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Wichtige Debatten

Beim Vergleich des „Verbrechens“ der Nadja Drygalla mit rechtsradikalen Äußerungen von Söder und Gesinnungsfreunden stößt man auf einen interessanten Meinungsbildungsprozess

Olympia-Rudererin Nadja Drygalla hat das Olympische Dorf verlassen, als verbreitet wurde, sie sei mit einem Mitglied und Funktionär der NPD befreundet. Man kann sich mit Recht darüber wundern, dass die Liäson mit einem NPD-Funktionär einen solchen Schatten auf einen Menschen wirft, wie das im Falle der Rudererin Drygalla geschehen ist, obwohl sie sich von der Neonazis-Szene distanziert. Die rechtsradikalen und fremdenfeindlichen Äußerungen etablierter Politiker wie Söder, und die Kampagnen zum Beispiel der Bild-Zeitung gegen andere Völker wie gegen die Griechen und die Volksverhetzung, die in diesen Kreisen schon bei der Asylrechtsdebatte Anfang der neunziger Jahre sichtbar wurde, sind jedenfalls um vieles schlimmer als das “Vergehen” der Nadja Drygalla. Eine Person wie Söder und viele seiner Parteifreunde und ihrer Gesinnungsgenossen in den Medien nutzen die Distanzierung von der NPD und anderen Rechtsradikalen wie einen Paravent. Albrecht Müller.

Söder: „Wenn jemand an deinem Seil hängt und dabei ist, dich mit in den Abgrund zu reißen, musst du das Seil kappen.“

Dass rechtsreaktionärer Populismus Markus Söders einziges politisches Programm ist, musste man seit Beginn seiner CSU-Karriere ertragen. In seinem Bild am Sonntag-Gespräch mit Sahra Wagenknecht verschärft er seine Deutschtümelei zu einem aggressiven Chauvinismus. Er will an Griechenland ein „Exempel statuieren“, um alle europäischen Nachbarn zu warnen, sollten sie sich dem deutschen Diktat widersetzen. Den Medien ist jede Sensibilität gegen diese Hetze auf andere Nationen verloren gegangen. Der von der Politik und großen Teilen der Medien geschürte Größenwahn der Deutschen kann – wie im vergangenen Jahrhundert – nur erneut in einer Katastrophe enden.
Von Wolfgang Lieb.

„Sparzwang“ in Zeiten des Nullzinses?

Wenn die Bundesrepublik Deutschland neue Schulden aufnimmt, so muss sie dafür nur einen lächerlich geringen Zinssatz zahlen – für Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zwei Jahren oder weniger kriegt sie von den Anlegern sogar eine Prämie dafür, dass diese dem Staat Geld leihen dürfen. Dennoch beherrscht das Mantra, nach dem der Staat immer weniger Schulden aufnehmen sollte, die politische Diskussion. Dies ist ein grandioser Denkfehler, der uns noch sehr teuer zu stehen kommen könnte. Von Jens Berger.

Der Untergrund des NSU war ein Aquarium der Geheimdienste

Hartnäckig wird die Legende aufrechterhalten, dass die im Jahr 1998 abgetauchten Neonazis ›spurlos‹ verschwunden seien und man seitdem keine “heiße Spur” gehabt hätte.
Das widerspricht allen Fakten, die bislang an die Öffentlichkeit gelangt sind.
Fasst man die auszugsweise gewährten Einblick in das Leben derer, die »spurlos« verschwunden sind, zu denen über 13 Jahre keine »heiße Spur« geführt haben soll, zusammen, lässt sich eines sicher sagen: In der Geschichte des ›Untergrundes‹ gibt es nicht viele Gruppen, deren Untergrund so transparent war, wie der des NSU. Es war ein Aquarium, in dem die NSU-Mitglieder wie Goldfische gehalten wurden.
Der Verfassungsschutz tappte nicht im Dunklen – er saß quasi am Küchentisch des NSU. Von Wolf Wetzel.

Das Kind als Bio-Aktie

Kinder des digitalen Zeitalters leiden unter neuartigen Formen der Missachtung.
Eltern betrachten ihr Kind offenbar nicht mehr als Geschenk, sondern als eine Art Bio-Aktie, von der eine gute Performance erwartet wird. Seit die Bergwerke stillgelegt sind und keine Kohle mehr gefördert wird, hat man die kindlichen Gehirne als „Ressource“ und „Humankapital“ entdeckt. Schon wird von Frauen berichtet, die ihre schwangeren Bäuche mit Kopfhörern beschallen. Schluss mit dem zweckfreien Spiel am Bach und im Sandkasten, die Konkurrenz schläft nicht: Andere Kinder haben mit zwei Jahren bereits 600 englische oder chinesische Wörter aufgesogen und dabei ihre „Synapsen optimal vernetzt“. Es erscheinen Ratgeber, die propagieren: „Ein Leben lang für Vorsprung sorgen.“ Mutterliebe und eine vertrauensvolle Atmosphäre sind nicht länger um ihrer selbst willen da, sondern fördern die Herausbildung einer leistungsfähigen neuronalen Struktur. Von Götz Eisenberg[*].

Politische Ökonomie der Alterssicherung – Kritik der Reformdebatte um Generationengerechtigkeit, Demographie und kapitalgedeckte Finanzierung

Spätesten seit den 1970er Jahren setzte sich in der tonangebenden sozialpolitischen, ökonomischen und öffentlichen Debatte nach und nach die Überzeugung durch, dass ein über Steuern und/oder Abgaben im Umlageverfahren finanziertes staatlich organisiertes System der Alterssicherung ungerecht, ineffizient und aufgrund demographischer Entwicklungen in Zukunft nicht länger finanzierbar sei. Aufgrund dieser radikalen Kritik an den international so bezeichneten PAYGO-Systemen (hierunter fällt auch die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland) wurde alternativ die private, kapitalgedeckte Organisation und Finanzierung der Alterssicherung favorisiert. Ungeachtet des jeweiligen Verfahrens (als individuelle Altersvorsorge, betriebliche Vorsorge und/oder als ergänzende kapitalgedeckte Komponente im gesetzlichen, umlagefinanzierten System) sei dieser Ansatz prinzipiell viel gerechter und rentabler und würde zudem die drängenden demographischen Probleme effektiver verarbeiten, so zumindest die populäre Überzeugung. Wenngleich die polarisierende Argumentation in den 1970er Jahren noch nicht detailliert ausgearbeitet und öffentlich anerkannt war, trug sie doch maßgeblich dazu bei, die Phase des forcierten Auf- und Ausbaus der PAYGO-Systeme nach 1945 zu beenden und eine Phase der Gegenreform vorzubereiten und ein neues, orthodoxes Reformparadigma zu begründen. Die Zusammenfassung der Doktorarbeit von Christian Christen[*].

Wolfgang Niedecken: „Geld beruhigt, aber ich verprasse es nie“

Ein „offener Brief“ zu Niedeckens Interview mit dem Handelsblatt am 14.Juli 2012
Wer hätte das gedacht, dass der in die Jahre gekommene Rock’n’Roller Wolfgang Niedecken inzwischen in der Denkwelt der „schwäbischen Hausfrau“ lebt? Anstatt – wie es Rockern nachgesagt wird – exzessive Partys zu feiern und es richtig krachen zu lassen, sinniert er nun in einer konservativen Wirtschaftszeitung über seinen sparsamen Umgang mit Geld, über faule Hippie-Modelle und über seine politischen Buddys.
Bei dem, was Herr Niedecken in dem Handelsblatt-Interview so von sich gibt, dürften sich die meisten seiner Fans verwundert die Augen reiben. Denn die meisten der BAP-Fans dürften wohl kaum zur finanziell gut gestellten, wertkonservativen bürgerlichen Mittel- und Oberschicht gehören. Von Jürgen Beck[*]

Hoch im Kurs – Marketing an Schulen – natürlich kostenlos

Als Forschungs- und Bildungseinrichtung, die einst die Broschüre „Frieden und Sicherheit“ zu Analysezwecken beim FDP-nahen Verein „Jugend und Bildung“ bestellte, erhalten wir nun regelmäßig das jeweils neue Lehrmaterial frei Haus. Nun erreichte uns die Broschüre „Hoch im Kurs“ in zwei Ausgaben, eine für Schüler und eine für Lehrkräfte, deren Herausgeber neben der „Stiftung für Jugend und Bildung“ auch der Bundesverband Investment und Asset Management e.V. (BVI) ist.[1] Unter der Rubrizierung „Geld, Markt, Wirtschaft“ für die Sekundarstufe II soll Jugendlichen die Themenfelder „Ausgaben planen“, „Märkte verstehen“ und „Vermögen aufbauen“ nahe gebracht werden. Obwohl Fondsberatung nicht lehrplanrelevant ist, wird Lehrkräften viel Arbeitserleichterung rund um dieses Themenfeld angeboten, die von vorgefertigten Arbeitseinheiten über Medientipps bis hin zu kostenlosen Beratern für den Schulunterricht reicht. Letztere sind über die gleichnamige Website mit stets aktualisierten Angeboten zu buchen.[2] Die Prämierung des Angebots durch das Comenius Edu Siegel und das UNESCO Nachhaltigkeitssiegel bzw. deren Abdruck auf der Rückseite des Schülermagazins verspricht geprüfte Qualität. Von Sabine Schiffer[*]

Hintergrund: Staatsverschuldung in Deutschland

Seit Monaten wird die deutsche und europäische Politik von der Eurokrise bestimmt. Im Fokus der Krisenberichterstattung steht vor allem die Staatsverschuldung, die vom Mainstream der Beobachter als Ursache für die derzeitige Krise identifiziert wurde. Beschränkte sich die Berichterstattung in Deutschland anfangs der Krise auf die so genannten GIIPS-Staaten (Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien), rückt nun auch die Staatsverschuldung Deutschlands in ihren Blickwinkel. Aus diesem Grund soll im Folgenden das Phänomen der Staatsverschuldung ausführlich untersucht und seine Bedeutung für die derzeitige Eurokrise dargestellt werden. Von Axel Troost.

Darf man Begriffe benutzen, die bisher der Beschreibung der Verhältnisse in der Nazizeit vorbehalten waren?

Robert Misik hat für einen Kommentar in der TAZ („Kollegen, ihr habt versagt!“) den Begriff „Gleichschaltung“ zur Beschreibung der Mediensituation in Deutschland benutzt. Es ist begrüßenswert, dass endlich auch ein Journalist einen passenden Begriff, der üblicherweise der Beschreibung der Verhältnisse im Deutschland der Naziherrschaft vorbehalten ist, benutzt. Normalerweise ist die Erinnerung an Nazimethoden dann, wenn man die Verhältnisse von heute beschreiben will, tabu. Man darf nicht von „Methoden wie bei Goebbels“ und eben auch nicht von „Gleichschaltung“, und im Blick auf Sarrazin und andere Politiker und Publizisten auch nicht von „Rassismus“ oder von „Volksverhetzung“ sprechen, u.a.m… Die Tabuisierung wirkt wie ein Schutz für jene die sich dergleichen Methoden bedienen. Albrecht Müller.

Merkels Welt

Für mehr Wachstum sind sie fast alle. Doch spätestens seitdem die FDP aus Angst vor dem eigenen Minus-Wachstum ihr Steuersenkungsmantra gegen ein Wachstumsmantra ausgetauscht hat, ist Vorsicht geboten, wenn wirtschaftsliberale Politiker ihre Entscheidungen mit dem Ziel zu mehr Wachstum begründen, denn Wachstum ist für sie gleichbedeutend mit Abbau des Sozialstaats. Sozialstaatsfeindlich ist auch die Kanzlerin Angela Merkel. Da ist es noch nicht einmal sonderlich überraschend, dass ihr ideologischer Leitfaden aus ökonomischer Sicht komplett verquer ist, auf lange Sicht das Wachstum verhindert und das Wohl der Menschen keine Rolle spielt. Von Jens Berger.

Zypern – ein weiteres Opfer der Finanzkrise

Die Republik Zypern ist ein sehr anschauliches Beispiel für den Charakter der Eurokrise. Ebenso wie Irland und Spanien hatte Zypern am Vorabend der Finanzkrise kein Staatsschulden- und auch kein Haushaltsproblem. Noch im Jahre 2008 konnte Zypern einen Haushaltsüberschuss von 0,9% erzielen und damit seine Staatsschuldenquote auf 48,9% des BIP senken – weit unter den Maastricht-Kriterien von 60%. Nicht die Staatsschulden, sondern die geographisch und kulturell bedingte Nähe zum Krisenstaat Griechenland und die zu großen Banken wurden dem Land zum Verhängnis. Bislang konnte die zypriotische Volkswirtschaft dank einer antizyklsich Wirtschaftspolitik an der großen Krise vorbeischrammen. Doch nun droht Zypern eine von der Troika EU/EZB/IWF verordnete Austeritätspolitik, die dem Land wahrscheinlich das Genick brechen wird. Von Jens Berger.

Regierungserklärung zum Europäischen Rat – Merkel die Patin

Das also soll sie gewesen sein, die große Debatte zwei Tage vor der Verabschiedung des Fiskalpakts und des ESM, unkündbare völkerrechtliche Verträge, die die Demokratie in Deutschland und ganz Europa auf unabsehbare Zeit zum Handlanger der „Märkte“ machen und eine aktive Wirtschaftspolitik und den Sozialstaat praktisch auf Dauer strangulieren [PDF – 191 KB]. Die gestrige Regierungserklärung der Kanzlerin und die Debatte im Bundestag darüber hätte man sich auch sparen können. Merkel konnte sich wie ein Mafia-Boss als Patin aufspielen. Sieht so die Beteiligung des Parlaments an den Entscheidungen auf europäischer Ebene aus? Von Wolfgang Lieb.

Fiskalpakt durch Schuldentilgungspakt und Wachstumsinitiative ablösen

Bei der Zustimmung zum Fiskalpakt zeichnet sich im Deutschen Bundestag die verfassungsrechtlich erforderliche Mehrheit ab. SPD und DIE GRÜNEN haben ursprünglich ihr Ja an drei Bedingungen geknüpft: eine Wachstums- und Beschäftigungsinitiative vor allem für die Euro-Krisenländer, ein entschiedener Einstieg in die Finanztransakti­onsteuer sowie einen zu schaffenden Fonds zur Tilgung übermäßiger Staatsschulden. Alle drei Forderungen sind für sich genommen richtig und verdienen Unterstützung. Die entscheidende Frage ist jedoch, in welchem Ver­hältnis diese drei Forderungen zu den mit dem Fiskalpakt eingehandelten gesamtwirtschaftlichen Folgen stehen. Von Rudolf Hickel.

Ohne Zugeständnisse wird sich die neue griechische Regierung nicht halten können

Die Schreckensmeldungen über die Lage der griechischen Finanzen, den wirtschaftlichen Niedergangs und über die um sich greifende sozialen Not nehmen seit den Wahlen in Griechenland nicht ab. Dennoch gibt es keine Anzeichen auf Seiten der EU-Kommission, der EZB und des IWF für eine Neubewertung der griechischen Krisen-Rezeptur und ein Kurswechsel ist auch angesichts der Signale aus Berlin kaum zu erwarten. Andererseits spitzt sich die Krise im gesamten Euroraum immer weiter zu (siehe Spanien, siehe Zypern), sodass die Stunde der Wahrheit auch für die Regierung Merkel näher rückt. Die „große Krise“ in ganz Europa überdeckt im Augenblick die „kleine“ griechische Krise und dürfte der Athener Regierung eine kurze Atempause verschaffen. Aber auf mittlere Sicht (und das sind nur Monate) wird sich die dreigeschirrige griechische (Regierungs-)Troika aus Nea Dimokratia, Pasok und Dimar ohne deutliche „Zugeständnisse“ seitens der EU-EZB-IWF-Troika nicht halten können. Von Niels Kadritzke.