Kategorie:
Ökonomie

“Armut ist politisch gewollt” – oder: Es kann nicht sein, was nicht sein darf

Zeitgleich zu den Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften legte der „Wissenschaftliche Beirat“ des Wirtschaftsministeriums ein Gegengutachten vor. Wie schon beim Armutsbericht der Bundesregierung versucht das „Rösler“-Ministerium erneut, die Wirklichkeit zu verfälschen. Der „Schattenbericht“ der Nationalen Armutskonferenz (nak)[PDF – 2 MB] stellt noch einmal die allseits bekannte traurige Realität dar und resümiert, dass „Armut politisch gewollt sei“. Das eigentlich zur Verharmlosung und zur Ablenkung von der Wirklichkeit gedachte „Gegen“-Gutachten zum Thema „Altersarmut“ des „Wissenschaftlichen Beirats“ [PDF – 110 KB] bestätigt dieses Urteil der nak einer politisch gewollten Armut unfreiwillig nur ein weiteres Mal, indem es die Armut einfach wegdefiniert. Von Wolfgang Lieb

Angela Merkel ungeschminkt

Angela Merkel ist beim Volk beliebt. Die Medien haben ihr das realitätsferne Image der „Mutti“ verliehen, die sich treusorgend aber stets auch mit der gebotenen Strenge um ihre Familie kümmert. So etwas kommt bei den Wählern offensichtlich an und Merkel gibt sich auch redlich Mühe, dieses Image nicht dadurch zu zerstören, dass sie auch einmal sagt, was sie denkt. Ausnahmen von dieser Regel sind rar. Eine solche Ausnahme stellt das Interview dar, dass Merkel zu Beginn der Woche der britischen Financial Times gegeben hat. Von Jens Berger.

James Galbraith im großen NachDenkSeiten-Interview

Unser Kollege Roger Strassburg hatte die Gelegenheit, sich am Rande des IG-Metall-Kongresses “Kurswechsel für ein gutes Leben” ausführlich mit dem Ökonomen James Galbraith zu unterhalten. Wir freuen uns, Ihnen das umfangreiche Gespräch in mehreren Teilen präsentieren zu dürfen. Heute starten wir mit dem ersten Teil in englischer Sprache, in dem sich Galbraith unter anderem Gedanken zur Zukunft der Eurozone macht. Ohne einen deutlichen Schritt in Richtung mehr Solidarität drohe laut Galbraith das Ende des europäischen Projektes. Der Impuls zu einem Wechsel müsse von Deutschland ausgehen, doch ausgerechnet Deutschland sei immer noch weit davon entfernt, Europa auch als solidarisches Projekt zu begreifen.
Morgen wird der zweite Teil des Interviews in englischer Sprache erscheinen und in der Weihnachtswoche werden wir Ihnen das komplette Interview in deutscher Sprache nachreichen. Die Rede, die James Galbraith in Berlin gehalten hat, ist sowohl als Videoaufzeichnung als auch als Transkript verfügbar [PDF – 95.7 KB].

Bochum ist überall

Philipp Rösler ist „sauer“ auf das Management von General Motors und auch der deutsche Blätterwald schießt scharf in Richtung Detroit, während die Kanzlerin beharrlich schweigt und die Tagesschau sich über die Berichterstattung der amerikanischen Medien echauffiert. Die öffentliche Diskussion hierzulande erinnert immer mehr an die berühmten drei Affen – nichts sehen, nichts hören und nichts Unbequemes sagen. Dabei ist die angekündigte Schließung des Opel-Werks in Bochum nur ein weiterer Mosaikstein in der tiefgreifenden Wirtschaftskrise, in die nicht zuletzt die deutsche Regierung den Euroraum manövriert hat. Von Jens Berger

„Das heilige Versprechen“ – eine ernüchternde Analyse von Frank Schirrmacher

Am 25. November erschien in der FAS ein lesenswerter Essay des FAZ-Herausgebers. Hier die Einführung zum Text im Netz: „Im Zeitalter des Internets kann jeder alles sein, Verleger, Autor, Journalist. Jeder kann partizipieren, jeder Geld verdienen. Das ist das Mantra. Keine dieser Aussagen stimmt. Trotzdem werden sie weiter nachgeplappert. Wer profitiert eigentlich von dieser Ideologie?“ Der Text löste wie zu erwarten Reaktionen aus, positive und kritische. Von Albrecht Müller

Eine sehr gute Erklärung der Eurokrise von Heiner Flassbeck und ein Plädoyer für eine große politische Kraftanstrengung der Schuldnerstaaten

Heiner Flassbeck erklärt unter dem Eindruck von Gesprächen in Griechenland und im Blick auf das Einknicken Frankreichs im folgenden Text für die NDS, warum die Diskussion um die Fehler der Schuldnerstaaten in die Irre führt, und dass die Neigung vieler Menschen, den sprichwörtlichen Elefanten im Porzellanladen systematisch zu übersehen und sich lieber dem Flicken der zerbrochenen Tassen hinzugeben, abwegig und nicht zielführend ist. Albrecht Müller.

Deutschland – der Elefant im Euro-Porzellanladen. Frankreich müsste mit den Südländern eine Koalition bilden, um den Elefanten zur Vernunft zu bringen.

Heiner Flassbeck hat bei einer Diskussion auf der Euro Finance Week laut Welt.de das Bild vom Elefanten gebraucht. Wörtlich: „Der Elefant im Porzellanladen ist Deutschland”, … “Solange wir den Elefanten nicht aus dem Laden rauskriegen, können wir Tassen flicken, soviel wir wollen, zum Beispiel in Griechenland.” Das ist ein gutes Bild. Es beschreibt anschaulich, was seit Beginn des Euro Währungsraum und speziell mit den Rettungsversuchen seit 2010 hier in Europa abläuft. Deutschland feiert seine Exportüberschüsse und versucht dann zusammen mit der Troika und anderen in immer wiederkehrenden Rettungsrunden die Porzellan-Schäden in den Defizitländern zu kitten. Statt den Weg der Vernunft mit seinem Gewicht zu verstärken, verneigt sich Frankreich vor dem deutschen Modell. Von Albrecht Müller

Altersarmut in einem reichen Land

Die Logik eines scheinbaren Widerspruchs haben Gerd Bosbach und Jens Jürgen Korff analysiert.
Altersarmut erscheint in der öffentlichen Diskussion oft als unausweichliche Folge der gesellschaftlichen Alterung. Ein Blick ins vergangene Jahrhundert zeigt allerdings, dass eine solche Entwicklung nicht zwangsläufig ist: Die Lebenserwartung stieg in Deutschland von 1900 bis 2000 um über 30 Jahre, der Anteil der Über-65-jährigen stieg von unter 5 auf über 17 Prozent und zugleich halbierte sich der Anteil der Jugendlichen. Gleichwohl nahm die Altersarmut in dieser Zeit nicht zu, sondern sank sogar rapide; auch wuchs der Wohlstand der Erwerbstätigen, und das trotz kürzerer Arbeitszeiten. Wer ohne Scheuklappen in die Zukunft schaut, wird erkennen: Altersarmut ist keine Folge der demografischen Entwicklung, sondern einer gesellschaftlichen Umverteilung von unten nach oben. Das belegen wir in diesem Aufsatz mit zwei einfachen, leicht nachvollziehbaren Überlegungen…

Die Einen haben es, den Anderen fehlt es

Der Bundestagsabgeordnete und frühere Bundesrichter Wolfgang Neskovic – Näheres zur Person hier – hat einen anregenden Essay geschrieben, den wir unseren Leser/innen zur Lektüre empfehlen möchten. Weil ich da und dort die Dinge etwas anders sehe, habe ich am Ende ein paar Fragen und Anmerkungen angefügt. Albrecht Müller.

Die intellektuelle Tragödie des Herrn K.

In der vergangenen Woche hat das Statistische Bundesamt (Destatis) eine Pressemitteilung zur Entwicklung der Armutsgefährdungsquote veröffentlicht. Demnach waren im Jahr 2010 insgesamt 15,8 Prozent der Bevölkerung Deutschlands armutsgefährdet, also rund 12,8 Millionen Menschen. Für eine Person galt dies dann, wenn sie weniger als 11.426 Euro im Jahr beziehungsweise 952 Euro im Monat zur Verfügung hatte. Das Nachrichtenmagazin „Der SPIEGEL“ hat diese Meldung in seiner jüngsten Ausgabe aufgegriffen und gleich in der Überschrift verraten, was es von der ganzen Sache hält. Ein Gastartikel von Thomas Trares [*]

„Industriestandort: So stark ist Deutschland wirklich“. Oder: War da was, genannt „Basarökonomie“?

Heute wird in Berlin eine Studie präsentiert, die das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums durchgeführt hat. Die Frankfurter Allgemeine und die Welt berichteten vorab davon. Wenn man diese Texte liest – zwei in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (hier und hier. Siehe Anlage 1 ) und einen bei Welt online (hier. Siehe Anlage 2) – , dann kann man amüsiert feststellen, wie die Meinungsführer zu Opfern ihrer eigenen Sprüche geworden sind und wie sie sich winden und drehen müssen, um ihren Lesern den Befund zu Deutschlands starker Industrie erklären zu können. NachDenkSeiten-Leserinnen und -Leser haben vermutlich noch in den Ohren, was der „beste“ Ökonom Deutschlands Hans-Werner Sinn seinen Zuhörern und Lesern verkündete: Wir sind nur noch eine Basarökonomie. Wir sind nicht mehr wettbewerbsfähig. Die USA verdrängen Deutschland von den Weltmärkten. Alles H.-W. Sinn 2003, 2004, 2005 (Autor von „Ist Deutschland noch zu retten?“ und „Basar-Ökonomie“). Und mit ihm Tausende Nachbeter. Albrecht Müller.

Rezension: Hans Jürgen Krysmanski, 0, 1 % Das Imperium der Milliardäre

Der Verfasser dieses Werks beschäftigt sich mit Außerirdischen („Aliens“). Das ist auf den ersten Blick verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Hans Jürgen Krysmanski ein höchst anerkannter Vertreter einer der Realität zugewandten Wissenschaft (Soziologie) ist. Und in der Tat ist das hier zu besprechende Buch alles andere als „Science Fiction“. Es beschäftigt sich mit der Wirklichkeit, und zwar mit einer extrem ungleichen und hässlich gewordenen Gesellschaft. Der Autor befasst sich mit einer zahlenmäßig kleinen Gruppe von Menschen, den wenigen „Superreichen“, die letztlich über eine unübersehbar große Zahl von Menschen und deren Schicksal entscheiden. Eine Buchbesprechung von Wolfgang Hetzer[*].

Der SPIEGEL und die Inflation

Immer wenn man denkt, es geht nicht schlimmer, weiß der SPIEGEL einen in steter Regelmäßigkeit vom Gegenteil zu überzeugen. Vom Online-Ableger des ehemaligen Nachrichtenmagazins ist man in Sachen Niveau-Limbo ja schon einiges gewohnt. Mit der Titelgeschichte „Vorsicht Inflation!“ – Unterzeile „Die schleichende Enteignung der Deutschen“ – hat die alt-ehrwürdige Print-Mutter der boulevardesken Online-Tochter im Wettbewerb um den schlechtesten Wirtschafts-Artikel jedoch nun den Kampf angesagt. Von Jens Berger

Skurriles, makroökonomisch falsches Denken prägt unsere Sprache und damit auch das Denken der Verantwortlichen. Offensichtlich unheilbar.

Im Hinweis Nr. 7 haben wir heute auf ein Interview des Managermagazins mit Joseph Stiglitz (siehe auch Anlage 1) hingewiesen. In diesem Interview gebraucht „mm“ wie auch der interviewte Stiglitz die Worte „Sparkurs“ bzw. „Sparmaßnahmen“. Das ist ein aus der einzelwirtschaftlichen/betriebswirtschaftlichen Betrachtung entnommener Sprachgebrauch. Bei einem einzelnen Wirtschaftssubjekt genügt in der Regel die Sparabsicht, um erfolgreich zu sparen. Volkswirtschaftlich ist das nicht der Fall, wie man heute in Griechenland, in Spanien und übrigens auch bei uns studieren kann. Was dort abgeht ist kein Sparkurs und was den Griechen von der Troika aufgezwungen wird, sind auch keine Sparmaßnahmen. Dennoch hat sich dieser Sprachgebrauch eingebürgert und prägt auch das wirtschafts- und finanzpolitische Handeln. Deshalb weisen wir darauf hin. Vielleicht würde die richtige Politik mit dem richtigen Sprachgebrauch anfangen. Aber vermutlich ist dieses Unterfangen hoffnungslos. Schließlich versuchen wir, ich in meinen Büchern und wir in den NachDenkSeiten, schon spätestens seit 2004 den richtigen Sprachgebrauch zu vermitteln. Albrecht Müller.

Wenn Theorie und Realität einfach nicht zusammenfinden wollen

Europa ächzt unter dem Joch der Austeritätspolitik. Sowohl Spanien als auch Portugal mussten in den letzten Tagen melden, dass sie „trotz größter Sparanstrengungen“ ihr Defizitziel deutlich verfehlt haben. Hier muss die Frage gestattet sein, ob diese Länder ihr Defizitziel nun „trotz“ oder doch wohl eher „wegen“ der „größten Sparanstrengungen“ verfehlt haben. Der vor allem von deutscher Seite propagierte Ansatz, ein Land durch Budgetkürzungen und neoliberale Reformen fit für die Zukunft zu machen und dabei dann auch gleich die Staatsfinanzen zu sanieren, mag in der marktliberalen Theorie funktionieren. In der Praxis funktioniert dieser Ansatz jedoch nicht, was sich mittlerweile eigentlich herumgesprochen haben sollte. Mit jedem Tag, an dem die Politik an ihren ideologischen Scheuklappen festhält, forciert sie die Krise und verhindert deren Beendigung. Von Jens Berger