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Erosion der Demokratie

Was vor 20 Jahren Verschwörungstheorie war, ist heute eine unbestrittene Tatsache

Vor neun Monaten erfuhren wir, dass die zwei toten Männer im Campingwagen nicht nur routinierte Bankräuber, sondern vor allem Mitglieder einer neonazistischen Terrorgruppe namens ›NSU‹ waren, von deren Existenz keine staatliche Stelle etwas gewusst haben will.
Seither gibt es eine Flut von Medienberichten und zahllose journalistische Recherchen, die sich um Aufklärung bemühten. Die These, der Grund für den „blinden Staat“ sei ein Verkettung von Versäumnissen, Pannen und persönlichen Unzulänglichkeiten lässt sich kaum noch halten. Ein Verfassungschef nach dem anderen tritt zurück, ein Dominoeffekt wird befürchtet, ein Systemabsturz.
Die Gefahr, dass man aus diesem organisierten Versagen eben nicht die Stärkung jener Geheimdienste ableiten kann, sondern ihre Auflösung, bringt aber nun Aufklärungs- und Verdunklungswillen wieder zusammen. Soweit will es niemand kommen lassen, bei allem Bedürfnis nach Quote und Auflagesteigerung. Jetzt heißt es, als Regierung und Opposition zusammenzuhalten und das erschütterte Vertrauen in den Verfassungsschutz in einer Blitzheilung wiederherzustellen. Von Wolf Wetzel.

Rechtsradikale in Ungarn setzen „nationale Romastrategie“ um

Eine Reportage über die so genannten nationalen Roma-Strategie der ungarischen Regierung und deren Auswirkungen in Gemeinden mit Bürgermeistern der rechtsextremen Jobbik. Die Maßnahmen führen u.a. dazu, dass ungarischen Roma nach Kanada fliehen und dort politisches Asyl beantragen. Von Jürgen Weber.

Der „dritte Mann“ des nationalsozialistischen Untergrundes/NSU – ein Anruf genügt…

Hätte vor ein paar Monaten jemand behauptet, dass zur ›Aufklärung‹ der neonazistischen Mordserie Akten vernichtet, wichtige Erkenntnisse unterschlagen, Untersuchungsausschüsse belogen werden, Leitende Beamte des Bundesamtes für Verfassungsschutz Falschaussagen machen, wäre er als Verschwörungstheoretiker lächerlich gemacht worden. Wenn vor Monaten jemand behauptet hätte, dass die verschiedenen Geheimdienste nicht dilettantisch, sondern perfekt zusammengearbeitet hatten und über ausgezeichnete Kontakte zum neonazistischen Thüringer Heimatschutz/THS verfügten, also zu Mitgliedern der daraus hervorgegangenen Terror-Gruppe ›NSU‹, wäre ihm Gleiches widerfahren.
Jetzt sind diese berechtigten Annahmen gerichtsverwertbar. Von Wolf Wetzel.

Darf man Begriffe benutzen, die bisher der Beschreibung der Verhältnisse in der Nazizeit vorbehalten waren?

Robert Misik hat für einen Kommentar in der TAZ („Kollegen, ihr habt versagt!“) den Begriff „Gleichschaltung“ zur Beschreibung der Mediensituation in Deutschland benutzt. Es ist begrüßenswert, dass endlich auch ein Journalist einen passenden Begriff, der üblicherweise der Beschreibung der Verhältnisse im Deutschland der Naziherrschaft vorbehalten ist, benutzt. Normalerweise ist die Erinnerung an Nazimethoden dann, wenn man die Verhältnisse von heute beschreiben will, tabu. Man darf nicht von „Methoden wie bei Goebbels“ und eben auch nicht von „Gleichschaltung“, und im Blick auf Sarrazin und andere Politiker und Publizisten auch nicht von „Rassismus“ oder von „Volksverhetzung“ sprechen, u.a.m… Die Tabuisierung wirkt wie ein Schutz für jene die sich dergleichen Methoden bedienen. Albrecht Müller.

Der deutsche „Marshall-Plan“ besteht hauptsächlich aus Kontrolle, Verzicht, Strafe und schmerzhaften Opfern: ein Marshall-Plan der demütigt und Schmerzen zufügt.

Als ich damit angefangen habe, mich bei den NachDenkSeiten – zunächst als Leser – zu engagieren, ging es mir um die immer penetranter werdenden Forderungen von Wirtschaft, Medien, Ökonomen und Politik, das Volk möge seinen Gürtel gefälligst enger schnallen, damit es der Wirtschaft gut geht. Das wurde mir angesichts der zunehmenden Spaltung in arm und reich immer befremdlicher. Roger Strassburg*.

Hallo, Herr Bundespräsident, wo bleibt Ihre Intervention gegen die erkennbare Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit rechtextremen Mördern?

Sie lassen sich gerne Demokratie-Lehrer nennen. Jetzt wird bekannt, dass vom Verfassungsschutz Geheimdienstakten zur bundesweiten Mordserie der Rechtsterroristen vernichtet worden sind – genau einen Tag, nachdem die Tatwaffe dem Mördertrio zugeordnet werden konnte. Das riecht nach einem Anschlag auf Grundregeln der Demokratie. Auf Ihrer Webseite findet man nichts dazu. Es kann ja sein, dass Sie bei der Bundeskanzlerin oder zumindest beim Innenminister wegen dieses Vorgangs interveniert haben. Was Sie dabei erfahren haben, muss auch die Öffentlichkeit interessieren. Denn so wie die Dinge liegen, kann man diesen Verfassungsschützern nicht mehr trauen. Das muss doch auch den Bundespräsidenten beunruhigen. Albrecht Müller.

Regierungserklärung zum Europäischen Rat – Merkel die Patin

Das also soll sie gewesen sein, die große Debatte zwei Tage vor der Verabschiedung des Fiskalpakts und des ESM, unkündbare völkerrechtliche Verträge, die die Demokratie in Deutschland und ganz Europa auf unabsehbare Zeit zum Handlanger der „Märkte“ machen und eine aktive Wirtschaftspolitik und den Sozialstaat praktisch auf Dauer strangulieren [PDF – 191 KB]. Die gestrige Regierungserklärung der Kanzlerin und die Debatte im Bundestag darüber hätte man sich auch sparen können. Merkel konnte sich wie ein Mafia-Boss als Patin aufspielen. Sieht so die Beteiligung des Parlaments an den Entscheidungen auf europäischer Ebene aus? Von Wolfgang Lieb.

Missachtung der Demokratie ist immer noch nicht strafbar. Auch wenn man sie in Blut ertränkt?

In Ergänzung zum Beitrag über die Missachtung des Minimums an demokratischem Anstand und anderen Artikeln zu den Wahlen in Griechenland schickt ein Nutzer der NachDenkSeiten eine Mail mit harten, erschütternden Fakten zum bösartigen Umgang der Herrschenden mit demokratischen Grundregeln. Da diese Fakten vielen Menschen nicht bewusst sind und der Bundespräsident in diesen Tagen 100 Tage im Amt ist, geben wir diese Email zur Kenntnis. Ob der Bundespräsident diese erschütternden Fakten kennt? Es wäre jedenfalls wichtig, damit er – „Der falsch Präsident“ – in den verbleibenden Tagen differenzierter von Freiheit und Demokratie spricht. Albrecht Müller.

Die Wachhunde der Machtelite: Noam Chomskys Kritik der Intellektuellen

Für Noam Chomsky haben die Intellektuellen die Verantwortung, die Wahrheit zu sagen und Lügen aufzudecken. Diese Verantwortung der Intellektuellen leitet sich aus der politischen Freiheit, dem Zugang zu Informationen und der Redefreiheit her. Aber nach Chomsky zeigt die historische Erfahrung, dass Intellektuelle diesen privilegierten Status nicht für das Sagen der Wahrheit nutzen, sondern vielmehr ihre Fähigkeiten in den Dienst für die Interessen und Privilegien der Machtelite stellen. Diese Machtelite entscheidet darüber, was in der Gesellschaft passiert, weil sie über den dafür notwendigen Reichtum besitzt.
Intellektuelle bilden für Chomsky eine „Art säkulare Priesterschaft“ für die Machtelite, weil sie Ideen, Pläne, Strategien, Werte, Theorien, Rechtfertigungen und Doktrinen für die ökonomischen und politischen Entscheidungsträger des Herrschaftssystems entwickeln und dem Rest der Bevölkerung „verkünden, was sie glauben sollen“. Christian Girschner zeichnet Chomskys Kritik der Intellektuellen nach.

Wahlen in Griechenland: Klientelsystem am Ende – Koalition der radikalen Linken der Wahlgewinner

Das Ergebnis der griechischen Parlamentswahlen vom 6. Mai kommt einem politischen Erdrutsch gleich. Vergleichbares hat es in der Parteienlandschaft eines europäischen Staats nach 1945 nicht gegeben. Denn handelt es nicht lediglich um den „Erdrutschsieg“ einer bestimmten Partei. Abgerutscht ist vielmehr ein seit 60 Jahren (mehr oder weniger) funktionierendes politisches System, das auf der Konkurrenz und dem Wechsel zwei großer „Lager“ basierte, die seit 1981 durch die rechte Nea Dimokratia (ND)und die linke Pasok repräsentiert wurden. Von Niels Kadritzke

Die Angst der Eliten vor dem Volk

Wie eigentlich kaum anders zu erwarten, hat das Gros der deutschen Medien mit hysterischer Schnappatmung auf den Linksrutsch in Frankreich und Griechenland reagiert. Anstatt das Votum des Volkes zu akzeptieren und zu respektieren, verweist die deutsche Presselandschaft lieber mit gespielter Distanziertheit auf die vermeintliche Reaktion der Finanzmärkte und prophezeit der Eurozone eine „Vertrauenskrise“. Freilich ist dabei nicht das Vertrauen der Bürger, sondern das Vertrauen der Finanzspekulanten gemeint. Die Bürger vertrauen nämlich längst nicht mehr darauf, dass die Politik ihre Interessen vertritt. Da stellt sich unweigerlich die Frage, ob Medien, die ganz offen die Interessen der Eliten und der Finanzlobby über die Interessen des Volkes stellen, überhaupt noch der freiheitlich demokratischen Grundordnung entsprechen. Von Jens Berger.

Henri-Nannen-Preis für BILD? Weiß die Jury, was für ein übles Kampagnen-Journal sie damit ehren würde?

Antje Vollmer hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass die Bild-Zeitung im Rennen um den Henri-Nannen-Preis ist. Siehe hier . Man muss diese Absicht so deuten, dass inzwischen die Mehrheit der Medien Kampagnenjournalismus betreibt wie die Bild-Zeitung auch. Und dass deshalb die Verleihung eines Preises, der mit dem Namen eines ehrenwerten Publizisten verknüpft ist, allen hilft, der Bild-Zeitung zur Aufbesserung ihres Renommees und den ähnlich agierenden Medien, weil dann ihr Abrutschen in gezielte und gekaufte Agitation nicht mehr mit dem Geruch des Negativen versehen ist. Die Mitglieder der Jury sollten sich vielleicht noch einmal einen kleinen Ausschnitt aus Kampagnen anschauen, die bei BILD in den letzten Jahren gelaufen sind. Albrecht Müller.

Das Ritual

Es ist wie im Theater. Wulff tritt ab und Gauck auf die Bühne. Eben wurde noch gepfiffen, dann wird bereits wieder geklatscht. Jetzt wird erneut gepfiffen. Wulff will seinen Ehrensold. Ehrloses Verhalten verdient jedoch keine Würdigung. Das Publikum empört sich zu Recht über Christian Wulff.
Das Stück vom Präsidentenwechsel ist ein emotionales Stück ohne Pause. Es fehlt ihm die nötige Nachdenklichkeit. Von Wolfgang Neskovic

Rezension: Jens Berger, Stresstest Deutschland – Wie gut sind wir wirklich?

Jens Berger unterzieht Deutschland endlich einem Stresstest, der diesen Namen, anders als die vor nicht allzu langer Zeit für Banken veranstalteten „Stresstests“, tatsächlich verdient. Es wurde auch höchste Zeit. Der Autor weist in seiner Einleitung zutreffend darauf hin, dass die Mehrheit der Deutschen seit mehreren Jahren das Gefühl hat, dass es ihr von Jahr zu Jahr schlechter geht. Er zeigt anhand zahlreicher Statistiken, dass die Menschen insoweit nicht einer Sinnestäuschung unterliegen. Andererseits weiß Berger auch, dass Glück nicht messbar ist und Glücksempfinden auch von Faktoren bestimmt wird, die nicht wirtschaftlicher Natur sind. Von Wolfgang Hetzer.