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Sozialstaat

IWH legt eine bedrückende Analyse über die Entwicklung der ostdeutschen Wirtschaft vor – ein Exempel für das Scheitern angebotsorientierter Wirtschaftspolitik.

Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle resümiert [PDF – 349 KB]: Trotz vorteilhafter Rahmenbedingen auf der Angebotsseite war das vergangene Jahr kein gutes für die ostdeutsche Wirtschaft. Die gesamtwirtschaftliche Produktionsaktivität stagnierte, die Beschäftigung ging zurück, der Aufholprozess kam trotz sinkender Einwohnerzahl nicht voran. Die Binnennachfrage in Ostdeutschland insgesamt wird angesichts der schwachen Einkommensperspektiven der privaten Haushalte gedrückt bleiben. Eine Wende am Arbeitsmarkt ist nicht in Sicht. Das Produktionswachstum resultiert vollständig aus der Steigerung der Arbeitsproduktivität. Die registrierte Arbeitslosigkeit steigt trotz des anhaltenden Beschäftigungsabbaus nur deshalb nicht, weil das Arbeitsangebot weiter abnimmt.

Unser Fazit: Man kann allein durch die Verbesserung von Angebotsbedingungen, Subventionen und Steuererleichterungen bei Betriebsansiedlungen, durch Ausscheren aus Tarifbindungen, geringe Löhne und Niedriglohnsektoren die Wirtschaft nicht in Gang bringen.

Unsicherheiten einer kapitalgedeckten Altersversorgung, über die kaum berichtet wird.

Nahezu täglich können wir in unseren Medien Berichte über die Unsicherheiten oder gar den Niedergang der gesetzlichen Rente lesen. Verluste bei kapitalgedeckten Altersversorgungen bleiben im Dunkeln und die Opfer bleiben alleine oder müssen sich vor Gericht ihre Ansprüche erstreiten. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat jüngst in zwei Urteilen das Finanzierungssystem des Versorgungswerks der niedersächsischen Zahnärzte für rechtswidrig erklärt. Ein Kläger hatte dagegen geklagt, dass seine “Gesamtrente” von ursprünglich monatlich insgesamt 1.581,- € im Jahr 2002 über 1.498,- € im Jahr 2003 auf 746,- € im Jahr 2004 gesunken ist, weil die Rentenanpassungen gemindert wurden.

Ist die Deutsche Rentenversicherung willens, offensiv für ihr Produkt, die gesetzliche Rente, einzutreten? Zweifel sind angebracht.

Am 11. Juli war ich zu Gast im Stuttgarter Haus der Deutschen Rentenversicherung. Ich begann meinen Vortrag mit der Bemerkung, dass mich die Einladung in dieses Haus besonders gefreut hat. Denn so könne ich konkret wahrnehmen, dass es die Verwalter der gesetzlichen Rente, die Deutsche Rentenversicherung wirklich gibt. Ich hätte nämlich schon Zweifel bekommen, weil ich von der Deutschen Rentenversicherung wenig höre und sehe, wenn es darum geht, den täglichen Versuch der neoliberalen Ideologen und ihrer professoralen Speerspitzen abzuwehren, die gesetzliche Rente schlecht zu reden.

Gibt es ein „europäisches Sozialmodell“? Kann es ein Gegenmodell in einer neoliberal globalisierten Wirtschaft sein?

Nachdem der Europäische Verfassungsvertrag durch das Nein der Franzosen und Niederländer vor allem deshalb gescheitert ist, weil in diesen Ländern das dem Vertrag zugrunde liegende ökonomische Leitbild und seine konkreten Auswirkungen von einer Mehrheit abgelehnt worden ist, stellt sich die Frage, ob ein stärker sozial ausgerichtetes Modell eine neue identitätstiftende Perspektive für eine politische Einigung Europas bieten könnte. Dazu wäre es notwendig, dass zunächst einmal eine Verständigung darüber herbeigeführt würde, welches unter den recht unterschiedlichen nationalen Sozialmodellen denn gemeint ist und welches Modell sich zu einem gemeinsamen europäischen entwickeln könnte. Dazu ist in letzter Zeit eine Reihe von Veröffentlichungen erschienen; Volker Bahl hat sich mit ihnen auseinandergesetzt.

Bertelsmann-Studie über die Vorstellungen der Arbeitnehmer zu ihrem Rentenübergang. Oder: Woher Bundespräsident Köhler seine Denkanstöße bezieht.

Tatsächlich zeigen auch Umfragen, dass die Deutschen sich darauf einstellen, später in Rente zu gehen. Ich finde, es könnte durchaus auch darüber diskutiert werden, ob starre Altersgrenzen überhaupt noch in unsere Zeit passen.

Das sagte Köhler im Mai auf dem 8. Seniorentag in Köln.

Arbeitnehmer in Deutschland wollen auch in fortgeschrittenem Alter beruflich aktiv bleiben – Mehrheit möchte Renteneintritt in der Altersphase zwischen 60 und 67 selbst bestimmen.

Das ist die Überschrift einer Befragung der Bertelsmann Stiftung, die am 24.07.06 vorgestellt wurde.
Ist diese Übereinstimmung Zufall – oder haben die guten Beziehungen zwischen Bertelsmann und dem Bundespräsidialamt Köhler zu diesem „Denkanstoß“ verholfen?

„Arme Alte“ im „produktiven Alter“ – Rente mit 67 führt zu mehr sozialer Ungleichheit – IAT untersuchte Auswirkungen einer Heraufsetzung des gesetzlichen Rentenalters

Die geplante Heraufsetzung des Rentenalters wird die soziale Ungleichheit im Alter verschärfen. Wer gut qualifiziert und gesundheitlich leistungsfähig ist, hat gute Chancen auf vollwertige und längere Beschäftigung, für diejenigen, die mangels Arbeitsangeboten oder eigener Leistungsfähigkeit nicht bis 67 arbeiten können, wird der Übergang vom Berufsleben in die Rente länger und prekärer. „Vermehrte soziale Abstiegsprozesse im Alter infolge von beruflichen und privaten Fehlschlägen sind zu erwarten“, so die Arbeitsmarktforscher des Instituts Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen), Dr. Martin Brussig und PD Dr. Matthias Knuth. Zu diesen Ergebnissen kommen Untersuchungen im Rahmen des Projektes „Altersübergangsmonitor“, die das IAT für die Hans-Böckler-Stiftung durchgeführt hat.

Joachim Jahnke: Die Hauptursachen für das Defizit der gesetzlichen Rentenversicherung sind: Der Rückgang versicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse, die negative Reallohnentwicklung und niedriges Beitragsaufkommen aus den Neuen Ländern.

Was werden uns ständig für Begründungen für die fortlaufenden Renten-„Reformen“ genannt: Demographische Entwicklung, Überalterung, überzogene Rentenansprüche, Unbezahlbarkeit des Sozialstaates aufgrund der knappen öffentlichen Kassen usw. usf. Mit einer „Reform“ nach der anderen, mit Nullrunden, mit Rentenkürzungen durch den sog. Nachhaltigkeitsfaktor, mit der Besteuerung der Renten, mit höheren Krankenversicherungsbeiträgen anderen Einschnitten wird an den Symptomen des Finanzierungsdefizits der gesetzlichen Rentenversicherung herumgedoktert.
Joachim Jahnke hat dagegen einmal die Beziehung zwischen dem Rückgang der versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse und den Defiziten der Rentenkasse dargestellt.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, reiht sich in die Truppe der Lobbyisten für die private Altersvorsorge ein.

CSU-Mitglied Papier hat sich zwar bisher als erzkonservativer Jurist, aber nicht gerade als Rentenversicherungsexperte einen Namen gemacht. Nun schlägt er in der WELT Alarm und stellt in Frage, ob angesichts des Absinkens der gesetzlichen Rente, die Beitragserhebung noch verfassungsrechtlich legitimiert wäre.
Er stützt sich dabei offenbar auf eine Behauptung des bekannten Freiburger Versicherungslobbyisten Raffelhüschen, wonach junge Menschen „aus der Rentenversicherung weniger herausbekommen, als sie eingezahlt haben.“ Alle Leitmedien plappern diese „Meldung“ unkommentiert und unkritisch nahezu wortwörtlich nach. Bedarf es eines konkreteren Beweis dafür, dass wir eine freiwillige Gleichschaltung der Medien haben, zumal wenn es gegen die sozialstaatlichen Sicherungssystem geht?

Missbrauch von Beitragsleistungen an die Arbeitslosenversicherung

Laut Bild am Sonntag streiten CDU und SPD über die Verwendung eines in diesem Jahr anfallenden Überschusses von 7 Milliarden Euro bei der Bundesagentur für Arbeit.
CDU-Politiker wollen die paritätisch finanzierten Beiträge, die ja schon von 6,5 auf 4,5 % gekürzt worden sind, noch weiter kürzen. SPD-Chef Kurt Beck und Finanzminister Steinbrück wollen die Versicherungsbeiträge zur Konsolidierung des Bundeshaushalts abschöpfen. Auf die Idee, die Überschüsse wieder den versicherten Arbeitslosen zugute kommen zu lassen oder für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einzusetzen, kommt bei den Großkoalitionären und bei der Bundesagentur offenbar niemand.

Das ist das Niveau unserer Eliten – einfach so daher geschwätzt

Die NachDenkSeiten wären ohne die Beobachtungsgabe unsrer Leser schon gar nicht denkbar. Auf den folgenden Beitrag des Chefs von McKinsey, Jürgen Kluge, hat einer von ihnen aufmerksam gemacht. Der Beitrag ist in Cicero vom Juli erschienen unter dem Titel: „Eliten, hört auf euer Volk!“
Lesen Sie mal rein. Und bedenken Sie: Von solchen Leuten werden Generationen von Nachwuchsmanagern geprägt. Bei seinem Beratergeschwätz stützt sich Kluge auf seine eigenen tendenziösen Umfrageergebnisse unter dem Titel „Perspektive Deutschland“, wo das Tarnwort „Soziale Leistungsgesellschaft“ erfunden wurde, um die Diskrepanz zwischen einem klaren Bekenntnis zum Sozialstaat und den von McKinsey geforderten Reformnotwendigkeiten zu verdecken.

Ursula Engelen-Kefer: Eine immanente Kritik der unendlichen Geschichte der Gesundheitsreformen. Es gibt viel Reformbedarf an der neuesten „Reform“.

Die ehemalige DGB-Vizechefin und Sozialpolitikerin Ursula Engelen-Kefer war schon an vielen Gesundheitsreformen der letzten zwei Jahrzehnte beteiligt und hat schon einige „Durchbrüche“ erlebt. Die jüngst von der Großen Koalition beschlossenen „Eckpunkte“ sind nach ihrer Meinung auch nur wieder Verschiebemanöver beim Stopfen der Finanzlöcher, dem neu erfundenen Gesundheitsfonds sei mangels Einbeziehung der privaten Krankenkassen die Basis entzogen, die Zwei-Klassen-Medizin werde verfestigt, ohne Risikostrukturausgleich zwischen den Kassen würden die Arbeitnehmer weiter einseitig belastet, bei der Begrenzung der Ausgaben hingegen bewegte sich die Koalition nur in Mini-Schritten.
Weil auch bei dieser Reform nur an Symptomen kuriert wird, dürfte gelten: Nach der Reform ist vor der nächsten Reform. Siehe dazu auch die Anmerkungen der Herausgeber am Ende des Textes.

Sekundärtugenden Führungsqualität, Bewegung, Ruck, Reformen

Der jetzt entbrannte Streit in der großen Koalition und auch das in den NachDenkSeiten kommentierte Interview von Bundespräsident Köhler in BILD sind symptomatisch für Arbeitsweise und Charakter der uns regierenden Eliten. Es geht in der Debatte nicht hauptsächlich um die wichtige Frage, ob die geplante Gesundheitsreform sinnvoll, richtig und vermutlich erfolgreich ist. Bewertungsmaßstab sind sekundäre Angelegenheiten wie Führungsqualität und die Fähigkeit zur Veränderung, zur Bewegung, zu Reform.