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Sozialstaat

Die neue Wohnungsnot

Über 600 Kältetote in Ost- bzw. Ostmitteleuropa erregten zuletzt großes Aufsehen. Gleichzeitig explodiert die Zahl der Obdachlosen in Griechenland, das von der EU und dem IWF „kaputtsaniert“ wird, geradezu. Dort ist es zwar wärmer als im Osten des Kontinents, ein Leben auf der Straße aber nicht minder beschämend, besonders für jene „Neuarmen“, die als unmittelbare Opfer der rigiden „Sparauflagen“ des Finanzimperialismus vom sozialen Absturz betroffen sind. Auch hierzulande sind erfrorene und an offenen Feuern verbrannte Obdachlose zu beklagen, ohne dass sich Politik und Öffentlichkeit bisher ernsthaft mit dem Problem beschäftigt hätten. Dabei gehört eine warme Wohnung aufgrund der klimatischen Gegebenheiten bei uns zur verfassungsrechtlich geschützten Menschenwürde. Sein Obdach etwa im Falle der Überschuldung durch eine Zwangsräumung zu verlieren bedeutet einen Schritt in die absolute, extreme oder existenzielle Armut. Von Christoph Butterwegge.

Griechenland gleicht einem Labyrinth, bei dem alle Ausgänge blockiert sind

So sieht und fühlt es Maria Margaronis, die in ihrem lesenswerten Text „Athens Burning“ die Stimmung in der griechischen Hauptstadt beschreibt (Nachdenkseiten vom 15. Februar). Nachdem das griechische Parlament am Sonntagabend die nächste Stufe des „Sparprogramms“ verabschiedet hat, ist der Begriff „Sackgasse“ zu einem Euphemismus geworden, der viel zu gemütlich klingt. In einer Sackgasse kann man sich immerhin eine Zeitlang aufhalten und über einen Auswege nachdenken. Davon kann in Griechenland keine Rede sein. Das Land steht ständig unter dem Druck alter „deadlines“ – was wörtlich „Todesfristen“ bedeutet – und neuer Ultimaten. Und dieser Druck hat sich noch einmal erheblich verschärft, seitdem die Möglichkeit eines „ungeordneten“ Bankrotts und des Herausfallens aus der Eurozone von einer abstrakten Drohung zu einer sehr konkreten Planung geworden ist, die in wichtigen Entscheidungszentren als „Plan B“ vorangetrieben wird. Von Niels Kadritzke.

Umbruchsbewältigung – Soziologie: eine Wissenschaft (be-)sucht die Gesellschaft

Drei Tage lang war in Frankfurt am Main das „Amt für Umbruchsbewältigung“ geöffnet. In „Amtsstuben“ saßen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Soziologie, der Politologie, der Jurisprudenz. Wer die „Sprechstunde“ mit ihnen suchte, zog draußen im Flur eine Nummer und wartete, bis sie aufgerufen wurde. Jeweils zwanzig Minuten lang diskutierten mit jedermann unter anderen die Professoren für politische Theorie, für Sozialphilosophie und Rechtstheorie, Rainer Forst, Axel Honneth und Klaus Günther, die zu den bekanntesten intellektuellen Köpfen der Universität zählen. Die Neugier war groß, auf beiden Seiten. Von Jutta Roitsch

„Die Verarmung des Staates als strategischer Hebel“

Dieses Stück wurde in der vergangenen Woche wie sooft in der letzten Zeit wiederaufgeführt. Diesmal nicht nur praktiziert im Umgang der deutschen Regierung und ihres Anhangs mit Griechenland. Das Stück findet auch Erwähnung in einem zweiseitigen Essay von Barbara Supp im gedruckten Spiegel 6/2012. Der Titel „Unbarmherzige Samariter. Wie Margaret Thatcher und ihre deutschen Schüler die marktkonforme Demokratie erschaffen haben.“ Albrecht Müller.

Nachtrag zur Rolle und zum Versagen der Gewerkschaften bei Einführung der Riester-Rente und anderem

In den NachDenkSeiten konnten Sie in den letzten Tagen Texte zu einer Kontroverse über die Rolle der Gewerkschaften bei der Einführung der Riester-Rente finden. Der Verdi Vorsitzende Bsirske hatte sich kritisch geäußert. Ursula Engelen-Kefer hat darauf geantwortet und ihren Widerstand gegen die Befürworter im DGB und bei einzelnen Gewerkschaften beschrieben. Volker Bahl sieht ein schwerwiegendes Demokratie-Defizit bei der Austragung von politischen Kontroversen über ein so grundlegendes Thema wie die Rentenreform. – Bei der Lektüre dieser Kontroverse fällt mir auf, dass nahe liegende Defizite nicht beschrieben werden: Die Gewerkschaften haben die Bedeutung der Meinungsmache und die Dominanz ihrer Gegenseite nicht gesehen und haben es versäumt, den Aufbau von Gegenöffentlichkeit zu organisieren oder wenigstens dabei mitzuwirken. Nicht nur bei der Riester-Rente, auch beim Thema Agenda 2010, bei der Konjunkturpolitik, bei der Kampagne zu den Lohnnebenkosten, zu den Steuer-Abzügen und damit gegen öffentliche Leistungen. Nicht einmal bei der Kampagne gegen den angeblichen Gewerkschaftsstaat sind sie aufgewacht. Albrecht Müller.

Nachtrag Privatisierung von Kliniken: Befragungserfolg in Dresden und Florian Gerster wirbt in Wiesbaden für Privatisierung

Am 23.1. hatten wir Sie gebeten, sich für Kliniken im öffentlichen Eigentum und gegen die Privatisierung zu engagieren. Mit Hinweis Nr. 5 von heute haben wir vom Befragungserfolg in Dresden berichtet. Näheres hier und hier. Dort wie in anderen Regionen geht der Kampf weiter. Die Privatisierungsbefürworter arbeiten mit massiver PR, mit im Geschäft der unselige Florian Gerster. Albrecht Müller.

Zur Rolle der Gewerkschaften bei der Einführung der Riester-Rente

In einem Interview mit dem politischen Blog Wirtschaft und Gesellschaft ist der ver.di-Chef Frank Bsirske auf die Rolle des DGB und der Einzelgewerkschaften bei der Einführung der Riester-Rente eingegangen. Für die NachDenkSeiten war höchst bemerkenswert, aus gewerkschaftlichem Munde zu erfahren, dass sich die Spitze des DGB gegen den Widerstand der damaligen ÖTV und der IG Metall mit dem damaligen Sozialminister Walter Riester verständigt habe, dass die Stabilisierung der Beitragssätze für die gesetzliche Rente Priorität haben solle und dass die damalige Vize-Chefin des DGB Ursula Engelen-Kefer mit Walter Riester damals ein dementsprechendes Papier paraphiert hätte. Es habe darüber hinaus eine Verständigung gegeben, dass Ausfälle auf der Leistungsseite der gesetzlichen Rente durch eine steuerbezuschusste Teilprivatisierung (eben die Riester-Rente) kompensiert werden sollten.
Ursula-Engelen Kefer hat ihre damalige Rolle und Haltung in einem Brief an Frank Bsirske richtig gestellt. Wir dokumentieren ihren Brief und fügen noch einige Zeitungsberichte über die damalige Kontroverse an.
Unter anderem wegen ihres Widerstandes gegen die Rentenreformen wurde Engelen-Kefer damals von Kanzler Schröder mit dem Schimpfwort „Engelen-Keifer“ gemobbt.

Bitte engagieren Sie sich für Kliniken im öffentlichen Eigentum und gegen die weitere Privatisierung!

NachDenkSeiten Leser machen uns auf Privatisierungsabsichten in Dresden und Wiesbaden aufmerksam. Auch in vielen anderen Orten sind so genannte Investoren unterwegs, die an der Krankheit von Menschen Renditen von 15 % verdienen wollen. Meine Frau und meine Familie sind Opfer der dazu notwendigen Rationalisierung geworden. In der Nachbarschaft von Dresden. Wenn dieses Opfer überhaupt einen Sinn haben soll, dann den, dass wir uns dagegen wehren, wenn immer mehr Aktionäre an der Krankheit von Menschen verdienen wollen. Deshalb konkret die Bitte an die NachDenkSeiten-Leser in Dresden und Wiesbaden, und an alle, die Freunde in Dresden und Wiesbaden haben, sich für die Erhaltung des öffentlichen Eigentum an ihren Kliniken zu engagieren. In Dresden steht am 29. Januar ein Bürgerentscheid an. Näheres folgt unten. Albrecht Müller.

Erschreckendes und zugleich Ermutigendes über Margret Thatcher

Für mich der interessanteste Beitrag in dieser Woche war ein Artikel im englischen Guardian zum Thema, „wie sich Großbritannien unter Margret Thatcher veränderte“. Die dort dargestellten Grafiken zu einigen wichtigen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Indikatoren, waren für mich erschreckend und letztlich ermutigend zugleich.
Erschreckend deshalb, weil nahezu alle Daten zeigen, wie durch die politische Wende zum „Thatcherismus“ ein Land ökonomisch, demografisch und kulturell dramatisch heruntergewirtschaftet werden konnte. Ermutigend deshalb, weil die damalige Wende belegt, dass sich durch eine andere und bessere Politik eine Gesellschaft auch zum Positiven verändern ließe, wenn die Politik das nur wollte und wenn sie das ideologische Brett vor dem Kopf wegnehmen könnte. Von Wolfgang Lieb.

Revison der Riesterrente – Die klare Lösung wird immer noch verdrängt

Der Film “Das Riester-Dilemma – Porträt einer Jahrhundertreform“ von Ingo Blank und Dietrich Krauß, auf den wir hier schon hingewiesen haben, ist eine sehr verdienstvolle Arbeit. Wir kommen darauf aus verschiedenen Gründen zurück. Der wichtigste: Es wird von den politisch handelnden und die Riester-Rente bisher propagierenden Personen und Parteien immer noch die klare Konsequenz verdrängt: damit Schluss zu machen. Ich beginne deshalb mit der Antwort auf die Frage, wie nach der Re-Vision, der sachlich, kritischen Betrachtung der Riester-Rente und der sich verbreitenden Erkenntnis, dass wir mit dieser Reform auf einen falschen Weg geschickt worden sind, die Lösung aussehen muss. Was ist zu tun? Albrecht Müller.

Das Riester-Dilemma – Porträt einer Jahrhundertreform

Wir möchten unsere Leser noch einmal auf die sehr empfehlenswerte Reportage „Das Riester-Dilemma“ hinweisen, die gestern nach den Tagesthemen in der ARD ausgestrahlt wurde. Diese Sendung ist in den nächsten Wochen auch im Internet in der ARD-Mediathek zu finden.

Wiederholungstermine:
Do, 12. Jan – 20:15-21:00 – EinsExtra *
So, 15. Jan – 00:15-01:00 – EinsExtra
Fr, 20. Jan – 21:02-21:45 – EinsExtra

* EinsExtra ist ein digitaler Kanal, den Sie nur dann empfangen können, wenn Sie über einen digitalen Satelliten- bzw. Kabelanschluss verfügen.

Alternativ können Sie die Sendung auch auf YouTube anschauen.

Buchbesprechung: Aufstieg und Krise der SPD

Die gut lesbare politologisch-soziologische Dissertation von Max Reinhardt – betreut von dem Politologen und Sozialstrukturforscher Michael Vester – analysiert in ihrem ersten Teil die Entwicklungen der Strömungen und Richtungskämpfe in der SPD nach 1945 aus (partei-)linker Perspektive. In einem zweiten Teil wird versucht, anhand der Biografien von dreizehn interviewten SPD-Spitzenpolitikern der Nachkriegsgeschichte herauszuarbeiten, welches politische Spektrum innerhalb der Sozialdemokratie diese „verkörperten“ und damit gleichzeitig für die unterschiedlichen Wählermilieus repräsentierten.
Wer an der Geschichte und der Entwicklung etwa der „Seeheimer“, der „Netzwerker“, der „Schröder-Gruppe“ oder aber der verschiedenen linken Gruppierungen in der SPD interessiert ist, der kann aus dem ersten Teil großen Gewinn ziehen. Wer es spannend findet, warum etwa bei Hans-Jochen Vogel die Klarssichthülle zum habituellen Attribut werden konnte oder warum und wie die „sozialen Aufsteiger“ um Gerhard Schröder mit ihrem individualistischen Karrieredenken in der SPD die Hegemonie erlangten, obwohl sie in der Partei keineswegs die Mehrheit hatten, für den ist der zweite Teil anregend. Von Wolfgang Lieb.

Wie erwartet: Die perfekte Gleichschaltung funktioniert – aktuell zu Beschäftigung und Konsum

Am 29.12. haben wir auf die „Perfekte Meinungsmache-Strategie zur Vorbereitung der Stimmung im neuen Jahr“ hingewiesen. In den Hinweisen vom 4.1. finden Sie Fakten zur wirklichen wirtschaftlichen Lage. Davon unabhängig wird die Stimmung in nahezu allen Medien und unter Beteiligung der Wirtschaftsverbände perfekt gemacht. Ein Freund der NachDenkSeiten und Einzelhändler berichtete z.B. in den letzten Tagen von der Stimmungsmache im Saarland. In anderen Regionen wird es ähnlich sein. Am 4. Januar schlage ich meine Regionalzeitung, „Die Rheinpfalz“, auf. Wie ein roter Faden von der ersten Seite bis in den Lokalteil: Erfolgsmeldungen zu Beschäftigung und Konsum. Albrecht Müller.

Mediengesteuerter SPD-Parteitag

Schon die leise Gefahr, dass es auf dem SPD-Parteitag in Berlin einen Streit um die weitere Absenkung des Rentenniveaus von derzeit 50 auf 43 Prozent und eine Debatte um eine Anhebung der Reichensteuer geben könnte, löst bei den medialen Sturmgeschützen der Agenda-Politik ein Trommelfeuer aus. Sicher ist es kein Zufall, dass diese geballte Medienkampagne kurz vor dem SPD-Parteitag einsetzt. Die Medienberichterstattung dieses Wochenendes ist ein Musterbeispiel für die Fremdbestimmung der SPD und dafür wie die Meinungsmacher die Agenda-Politiker in der SPD-Spitze stützen. Wolfgang Lieb