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Wichtige Debatten

Umbruchsbewältigung – Soziologie: eine Wissenschaft (be-)sucht die Gesellschaft

Drei Tage lang war in Frankfurt am Main das „Amt für Umbruchsbewältigung“ geöffnet. In „Amtsstuben“ saßen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Soziologie, der Politologie, der Jurisprudenz. Wer die „Sprechstunde“ mit ihnen suchte, zog draußen im Flur eine Nummer und wartete, bis sie aufgerufen wurde. Jeweils zwanzig Minuten lang diskutierten mit jedermann unter anderen die Professoren für politische Theorie, für Sozialphilosophie und Rechtstheorie, Rainer Forst, Axel Honneth und Klaus Günther, die zu den bekanntesten intellektuellen Köpfen der Universität zählen. Die Neugier war groß, auf beiden Seiten. Von Jutta Roitsch

Fatale Weichenstellung – Brüssel erklärt das deutsche Modell zum Vorbild für Europa

Um ökonomische Ungleichgewichte innerhalb der EU abzubauen, baut die EU-Kommission in diesem Jahr ihren Stabilitätspakt aus und erweitert dabei die Zahl der Indikatoren von zwei auf zehn. Künftig spielen beispielsweise auch Außenhandelsüberschüsse eine Rolle bei der Bewertung, ob ein Land die ökonomische Stabilität der EU gefährdet. Was sich in der Theorie ursprünglich sehr gut anhörte, ist jedoch dank der massiven Einflussnahme Deutschlands in der Praxis zu einer einzigen Farce geworden, wie der gestern veröffentlichte „Alarmbericht“ [PDF – 127 KB] zeigt. Anstatt Ungleichgewichte abzubauen, nutzt die EU-Kommission die zehn Indikatoren dazu, die Mitgliedsstaaten anzuhalten, Löhne zu senken, den Arbeitsmarkt zu deregulieren und den Einfluss des Staates immer weiter zurückzufahren. Europa soll keine Ungleichgewichte abbauen, sondern deutscher werden. Von Jens Berger.

„Die Verarmung des Staates als strategischer Hebel“

Dieses Stück wurde in der vergangenen Woche wie sooft in der letzten Zeit wiederaufgeführt. Diesmal nicht nur praktiziert im Umgang der deutschen Regierung und ihres Anhangs mit Griechenland. Das Stück findet auch Erwähnung in einem zweiseitigen Essay von Barbara Supp im gedruckten Spiegel 6/2012. Der Titel „Unbarmherzige Samariter. Wie Margaret Thatcher und ihre deutschen Schüler die marktkonforme Demokratie erschaffen haben.“ Albrecht Müller.

Hunger nach Sinn

Am 14. Februar wird der Autor, Filme- und Fernsehmacher Alexander Kluge 80 Jahre alt. Eine Hommage von Götz Eisenberg.
Es gibt lakonische Bemerkungen von Alexander Kluge, die hoch verdichtet, gewissermaßen in Pillenform, den ganzen Kosmos der gegenwärtigen Gesellschaft enthalten und erhellen. “Sinnentzug. Eine gesellschaftliche Situation, in der das kollektive Lebensprogramm von Menschen schneller zerfällt, als die Menschen neue Lebensprogramme produzieren können.” Dieser Satz, mit dem Alexander Kluge sein Buch Lernprozesse mit tödlichem Ausgang aus dem Jahr 1973 eröffnet, hat mir einen verstehenden Zugang von weit verbreiteten gegenwärtigen Leidenserfahrungen eröffnet. Das Kapital ist schnell und dynamisch, die Menschen sind eher langsam. Ihre Fähigkeit, innerhalb ihrer Lebenszeit und auf der Basis einer erworbenen Identitätsstruktur und charakterlicher Prägungen Veränderungen zu verarbeiten, ist begrenzt. Immer mehr Menschen machen angesichts des forcierten gesellschaftlichen Wandels die Erfahrung von „Sinnentzug“ …

Parallelwelten: Merkel und Sarkozy feiern sich, während ihr Versagen offenkundig und gefährlich ist.

Gerade erschien eine Studie [PDF – 1 MB] der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema „Scheitert der Euro?“, die Sie zur Aufklärung über das Versagen der Verantwortlichen und über die Lösung der gravierenden Probleme nutzen könnten. Sie können die Studie hier bestellen: [email protected] oder selbstverständlich elektronisch weiterleiten bzw. ausdrucken. Es folgen in Abschnitt A. Informationen zum Inhalt der Studie von Klaus Busch. In Abschnitt B. versuche ich mit ein paar wenigen Anmerkungen zu erklären, wie die Verantwortlichen ihre schöne Scheinwelt zu erzeugen vermögen. Albrecht Müller.

Die Agonie der Demokratie

Der Verfassungsschutz beschäftigt sich mit der Linkspartei und gleichzeitig nutzt das Finanzsystem die von ihm provozierten Refinanzierungsprobleme der Eurostaaten, um der Politik neue und immer engere Leitplanken zu setzen, mit denen die politische Handlungsfähigkeit der demokratischen Staaten immer weiter eingeschränkt wird. Längst ist die öffentliche Verschuldung zu einem Gesslerhut geworden, der dem Volk und der Politik aufzeigt, wer der wahre Souverän in diesem Lande ist – nämlich das Finanzsystem. In steter Regelmäßigkeit wird ganz offen eine Unterscheidung zwischen den vermeintlich objektiven Interessen der Allgemeinheit und dem politischen Willen der Allgemeinheit vorgenommen. Gerade so, als seien die in einer Demokratie angeblich mündige Bürger unmündige Kinder, die nicht wissen können, was das Beste für sie sei. Die Demokratie von heute ist nicht mehr von ihren offenen Feinden – und schon gar nicht von der Linken -, sondern von denjenigen bedroht, die vorgeben, die Politik in den europäischen Staaten wieder auf den Pfad der Tugend, nämlich des Sparens zurückführen zu wollen. Von Jens Berger

Jetzt tut die herrschende Ökonomie so, als sei ihr Versagen nicht vorhersehbar gewesen.

Seit der Weltwirtschaftskrise von 1929 wissen wir, dass es keinen Sinn macht, in einer makroökonomischen Krise weiter sparen zu wollen. Weil man mit dieser pro-zyklischen Politik die Krise verschärft. Wir wissen, dass es in einem gemeinsamen Währungsraum nur gut ausgehen kann, wenn sich auf mittlere Sicht Leistungsbilanzüberschüsse und -defizite angleichen. Deshalb war von vornherein klar, dass die gemeinsame Währung Euro nur gerettet werden kann, wenn die Entwicklung der Lohnstückkosten und der Wettbewerbsfähigkeit in der Eurozone nicht weiter auseinander getrieben, sondern angeglichen werden. Und dennoch haben sich die herrschende Ökonomie und die herrschende Wirtschaftspolitik in Deutschland diesen und anderen Einsichten verweigert. Das herrschende Elend und die große Gefahr für die Eurozone ist ein Ergebnis der Ignoranz. Man konnte wissen was zu tun ist, wenn man wollte. Albrecht Müller.

Der neue europäische Fiskalvertrag – ein klammheimlicher Systemwechsel

Während in Deutschland die Affären um den Bundespräsidenten die Schlagzeilen und die Nachrichtenlage beherrschen, wird in den Hinterzimmern von Europäischem Rat und EU-Kommission ein Vertrag vorbereitet, der schon im März 2012 auf einem Euro-Gipfel unterzeichnet werden soll und der alle Euroländer (und perspektivisch alle Mitgliedstaaten) der Europäischen Union dauerhaft auf einen strikten Kürzungs- und Austeritätskurs festlegen soll. Da die Regierungschefs sich nicht trauen den bestehenden EU-Reformvertrag von Lissabon [PDF – 901 KB] zu ändern, weil das in einigen Ländern nur über Volksabstimmungen möglich wäre, wird der neue „fiskalpolitischen Pakt“ außerhalb des bisherigen Rechts für die gesamte Europäische Union etabliert. Dennoch soll der Pakt für die Organe der Europäischen Union bis hin zum Europäischen Gerichtshof bindend sein. Anne Karras, die am Graduiertenkolleg “Die Zukunft des europäischen Sozialmodells” in Göttingen promoviert, hat sich mit dem Entwurf dieses neuen zwischenstaatlichen Fiskal-Vertrages auseinandergesetzt.

Revison der Riesterrente – Die klare Lösung wird immer noch verdrängt

Der Film “Das Riester-Dilemma – Porträt einer Jahrhundertreform“ von Ingo Blank und Dietrich Krauß, auf den wir hier schon hingewiesen haben, ist eine sehr verdienstvolle Arbeit. Wir kommen darauf aus verschiedenen Gründen zurück. Der wichtigste: Es wird von den politisch handelnden und die Riester-Rente bisher propagierenden Personen und Parteien immer noch die klare Konsequenz verdrängt: damit Schluss zu machen. Ich beginne deshalb mit der Antwort auf die Frage, wie nach der Re-Vision, der sachlich, kritischen Betrachtung der Riester-Rente und der sich verbreitenden Erkenntnis, dass wir mit dieser Reform auf einen falschen Weg geschickt worden sind, die Lösung aussehen muss. Was ist zu tun? Albrecht Müller.

Wir sind Kultur. Über geistige Ernährung

Ein Essay von Gert Heidenreich
Bildung ist die Verwandlung geistiger Erfahrung in lebendiges Bewusstsein – Bewusstsein im Sinne von Vorbereitung auf das Leben und von Bestimmung des eigenen Selbst im komplexen Gefüge aller anderen, also bildlich gesprochen: den eigenen Ort in der Welt zu finden und zu verstehen. Genau das ist offenbar kein Ziel der Pädagogik mehr – die Inhalte, die dafür nötig wären, werden zurückgedrängt zugunsten anderer Curricula, deren unmittelbar nützliche Anwendbarkeit im Berufsleben hervorgehoben wird. Der trainierte Mensch, der dabei entsteht, hat als Idealbild der sogenannten Informationsgesellschaft den gebildeten Menschen abgelöst.
Eine Entwicklung, die ich nicht nur für falsch halte. Sie stellt eine Beschädigung der jungen Menschen dar. Warum?

Rösler: Völlig losgelöst im Raum schwebend

Wie überflüssig die FDP geworden ist, zeigt sich darin, dass sie nur noch gegen eine selbst inszenierte Scheinwelt anrennt. In narzisstischer Manier kreist sie nur noch in Selbstbewunderung und Selbstverliebtheit, was in der realen Welt um sie herum vorgeht, geht an dieser Partei offenbar völlig vorbei. Von Wolfgang Lieb

Christian Wulff – Das Versteckspiel ist zu Ende

Christian Wulff hat sich als einsichts- und lernunfähiger Fortsetzungstäter amtsunangemessener geschäftlicher Verbindungen erwiesen. Er hat sein Fehlverhalten notorisch vertuscht. Der Bundespräsident hat sich als neben dem Bundesverfassungsgericht oberster Hüter der Verfassung unglaubwürdig gemacht. Wie sollte er jemals wieder ein Vorbild für Sauberkeit und Transparenz in der Politik sein können? Wie sollte er jemals wieder glaubwürdig gegen unsaubere Bankgeschäfte zu Felde ziehen können? Wie sollte man ihm, wenn er die Werte der Verfassung verteidigt, noch abnehmen können, dass er nicht nur heuchelt? Es geht nicht mehr um die Würde des Bundespräsidenten, er hat dieses Amt herabgewürdigt. Nach Wulff kann man eigentlich das Amt des Bundespräsidenten nur noch abschaffen und es auf den Bundesratspräsidenten übertragen. Von Wolfgang Lieb

Ist der Ruf erst ruiniert, dann lebt sich’s völlig ungeniert

Das könnte das gemeinsame Motto von Bundeskanzlerin und Bundespräsident bei ihren jeweiligen Ansprachen zu Neujahr und zu Weihnachten sein. Jedenfalls ist das ihre Strategie und die Strategie der Parteien und der Koalition, die hinter ihnen stehen. Wir Bürgerinnen und Bürger haben keine Sanktionsmöglichkeit mehr. Auch schlimme Fehler mit verheerenden Folgen werden ausgesessen, Kritik prallt ab. Keine schöne Einleitung für einen kleinen Jahresrückblick. Keine guten Aussichten. Albrecht Müller.