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Sozialstaat

Nochmals zum Spiegel-Artikel „Bundesagentur lässt ältere Arbeitslose im Stich“

Gestern haben wir in den Hinweisen des Tages auf einen Spiegel Online Beitrag unter der Überschrift „Bundesagentur lässt ältere Arbeitslose im Stich“ hingewiesen, den auch wir – gemessen an der sonst beim Spiegel üblichen Unterstützung der Hartz-Reformen – als kritisch empfunden und deshalb beachtlich fanden. Eine Mitarbeiterin einer Agentur für Arbeit, die – verständlicherweise – anonym bleiben möchte, hat uns dazu geschrieben: „Das was auf den ersten Blick nach einem „endlich-traut-sich-der-SPON-mal-Kritik-zu-äußern“-Artikel aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als der übliche „der-SPON-recherchiert-dürftig-bis-gar-nicht-verlässt-sich-dafür-lieber-auf-Meinungsmache“-Artikel. So sehr ich Kritik mag und wichtig finde, erst recht Kritik an meinem (noch-)Arbeitgeber (da ich eine der vielen Befristeten bin), so muss diese schon fundiert sein, damit sie gerechtfertigt sein kann.“ Wir finden diesen Kommentar wichtig und interessant für unsere Leserinnen und Leser.

SPD: Kampf um die Mitte

Seit einigen Tagen hat sich in der SPD eine Debatte über die Wirtschaftsfreundlichkeit der Partei entwickelt. Den Auftakt dazu gab der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil mit seinem Aufruf, die Partei solle sich nicht nur um Soziales kümmern, sondern auch um die Erwirtschaftung unseres Wohlstandes – sonst werde sie bei Wahlen im 20-Prozent-Turm gefangen bleiben. ” Die SPD darf sich nicht damit zufriedengeben, sozusagen für das Soziale zuständig zu sein” sagt Sigmar Gabriel dazu. Einen weiteren Akzent in diesem Zusammenhang setzte Jörg Asmussen, Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium. Er plädierte in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift “Berliner Republik” dafür, der “arbeitenden Mitte” in Deutschland, “neue und erweiterte Angebote” zu machen. Die Politik der SPD dürfe sich nicht in der Bekämpfung von Niedriglöhnen erschöpfen. Bei seinen Vorschlägen bleibt er allerdings vage.
Mit dem neuen Begriff “arbeitende Mitte” soll offenbar von dem Begriff “Neue Mitte”, der einstigen Wortschöpfung Gerhard Schröders, abgerückt werden. Er gilt in der Sozialdemokratie inzwischen als verpönt. Von Walter Edenhofer

Bild-Zeitung heizt die Stimmung gegen Sozialmissbrauch durch Osteuropäer und Arbeitnehmer aus „Schuldenstaaten“ an

Passend zur aktuellen Debatte um Sozialmissbrauch durch Migranten und dazu noch unter dem Reizthema „Staatsverschuldung“ machte die Bild-Zeitung gestern mit einem neuen „Rekord“ Schlagzeilen: „Erstmals mehr als 300 000 Hartz-Empfänger aus EU-Ost- und -Schuldenländern“ (So in der Printfassung). Es soll wohl die Botschaft vermittelt werden: Immer mehr Ost- und Südeuropäer flüchten sich als „Hartz-IV-Schnorrer“ in die sozialen Sicherungssysteme Deutschlands. Und viele Medien plappern diese Meldung einfach nach. Dabei berichtet die Bild-Zeitung wieder einmal nur die halbe Wahrheit, sie täuscht ein falsches Bild vor und schürt damit in typisch rechtspopulistischer Weise Vorurteile gegen Ausländer. Von Wolfgang Lieb.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wann ist der Mensch ein Mensch?

Der „Fall Mollath“ sorgte im letzten Jahr bundesweit für Aufsehen. Gustl Mollath war jahrelang als „irre“ klassifiziert und zwangspsychiatrisiert worden – bis klar wurde, dass seine angeblichen Wahnvorstellungen bezüglich Schwarzgeldtransfers bei der Hypo-Vereinsbank offenbar doch der Wahrheit entsprachen und das Bundesverfassungsgericht seine Freilassung verfügte. Die Geschehnisse um Mollath zeugen von beängstigenden Zuständen im Kontext der deutschen Psychiatrie.
Jens Wernicke sprach hierüber mit Stefan Baufeld. Der promovierte Jurist und vormalige Referent für Rechtspolitik der Linksfraktion im Hessischen Landtag vertritt als Anwalt Klienten, die dagegen kämpfen, wegen angeblicher psychischer Erkrankungen zwangsweise in eine psychiatrische Klinik eingewiesen oder unter Betreuung gestellt zu werden.

Kampagne der Wirtschaftsverbände zum Rentenpaket – Nichts als Nebelkerzen, so Sahra Wagenknecht

Sie hat die Kampagne schon im Juni analysiert. Die Tatsache, dass jetzt auch Bundesbankchef Weidmann behauptet, die Rente mit 63 bremse die deutsche Konjunktur veranlasst die NDS, auf die Analyse von Sahra Wagenknecht aufmerksam zu machen. Sie zeigt, dass die Debatte an Zynismus und Verlogenheit kaum zu überbieten ist. Die Kampagne lenkt davon ab, dass „die gesetzliche Rente als eine den Lebensstandard im Alter halbwegs sichernde Leistung in den vergangenen 14 Jahren in Deutschland komplett zerschlagen wurde.“ Und weiter: „Wenn bereits eine so marginale und vorübergehende Verbesserung einen derartigen Aufruhr verursacht, wer wagt dann noch, mehr zu fordern, wer hat dann noch den Mut, auf das hinzuweisen, was eigentlich notwendig wäre: Die Wiederherstellung der gesetzlichen Rente.“

TTIP- Generalangriff auf Sozialstaat?

Was die herrschenden neoliberalen Kräfte in der EU durch die Finanzkrisen sowie die Staats- und Bankenrettung zu Lasten der Steuerzahler nicht geschafft haben, könnte über das Freihandelsabkommen mit den USA (Transatlantic Trade and Investment Partnership TTIP) bittere Realität werden: Der Sozialstaat europäischer Prägung soll sturmreif geschossen werden. Damit scheint sich zu bestätigen, was der Präsident der Europäischen Zentralbank, der Italiener Mario Draghi erst kürzlich in mehreren Interviews deutlich gesagt hat, dass der Sozialstaat in Europa keine Zukunft mehr habe. Diese Abwärtsspirale ist längst in Gang gesetzt. In den EU Krisenländern müssen die Menschen für die finanziellen Rettungsoperationen rigorose Kürzungsauflagen bei Löhnen, Renten, Gesundheitsversorgung und sonstigen sozialen Maßnahmen hinnehmen. Auch in der Bundesrepublik sind spürbare Einschränkungen bei den steuerlichen Zuschüssen für die soziale Sicherheit und die öffentlichen Leistungen bereits eingeleitet. Von Ursula Engelen-Kefer.

Was soll der Mindestlohn? Grundsätzliche Gedanken zur ökonomischen Mindestlohndebatte

Seit Jahren wird die Einführung eines „flächendeckenden“ Mindestlohnes in Deutschland rege diskutiert. Während konservative Wirtschaftskreise den Untergang der deutschen Wirtschaft aufziehen sahen, wurde von anderer Seite her kritisiert, dass der gesetzliche Mindestlohn tatsächlich nicht ganz so viel abdecken wird, wie es ursprünglich im Wahlkampf 2013 angekündigt war. Vom Mindestlohn ausgenommen sind z. B.:

  • Jugendliche ohne Berufsausbildung
  • Verpflichtende Praktika während des Studiums, der Ausbildung oder der Schule
  • bis zu sechs Wochen dauernde Praktika zur Orientierung für Beruf oder Studium
  • Personen, die an einer Eingliederungsmaßnahme (in den Arbeitsmarkt) teilnehmen
  • Auszubildende und
  • ehrenamtliche Tätigkeiten.

Wer direkt aus der Langzeitarbeitslosigkeit eine Anstellung findet, ist für die ersten sechs Monate dieser Beschäftigung (gleichbedeutend mit der Probezeit) ebenfalls vom Mindestlohn ausgenommen (zu diesen Ausnahmen siehe Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2014; Thomas Lakies via Gegenblende 2014). Jetzt hat sich die große Koalition auch noch dazu „durchgerungen“, in der Zeitungsbranche und der Saisonarbeit Ausnahmen zu machen (siehe auch die NachDenkSeiten).

Nun könnte die Kritik an diesen Ausnahmen die Diskussion um den Mindestlohn zumindest ein Stück weit davon lösen, allein die Mindestlohnwirkung auf Arbeitsplätze zu debattieren. Tatsächlich wird auch in gewerkschaftlichen Kreisen der Mindestlohn damit verbunden, „verbesserte Arbeits- und Einkommens- und Lebensbedingungen“ (Bettina Csoka) zu fordern. Ähnlich auch die Mindestlohnkampagne des Deutschen Gewerkschaftsbunds, in der es ausdrücklich hieß, dass (Menschen-) Würde keine Ausnahme kennt (siehe Flyer DGB).

Allerdings dringen Aspekte wie Arbeits- und Lebensbedingungen oder Menschenwürde nur sehr zögerlich in die breitere öffentliche Diskussion vor. Von Sebastian Thieme.

Ein ganz alltäglicher Fall von Meinungsmanipulation und von Kampagnen- sowie von „Papageien“-Journalismus

Passend zum Inkrafttreten des sog. Rentenpakets am 1. Juli veröffentlicht der Bankenverband eine Umfrage, mit der die Wirtschaftslobby ihren politischen Kampf gegen die abschlagsfreie Rente mit 63 fortsetzt. Mit einem der plumpsten Propaganda-Tricks: Der Bankenverband gibt die von ihm bei der GfK Marktforschung bestellten Umfrageergebnisse exklusiv an die ihm ideologisch nahestehende „Bild am Sonntag“ und an „bild.de“. Diese Redaktionen nutzen das „Leckerchen“ gerne, um ihre schon lange andauernde Kampagne gegen die Rente mit 63 mit einer die Öffentlichkeit täuschenden Meldung fortzusetzen. Und wie Papageien, die Papageien nachkrähen, übernehmen sogar Nachrichtenagenturen und sogenannte Qualitätsmedien kritiklos die irreführende Botschaft und machen bei der Meinungsmanipulation denkfaul oder ganz bewusst mit.
Von Wolfgang Lieb.

„Ein illusionäres Amerika“ – Auftakt einer Reihe von regelmäßigen Berichten des NDS-Freundes Norman Birnbaum aus Washington

Professor Birnbaum ist ein Kenner Europas und der USA. Viele Leser der NachDenkSeiten kennen ihn von seinen Artikeln in der TAZ, in der Zeit, in der Frankfurter Rundschau, als Mitherausgeber der „Blätter“ und vom Pleisweiler Gespräch 2013. Norman Birnbaum wird auf absehbare Zeit ca. jeden Monat über die USA berichten. Da die Entwicklung in jenem Land für uns von sehr großer Bedeutung ist, sind wir für sein Angebot ausgesprochen dankbar. Zu danken ist dann vor allem auch noch Sabine Tober. Sie wird ab jetzt sowohl die Kolumnen von Professor Krugman als auch die Berichte von Professor Birnbaum übersetzen. Albrecht Müller.

CETA und TTIP als Gefahr für das europäische Sozialmodell

Seit das „Multilaterale Abkommen über Investitionen“ (MAI) kurz vor der Jahrtausendwende durch Aufklärungskampagnen globalisierungskritischer Organisationen und Massenproteste in mehreren Ländern zu Fall gebracht wurde, hat es immer wieder Anläufe zu einem die größten Wirtschaftsblöcke der Erde übergreifenden Vertrag gegeben, mit dem die transnationalen Konzerne das kapitalistische Weltsystem perpetuieren, ihre gesellschaftliche Vormachtstellung zementieren und unbotmäßige Regierungen disziplinieren wollen. Gewerkschaftliche, soziale, ökologische und verbraucherschutzpolitische Initiativen sollen ins Leere laufen, Kapitalverwertungsinteressen rechtlich absolut privilegiert sein. Letztlich geht es um die Errichtung eines globalen Herrschaftsregimes, das unternehmerischen Investitionsentscheidungen jedweder Art dauerhaft freie Bahn schafft und mögliche Einsprüche dagegen mittels juristischer Sperren blockiert. Unter dem Einfluss neoliberaler Kräfte und mächtiger Wirtschaftskreise, die auf der Grundlage eines „Umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens“ (Comprehensive Economic and Trade Agreement, CETA) mit Kanada geheime Verhandlungen der EU mit den USA über eine „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) bzw. ein „Transatlantisches Freihandelsabkommen“ (Trans-Atlantic Free Trade Agreement, Tafta) vorantreiben, ist das europäische Sozialmodell etwa seit der Jahrtausendwende tiefgreifend verändert worden. Dem modernen „Turbokapitalismus“ (Edward Luttwak) inhärente Tendenzen zur sozialen Polarisierung, zur Prekarisierung und zur Pauperisierung treten dadurch stärker denn je zutage. Von Christoph Butterwegge

Armut und ihre verschiedenen Gesichter

Dass sich Armut auch in Deutschland immer mehr breit macht, können auch konservative Kreise inzwischen nicht mehr länger leugnen. Dennoch wird dieser Fakt immer wieder relativiert und kleingeredet. So wird dann argumentiert, dass in Deutschland ja kein Mensch hungern müsse, nur weil er arm sei. Den Armen ginge es im Vergleich zu anderen Ländern noch sehr gut, denn „unsere“ Armen seien ja nur „relativ arm“. Gelegentlich wird auch ein Vergleich zu früheren Zeiten gezogen: Menschen vor 50 Jahren hätten vor Freude in die Hände geklatscht, wenn sie all das gehabt hätten, was Arme in Deutschland heutzutage trotz ihrer Armut haben. Doch was ist dran an dieser These, dass Arme in Deutschland nur „gefühlt arm“ seien, sie sich quasi nur keinen Luxus leisten könnten? Bedeutet Armut hierzulande, ein bescheidenes, aber immer noch gutes Leben führen zu können? von Lutz Hausstein [*]

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Hintertür für Hartz V?

Bis zum Jahresende wollen CDU, CSU und SPD eine Novellierung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) vornehmen, das die Grundsicherung für Arbeitsuchende regelt und gemeinhin als „Hartz IV“ bezeichnet wird. Zunächst hat eine im Juni 2013 konstituierte Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Rechtsvereinfachung im SGB II“ ein Papier mit Empfehlungen zu den drei Teilbereichen „Einkommen und Vermögen“, „Kosten der Unterkunft und Heizung“ sowie „Verfahrensrecht“ ausgearbeitet, anschließend die Bundesagentur für Arbeit zahlreiche Änderungsvorschläge dazu unterbreitet.
Seither wird das Thema von Zeit zu Zeit häppchenweise in die Öffentlichkeit lanciert, indem man einzelne politische Versuchsballons startet und das mediale Echo abwartet. Dahinter steht offenbar das Ziel, Schlussfolgerungen für die Durchsetzbarkeit besonders heikler Änderungen zu ziehen. Von Christoph Butterwegge.

Auch Erbarmen geht nicht ohne Coca Cola – Nun engagiert sich der Getränkekonzern auch in der Armutsökonomie der „Tafeln“

Angesichts eines Werbeplakats im öffentlichen Raum stellt sich mir die Frage, ob es eher gut oder schlecht ist, wenn die eigenen Thesen von der Wirklichkeit überholt werden. Es handelt sich dabei um eine Anzeige von Coca Cola Deutschland in einer Zeitschrift, auf dem die Unterstützung der „Tafeln“ erklärt wird, zu denen der Konzern nun eine „stolze Partnerschaft“ aufgenommen hat.

Tafeln? Das sind doch die inzwischen als äußerst ambivalent eingeschätzten „Lebensmittelretter“, die bundesweit immer mehr arme Hartz-IV-Empfänger, Langzeitarbeitslose, Rentner und mancherorts sogar Studierende versorgen. Regelmäßig werden die Tafeln kritisiert, weil sie dazu beitragen, das Problem der Armut zu entpolitisieren. Armut, so der Kern der Kritik, entwickele sich durch die stetige Präsenz der Almosensysteme in diesem Land von einem politischen Skandal zu einer gesellschaftlich arrangierten Bedürftigkeit. Und innerhalb der sich immer weiter ausdifferenzierenden neuen Armutsarrangements lassen sich auch Gewinne erwirtschaften. Armutsökonomie bedeutet, dass Armut zur (ver)handelbaren Ware wird. Von Stefan Selke[*].

Bildung schützt vor Armut nicht und Armut behindert Bildung

Über Bildung wird seit jeher viel diskutiert. Mit der in den letzten Jahren und Jahrzehnten zunehmenden sozialen Ungleichheit im Land haben solche Diskussionen weiter zugenommen. Meist wird hierbei der Anschein vermittelt, Bildung bedeute soziale Absicherung. Bildung schütze vor Armut. Bildung für alle – und schon ginge es allen gut. Dass es sich hierbei vor allem um eines, nämlich einen kleinbürgerlichen Irrglauben, eine Chimäre sozusagen handelt, ist Armuts- und Ungleichheitsforschern jedoch bekannt (1). Von Jens Wernicke

Armut macht krank – Krankheit macht arm

Es ist weder Zufall noch Wunder, dass hierzulande auf der einen Seite chronisch Kranke häufig in Hartz IV und somit Armut abrutschen und auf der anderen Seite Armut wiederum krank bzw. noch kränker macht und inzwischen bereits über ein Drittel aller Hartz IV-Empfangenden als psychisch krank gilt. Die entsprechenden Zusammenhänge müssen beleuchtet und aufgeklärt und den Ursachen von Armut und chronischer sowie psychischer Erkrankung muss dabei entschieden entgegen getreten werden. Nicht wirklich möglich sein wird dies jedoch vermittels eines Menschenbildes, das davon ausgeht, seelisch-körperliche Probleme seien zu allererst einmal „eigenverantwortet“ und Gesundheit bedeute auch und vor allem in einer faktisch zunehmend angst- und krankmachenden Gesellschaft, eben k-e-i-n-e Symptome und also Verwundbar- sowie Menschlichkeit zu offenbaren, bedeute also eben, n-i-c-h-t gesund zu reagieren, weil nur der noch als gesund gelten darf, der auch im größten Elend noch funktioniert und auf seine Glückseligkeit insistiert. Aus dieser Sicht erfordert chronische wie psychische Krankheit dann eben vor allem eines: mehr individuelle Verantwortungsübernahme, Anpassungsbereitschaft und Therapie. Über die „Ursachen im außen“, den gesellschaftlichen Kontext, wird hingegen kaum überhaupt mehr diskutiert. So etwas endet dann nicht selten in einem Zynismus mit menschenverachtenden Zügen, wie diesen unlängst beispielsweise der Spiegelmit der Frage präsentierte, ob Obdachlosigkeit nicht womöglich „heilbar“ sei. Ein Kommentar von Jens Wernicke