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Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik

„Sozialer Arbeitsmarkt“ – Ein noch gigantischerer und zudem entwürdigenderer Niedriglohnsektor

Unter der Überschrift „Sozialer Arbeitsmarkt“ hat sich eine ungewöhnliche Allianz von Sozialverbänden, über die SPD, die Grünen bis hin zur FDP zusammengefunden. Auch in der CDU gibt es Sympathien für ein neues Beschäftigungsmodell für Langzeitarbeitslose. Freiwillig, existenzsichernd bezahlt und möglichst langfristig soll nach diesem Modell Langzeitarbeitslosen am Arbeitsmarkt und zwar am ersten Arbeitsmarkt eine „sinnvolle, normale, nicht stigmatisierende Beschäftigung“ verschafft werden. Das geltende Hartz IV-Systems soll dazu an zwei Stellen verändert werden, nämlich erstens durch den Wegfall der Voraussetzungen, dass die öffentlich geförderte Beschäftigung (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Arbeitsgelegenheiten, Beschäftigungszuschüsse) für Langzeitarbeitslose „gemeinnützig, zusätzlich und wettbewerbsneutral“ sein müssen und zweitens durch einen sog. „Passiv-Aktiv-Transfer“ (PAT), bei dem die Mittel für den „passiven Leistungsbezug“ aktiv zur Finanzierung von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, sprich als Lohnsubvention an die anstellenden Arbeitgeber eingesetzt werden sollen. Eine „Win-Win-Situation“ könnte man meinen. Helga Spindler, Professorin für Sozial- und Arbeitsrecht, widerspricht dem energisch. Sie befürchtet einen noch gigantischeren und zudem entwürdigenderen Niedriglohnsektor.

Wird die SPD aus Fehlern lernen? – Ein Rückblick auf die Große Koalition von 2005 – 2009

Nach der dritten Sondierungsrunde zwischen CDU/CSU und SPD hat sich die Verhandlungsgruppe der Sozialdemokraten einstimmig entschlossen, dem SPD-Parteikonvent am Sonntag die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen vorzuschlagen. Es müsste schon ein Wunder geschehen, wenn der „kleine Parteitag“ diesem Vorschlag nicht folgen würde.
Albrecht Müller hat darauf hingewiesen, dass man mit der Feststellung, dass eine linke Koalition keine Chance habe, das Denken nicht einstellen dürfe und eine Große Koalition, wie etwa auch die von 1966 bis 1969, daran gemessen werden müsse, welche wichtigen Programmpunkte die SPD zusätzlich zum Mindestlohn vor allem auf dem Gebiet der Sozial- und Steuerpolitik in einem Koalitionsvertrag verankern kann.
Der Parteikonvent am Wochenende und danach die Mitglieder der SPD bei ihrem Votum über den ausgehandelten Koalitionsvertrag müssten eigentlich aus den ausgesprochen negativen Erfahrungen in der letzten Großen Koalition von 2005 bis 2009 gelernt haben. Sie sollten sich deshalb die Fehler, die die Sozialdemokraten damals in der Regierung gemacht und die zum Niedergang der SPD geführt haben, vor ihrer Abstimmung noch einmal in Erinnerung rufen. Der Parteikonvent müsste der SPD-Verhandlungsgruppe für die Koalitionsgespräche einen klaren Auftrag auf den Weg geben, den damaligen sozial- und steuerpolitischen Schaden wieder gut zu machen, der bis zur Bundestagswahl im September nachwirkte und wesentliche Ursache für das abermals schlechte Abschneiden der SPD war. Als Anstoß, aus gemachten Fehlern die Lehren zu ziehen, bieten wir den Delegierten und den Mitgliedern der SPD einen Rückblick auf die Regierungspolitik der letzten Großen Koalition von Christoph Butterwegge an.

Chance 2020 – Die INSM will es noch einmal wissen (2/4)

Als vor fast 10 Jahren die NachDenkSeiten das Licht der Welt erblickten, kritisierte Albrecht Müller in unserem allerersten Artikel eine Kampagne der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Seitdem begleiten uns die Kampagnen der INSM in steter Regelmäßigkeit – wer auf den NachDenkSeiten nach „INSM“ such, kommt auf stolze 1.320 Treffer. Wie zu befürchten war, versucht die INSM nun auch mit einer aktuellen Kampagne Einfluss auf die kommenden Koalitionsverhandlungen zu nehmen. Da die maßgeblich von Wolfgang Clement erarbeitete aktuelle Kampagne mit dem Namen „Chance 2020“ im Grunde alter neoliberaler Wein aus neuen Schläuchen ist, auf den wir bereits unzählige Male inhaltlich eingegangen sind, wollen wir Ihnen an dieser Stelle eine vierteilige Serie anbieten, in denen wir Ihnen zahlreiche Gegenargumente zu den 21 Forderungen der Chance 2020 an die Hand geben. Im zweiten Teil geht es heute um das Themenfeld „Arbeit“. Von Jens Berger.

Uns könnte es besser gehen

Der Wahlkampf hat die Frage hochgespült, ob es „uns“ denn wirklich gut geht. Angela Merkel und ihre Spießgesellen sind davon überzeugt, während die Opposition zu Recht darauf hinweist, dass es Millionen Deutschen, die erwerbslos sind, im Niedriglohnsektor arbeiten oder Minirenten beziehen, sicher nicht gut geht. Doch diese Diskussion lässt einen wichtigen Punkt außen vor. Auch wenn es der Mehrheit der Deutschen wirtschaftlich sicher nicht schlecht geht, sind auch sie Opfer der Politik der letzten Jahre und Jahrzehnte. Man sollte sich daher auch nicht fragen, ob es „uns“ gut geht, sondern ob es „uns“ mit einer anderen Politik nicht viel besser gehen könnte. Es ist erstaunlich, warum Oppositionspolitiker diese Frage nicht stellen, geht es hierbei doch um die vielzitierte Mitte der Gesellschaft, die angeblich Wahlen entscheidet. Von Jens Berger.

Low wages in Germany and the European imbalance problem

Germany has been achieving export surpluses year by year, with few exceptions, since the 1950s. Prior to the introduction of the euro there was a regularly recurring need for imbalances in foreign trade to be corrected through upward revaluation of the deutschmark. The introduction of the euro meant exchange-rate adjustments within the eurozone were no longer available as a corrective measure. Also, the German export industry is benefiting in trade outside the eurozone from the lack of serious pressure to revalue the euro upwards, a consequence of the substantial number of eurozone nations recording import surpluses.
Protected thus inside the eurozone from revaluation, Germany’s competitive position has been further enhanced since the late 1990s as a result of below-average wage increases relative to other eurozone countries, which in effect amounts to an internal devaluation. This in turn led to a rise in German export surpluses, which by 2012 were equivalent to about 6.5% of the German gross national product: in other words, over a mere three-year period Germany is forced to invest about 20% of its GNP overseas. German surpluses are matched by corresponding deficits in other eurozone countries. Currently, the German economy finds itself in an exceptional situation in Europe as a result of its highly developed international trade links. The openness of the economy (total of exports and imports as a proportion of GNP) in Germany, France, Spain and Italy was rated in 1995 at about 50%. But in 2008 the figure for Germany reached approx. 90%, against a rise to only 60% in the other countries…

Ein Beitrag von Gerhard Bosch, Geschäftsführender Direktor Institut Arbeit und Qualifikation Universität Duisburg-Essen

Bewährungsproben für die Unterschicht

Bei den Arbeitsmarktreformen ist ja angeblich der Kerngedanke das „Fördern und Fordern“. Das der Hartz-Gesetzgebung zugrunde liegende Leitbild ist, dass Arbeitslosigkeit vor allem der mangelnden Erwerbsorientierung und einer Passivmentalität der Betroffenen geschuldet sei. Über den Druck der Kürzung und der zeitlichen Begrenzung der Leistungsbezüge und durch Sanktionen soll ein Mentalitätswechsel bei den Arbeitslosen herbeigeführt werden. In einer Arbeitsstudie einer Forschungsgruppe um den Jenaer Soziologen Klaus Dörre mit dem Titel „Bewährungsproben für die Unterschicht?“ wird der Blickwinkel gewechselt:
Das neue „aktivierende Arbeitsmarktsystem“ wird zunächst aus der Sicht der Arbeitsverwaltungen und der arbeitsmarktpolitischen Akteure betrachtet. Im zweiten Teil werden die Wahrnehmungen, Erfahrungen und Bewertungen der Betroffenen selbst zum Gegenstand einer sozialwissenschaftlichen Analyse gemacht. Die Kernfrage ist dabei: „Trifft das Bild von einer Lazarusschicht, die es sich in der Hängematte des Wohlfahrtsstaates auf Kosten anderer bequem macht, tatsächlich zu?“ Von Wolfgang Lieb.

Wahlkampf: Faule Zahlenspiele mit atypischen Jobs

Lauter gute Nachrichten gehen derzeit durch die Mainstream-Medien. Zuletzt jubelte SPIEGEL Online darüber, dass die Zahl der atypischen Beschäftigungsverhältnisse seit Jahren erstmals zurückgehe. Sind wir also endlich am Ende der Krise angekommen? Hat die Bundesregierung womöglich doch einen guten Job gemacht? Wohl kaum, auch wenn es sich so anhört. Von Jörg Wellbrock.

Falsches Spiel mit tunesischen Pflegeschülern in Hamburg

Die Idee hörte sich durchaus gut an: Um den Menschen in den Ländern des arabischen Frühlings zu helfen, organisierte der Hamburger Klinikkonzern Asklepios in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt das Projekt TAPiG, bei dem 150 junge Tunesier in Hamburg als Krankenpfleger ausgebildet werden sollten. Kaum gestartet steht das Projekt seit letzter Woche bereits vor dem Aus. 24 der 25 tunesischen Pflegeschüler weigern sich mittlerweile, ihren Dienst bei Asklepios zu den vertraglichen Konditionen anzutreten. Für die WELT und das Hamburger Abendblatt ist die Sache klar – zwischen den Zeilen wird den jungen Tunesiern Gier unterstellt. Ihnen sei die Ausbildungsvergütung in Höhe von 620 Euro netto zu niedrig. Doch dies ist noch nicht einmal die halbe Wahrheit. Es sieht vielmehr so aus, als ginge es Asklepios eher darum, billige Arbeitskräfte zu rekrutieren und einen großen Teil der Kosten des Projekts auf die jungen Tunesier abzuwälzen. Was nach Hilfe aussieht, wird so zur Ausbeutung. Von Jens Berger.

Stellen die NachDenkSeiten die Arbeitsmarktlage zu schlecht dar? Und hat der Gastkommentar im zentralen Organ der IG-Metall nichts mit der IG-Metall zu tun?

Am 3. August hatte ich einen Gastkommentar in der metall-zeitung kritisiert. Die Überschrift lautete: IGMetall greift in den Wahlkampf ein – mit einem Lob für die Agenda 2010 und „die gute wirtschaftliche Verfassung des Landes“. Ich komme darauf zurück, um zum einen anzumerken, dass wir NachDenkSeiten-Macher die wertvolle Arbeit vieler IG Metaller mit Bewunderung sehen – ich selbst bin auf vielen Veranstaltungen der IG-Metall gewesen. Zum anderen lohnt es sich, auf Reaktionen auf den Artikel vom 3. August einzugehen. Herausragend ist die Reaktion des Leiters des IMK Gustav Horn. Bei Facebook heißt es von ihm, er habe große Probleme mit der Strategie der Nachdenkseiten die „Arbeitsmarktlage möglichst schlecht darzustellen und jeden Fortschritt auf dem Arbeitsmarkt zu leugnen“. Außerdem meint er, nicht die IG Metall habe sich wie von mir unterstellt geäußert sondern ein Gastkommentator. Ähnlich argumentieren die Betroffenen selbst. Von Albrecht Müller

„Uns geht’s gut“

So lautet das Motto über einem mehrseitigen Abschnitt im Tchibo-Bestell-Magazin vom Juli 2013. „Uns geht’s gut“ ist die die Basisbotschaft des Wahlkampfs von Angela Merkel. Nicht nur Tchibo hilft bei der Indoktrination. „Satt, sorglos, Deutschland“ lautete die Überschrift eines Artikels von Matthias Geis in der „Zeit“. Unter dem Eindruck eines Gesprächs mit guten und überaus intelligenten Freunden komme ich auf diesen am 11.7.2013 erschienenen Artikel zurück. Sie fanden diesen Beitrag gut, der Realität entsprechend und sogar kritisch. Mir ist an dieser positiven Wertung noch einmal klar geworden, wie dünn bei uns die Schicht jener Zeitgenossen geworden ist, die wirklich noch kritisch hinterfragen und deshalb die manipulativen Elemente eines Beitrags wie jenes von Matthias Geis und vor allem seine Funktion als Träger von Merkels wichtigsten Kampagnenelementen durchschauen. Von Albrecht Müller

Bio-Branche: Dasselbe in Grün

Am Anfang stand die Vision: Bio-Produkte unter die Menschen bringen. Für jeden erschwinglich und in erreichbarer Entfernung. Die Antwort lag auf der Hand: Ein gut sortierter Großhändler und ein flächendeckendes Filialnetz von Verbrauchermärkten.
Die Vision, die Welt auf diesem Weg zu einem etwas besseren Ort zu machen, teilen sehr viele der Beschäftigten in den Märkten. Ohne das aus dieser Vision resultierende überdurchschnittliche Engagement bis hin zur Selbstausbeutung wären die Pioniere der Biobranche damals erfolglos geblieben. Aber darf im Umkehrschluss ein Arbeitgeber der Biobranche seine Arbeitnehmer ausbeuten? Oder sie dahingehend manipulieren, dass sie sich selbst ausbeuten? Von Florian Pfenning.

Für eine Reform der Minijobs

Durch die künstliche Mauer zwischen Minijobs und sozialversicherungspflichtiger Arbeit werden für Unternehmen und Beschäftigte Fehlanreize gesetzt, die zu gravierenden Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt führten. Offensichtlich lädt der Sonderstatus der Minijobber/innen die Unternehmen zu einer Sonderbehandlung jenseits der Gesetzeslage ein. Von Gerhard Bosch [*]

Fernsehtipp: Die Story im Ersten: Lohnsklaven in Deutschland – Miese Jobs für billiges Fleisch

Der Drang osteuropäischer Arbeiter nach Deutschland ist ungebrochen. Auf den ersten drei Plätzen der Zuzüge in 2012 stehen Polen, Rumänen und Bulgaren; oftmals verzweifelte Menschen, die zu harter Arbeit bereit sind.
Dies nutzen deutsche Fleischbetriebe und dubiose Vermittlungsfirmen gnadenlos aus, wie die beiden NDR-Autoren Marius Meyer und Michael Nieberg in ihrer 45-minütigen Reportage belegen.
Stundenlöhne von fünf Euro brutto, ungeregelte Einsatzzeiten und Arbeit ohne Krankenversicherung sind keine Seltenheit im hart umkämpften Fleischmarkt.
Das NDR-Team hat sich vor allem im Landkreis Vechta bei Bremen umgesehen und stieß auf dramatische Schicksale. Menschen, die mit den immer gleichen Versprechungen nach Deutschland gelockt wurden: hoher Lohn, Sozialversicherung, eine gute Unterkunft. Die Realität sieht aber oft anders aus.
Sendetermin: Montag, den 24. Juni, 2245 in der ARD
Quelle: Das Erste.de

Rechts-linke Tristesse in Wirtschaftstheorie und -politik

Heiner Flassbeck war in Paris und berichtet:

„Ich habe vergangene Woche zwei grundverschiedene Veranstaltungen in Paris besucht, um über den Euro zu reden. Die eine war auf der rechten Seite des politischen Spektrums angesiedelt, die andere auf der linken. Das Ergebnis bei beiden ist gleich, es ist Tristesse.“

Hier sein Bericht.
Die dort beschriebene Erfahrung habe ich auch schon mehrmals gemacht. Als Ausgangs der Siebzigerjahre von der damals überraschend neoliberal geprägten CDU/CSU-Führung penetrant – und wirksam – gegen die Konjunkturprogramme der sozialliberalen Koalition polemisiert wurde, tönte es bald auch aus den Reihen vermeintlich Linker, Keynes sei out und das System des Kapitalismus sei gescheitert. Aktive Konjunkturpolitik wurde alsbald begraben. Albrecht Müller.

Was ist der korrekte Maßstab für erfolgreiche Wirtschaftspolitik? Deutschlands Arbeitslosenquote oder die im Euroraum? Ein Orientierungsversuch.

Wir leben seit 13 Jahren in einem gemeinsamen Währungsraum mit 16 anderen Ländern. Wegen der engen Verflechtung spricht alles dafür, das Wohlergehen bzw. die Probleme in der Eurozone insgesamt zum Maßstab dafür zu nehmen, ob die eigene Politik als erfolgreich zu betrachten ist oder nicht. In Deutschland tun die Politik wie auch die Medien und die Multiplikatoren und als Reflex darauf auch die Öffentlichkeit so, als sei die aktuelle Lage in Deutschland der entscheidende Maßstab. Anders kann man die große Zustimmung der Mehrheit zu Angela Merkel, zu Schäuble und ihrer Politik nicht werten. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.