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Wertedebatte

Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!

Politiker aller Parteien liebäugeln mit einer „Obergrenze“ für Flüchtlinge. Österreich hat gestern bereits etwas umgesetzt, das je nach Sprachregelung einer solchen Obergrenze nahekommt. Dabei ist es eigentlich egal, wie man das Kind nennt: Eine wie auch immer formulierte Mengenbeschränkung von Flüchtlingen ist unter Einhaltung internationaler Abkommen nicht möglich. Außer … ja, außer man baut eine Mauer und erteilt einen Schießbefehl. Ist es das, was wir wollen? Von Jens Berger

Sprache in der Flüchtlingsdebatte: Worte können auch Taten sein

Tagtäglich lesen und hören wir derzeit Worte wie „Flüchtlingsstrom“, „Flüchtlingsflut“ oder „Flüchtlingswelle“. Welche Bilder entstehen in unseren Köpfen dadurch? Die, des gleichmäßig dahinfließenden Flusses, die, der erfrischenden Welle bei einem Meeresbad in den Fluten der Nordsee? Oder eher die von unbeherrschbaren, zumindest aber gefährlichen Naturereignissen, die Angst und Schrecken verursachen? Ströme treten über die Ufer und setzen Städte unter Wasser und Schlamm. Fluten zerstören hierzulande Deiche und führen zu Land-unter auf den Halligen, auf den Marshallinseln sind sie lebensgefährdend. Von einer Welle überrollt zu werden, tut zumindest weh, manchmal endet es auch tödlich. Warum also diese Bilder im Zusammenhang mit Flüchtlingen? Von Klaus Peter Lohest [*]

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Satire ist nur ein Affe im Hirn

Henning Venskes

Satiriker haben, wie die Geschichte zeigt, immer schon gefährlich gelebt: Weil der römische »Soldatenkaiser« Caracalla vermutete, dass die Bewohner von Alexandria Witze über ihn machten, veranstaltete er ein Gemetzel unter der Bevölkerung: Tausende wurden abgeschlachtet. Und als Caracalla glaubte, die Zuschauer im Zirkus in Rom würden sich über ihn lustig machen, befahl er auch dort ein Massaker. Von Henning Venske.

Von Laubbläsern, Smartphones, menschlicher Würde und Mitleid im Winter

Der Sozialwissenschaftler, Publizist, Gefängnispsychologe und regelmäßige NachDenkSeiten-Gastautor Götz Eisenberg [*] wagt in diesem Jahr einen „etwas anderen Jahresrückblick“. Heute präsentieren wir Ihnen den zweiten Teil. Gestern erschien bei uns der erste Teil unter der Überschrift „Von Algorithmen, Erinnerung, Pegida, Resilienz und Wölfen“.

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Eisenbergs Jahresrückblick: Von Algorithmen, Erinnerung, Pegida, Resilienz und Wölfen

Der Sozialwissenschaftler, Publizist, Gefängnispsychologe und regelmäßige NachDenkSeiten-Gastautor Götz Eisenberg [*] wagt in diesem Jahr einen „etwas anderen Jahresrückblick“. Heute präsentieren wir Ihnen den ersten Teil, morgen folgt der zweite Teil unter der Überschrift „Von Laubbläsern, Smartphones, menschlicher Würde und Mitleid im Winter“.

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„Mehrheitsgesellschaft“ – Wissen Sie, was das ist? Ich auch nicht.

Aber der Terrorismus-Experte Peter R. Neumann und der ihn interviewende Deutschlandfunk-Redakteur Armbrüster scheinen das genau zu wissen. Am Dienstag früh verlautbarte der in London arbeitende Professor, die in den Terrorismus abgleitenden Jugendlichen fühlten sich von der „Mehrheitsgesellschaft“ verraten und ausgeschlossen, und die Jugendarbeit habe dem Zweck zu dienen, sie „wieder für diese Gesellschaft zu gewinnen“. (Die entsprechende Interviewpassage folgt gleich.) Interessant: Begriff und Argumentation signalisieren, dass eine friedliche Alternative zur „Mehrheitsgesellschaft“ nicht gesehen wird und auch nicht gesucht wird. TINA auch hier bei der Terrorismus-Ursachenforschung und den Therapieerwägungen. Albrecht Müller.

Die Öffentlichkeit zerfällt zusehends total

Eine Episode aus dem Schulalltag der 16 jährigen Tochter einer NachDenkSeiten-Leserin beleuchtet den überall spürbaren Vorgang. Die Mutter berichtet: „Die Klasse wurde gestern aufgefordert, am nächsten Tag wegen der Trauer mit den Opfern in Frankreich in schwarz zu erscheinen. Ein Großteil der Schüler fragte daraufhin die Lehrerin, was das soll. Es würden derzeit überall in der Welt Menschen durch Kriege und Terror sterben und niemand ginge deshalb in schwarz. Ich erzählte meiner Tochter vom amerikanischen Drohnenkrieg in Pakistan und empfahl ihr, zwar in schwarz zu gehen, sich aber ein Schild zu malen, auf dem steht: Ich bin Pakistan.“ Der Lehrerin sind kaum Vorwürfe zu machen. Sie spiegelt nur wieder, was der Grundtenor der meisten Medien und Politiker ist. Albrecht Müller.

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Friedensnobelpreisträgerin EU weigert sich, Fluchtursachen zu bekämpfen

„Die Regierungschefs der EU-Länder verhandeln mit 35 afrikanischen Staaten über eine Begrenzung des Flüchtlingsstroms“, schreibt „Bild“ heute. „Im Gegenzug sollen sie bis zu 3,6 Milliarden Euro erhalten. Wer mehr Flüchtlinge zurücknimmt und Ausreisen stoppt, soll mehr Hilfen erhalten.“ Von Oskar Lafontaine.

Wer schafft was, Frau Merkel? – Die Armen helfen den Armen, Merkel nicht.

„Wir schaffen das. Davon bin ich ganz fest überzeugt. Deutschland ist ein starkes Land“, hat sie gestern Abend wieder in der ARD-Sendung „Anne Will“ gesagt. Und uns wieder im Unklaren gelassen, wen sie mit „wir“ meint. Bayer, Daimler, Heckler&Koch, die Deutsche Bank und Bosch und viel andere Konzerne sind stark, keine Frage. Die Klattens, Quandts und Schaefflers auch. Die Hartz-4-Bezieherin und der Niedriglöhner eher nicht. Wer schafft also was, Frau Merkel? Und wie? So Oskar Lafontaine in seiner neuen Kolumne. Albrecht Müller.

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Anmerkungen zum Impuls-Papier des SPD-Parteivorstands: „Starke Ideen für Deutschland 2025“

Die SPD-Spitze hat vor einigen Wochen ein „Impulspapier“ veröffentlicht, das eine „Perspektivdebatte“ anstossen und auf einem „Perspektivkongress“ am 11. Oktober 2015 in Mainz diskutiert werden soll.
Wer einen Text veröffentlicht, muss damit rechnen, dass er gelesen wird. Bei jedem Text muss mindestens einer sich Mühe machen: der Autor, in diesem Fall wohl besser der Absender oder die Leserin und der Leser. Im Idealfall beide.
Im konkreten Fall müssen alle, die den Text lesen, sich grosse Mühe geben, weil sie mit einer Gedankenwelt und einer Sprache zu tun haben, die neue Massstäbe dafür setzt, wie man einen programmatischen politischen Text der SPD nicht schreiben sollte.
Eigenlob und Selbsttäuschung, Formelsprache und mangelndes Geschichtsbewusstsein, Begriffswirrwarr und blinde Flecke bei zentralen Fragen ergeben eine Mischung, die auch hart gesottene, professionelle Leser politischer Texte herausfordert.
Dieser „Impuls“ braucht Widerspruch, damit er keinen dauerhaften Schaden anrichtet.
Ich werde an Beispielen aus jedem der neun Kapitel des Impuls-Papiers deutlich machen, was aus meiner Sicht schräg ist und nicht stimmt, was fehlt und wo vernebelt statt aufgeklärt wird. Dabei versteht sich, dass der Text auch vieles Richtige enthält. Das macht ihn aber nicht aus. Von Christoph Habermann[*].

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Die Lüge von der Zivilisiertheit der „westlichen Welt“

Sascha Pommrenke

“Terrorismus ist der Krieg der Armen und der Krieg ist der Terrorismus der Reichen”, wusste schon Peter Ustinov und widersprach damit dem medialen Bild, „wir“, der sogenannte Westen, würden seit einigen Jahren ohne jegliche Schuld immer häufiger und schlimmer von Barbaren attackiert, gegen die es sich nunmehr zu wehren gölte. Dieser Sicht widerspricht auch der Autor und Publizist Sascha Pommrenke, der gerade ein Buch über den „Terror des Westens“ schreibt. Jens Wernicke sprach mit ihm.

Deutsche Flüchtlingspolitik: Das „Blinde Kuh“-Spiel ist ausgespielt

Konnte die deutsche Politik, die weder einen Plan für eine Friedensstiftung im Irak, in Syrien, in Afghanistan oder in Afrika hat, wirklich damit kalkulieren, dass ihr die Frontex-Politik und das Dublin-Abkommen die Flüchtlinge aus dem Lande halten würden? Man hat in Berlin Vorbereitungen für die jetzt durchgebrochene Flüchtlingswelle bewusst unterlassen, weil man wohl darauf gebaut hatte, dass diese Dämme halten würden.

Das war entweder zynisch oder bodenlos dumm.

Und wenn jetzt Deutschland „Kontrollen an seinen Binnengrenzen vorübergehend wieder einführt“, dann verhält sich die Bundesregierung nicht anders als die Dänen oder die Briten am Kanal und nicht grundsätzlich anders als die in den Medien viel kritisierten Ungarn: Man versucht den „Stöpsel auf die Flasche“ zu kriegen, wie sich Bayerns Ministerpräsident zynisch äußerte. Mit der faktischen Außerkraftsetzung des Schengener Abkommens, wird offensichtlich, dass die Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik seit Jahren politisch „Blinde Kuh“ gespielt hat, sich ein Tuch vor die Augen gebunden hat und nun verzweifelt versucht, einen neuen Blinden zu finden. Von Wolfgang Lieb.

Damen im Café und „ihre“ Griechen

Ich sitze dieser Tage in einem kleinen Café, trinke einen Cappuccino und sinniere so vor mich hin. Gegenüber ein Tisch mit älteren Damen – ein Damenkränzchen. Recht gut situiert scheinen sie zu sein. Sie sind viel gereist und reden über Alltagsdinge: über Kochrezepte, übers Abnehmen, über ihre Krankheiten und Wehwehchen und natürlich über ihre Reisen.
Plötzlich sind sie beim Thema Griechenland. Ich hatte es schon befürchtet. Eine von ihnen hat eine dieser Talkshows im Fernsehen gesehen, die seit Wochen nahezu allabendlich über den Bildschirm flimmern. Jetzt stimmen alle mit ein und eine übertrifft die andere mit abfälligen Kommentaren über die faulen Griechen, die an unser Geld wollen; die doch selbst schuld sind, dass es ihnen schlecht geht und die dazu noch undankbar sind, da doch unsere Regierung alles tut, um ihnen zu helfen usw. Mich wundert nicht die Schlichtheit ihrer „Argumente“ und der Grad an Dummheit. Sie sind der Widerhall dessen, was die Medien seit Monaten verbreiten: von der vornehmen FAZ bis zur primitiven, menschenverachtenden BILD. Was mich wundert, ist das Fehlen jeglicher Empathie für die Menschen in Griechenland. Von Joke Frerichs.

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„Deutschland kann seine Interessen nicht auf Dauer gegen die anderen durchsetzen“

„Durch die dramatischen Vorgänge an diesem Wochenende 12./13. Juli ist ja die Einheitsfront aufgebrochen, weil die französische und die italienische Seite gesehen haben, dass sich das eigentlich auch gegen sie richtet. Dass dieser Versuch, am Beispiel Griechenlands durchzuexerzieren was passiert, wenn man sich von Berlin aus formulierten Regeln nicht unterwirft – der richtet sich ja nicht nur gegen Griechenland, sondern er richtet sich gegen alle anderen Euro-Staaten. Deswegen gibt es jetzt starke Stimmen aus Frankreich, Italien, Spanien, die sagen, diese Art von Krisenmanagement können wir so nicht fortsetzen, wir müssen die Verfasstheit der Eurozone neu diskutieren, wir brauchen eine Euro-Regierung mit einem eigenen Budget, und wenn sie ein eigenes Budget hat, bedeutet das, dass sie Steuergeld verwaltet, das heißt, dass man auch ein Parlament für die Eurozone braucht, was diesen Namen wirklich verdient. Wenn es dazu käme, kriegen wir eine europäische Verfassungsdebatte und über diese Verfassungsdebatte kriegen wir auch eine Änderung des Kurses. Also Deutschland ist mächtig, aber Deutschland ist eben kein Hegemon, der seine Interessen gegen die Interessen der anderen auf Dauer durchsetzen kann. Das wird auch Frau Merkel früher oder später einsehen, selbst, wenn sie darüber ihren Finanzminister verliert.“
Griechenlandspezialist Harald Schumann erneuert seine Kritik an Schäuble und Merkel im Interview mit den NachDenkSeiten. Das Interview führte Rolf-Henning Hintze.