde zwar schon mit der Notstandsgesetzgebung im Jahre 1968 gelockert (Einfügung des Art. 87a Abs. 4 GG). Dennoch blieb es bei einer strikten Unterscheidung bei der Regelung des Katastrophen-Notstandes und des Staats-Notstandes. Kampfeinsätze der Bundeswehr im Innern, die auf die Vernichtung des Gegners gerichtet sind, blieben prinzipiell ausgeschlossen. Das Bundesverfassungsgericht weicht nun mit seiner heutigen Entscheidung die bisherige Trennung von Polizei und Militär weiter auf.
Die Regelungen für den Katastrophenschutz nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG, ließen bisher – auch nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtes – den Einsatz der Streitkräfte im Innern mit militärischer Waffengewalt nicht zu. Die 16 Richter des Plenums haben nun entschieden, dass die „Verwendung spezifischer militärischen Waffen bei Einsätzen der Streitkräfte nach diesen Vorschriften nicht grundsätzlich“ ausgeschlossen ist. Damit ist ein fundamentales Prinzip unserer Verfassung – unter Umgehung einer Verfassungsänderung durch den Gesetzgeber – durchbrochen. Wenn auch in engen Grenzen, ist damit die Tür für eine weitere Militarisierung im Innern aufgestoßen. Von Wolfgang Lieb

Die Renationalisierung Europas

Die als Denationalisierungsprojekt erhoffte Europäische Union hat sich längst in ihr Gegenteil verkehrt: Renationalisierung. Die Renationalisierung Europas hat mit der Dominanz einzelwirtschaftlichen Konkurrenzdenkens in gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen begonnen und führte auf der EU-Ebene zur Reduktion der europäischen Idee auf die Geschäftspolitik des industriellen Kerns. Heute ist das Vertrauen in den propagierten Selbstlauf des eurogekrönten Binnenmarktes bezüglich seiner Verteilungseffekte schwer getrübt, nur Deutschland scheint noch nicht einmal im eigenen Land mitbekommen zu haben, wer den nicht erklärten Klassenkrieg gewinnt. Von Orlando Pascheit.

Der Untergrund des NSU war ein Aquarium der Geheimdienste

Hartnäckig wird die Legende aufrechterhalten, dass die im Jahr 1998 abgetauchten Neonazis ›spurlos‹ verschwunden seien und man seitdem keine “heiße Spur” gehabt hätte.
Das widerspricht allen Fakten, die bislang an die Öffentlichkeit gelangt sind.
Fasst man die auszugsweise gewährten Einblick in das Leben derer, die »spurlos« verschwunden sind, zu denen über 13 Jahre keine »heiße Spur« geführt haben soll, zusammen, lässt sich eines sicher sagen: In der Geschichte des ›Untergrundes‹ gibt es nicht viele Gruppen, deren Untergrund so transparent war, wie der des NSU. Es war ein Aquarium, in dem die NSU-Mitglieder wie Goldfische gehalten wurden.
Der Verfassungsschutz tappte nicht im Dunklen – er saß quasi am Küchentisch des NSU. Von Wolf Wetzel.

Was vor 20 Jahren Verschwörungstheorie war, ist heute eine unbestrittene Tatsache

Vor neun Monaten erfuhren wir, dass die zwei toten Männer im Campingwagen nicht nur routinierte Bankräuber, sondern vor allem Mitglieder einer neonazistischen Terrorgruppe namens ›NSU‹ waren, von deren Existenz keine staatliche Stelle etwas gewusst haben will.
Seither gibt es eine Flut von Medienberichten und zahllose journalistische Recherchen, die sich um Aufklärung bemühten. Die These, der Grund für den „blinden Staat“ sei ein Verkettung von Versäumnissen, Pannen und persönlichen Unzulänglichkeiten lässt sich kaum noch halten. Ein Verfassungschef nach dem anderen tritt zurück, ein Dominoeffekt wird befürchtet, ein Systemabsturz.
Die Gefahr, dass man aus diesem organisierten Versagen eben nicht die Stärkung jener Geheimdienste ableiten kann, sondern ihre Auflösung, bringt aber nun Aufklärungs- und Verdunklungswillen wieder zusammen. Soweit will es niemand kommen lassen, bei allem Bedürfnis nach Quote und Auflagesteigerung. Jetzt heißt es, als Regierung und Opposition zusammenzuhalten und das erschütterte Vertrauen in den Verfassungsschutz in einer Blitzheilung wiederherzustellen. Von Wolf Wetzel.

Der „dritte Mann“ des nationalsozialistischen Untergrundes/NSU – ein Anruf genügt…

Hätte vor ein paar Monaten jemand behauptet, dass zur ›Aufklärung‹ der neonazistischen Mordserie Akten vernichtet, wichtige Erkenntnisse unterschlagen, Untersuchungsausschüsse belogen werden, Leitende Beamte des Bundesamtes für Verfassungsschutz Falschaussagen machen, wäre er als Verschwörungstheoretiker lächerlich gemacht worden. Wenn vor Monaten jemand behauptet hätte, dass die verschiedenen Geheimdienste nicht dilettantisch, sondern perfekt zusammengearbeitet hatten und über ausgezeichnete Kontakte zum neonazistischen Thüringer Heimatschutz/THS verfügten, also zu Mitgliedern der daraus hervorgegangenen Terror-Gruppe ›NSU‹, wäre ihm Gleiches widerfahren.
Jetzt sind diese berechtigten Annahmen gerichtsverwertbar. Von Wolf Wetzel.

Hallo, Herr Bundespräsident, wo bleibt Ihre Intervention gegen die erkennbare Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit rechtextremen Mördern?

Sie lassen sich gerne Demokratie-Lehrer nennen. Jetzt wird bekannt, dass vom Verfassungsschutz Geheimdienstakten zur bundesweiten Mordserie der Rechtsterroristen vernichtet worden sind – genau einen Tag, nachdem die Tatwaffe dem Mördertrio zugeordnet werden konnte. Das riecht nach einem Anschlag auf Grundregeln der Demokratie. Auf Ihrer Webseite findet man nichts dazu. Es kann ja sein, dass Sie bei der Bundeskanzlerin oder zumindest beim Innenminister wegen dieses Vorgangs interveniert haben. Was Sie dabei erfahren haben, muss auch die Öffentlichkeit interessieren. Denn so wie die Dinge liegen, kann man diesen Verfassungsschützern nicht mehr trauen. Das muss doch auch den Bundespräsidenten beunruhigen. Albrecht Müller.

Warten auf Niveau: Ein Kulturinfarkt und andere Gebrechen

Die Erregung in der Kulturszene steigt derzeit mit jeder Schlagzeile. Die Oper in Duisburg ist gefährdet. In Köln droht „erstmals seit 1943/44 die Absage einer kompletten Theatersaison“, so Kölns Opernintendant Uwe Eric Laufenberg. Die Oberbürgermeister von Düsseldorf und Bonn denken wechselweise über eine Kooperation ihrer Bühnen mit Köln nach und gefährden damit angeblich die „Identität“ ihrer Kulturmetropolen. In Berlin kämpft das Grips-Theater mehr denn je ums Überleben. Mit dem aktuellen Tarifabschluss für den Öffentlichen Dienst drohen eine Steigerung der Personalkosten und weitere Pleiten. Und dann gibt es auch noch dieses heiß diskutierte Buch, das dem subventionierten Kulturbetrieb einen „Infarkt“ voraussagt und das nach Meinung vieler Medien „die Debatte des Frühjahrs“ angestoßen haben soll. Von Wolfgang Hippe*

Amok in Erfurt / Teil 3 – Schulen: Verlässliche Orte oder Zulieferbetriebe für Markt und Industrie?

Am heutigen Tag vor 10 Jahren lief ein Schüler am Erfurter Gutenberg-Gymnasium Amok und tötete 16 Menschen und sich selbst. Götz Eisenberg hat auf die damaligen schrecklichen Ereignisse zurückgeblickt und danach gefragt, was aus diesem Massaker wirklich gelernt wurde. Lesen Sie heute den letzten Teil seiner Beobachtungen und seinen Schlussfolgerungen. Im Anhang finden Sie eine kommentierte Chronik der zurückliegenden Schulamokläufe.

Amok in Erfurt / Teil 2

„Schrei nach Veränderung“
Von Götz Eisenberg
Im August 2005 wurde der Schulbetrieb im umgebauten und gründlich sanierten Erfurter Gutenberg-Gymnasium mit einer Feierstunde wieder aufgenommen. Neben dem Eingang brachte man eine Gedenktafel mit den Namen der sechzehn Getöteten an. Gesellschaften und Gemeinschaften brauchen Orte der Erinnerung und kollektive Rituale zur Bewältigung eines Traumas, um ihr erschüttertes Gleichgewicht wieder zu erlangen. Es gibt allerdings Formen der Erinnerung, die in Wahrheit eher das Vergessen befördern. Man schafft, salopp gesagt, „Kranzabwurfstellen“, Orte, an denen man an Jahrestagen Blumen niederlegt, Kerzen entzündet und sich einer ritualisierten Gedächtnisübung unterzieht, um hinterher umso schneller vergessen zu können und über die Ursachen der Gewalt nicht reden zu müssen.

Amok in Erfurt

Am 26. April 2002 tötete der 19-jährige Robert S. am Erfurter Gutenberg-Gymnasium 16 Menschen und sich selbst. Kurz darauf gründete sich die Schülerinitiative „Schrei nach Veränderung“, die dazu aufrief, sich „verstärkt mit den gesellschaftlichen Ursachen dieser Tat auseinander zu setzen“, weil nur deren Kenntnis es ermögliche, weiteren Taten vorzubeugen. Aus dem Abstand von zehn Jahren blickt Götz Eisenberg auf die damaligen Ereignisse zurück und fragt, was aus dem Massaker von Erfurt wirklich gelernt wurde. Wir präsentieren seinen Text von heute an bis zum 26. April in drei Teilen. Beschließen wird ihn eine kommentierte Chronik der Schulamokläufe.

Kabarettist Heinrich Pachl ist tot

Der Kölner Kabarettist Heinrich Pachl ist in der Nacht von Samstag auf Sonntag im Alter von 69 Jahren gestorben. Heinrich war noch bis vor kurzem mit einem Soloprogramm unter dem zukunftsfrohen Motto „Das überleben wir!“ aufgetreten, bis es seine schwere Krankheit nicht mehr zuließ. Der Wortakrobat in Höchstgeschwindigkeit war nicht nur eine Institution des politischen und gesellschaftskritischen Kabaretts, seine Auftritte mit dem frühen Richard Rogler, dem verstorbenen Mathias Beltz oder mit Arnulf Rating sind unter Kabarettfreunden geradezu legendär. Für seine Soloprogramme erhielt er renommierte Auszeichnungen, wie den Deutschen Kleinkunstpreis, den Adolf-Grimme-Preis oder den Deutschen Kabarettpreis. Heinrich war immer auf der „Spur der Scheine“. Für mich ist sein Theaterstück „Köln ist Kasse“ die einfühlsamste und treffendste Karikatur des kölschen Klüngels. Köln ist für den gebürtigen Badener zu seiner geliebten und gleichzeitig heftig angeprangerten Heimat geworden. Heinrich hat sich nicht nur in der Stadtpolitik sondern überall eingemischt, wo es um soziale Not oder um Finanz- und Umweltskandale ging. Auf der Straße, im Theater oder mit seinen Filmen stand er immer auf der Seite der Benachteiligten. Er hat den Schönfärbern in Politik und Medien mit seinen „vertrauensstörenden Maßnahmen“ zugesetzt. Seine Empathie galt den Ausgebeuteten und sein Zorn den Absahnern. Die Kleinkunst, das Kabarett hat einen ihrer Großen verloren, die NachDenkSeiten einen wichtigen Impulsgeber und ich einen guten Freund. Wir trauern um ihn mit seiner Frau Li und seinem Sohn Max.