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Ökonomie

Großzügige Koalition – Anmerkungen zur Erbschaftsteuerreform

Silvester dürften in den feinsten Kreisen unserer Gesellschaft die Champagnerkorken noch lauter als sonst knallen, weil die Große Koalition sich nach jahrelangem Tauziehen auf eine Erbschaftsteuerreform geeinigt hat, die besonders Wohlhabende, Reiche und Superreiche begünstigt. Überschattet wurden die ohnehin schwierigen Verhandlungen zwischen den Regierungsparteien zum Schluss von der bayerischen Landtagswahl. Im Wahlkampf wurde es für die CSU zu einer Prestigefrage, Villenbesitzersgattinnen am Starnberger See und Kinder von Konzernherren von der Erbschaftsteuer zu befreien. Nach der Wahl Horst Seehofers zum CSU-Vorsitzenden und zum bayerischen Ministerpräsidenten vollzogen die Unionsparteien den Schulterschluss und setzten die Sozialdemokraten noch mehr unter Druck, dem Drang nach bürgerlicher Besitzstandswahrung nachzugeben. Fürchtend, die Erbschaftsteuer könnte ganz entfallen, wenn bis zum 1. Januar 2009 keine Neuregelung erfolgt, knickte die SPD schließlich ein, und die CSU konnte einen wichtigen Erfolg für sich verbuchen. Von Christoph Butterwegge

Rentner und die Binnenkaufkraft

„Drei Viertel aller deutschen Unternehmen sind seit Ausbruch der globalen Finanzkrise nicht mehr in der Lage, uneingeschränkt nötige Investitionen und Käufe zu tätigen.“ Das meldete dpa. Ähnlich ist das ganz sicher in den deutschen Haushalten, Rentnerhaushalte eingeschlossen. Nur, dass das nicht erst mit der Finanzmarktkrise begonnen hat. Die Financial Times Deutschland schreibt: „Die Bundesregierung nutzt den Finanzcrash, um von eigenen Versäumnissen abzulenken.“ Die schwache Konsumnachfrage ist nicht von der Finanzmarktkrise verursacht, sie ist hausgemacht. Seit Jahren setzt die Regierung einseitig auf den Exportsektor: Sie beschneidet Sozialleistungen und staatliche Ausgaben und fördert Lohndumping. Von Kurt Pittelkau, Mitglied im Arbeitskreis Alterssicherung ver.di-Berlin

EU: Autos sollen Autos kaufen

EU-Industriekommissar Verheugen unterstützt die Forderung der Automobilindustrie nach zinsvergünstigten Krediten in Höhe von 40 Milliarden Euro. Der Absatzkrise auf dem Automarkt soll also mit Subventionen begegnet werden. Glaubt man in Brüssel wirklich, dass mit Geschenken an die Automobilhersteller mehr Autos gekauft würden? Wolfgang Lieb

Das Fundament des elitären Klassenbewusstseins

Ist eine Gesellschaft, die offen von “sozial Schwachen” und “bildungsfernen Schichten” spricht, eingebettet in ein sozialdarwinistisches Fundament? Meint eine solche Gesellschaft etwa damit, dass Armut und mangelnde Bildung vererbte Mängel sind? Oder handelt es sich bei solchen und ähnlichen Begrifflichkeiten nur um unglücklich gewählte Wortkonstrukte?
Von Roberto De Lapuente

Die aktuelle Debatte um Konjunkturprogramme – von Meinungsmache geprägt, absolut schräg und weit von der Sache entfernt.

Die Debatte und auch die Entscheidungen zu konjunkturpolitischen Maßnahmen sind nicht geprägt von sachlichen Erwägungen, sondern vor allem vom Ergebnis einer Dauerpropaganda: Konjunkturprogramme sind Strohfeuer, sie bringen mehr Schulden – das glaubt nicht nur der Spitzenökonom der deutschen Wirtschaft Hüther, der sich gerade in ZDF-heute zu Wort gemeldet hat. Das glaubt auch der Bundesfinanzminister, der uns unentwegt mit unglaublichen Wortkombinationen unterhält – “Ich warne auch davor, aus der Hüfte etwas abzuschießen, was eher Symbolpolitik sein könnte, … was nur Geld verbrennen würde“ (Siehe unten). Und leider glaubt vermutlich auch die Mehrheit unseres Volkes, dass dies so sei. Konjunkturprogramme seien Strohfeuer, das ist eine Mär, die belegt, wie sehr ein Volk und seine Eliten manipuliert werden können. Quasi vollständig. Ein Wunder ist das nicht; denn auch Wirtschaftsforschungsinstitute, die noch bei der Begutachtung der Konjunkturprogramme in den siebziger Jahren vor allem Positives über ihre Wirkung notierten, behaupten heute das Gegenteil. Albrecht Müller.

Ist der „Kasinokapitalismus“ am Ende?- Neoliberalismus in der Legitimationskrise

Es wäre verfrüht zu glauben, der Neoliberalismus hätte seine Macht über das Bewusstsein von Millionen Menschen verloren, nur weil sie um ihr Erspartes fürchten und mit ihren Steuergroschen einmal mehr die Zeche für Spekulanten und Finanzjongleure zahlen müssen. Gleichwohl bleibt zu hoffen, dass die globale Finanzmarktkrise zur Überwindung der neoliberalen Hegemonie – hier verstanden als öffentliche Meinungsführerschaft des Marktradikalismus – und zur allgemeinen Rehabilitation der Staatsintervention beiträgt. Stellt man die Frage, was nach dem Neoliberalismus kommt, sollte man die beiden Perspektiven eines sich radikalisierenden und eines seriöser auftretenden, noch subtiler agierenden Marktfetischismus nicht übersehen. Von Christoph Butterwegge.

Trotz Rezession – angebotsorientierte Wirtschaftspolitik im alten Trott

Bundeswirtschaftsminister Glos nimmt natürlich das Wort „Rezession“ nicht in den Mund, er sprach gestern lieber beschönigend davon, „dass sich die deutsche Wirtschaft in vielen Bereichen nicht widerstandsfähig gegenüber den Rückwirkungen der Finanzkrise gezeigt hat“.
Was ist es aber anderes als eine Rezession, wenn die Wirtschaft von einer Prognose des realen Wirtschaftswachstums von 1,7 % in diesem Jahr auf 0,2 % im kommenden Jahr abstürzt?
Auch Glos sieht Handlungsbedarf, doch er macht im alten Trott weiter und tut so, als hätte die Finanzmarktkrise nichts mit der Ideologie der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik zu tun. Ihm fällt nichts anderes ein als die alte Leier von Deregulierung („ein generelles Belastungsmoratorium“ für die Unternehmen), Senkung von Steuern und „Lohnzusatzkosten“ und die Kürzung von Sozialleistungen (Senkung von „konsumtiven Verwendungen“). Von Wolfgang Lieb

„Krieg dem Pöbel“. Die neuen Unterschichten in der Soziologie deutscher Professoren

Die Entdeckung der „neuen Unterschicht(en)“ zu Beginn des neuen Jahrtausends ist kein so­ziologisches, kein wissenschaftliches Datum, sondern das Produkt einer der politischen Pro­paganda dienenden „öffentlichen Soziologie“, in der einige Wissenschaft­ler – vor allem Paul Nolte und Heinz Bude – als professorale Autoritäten, aber auch als akti­ver Teil einer publizistischen Welle fungieren. Diese hat in Deutschland nicht zufällig im Jahr 2004 einen Höhepunkt erreicht: Sie begleitete und legitimierte die Einführung von „Hartz IV“: die Abkehr vom bis dahin dominierenden sozialstaatliche Ziel der Statussicherung hin zum Ziel der Existenzsicherung.
Eine Kritik des Lehrers in einer Abendhauptschule Hans Otto Rößer.

Buchrezension: „Die Ausgeschlossenen. Das Ende vom Traum einer gerechten Gesellschaft“ von Heinz Bude

„Unsere Gesellschaft steht vor einer tiefen Spaltung. Dieses Buch macht deutlich, warum wir uns vom Traum einer gerechten Gesellschaft verabschieden müssen. Immer mehr Menschen sind von den Segnungen des Wohlstands ausgeschlossen und haben keine Hoffnung, dass sich daran etwas ändert. Lebensläufe, die man für solide hielt, geraten ins Schlingern, weil Arbeitsplätze, die man sicher glaubte, wegbrechen. Ungelernte Aushilfskräfte kann es genauso treffen wie hochqualifizierte Wissenschaftler. Heinz Bude, einer der besten Kenner der deutschen Gesellschaft, entwirft zum ersten Mal ein umfassendes Bild jener zerklüfteten Verhältnisse, die in Zukunft immer stärker unsere Gesellschaft prägen werden. Jetzt ist es Zeit, darüber zu diskutieren, wie wir künftig leben wollen.“
So preist der Klappentext das neue Buch des Professors für „Makrosoziologie“ an der Universität Kassel an.
Der Sozialwissenschaftler Christian Girschner hat für uns das Buch rezensiert.
Sein Fazit: Das Buch „Die Ausgeschlossenen“ ist eine ideologische Rechtfertigungsgrundlage für eine Politik der „neuen Mitte“, die nicht mehr über die ungleiche Verteilung des Reichtums sprechen will, weil man sich von jeden politischen Ansatz der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums (einschließlich einer keynesianisch orientierten Wirtschafts- und Sozialpolitik) längst verabschiedet und diese durch eine sozial-politische Metaphorik der noch zu realisierenden „Chancen- und Leistungsgerechtigkeit“ ersetzt hat.

Das Versagen der herrschenden neoliberalen Lehre – Anmerkungen zum Umgang mit dieser Irrlehre

Die Auseinandersetzung mit der herrschenden Lehre in Wirtschaft und Gesellschaft wird von vielen Kritikern bei der Frage nach der sozialen Gerechtigkeit, also nach der Verteilung der Einkommen und Vermögen gesucht. Es ist richtig, die immer weiter auseinanderdriftende Verteilung und die offensichtlichen Ungerechtigkeiten zu beklagen und hier einzugreifen. Aber wenn die Auseinandersetzung allein darauf konzentriert wird, dann vergeben sich die Kritiker die Chance, zu einem wesentlich breiteren Bündnis zu kommen. Die herrschende neoliberale Ideologie, wie sie in Deutschland in der so genannten Reformpolitik konkreten Ausdruck gefunden hat, ist nicht nur ungerecht, sie ist ineffizient und zerstörerisch. Wir haben es bei den herrschenden Kreisen mit Versagern zu tun. Das sollte in gleicher Weise wie die soziale Gerechtigkeit ein öffentliches Thema werden. In einer Serie von Beiträgen werde ich in den nächsten Wochen auf dieses Versagen und diese zerstörerische Wirkung eingehen. Albrecht Müller

Die Unfähigkeit zu makroökonomischer Vernunft – ein Kern unseres Problems

Gestern, an einem Montag gegen 16:30 Uhr besuchte ich einen Baumarkt. Verkaufsbereich leer, im Lagerbereich auch keine Kunden. Ich fragte den Lagerarbeiter, was los sei. Das sei einige Zeit schon so. Die Leute hätten offenbar kein Geld zum Bauen. – Zuhause im Laptop finde ich dann das Interview des SPD Haushaltsexperten Carsten Schneider (Anlage D) mit der saloppen Bemerkung, er sehe eine „konjunkturelle Delle“ statt einer Krise. Der Mann kommt aus Thüringen, einer Region, der es insgesamt sicher nicht besser geht als der Südpfalz. Dieser wichtige Mann hat offenbar weder einen Sensor für die wirkliche Lage noch begreift er wirtschaftliche Zusammenhänge. Das verbindet ihn mit dem Bundesfinanzminister. Wo ihre Schwächen, ihre Fehleinschätzungen und Manipulationsversuche liegen, soll anhand von vier Medienbeiträgen gezeigt werden. Albrecht Müller.

Nochmals: „Die Sarazzins der Wissenschaft: Hartz-IV-Regelsatz von 132 Euro ausreichend“

Einige Stunden nachdem wir gestern diesen Beitrag ins Netz gestellt hatten, schrieb uns ein Leser, dass der angegebene Link zu der „Studie“ der TU-Chemnitz ins Leere führe (HTTP Error 404: File not found). Im Laufe des Tages wurde der Link wieder geschaltet.
Der „Studie“ wurde jedoch zwischenzeitlich eine abwiegelnde „Präambel“ vorangestellt: Die Studie habe aus ihren Neuberechnungen der sozialen Mindestsicherung von 123 Euro „keine Konsequenzen abgeleitet“.
Daraus lassen sich nach meiner Meinung nur folgende Schlüsse ziehen:

  • Entweder die Hochschule oder die Autoren haben erkannt, dass sie mit Ihrem Vorstoß zur Senkung der Hartz-IV-Leistungen doch zu zynisch waren und versuchen nun abzuwiegeln.
  • Oder – und das ist die wahrscheinlichere Erklärung, da die „Studie“ ja wieder im Netz steht -: das ist die typische Art einer verantwortungslosen „Wissenschaft“, die irgendwelche inhumanen Berechnungen in die Welt setzt, ohne die Verantwortung für die Folgen übernehmen zu wollen und sich dann anschließend damit freizeichnen will, dass man ja daraus keine „Konsequenzen abgeleitet“ hätte. Genau so haben sich auch die „Wissenschaftler“ in der NS-Zeit etwa mit ihrer Rasse-„Forschung“ aus der Affäre ziehen wollen.

Wolfgang Lieb

Die Sarazzins der Wissenschaft: Hartz-IV-Regelsatz von 132 Euro ausreichend

Zwei Chemnitzer Wirtschaftswissenschaftler halten einen Hartz-IV-Regelsatz von 132 Euro für ausreichend, d.h. nur rund ein Drittel der bisherigen Höhe. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die am Mittwoch auf der Internetseite der Technischen Universität Chemnitz veröffentlicht wurde.Maßstab für die Berechung dieser „Wirtschaftswissenschaftler“ sind die einkommensmäßig unteren 20% der deutschen Haushalte, diese geben angeblich für Essen, Kleidung, Kommunikation, Reisen etc. knapp 500 Euro pro Monat und Person (Single-Haushalt) aus. Die Logik dieser „Studie“: Ist erst einmal das untere Fünftel der Gesellschaft arm genug, dann kann man auch Ärmsten der Armen noch ärmer machen oder anders gesagt: In den Elendsvierteln der Welt ist schon derjenige nicht arm, der eine handvoll Reis und einen Schluck Wasser hat. Wolfgang Lieb

BILD hetzt und die CSU kocht darauf ihr Wahlkampfsüppchen

„Der große Hartz-IV-Report“, unter diesem Motto hetzt die Bild-Zeitung mal wieder ihre Leserinnen und Leser gegen Alg II-Empfänger auf. Das Ziel dieser wiederholten Bild-Kampagnen ist immer das gleiche: Man versucht den Zorn der Verängstigten und der Verlierer auf diejenigen zu lenken, denen es noch schlechter geht, oder man säht Hass auf Minderheiten, die sich nicht wehren können. Bei den Rechtsextremisten und Neonazis sind das die Ausländer, bei Bild eben die „Hartz-IV-Abzocker“. Auf dieser „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ kocht die Politik ihr Süppchen und lenkt damit vom eigenen Versagen ab; wie früher Superminister Clement mit seiner „Sozialschmarotzer“-Broschüre, so jetzt die verunsicherte CSU im bayerischen Wahlkampf. Wolfgang Lieb

Der Freitag und Steinbrück am gleichen Strang – Das kostet den Freitag leider Glaubwürdigkeit

Im Aufmacher des Freitag (siehe unten) wie in einem Interview Steinbrücks mit dem Stern (siehe unten) wird gegen Konjunkturprogramme polemisiert – beides etwa gleich unbegründet und voller Vorurteile. „Mit Konjunkturprogrammen wird nur Geld verbrannt“, meint Steinbrück. Das ist der Satz eines Menschen, der volkswirtschaftliche Zusammenhänge immer noch aus der Sicht eines Einzelnen betrachtet. Steinbrück hat noch nicht einmal wahrgenommen, dass seine besseren Steuereinnahmen des Jahres 2006 und 2007 ganz wesentlich mit der Verbesserung der Konjunktur zusammenhängen. Er hat noch nicht einmal in sich aufgenommen, dass der Sparkurs seines Vorgängers Eichel zwischen 2001 und 2003 „Geld verbrannt hat“, weil nämlich die Konjunktur und damit auch die Steuereinnahmen einbrachen. Steinbrück ist ein hoffnungsloser Fall. Ganz ähnlich Robert Kurz in der Titelgeschichte des Freitag. Wenn man diesem Aufmacher folgen will, dann muss man einem Klischee nach dem anderen Glauben schenken. Albrecht Müller.