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Erosion der Demokratie

Gustl Mollath – „Macht braucht Kontrolle, wirksame Kontrolle“

Was in unserem Land in der Justiz, Politik, Bankenwirtschaft und der Psychiatrie abläuft, muss öffentlich werden. Wir dürfen darüber nicht länger schweigen. Hinter der Fassade unseres demokratischen Rechtstaates herrschen Zustände, die ihresgleichen suchen und die an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte gemahnen. Ich weiß, ich hatte Glück. Großes Glück. Nur durch den Einsatz und die Unterstützung vieler Menschen, die mein Schicksal nicht kalt gelassen hat und die sich auf eine unglaubliche Art für mich eingesetzt haben, bin ich nun in Freiheit. Nur durch die in meinem Fall zustande gekommene Öffentlichkeit waren die Institutionen regelrecht dazu gezwungen, mich vor die Tür zu setzen. Aber: Meine nun wieder gewonnene Freiheit bedeutet für mich noch lange nicht, so frei zu sein, wie es alle anderen Mitbürger sind. An mir hängt ein großer Makel. Diesen Makel kann ich nur loswerden durch ein ordentliches Wiederaufnahmeverfahren, das jetzt immerhin wahrscheinlich geworden ist. Von Gustl Mollath.

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NSA: Ohnmacht des Rechtsstaats?

Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA haben sich nach aller Voraussicht nach deutschem Strafrecht strafbar gemacht. Auch wenn im Ergebnis absehbar keine Verurteilung der Täter vor deutschen Gerichten zu erwarten ist, aber schon die Einleitung eines offiziellen Ermittlungsverfahrens der Bundesanwaltschaft wäre ein wichtiges Signal, das auch die Politik unter Druck setzen würde, die rechtswidrigen Zustände nicht weiter kleinzureden.
Das seitens der Bundeskanzlerin in Aussicht gestellte „No Spy-Abkommen“ könnte zumindest klare inhaltliche Positionen für einen transatlantischen Rechtsdiskurs über Spionage und Datenschutz schaffen. Jedoch hilft nur ein Abkommen, welches die Rechte der Bürger auf informationelle Selbstbestimmung nach deutschen Datenschutzstandards gewährleistet und nicht durch weitreichende Ausnahmetatbestände unter dem Vorwand der „Terrorbekämpfung“ aufgeweicht wird, wirklich weiter. Zudem wäre ein europäisches Abkommen mit den USA einem bilateralen, deutsch-amerikanischen Abkommen vorzuziehen. Von Norbert S. Anschütz.

Veranstaltungshinweis Jens Berger – Dresden 6.11.

Auf dem Weg zur marktkonformen Demokratie

Reihe: Was kostet die Welt? Zur Ökonomisierung der Gesellschaft

Märkte beruhigen, Rettungsschirme spannen, Krisengespräche führen- Im Zuge der Eurokrise scheint es immer selbstverständlicher, dass die Märkte als eigenständiger und einflussreicher Akteur wahrgenommen werden und der politische Kurs sich an ihnen zu orientieren hat. Bundeskanzlerin Angela Merkel prägte im Zuge dessen längst den Begriff der „marktkonformen Demokratie“.

Wettrüsten im Cyber-War – Das Lügen-Dilemma um Merkels Handy

Nachrüstung, das soll die Antwort auf die Ausrüstung der NSA zur Ausspähung anderer Länder, ihrer Bürgerinnen und Bürger, ihrer Politiker, ihrer Wirtschaft sein. Der Verfassungsschutz will das Personal der entsprechenden Abteilung verdoppeln, meldet Bild. Statt sich um den Schutz von Daten zu kümmern, soll bei der Überwachung nachgerüstet werden: Massenhafte Überwachung soll also durch noch mehr Überwachung bekämpft werden. Das ist die Übertragung der Logik des „Kalten Krieges“ auf den Cyber-War. Diesmal aber nicht nur gegen den Osten, sondern auch gegen den amerikanischen „Verbündeten“.
Von Wolfgang Lieb.

Als junger Mensch mit ein bisschen kritischem Verstand muss man sich angesichts der Wahlen vom Sonntag große Sorgen machen

So habe ich ihre Reaktion auch erlebt. Die Perspektive ist grausam: Die Demokratie funktioniert nicht mehr. Sanktionen bleiben aus. Kritische Medien muss man mit der Lupe suchen. Die Wahlstrategien der Herausforderer waren jämmerlich. Sie sind mehr geprägt von Meinungsmache als von sachlichen Erwägungen. Die einzige wenn auch schwache Alternative wird nicht einmal geprüft. Albrecht Müller.

AfD ante portas – Rechtsruck mit der deutschen Tea Party

Bei einer Umfrage des Insa-Instituts für die BILD-Zeitung kommt die neu gegründete Anti-Euro-Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) bei der Sonntagsfrage über die magische Fünf-Prozent-Marke. Nach den Republikanern, dem Bund freier Bürger und der Schill-Partei ist die AfD der nunmehr vierte Versuch, eine Partei mit marktliberaler Wirtschafts- und Sozialpolitik und erzkonservativer Gesellschaftspolitik zu etablieren. Wer die AfD auf ihren – zweifelsohne vorhandenen – Rechtspopulismus reduziert, läuft Gefahr, die eigentliche ideologische Gefahr nicht zu erkennen, die von dieser Partei ausgeht. Von Jens Berger

„Macht braucht Kontrolle!“ – Gustl Mollath in Gießen

Auf Initiative der Gießener Akademischen Gesellschaft, die sich der Aufgabe verschrieben hat, die Wissenschaft in den Dienst der Menschen zu stellen, fand am Samstag, dem 24. August 2013 in Gießen ein Symposion unter dem Titel Die Richter und ihre Denker – Strukturen in der Justiz und im Gutachterwesen statt. An der Veranstaltung nahm auch Gustl Mollath teil.
Ruhig und sachlich und ohne jeden Belastungseifer trug Gustl Mollath seine Kritik vor und appellierte an ein dem Anspruch nach demokratisches Gemeinwesen, längst fällige Reformen einzuleiten. Es sei nicht länger hinzunehmen, dass Menschen systematisch ihrer Würde beraubt und auf Gedeih und Verderb einer willkürlich verfahrenden Herrschaft ausgeliefert werden. Von Götz Eisenberg

Wie können sich Mehrheiten vor (einfluss)reichen Minderheiten schützen?

Die 100-Millionen-Kopie der Potsdamer Garnisonkirche soll plötzlich aus Bundesmitteln „mit“finanziert werden.
Architektur ist immer politisch: Jedes Bauwerk deutet einen Raum. Jeder, der vorbeikommt, ist dieser Deutung ausgesetzt. Ein Bauwerk kann aus einem Stadtraum eine optische Kloake machen oder einen Rosenhain.
Wird ein Bauwerk mit öffentlichen Geldern gebaut, dann tritt zum ästhetischen Diskurs der merkantile hinzu.
Und wenn ein Gebäude nachgebaut werden soll, dessen Symbolgehalt so massiv war, dass Hitler und Hindenburg sich gerade in diesem Gebäude 1933 öffentlich verbrüdern wollten, dann tritt ins öffentliche Bewusstsein, dass jedes Bauwerk auch eine Deutung der Geschichte eines Ortes ist.
Als Walter Ulbricht die Ruine der Garnisonkirche in Potsdam 1968 sprengen ließ, erbrachte er einen geradezu exemplarisch „barbarischen“ Akt, wenn Barbarei die Zerstörung der religiösen Symbole des Gegners ist. Die Religionen Christentum, Militarismus, Nationalismus und Nationalsozialismus hatten sich in Potsdam einzigartig amalgamiert. Dass diese Religionen sich nun zusammenschließen, um ihr gemeinsames Symbol wiederzubekommen, führt zu aufschlussreichen Verwerfungen – denn alle haben sich verändert und passen in gewisser Weise nicht mehr recht zusammen. Von Wolfram Meyerhöfer [*]

Arabischer Winter – Wenn „Demokratie“ zum Kampfbegriff wird

Demokratie ist für die westliche Politik nur dann erstrebenswert, wenn bei Wahlen die „Richtigen“ gewinnen. Der Muslimbruder Mohammed Mursi gehörte nicht dazu. Daher haben die Regierungen der westlichen Welt offenbar auch kein großes Problem damit, dass der demokratisch gewählte Präsident Ägyptens durch eine Junta aus dem Amt geputscht wurde. Erst als die neuen Machthaber in zahlreichen Massakern tausende Demonstranten abschlachteten, machte sich in Berlin, London und Washington leises Unbehagen breit. Ägypten steuert mit voller Fahrt zurück zur Militärdiktatur. Aus dem arabischen Frühling ist ein arabischer Winter geworden – währenddessen lügt man sich im Westen in die eigene Tasche und phantasiert immer noch von einem „Transformationsprozess“. Der Westen wünscht sich keine Demokratie, sondern Stabilität. Und wenn man dafür die Demokraten niederschießen muss, dann sei dem so. Von Jens Berger

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Pofalla rettet sich über die Zeit – Die Taktik des nichts dementierenden Dementis

Letzte Woche behauptete der Geheimdienstkoordinator Ronald Pofalla der Ausspähungsskandal sei „vom Tisch“. Er dementierte dabei Vorwürfe, die gar nicht gemacht wurden. Bei seiner neuerlichen Anhörung vor der Parlamentarischen Kontrollkommission greift er Zweifel an seinen früheren Aussagen auf, die gar nicht mehr in Zweifel standen.

Wie undurchdringlich der Dschungel der ausländischen und deutschen Geheimdienstaktivitäten ist, belegen die über einhundert Fragen die der Grünen-Abgeordnete und parlamentarische Geheimdienstkontrolleur Hans-Christian Ströbele an die Bundesregierung gestellt hat.

So wichtig und richtig das Verlangen nach Aufklärung und nach einem besseren Schutz der Grundrechte durch die Bundesregierung ist, so wenig ist zu erwarten, dass die Regierung die Enthüllungen über den Überwachungsskandal vor der bevorstehenden Wahl noch aufklären wird und will. Merkels „Schattenmann“ versucht sich wie ein angeschlagener Boxer über die Zeit retten. Wenn es die politischen Kräfteverhältnisse nach der Wahl nicht erlauben sollten, wenigsten danach einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzurichten, dann dürfte auch dieser Überwachungsskandal politisch wieder „vom Tisch“ sein. Und die Geheimdienste werden unter dem Tisch weitermachen wie bisher. Denn die Regierenden in aller Welt werden angesichts der sich zuspitzenden Krise den Teufel tun, von der Überwachung ihrer Bürgerinnen und Bürger abzulassen. Von Wolfgang Lieb.

Rabiate Bürgerlichkeit und Angst vor dem Islam: Alltagsrassismus in Deutschland – Der Fall Sarrazin als Signalereignis der Bundesrepublik Deutschland

Der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick hält die Terroranschläge vom 11. September 2001 für die Geburtsstunde einer spezifischen Menschenfeindlichkeit, die sich gegen Muslime richtet. Als ein weiteres zentrales Element für Fremdenfeindlichkeit wird auf die Einführung von Hartz IV hingewiesen. Dadurch hätten einkommensschwächere Gruppen Zuwanderer vermehrt als Konkurrenten wahrgenommen, nicht nur auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt.
Zick stellt heute für die Bundesrepublik, als relativ neues Phänomen, bei den Besserverdienern einen Anstieg rassistischer Einstellungen fest und subsumiert sie unter dem Begriff der so genannten „rabiaten Bürgerlichkeit“.
Ich sehe im Fall Sarrazin das Signalereignis für Deutschland, das nicht nur für die gehoben Stände, sondern für breite Bevölkerungsschichten Ausländer, Gastarbeiter, Türken, Muslime zum Objekt von Menschenfeindlichkeit zusammenführt. Von Orlando Pascheit

Pofallas Erklärungen: Mehr Fragen als Antworten

Mit vollmundigen Erklärungen trat gestern Ronald Pofalla nach der Sondersitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission vor die Mikrofone. „Er las eine vorbereitete Erklärung[*] von seinem Sprechzettel ab, dass es „in Deutschland keine millionenfache Ausspähung“ gebe und dass der „Vorwurf der vermeintlichen Totalausspähung in Deutschland nach Angaben der NSA, des britischen Dienste und unserer Nachrichtendienste vom Tisch sei“.
Der Abhörskandal also nur heiße Luft?
Wer sich so weit nach vorne wagt, muss sich fragen lassen, ob er den Mund nicht zu voll genommen hat. Und da stellen sich bei genauerer Betrachtung mehr Fragen, als dass Pofalla Antworten gegeben hat. Steht die Kanzlerin hinter den Erklärungen ihres Kanzleramtsministers? Von Wolfgang Lieb.

Geschichte wiederholt sich als Tragödie und als Farce zugleich – Schon seit 1989 hätte die Bundesregierung über die Überwachung durch die NSA Bescheid wissen können

Im Februar 1989 brachte der Spiegel eine Titelgeschichte „Freund hört mit“. Die Überschrift des Artikels lautete damals: „NSA: Amerikas großes Ohr, Die National Security Agency, der aggressivste Nachrichtendienst, hört Freund und Feind ab“. Daraufhin hatte die Fraktion der Grünen im Bundestag eine Aktuelle Stunde zum Thema „Die Haltung der Bundesregierung zu Behauptungen in der Presse über das amerikanische NSA-System (Nationale Sicherheits-Agentur)“ beantragt. (Stenografischen Bericht der Sitzung des Deutschen Bundestags vom 24. Februar 1989, S. 9517 ff. [PDF – 1.1 MB]).
In dieser Debatte von damals begegnet man den gleichen Abwiegelungsstrategien der Politik gegenüber dem Überwachungswahn der Geheimdienste, wie wir sie jetzt, fast ein Viertel Jahrhundert später als Reaktion auf die Snowden-Enthüllungen wieder erleben müssen.
Geschichte wiederholt sich offenbar als Tragödie und als Farce zugleich.
Es ist eine Tragödie, wie die demokratischen Staaten und ihre Geheimdienste seit Jahrzehnten mit dem Grundrecht auf Gewährleistung des Fernmeldegeheimnisses, mit der informationellen Selbstbestimmung, dem Schutz der Privat- und Intimsphäre umgehen und statt ihren Bürgerinnen und Bürgern Schutz zu gewährleisten, diese unter Generalverdacht stellen.
Es ist zugleich eine Farce, wie die Politik mit den immer gleichen Ausreden die totale Überwachung rechtfertigt, jede Kritik daran an sich abprallen lässt und schon gar nichts gegen die Unterwanderung von Recht und Gesetz durch Geheimabkommen über die Tätigkeit von Geheimdiensten unternimmt.
Von Wolfgang Lieb

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Merkel gerät immer tiefer in den Sumpf des Abhörskandals

Eine massenhafte Ausspähung deutscher Bürger durch die NSA gibt es nach einem Bericht der Frankfurter Rundschau gar nicht. Der BND liefere vielmehr umgekehrt die „500 Millionen Datensätze“, über die Edward Snowden berichtet hat, auf der Grundlage eines Abkommens vom 28. April 2002 zwischen Deutschland und den USA freiwillig an die NSA.

Sollte diese neue Information, dass der BND der Handlanger für die NSA ist, zutreffen, warum wurde dies dann nicht schon längst zugegeben?

Hat die Kanzlerin mit ihren bisherigen Äußerungen etwa nur die Öffentlichkeit an der Nase herumgeführt?

Ständig hat sie doch im Zusammenhang mit Vorhalt der massenhaften Ausspähung durch die NSA erklärt, sie wisse nichts Genaues, man dränge bei den Amerikanern auf Aufklärung, man müsse dafür sorgen, dass (die auswärtigen Geheimdienste) deutsches Recht einhalten etc.

Die angebliche „Wende“ im NSA-Datenskandal wäre nicht nur eine „Blamage“ für die Bundesregierung, sondern sie wirft Fragen auf, die die Kanzlerin in Bedrängnis bringen.

Von Wolfgang Lieb.

Nachtrag zu „Mollath und die Medien“: Die „Nürnberger Nachrichten“ haben eine sehr gute Rolle gespielt. Von Anfang an. Respekt.

Sie haben den Skandal der bayerischen Justiz erstmals aufgegriffen; der Fortgang der Recherche des NN-Redakteurs Michael Kasperowitsch führte zu einigen Wendemarken des Falles. Alexander Jungkunz, Stellvertretender Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten und Leser der NDS schickt uns die heutige Berichterstattung im Blatt einschließlich eines Gesprächs mit Gustl Mollath und Kommentar. Siehe unten. Lesenswert. Danke. Tut uns leid, dass wir nur die großen Blätter im Blick hatten.
Albrecht Müller.