Kategorie:
Ökonomie

Pakt für Wettbewerbsfähigkeit – Merkels Agenda des Schreckens

Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos redete die Kanzlerin endlich einmal Klartext und stellte die Grundzüge ihrer Agenda für Europa vor. Die Kanzlerin hat nichts, aber auch gar nichts, verstanden und will nun die Gunst der Stunde nutzen, um Europa bereits in diesem Jahr von Grund auf umzukrempeln. Durch die Blume gab sie dabei auch zu, dass ihr die Eurokrise keineswegs ungelegen kommt, um ganz Europa einer neoliberalen Agenda zu unterwerfen. Wer sich die Mühe macht, Merkels Rede durchzulesen, kommt selbst als abgeklärter Kritiker neoliberaler Politik aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der Versuch einer Analyse. Von Jens Berger

Eurokrise: Der Fall Italien

„Wir haben das Patentrezept“ lautete vor vielen Jahren der Wahlslogan einer obskuren deutschen Splitterpartei im Bundestagswahlkampf. Die Partei ist obskur geblieben, ihr Slogan hat Karriere gemacht. Er prangt über der Wirtschaftspolitik der Eurozone. Das Patentrezept lautet Wettbewerbsfähigkeit durch Lohnkürzung. Es verdankt sich der phänomenal neuen Erkenntnis der Eurokraten, dass dem einzelnen Mitgliedsstaat innerhalb einer Währungsunion das Mittel der Abwertung der eigenen Währung als gesamtwirtschaftliches Instrument zum Ausgleich von Wettbewerbsnachteilen nicht mehr zur Verfügung steht. Ersatz muss her in Form der generalisierten „inneren Abwertung“ auf betrieblicher Ebene, sprich Lohnkürzung. Ein Gastartikel von Erik Jochem

Prognosen und andere Irrtümer

Muss man eine rosige Zukunft prognostizieren, um ein guter Ökonom zu sein?
Die Jahreswende ist die Zeit, in der Ausblicke auf das vor uns liegende Jahr gegeben und gute Vorsätze gefasst werden, auf dass alles besser werde. Doch mit den guten Vorsätzen ist das so eine Sache. Wer etwas besser machen will, muss die in der Vergangenheit gemachten Fehler erst einmal erkennen, bevor er gegensteuern kann, von der Mühsal der Umsetzung vieler Vorsätze ganz abgesehen. Viel leichter ist das Leben für die, die sich die Fehlentwicklungen in der Vergangenheit gar nicht so genau anschauen und folglich auch keinen Anlass sehen, etwas zu ändern. Von Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker

Achtung Falschmeldung: „Armutsrisikoquote junger Erwachsener liegt unter 10 %“

„Die Armutsrisikoquote junger Erwachsener zwischen 18 und 24 Jahren liegt unter zehn Prozent. Darüber informiert die Bundesregierung in ihrer Antwort (17/12022) auf eine Kleine Anfrage (17/11639) der Fraktion Die Linke. Insgesamt 9,7 Prozent dieser Altersgruppe waren 2010 vom Armutsrisiko betroffen: 9,3 Prozent der männlichen und 10,2 Prozent der weiblichen jungen Erwachsenen.“ So lautet die Pressemitteilung des Deutschen Bundestags. Diese Meldung ist schlicht falsch. Aus der Antwort der Bundesregierung (S. 3) [PDF – 2 MB] ergibt sich, dass ausschließlich das „Armutsrisiko von Arbeitnehmern im Alter von 18 bis 24 Jahren“ im angegebenen Prozentbereich liegt. Damit wird die Erfolgsmeldung aber zur Misserfolgsmeldung. Heißt das doch, dass selbst unter den jungen Leuten dieser Altersgruppe, die eine Arbeit haben zehn Prozent so wenig Einkommen haben, dass für sie ein Armutsrisiko besteht. Von Wolfgang Lieb

Konjunkturstatistik 2012 – auf die Lesart kommt es an

„Die deutsche Wirtschaft trotzte 2012 der europäischen Wirtschaftskrise“, so ist die Pressemitteilung [PDF – 106 KB] zur Meldung der jüngsten Konjunkturdaten durch das Statistische Bundesamt überschrieben. Richtig ist, dass die deutsche Konjunktur im letzten Jahr im Vergleich zu unseren Nachbarländern auf durchaus stabilem Niveau stagniert. Die inländische Konjunktur befindet sich aber auch in Deutschland in der Rezession, lediglich der immer größer werdende Exportüberschuss hat dazu geführt, dass die deutsche Wirtschaft 2012 überhaupt gewachsen ist. Diese Entwicklung ist jedoch gesamtwirtschaftlich fatal. Anstatt als „Wachstumslokomotive“ die Eurozone mitzuziehen, hat die Exportfixierung der deutschen Wirtschaft dazu geführt, dass die gefährlichen ökonomischen Ungleichgewichte auch im letzten Jahr erneut gestiegen sind. Von Jens Berger.

Der Irrtum der Euroretter und das Schweigen im Blätterwalde

Die vornehmste Aufgabe der Volkswirtschaftslehre ist es, die Politik zu beraten. Auf Basis der Beratung durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) verordnete die Politik halb Europa eine selbstmörderische Kürzungspolitik. Doch das neue Jahr begann mit einem Paukenschlag. Einer der einflussreichsten Volkswirte, Olivier Blanchard, seines Zeichens Chefökonom des IWF, gibt plötzlich zu, dass man sich in der Vergangenheit „verrechnet“ habe und die vom Währungsfonds vorgeschlagene Kürzungspolitik womöglich die aktuelle Krise sogar noch verschärft. Dieses Eingeständnis stellt die bisherige Politik der „Euroretter“ komplett in Frage. Eigentlich sollte man nun erwarten, dass Blanchards Offenbarungseid politisches Tagesgespräch Nummer Eins ist. Doch weit gefehlt. Der erste SPIEGEL des neuen Jahrs machte nicht mit dem Thema „Der Irrtum der Euroretter“ auf, sondern fragte sich, ob das männliche Geschlecht mit der modernen Gesellschaft überfordert sei. Über die neuen Rechenkunststücke des IWF verliert der SPIEGEL kein Wort. Auch der Tagesschau war das eingestandene Versagen des IWF keine Meldung wert. Der Dogmatismus der ökonomischen Debatte hierzulande macht offenbar blind. Von Jens Berger.

Interview mit Prof. James K. Galbraith – Teil 1

“Es muss einen Wandel der Betrachtungsweise geben, und wenn dieser Wandel – das ist jetzt der wichtige Punkt – irgendeinen Einfluss auf die Situation Europas haben soll, dann muss er von Deutschland ausgehen. Davon sind die Deutschen weit entfernt, aber aus dieser Richtung muss der Wandel kommen. Denn der Rest Europas und die betroffenen Staaten können protestieren oder sogar Widerstand leisten, aber die Änderung des Diskussionsklimas und der Perspektive kann nicht von den schwachen Ländern ausgehen. Und unglücklicherweise gibt es auch keinen Hinweis darauf, dass sie aus Frankreich kommen wird.“ So hat es mir Prof. Galbraith am 6.12.2012 bei unserem Gespräch am Rande des Kurswechsel-Kongresses der IG-Metall in Berlin erklärt. Von Roger Strassburg

Erziehung zum Klassenhass? Waldorfschüler verspotten ihre Chorweiler Nachbarn

„Waldorfschüler verspotten ihre Chorweiler Nachbarn“ – so lautete eine Schlagzeile des „Kölner Stadtanzeigers“ vom 20. Dezember 2012. In dem Artikel wird berichtet, wie Kölner Waldorfschüler den Stadtteil Chorweiler sehen, in dem sich ihre Schule befindet. „Das Viertel färbt ab“ – so lautete das Thema eines Mottotages der Abiturienten der Waldorfschule. Teilergebnisse davon sind in der Abi-Zeitung der Schüler veröffentlicht worden, darauf abgebildet: eine junge Schwangere mit Zigarette, Großfamilien mit „10 Kusäängs und 19 Kusinään“, gewaltbereite Jugendliche, posende Mädchen in Jogginghosen. Die Abi-Zeitung hat im Stadtteil Chorweiler für viel Aufregung gesorgt, da sie auf einem Adventsbasar verkauft wurde. Für die Bezirksbürgermeisterin ist unverständlich, „dass die beteiligten Lehrer augenscheinlich nicht im Vorfeld der Mottotage über die diskriminierenden Aspekte und das mögliche Konfliktpotenzial des Mottotags gesprochen haben.“ Ein ganzes Stadtviertel und seine Bewohner seien abgewertet, Hohn und Spott über Gleichaltrige ausgeschüttet worden. Die Abiturienten hätten ein „Unreifezeugnis“ verdient. Von Joke und Petra Frerichs

Geldschwemme oder Spekulation und kriminelle Energie? Was ist die Hauptursache der Finanzkrise?

Spätestens seit Herbst 2008 schwelt ein Disput zwischen einigen fortschrittlichen Ökonomen. Sind die wegen der miesen Einkommensverteilung quasi explodierten und Anlage suchenden Geldvermögen die Hauptursache der Finanzkrise? Oder sind Spekulation und kriminelle Energie die eigentlichen Ursachen? Einige Ökonomen wie beispielsweise Axel Troost und Michael Schlecht, denen wir uns sonst oft in der Sache verbunden fühlen, haben immer wieder auf den rasanten Anstieg der großen Vermögen und die Geldschwemme als Ursache der Finanzkrise hingewiesen. In einem Beitrag vom 25. November 2008 „Ist die Geldschwemme Ursache der Finanzmarktkrise? Ein Anstoß zu ein paar Zweifeln an einer gängig werdenden These“ habe ich diesen Konflikt und meine Position beschrieben. Dieser zuweilen hart ausgefochtene Disput könnte sich dank einiger neuer Erkenntnisse über das Ausmaß der Spekulation und der kriminellen Energie bei wichtigen Finanzinstituten erledigt haben. Das wäre gut. Albrecht Müller.

Unter dem Mantel der Nächstenliebe

Zur Spendenkampagne einer großen Tageszeitung in diesen Weihnachtswochen
Ganz großartig, könnte man sagen: in vielen Tageszeitungen der Bundesrepublik laufen derzeit Hilfsaktionen für Arme und Arbeitslose, für alte und erkrankte Menschen. Weihnachtszeit, das bedeutet: Deutschland hilft, auch durch ganze Artikelserien in ihren Regionalblättern. Tatsächlich nur dieses: großartig? Ein Gastartikel von Holdger Platta[*]

James Galbraith im großen NachDenkSeiten-Interview II

Unser Kollege Roger Strassburg hatte die Gelegenheit, sich am Rande des IG-Metall-Kongresses “Kurswechsel für ein gutes Leben” ausführlich mit dem Ökonomen James Galbraith zu unterhalten. Wir freuen uns, Ihnen das umfangreiche Gespräch in mehreren Teilen präsentieren zu dürfen. Nachdem wir gestern den ersten Teil in englischer Sprache veröffentlicht haben, folgt heute der zweite Teil, in dem es vor allem um den Wahlsieg Obamas, die amerikanische Wirtschafts- und Finanzpolitik und die vielzitierte Fiskalklippe geht.
In der Weihnachtswoche werden wir Ihnen das komplette Interview in deutscher Sprache nachreichen. Die Rede, die James Galbraith in Berlin gehalten hat, ist sowohl als Videoaufzeichnung als auch als Transkript verfügbar [PDF – 95.7 KB].

“Armut ist politisch gewollt” – oder: Es kann nicht sein, was nicht sein darf

Zeitgleich zu den Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften legte der „Wissenschaftliche Beirat“ des Wirtschaftsministeriums ein Gegengutachten vor. Wie schon beim Armutsbericht der Bundesregierung versucht das „Rösler“-Ministerium erneut, die Wirklichkeit zu verfälschen. Der „Schattenbericht“ der Nationalen Armutskonferenz (nak)[PDF – 2 MB] stellt noch einmal die allseits bekannte traurige Realität dar und resümiert, dass „Armut politisch gewollt sei“. Das eigentlich zur Verharmlosung und zur Ablenkung von der Wirklichkeit gedachte „Gegen“-Gutachten zum Thema „Altersarmut“ des „Wissenschaftlichen Beirats“ [PDF – 110 KB] bestätigt dieses Urteil der nak einer politisch gewollten Armut unfreiwillig nur ein weiteres Mal, indem es die Armut einfach wegdefiniert. Von Wolfgang Lieb

Angela Merkel ungeschminkt

Angela Merkel ist beim Volk beliebt. Die Medien haben ihr das realitätsferne Image der „Mutti“ verliehen, die sich treusorgend aber stets auch mit der gebotenen Strenge um ihre Familie kümmert. So etwas kommt bei den Wählern offensichtlich an und Merkel gibt sich auch redlich Mühe, dieses Image nicht dadurch zu zerstören, dass sie auch einmal sagt, was sie denkt. Ausnahmen von dieser Regel sind rar. Eine solche Ausnahme stellt das Interview dar, dass Merkel zu Beginn der Woche der britischen Financial Times gegeben hat. Von Jens Berger.

James Galbraith im großen NachDenkSeiten-Interview

Unser Kollege Roger Strassburg hatte die Gelegenheit, sich am Rande des IG-Metall-Kongresses “Kurswechsel für ein gutes Leben” ausführlich mit dem Ökonomen James Galbraith zu unterhalten. Wir freuen uns, Ihnen das umfangreiche Gespräch in mehreren Teilen präsentieren zu dürfen. Heute starten wir mit dem ersten Teil in englischer Sprache, in dem sich Galbraith unter anderem Gedanken zur Zukunft der Eurozone macht. Ohne einen deutlichen Schritt in Richtung mehr Solidarität drohe laut Galbraith das Ende des europäischen Projektes. Der Impuls zu einem Wechsel müsse von Deutschland ausgehen, doch ausgerechnet Deutschland sei immer noch weit davon entfernt, Europa auch als solidarisches Projekt zu begreifen.
Morgen wird der zweite Teil des Interviews in englischer Sprache erscheinen und in der Weihnachtswoche werden wir Ihnen das komplette Interview in deutscher Sprache nachreichen. Die Rede, die James Galbraith in Berlin gehalten hat, ist sowohl als Videoaufzeichnung als auch als Transkript verfügbar [PDF – 95.7 KB].

Bochum ist überall

Philipp Rösler ist „sauer“ auf das Management von General Motors und auch der deutsche Blätterwald schießt scharf in Richtung Detroit, während die Kanzlerin beharrlich schweigt und die Tagesschau sich über die Berichterstattung der amerikanischen Medien echauffiert. Die öffentliche Diskussion hierzulande erinnert immer mehr an die berühmten drei Affen – nichts sehen, nichts hören und nichts Unbequemes sagen. Dabei ist die angekündigte Schließung des Opel-Werks in Bochum nur ein weiterer Mosaikstein in der tiefgreifenden Wirtschaftskrise, in die nicht zuletzt die deutsche Regierung den Euroraum manövriert hat. Von Jens Berger