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Arbeitslosigkeit

Arbeitslosigkeit als unabänderlich hinnehmen oder trotz allem dagegen angehen?

Das ist meines Erachtens die entscheidende Frage, bei der sich die Geister heute scheiden. Die einen, vermutlich die Minderheit, sehen immer noch einen Sinn darin, mit makroökonomischen Instrumenten Beschäftigungspolitik zu betreiben. Die andern halten dies für eine eitle Hoffnung. Die öffentliche Debatte und auch die praktische Politik kümmert sich vornehmlich um die Verwaltung der Arbeitslosigkeit – um Hartz IV und seine Korrektur, um die Milderung der Folgen der Arbeitslosigkeit mithilfe eines Bürgergeldes und so weiter.
Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hat am 15.11. eine Studie darüber vorgelegt, wie erfolgreichere Länder verfahren sind. Die Studie zeigt, dass ideologisch so unterschiedliche Länder wie Schweden und Großbritannien die Arbeitslosigkeit mit sehr ähnlichen Mitteln und erfolgreich bekämpft haben. Beide Länder verfolgten auch in der Konjunkturflaute 2000/2001 einen expansiven Mix aus Geld-, Lohn- und Finanzpolitik. Warum soll das bei uns nicht möglich sein? Leben wir in einer andern Welt? Leben wir auf einem anderen Globus mit einer anderen Globalisierung? Albrecht Müller.

„Blanke Heuchelei“ nennt Müntefering Rüttgers Vorstoß zur Verlängerung des Alg I für ältere Arbeitlose. Wer heuchelt eigentlich mehr?

„Die SPD-Bundestagsfraktion hat am 14. Juni 2005 beschlossen, die gestaffelte Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes von bis zu 32 Monaten bis 31. Januar 2008 zu verlängern“, so heißt es in den Willy-Brandt-Haus-Materialien vom 15. Juni [PDF – 24 KB]. Der SPD-Arbeitsmarktexperte Brandner begründete diese Änderung von Hartz IV damit, dass ältere Arbeitslose auf dem angespannten Arbeitsmarkt weiter nur geringe Chancen hätten. Dieser Antrag wurde sogar in den Bundesrat eingebracht und dann auf Druck des damaligen Bundeskanzlers Schröder im Zusammenhang mit dessen Neuwahl-Coup zurückgezogen. Zur Zeit dieses Fraktionsbeschlusses war Franz Müntefering Vorsitzender der SPD-Fraktion. Heute nennt er einen ähnlichen Vorstoß von Rüttgers eine „Sauerei“. Wolfgang Lieb.

Ursula Engelen Kefer: Rüttgers Vorstoß, die Dauer des Arbeitslosengeldes I für ältere Arbeitnehmer bis auf 24 Monate zu verlängern, ist reiner Populismus.

Anstelle populistischer Effekthascherei sollte alles getan werden, das Vertrauen der Arbeitnehmer in die Arbeitslosenversicherung wieder herzustellen, die Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer zu verbessern und die ungerechte Behandlung älterer Arbeitsloser zu beseitigen. Letzteres darf jedoch nicht auf dem Rücken der Jüngeren abgeladen werden, die angesichts von Strukturwandel und einer falschen Wirtschaftspolitik gleichfalls nicht für ihre Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht werden können. Ein Beitrag der ehemaligen Verwaltungsratsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit und früheren DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer.

Doppeltes Unrecht für die Beitragszahler: Steinbrück zu weiterer Senkung des Arbeitslosenbeitrags bereit. Heftige Kritik der ehemaligen DGB-Vize Engelen-Kefer

Bundesfinanzminister Steinbrück ist offenbar bereit, den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung 2007 unter die bisher vereinbarte Marke von 4,5 Prozent zu senken, wenn im Gegenzug der «Aussteuerungsbetrag» für nicht vermittelte Arbeitslose angehoben wird. Die ehemalige DGB-Vizechefin kritisiert dies in einem dpa-Gespräch heftig: „Der Aussteuerungsbetrag ist nichts weiter als eine Plünderung der Arbeitslosenversicherung zum Schaden von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Opfer sind auch die Arbeitslosen.“

Anmerkung zur FTD-Studie „Alle Bürger werden bei Abgaben entlastet“. Richtig ist: Es wird weiter umverteilt und zwar von unten nach oben.

In den Hinweisen vom 27.10.06 berichteten wir über eine Studie des Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstituts (FiFo) der Kölner Universität für die Financial Times Deutschland. Darin wird errechnet, dass die höheren Beiträge für Renten- und Krankenversicherung durch die geplante Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags mehr als ausgeglichen werden. Dem widerspricht einer unserer Leser mit guten Argumenten.

Aufteilung der Arbeitslosen in Marktkunden, Beratungskunden und Betreuungskunden

… Thomas Leif ist bei seinen Recherchen für Report Mainz auf einen vertraulichen Bericht des Bundesrechnungshofes gestoßen. Danach hat die Bundesagentur für Arbeit schwere Fehler gemacht. Fehler auf Kosten der Menschen, denen sie eigentlich helfen sollte bei der Rückkehr auf einen Arbeitsplatz.
Die BA investiert nichts mehr in einen 54-jährigen Schreinermeister. Nach einem offiziellen Leitfaden für die Bundesagentur werden die Arbeitslosen nämlich in Marktkunden, Beratungskunden und Betreuungskunden eingestuft. Der Schreinermeister wird nur noch betreut.
Die Aussortierung dieser Menschen haben die Berater der BA so empfohlen. Sie prägen die Arbeit von 90.000 Mitarbeitern in 650 Geschäftsstellen. In den vergangenen Jahren haben sie etwa eine halbe Milliarde Euro an Honoraren kassiert. Bei Tagessätzen bis zu 4.000 Euro.

Quelle: SWR

Joachim Jahnke über die angebliche Trendwende auf dem Arbeitsmarkt: Saisonbereinigt ist die Zahl der Arbeitslosen gegenüber Juli leicht gestiegen

Wir haben auf den NachDenkSeiten auch gegenüber den jahrelangen Miesmachereien die Position durchgehalten, die wirtschaftliche Lage Deutschlands nicht schlechter zu reden, als sie tatsächlich ist. Denn wir wissen, wie wichtig es für einen wirtschaftlichen Aufschwung ist, eine positive Aufbruchsstimmung zu schaffen. Uns ärgert aber, wenn Politiker, die so ziemlich alles falsch gemacht haben, Zahlen schönreden und – wie etwa der CDU-Generalsekretär Pofalla – das dann noch „als Verdienst der Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel“ verkaufen wollen.
Joachim Jahnke hat sich wie jeden Monat, die Zahlen genauer angesehen und kommt zum Ergebnis: Saisonbereinigt ist die Zahl der Arbeitslosen im August gegenüber Juli nicht weiter zurückgegangen, sondern um 5.000 leicht gestiegen.

Die vormalige Vorsitzende des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit Engelen-Kefer zum Geschacher über die Verwendung der Überschüsse der BA

Der „Überschuss“ der Bundesagentur soll in diesem Jahr zwischen 8,8 und 9,6 Milliarden Euro betragen. Die Vorschläge aus der Politik zur Verwendung dieser Mittel schießen dieser Tage ins Kraut. Eine Weitere Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung oder der Griff in die Taschen der Beitragszahler zum Stopfen von Löchern im Bundeshaushalt werden gefordert. Die ehemalige Vize-Chefin des DGB Ursula Engelen-Kefer sieht eine Stärkung der Arbeitsmarktpolitik zur beruflichen Eingliederung Arbeitsloser als vordringliche Aufgabe. Bei aller Kritik an der Art und Weise, wie die BA die Überschüsse erwirtschaftet hat, und an den Konsequenzen, die daraus folgten (siehe Anmerkung), schließen wir uns dieser Forderung an.

Mittelmaß regiert uns, eine geistig beschränkte Ideologie beherrscht die öffentliche Debatte.

Wir haben einen Finanzminister, der offenbar keine Ahnung von gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen und obendrein Wahrnehmungsstörungen hat. Er könnte nämlich den Deutschen nicht empfehlen zu sparen, noch dazu beim Urlaub, wenn er begriffen hätte, dass das Hauptproblem unserer Volkswirtschaft die schwache Binnenkonjunktur ist.
Wir haben eine Bundesregierung, die den minimalen Aufschwung dieses Jahres mit einer dreiprozentige Mehrwertsteuererhöhung zu erdrosseln droht.
Wir haben eine Führungselite, die Studien braucht, um zu erkennen, dass Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit seelisch krankmachen. An diesem Beispiel kann man gut erkennen, wie eng der Horizont der herrschenden Ideologie ist.

Der Fetisch der zu hohen Lohnnebenkosten muss entzaubert werden. Die bisherigen Reformen der sozialen Sicherungssysteme sind eher finanzielle Verschiebemanöver, als dass sie ein solides Fundament schafften.

Die Senkung der Lohnnebenkosten ist in aller Munde, so als ob dies das Patentrezept zur Verbesserung der Beschäftigung und zur Senkung der Arbeitslosigkeit wäre. Auch die Große Koalition ist mit dem Ziel gestartet, die so genannten „Lohnnebenkosten“ zu reduzieren, um die Beschäftigung zu verbessern. Dabei weist diese simple Vorstellung vom Zusammenhang zwischen den Lohnnebenkosten und der Beschäftigung gleich mehrere Denkfehler auf. Lesen Sie dazu und zu den bloßen finanziellen Verschiebemanövern bei den bisherigen Reformen der sozialen Sicherungssysteme einen Beitrag von Ursula Engelen-Kefer.

Im Interesse der ArbeitnehmerInnen kann die Forderung nach einer weiteren Absenkung der Beitragspunkte in der Arbeitslosenversicherung allerdings nicht sein.

Das steht in einem Brief des Betriebsratsvorsitzenden Manfred Steingrube an Bundeskanzlerin Merkel. Der Brief ist bemerkenswert. Der Autor stellt messerscharf heraus, dass das ganze Getue um die Senkung der Lohnnebenkosten an den Interessen der Arbeitnehmerschaft weit gehend vorbeigeht. Für sie wäre eine intakte Arbeitslosenversicherung wichtig. Diese ist aber mit Hartz IV zerstört. Der Brief könnte auch für andere unsere Leser in ähnlichen Funktionen wichtig sein. Manfred Steingrube ist mit der Veröffentlichung auf den NachDenkSeiten einverstanden. Dankschön.

Arbeitsmarktzahlen im Juli: Kein Anlass zum Jubel – der Milliardenüberschuss der Bundesagentur ein Zeichen der Ohnmacht

Mit 4,386 Millionen registrierten Arbeitslosen weisen die „aktualisierten“ Datenbestände im Juli 12.000 Arbeitslose weniger als im Vormonat und 451.000 weniger als im Juli vorigen Jahres aus. Die Arbeitslosenquote betrug 10,5 Prozent. Im Mai habe es voraussichtlich 26,23 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte gegeben – 54.000 mehr als im Jahr davor. Im Vergleich zum Vorjahr sank die Zahl der arbeitslosen Hartz-IV-Empfänger um 39.000, dazu trugen die Ein-Euro-Jobs bei. In solchen „Arbeitsgelegenheiten“ waren laut BA im Juni etwa 300.000 Arbeitslosengeld-II-Bezieher beschäftigt, die dadurch nicht mehr als arbeitslos gezählt werden – 80.000 mehr als vor einem Jahr.
Zahlen, die offenbar für die meisten Medien Anlass zum Jubel sind. Die Schattenseiten werden ausgeblendet.

IWH legt eine bedrückende Analyse über die Entwicklung der ostdeutschen Wirtschaft vor – ein Exempel für das Scheitern angebotsorientierter Wirtschaftspolitik.

Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle resümiert [PDF – 349 KB]: Trotz vorteilhafter Rahmenbedingen auf der Angebotsseite war das vergangene Jahr kein gutes für die ostdeutsche Wirtschaft. Die gesamtwirtschaftliche Produktionsaktivität stagnierte, die Beschäftigung ging zurück, der Aufholprozess kam trotz sinkender Einwohnerzahl nicht voran. Die Binnennachfrage in Ostdeutschland insgesamt wird angesichts der schwachen Einkommensperspektiven der privaten Haushalte gedrückt bleiben. Eine Wende am Arbeitsmarkt ist nicht in Sicht. Das Produktionswachstum resultiert vollständig aus der Steigerung der Arbeitsproduktivität. Die registrierte Arbeitslosigkeit steigt trotz des anhaltenden Beschäftigungsabbaus nur deshalb nicht, weil das Arbeitsangebot weiter abnimmt.

Unser Fazit: Man kann allein durch die Verbesserung von Angebotsbedingungen, Subventionen und Steuererleichterungen bei Betriebsansiedlungen, durch Ausscheren aus Tarifbindungen, geringe Löhne und Niedriglohnsektoren die Wirtschaft nicht in Gang bringen.