Nachdenken über Afghanistan
Es muss darum gehen, dass dieses Land nicht in eine besondere Form des Vergessens gerät. Noch bis zum Sommer dieses Jahres schien es so, als sei Afghanistan bei den meisten Deutschen in Vergessenheit geraten. Dann wendete sich jäh das Blatt, als die Taliban Mitte August nach vorangegangenen verheerenden Niederlagen der staatlichen afghanischen Sicherheitskräfte (Polizei und Armee) ohne nennenswerten Widerstand siegreich in die Metropole Kabul einrückten. Jetzt geriet das Land am Hindukusch als Fiasko eines vom Westen verlorenen Krieges in den Blickpunkt politischen Versagens, nachdem bereits drei Jahrzehnte zuvor das Debakel der Roten Armee in dem Land mitverantwortlich für die wenig später einsetzende Implosion der Sowjetunion und von Afghanistan war. In Deutschland, so argumentiert Michael Daxner in diesem Beitrag, setzen wir das Versagen der Politik fort, hüllen das Vergessen in Schicksalsnebel und lassen Zapfenstreiche Lügen, „Missverständnisse“ und Inhumanität gegenüber Schutz- und Asylsuchenden und deren Familien mit großem Brimborium übertönen. Daxner, emeritierter Professor für Hochschuldidaktik und Soziologie und u.a. Präsident der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (1986-98), hat sich seit Jahren in unterschiedlichen Funktionen und Zusammenhängen intensiv mit Afghanistan befasst und setzt sich gegenwärtig mit Verve für afghanische Flüchtlinge ein. Für die NachDenkSeiten hat Rainer Werning seinen Text redaktionell bearbeitet und mit Zwischenüberschriften versehen.