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Erosion der Demokratie

Akif Pirinçci und das reaktionäre Rollback Deutschlands

Anlässlich der erfolgreichen Gegendemonstration gegen einen NPD-Aufmarsch in Berlin schwärmt die taz davon, wie einfach es ist, Nazis zu stoppen. So erfreulich die Verhinderung des Aufmarsches ist, sie entspricht nicht dem Trend in der Gesellschaft. Wer meinte, dass nach den Bestsellererfolgen von Sarrazin das rechte, fremdenfeindliche, ja rassistische Potenzial deutscher Befindlichkeit zurückgegangen wäre, wird durch den Erfolg von Akif Pirinçcis Buch, “Deutschland von Sinnen. Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer”, eines Besseren belehrt. Von Orlando Pascheit.

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Andere Länder, andere Maßstäbe – Ägypten und die Lynchjustiz

Stellen Sie sich doch bitte einmal vor, wie groß hierzulande die Aufregung wäre, wenn in Russland ein Regierungskritiker – in der hiesigen Sprachregelung „Regimekritiker“ – zum Tode verurteilt worden wäre. Andere Länder, andere Maßstäbe – in Ägypten wurden zum Wochenbeginn ganze 683 Regierungskritiker – in der hiesigen Sprachregelung „Terroristen“ – zum Tode verurteilt. Von Aufregung ist hierzulande jedoch nichts zu spüren. In den Medien wird dieser brutale Akt von Staatsterrorismus allenfalls beiläufig vermeldet und die Politik verfällt einmal mehr, wenn es um Ägypten geht in ein bleiernes Schweigen. Stattdessen drischt man lieber mit gesammelter Kraft auf Altkanzler Schröder ein, der die Unverfrorenheit besitzt, mit dem russischen Präsidenten zu sprechen. Von Jens Berger.

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Die Instrumente des neoliberalen EU-Orchesters

Das geplante Freihandelsabkommen „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) ist nur die Fortsetzung einer schon jahrzehntelang betriebenen, massiven Liberalisierungs-, Deregulierungs- und Privatisierungspolitik innerhalb Deutschlands und der Europäischen Union sowie darüber hinaus. Inzwischen gibt es eine Vielzahl kaum noch überschaubarer innereuropäische, aber auch bilaterale oder regionale Verträge oder interkontinentale Verhandlungsansätze, die die Weichen für eine solche Politik längst gestellt haben – zumal innerhalb Europas. Wenn ein Abkommen scheiterte, gab es kurze Zeit später unter anderem Namen einen neuen Anlauf. Der Widerstand dagegen glich dem Kampf gegen eine Hydra, jenem schlangenähnlichen Unwesen, dem immer wieder neue Köpfe nachwachsen. Mit dem transatlantischen Abkommen TTIP soll diese neoliberale Politik nun auch jenseits der Europäischen Union abgesichert werden. Da die Bestrebungen der WTO, den grenzenlosen Freihandel weltweit einzuführen, nur teilweise erfolgreich waren, zielt das TTIP nun als weiterer Schritt auf eine weitgehende transatlantische Marktöffnung außerhalb der Europäischen Union, bilateral mit den USA. Dieses Abkommen ist jedoch – wie viele andere – gleichfalls nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einer weltweiten grenzenlosen Bewegungsfreiheit für Investoren und zu Handelsfreiheit für internationale Konzerne, ohne steuernde Einflussmöglichkeiten demokratischer Gesetzgebung. Dank ihres gerade schon filzartigen Netzwerks an Lobbygremien innerhalb Europas und weltweit, sind Gewinner dieser Entwicklung die großen Konzerne. Verlierer sind die nur national oder regional orientierte Wirtschaft, die nationalen Parlamente und vor allem die Bürger, deren demokratische Rechte noch stärker durch internationale Vorgaben verbarrikadiert werden. Christine Wicht versucht das Dickicht der übernationalen Verträge ein wenig zu lüften, um einen Blick auf die Instrumente und die Partitur des neoliberalen EU-Orchesters freizumachen.

Weh dem, der lügt

John Kerry und sein State Departement holen zum großen PR-Schlag aus. In einer Zehn-Punkte-Liste bezichtigen sie den russischen Präsidenten der Lüge. Das Problem: Kerry und sein Ministerium lügen selbst, dass sich die Balken biegen. Während Putin auf der Krim Fakten schafft, versucht die PR-Abteilung der US-Regierung in den Köpfen der Menschen Fakten zu zementieren, die keine sind. Von Jens Berger.

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Zur Ausstellung „Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme“ – Vom Weißwaschen deutscher „Machteliten“ und vom Anschwärzen ihrer Kritiker

Peter Dausend zählt unter dem Titel „Krieg & Kurt“ für das laufende Jahr 25 Gedenkmöglichkeiten auf; vor lauter Gedenktagen komme man gar nicht mehr zum Denken, befürchtet er. Die Ausstellung „Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme“ belässt es bei drei Gedenkdaten aus dem 20. Jahrhundert und nimmt noch ein weiteres Datum aus dem 21. Jahrhundert dazu: 100 Jahre „Ausbruch“ des Ersten Weltkriegs, 75 Jahre Entfesselung des Zweiten Weltkriegs durch Deutschland, 25 Jahre Mauerfall und Ende der realsozialistischen Regime in Osteuropa und 10 Jahre Osterweiterung der EU. Damit hat man die „Brückenköpfe“ der Ausstellung „Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme“ beisammen, über die die Herausgeber der Ausstellung, drei deutsche „ideologische Staatsapparate“, nämlich das „Münchner Institut für Zeitgeschichte“, „Deutschlandradio Kultur“ und die „Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“, gesponsert von der Daimler-AG, eine „dramatische Geschichte“ Europas „zwischen Freiheit und Tyrannei, zwischen Demokratie und Diktatur“ wölben.
Die Ausstellung erhebt den Anspruch, eine sinnstiftende „europäische Perspektive“ einzunehmen, bleibt aber von Anfang bis Ende ein Stück deutsch-hegemonialer „Erinnerungskultur“, meint Hans Otto Rößer in seiner kritischen Analyse.

Eine Nachbetrachtung zum Schweizer Volksentscheid: Was für die einen Freizügigkeit bedeutet, ist für die anderen der Verlust der Heimat.

Und was dem einen eine berufliche Chance und besseren Lohn bringt, wirkt beim andern als Druck auf seinen Lohn nach unten und der Mieten nach oben. Es ist schon deshalb gut, die Abstimmung in der Schweiz vom vergangenen Sonntag aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Das kann man engagiert tun, wie das zum Beispiel der Regisseur Volker Lösch mit einem Aufruf „Wacht auf!“ [PDF – 265 KB] an die unterlegenen 49,7% im Tagesanzeiger und in der Berner Zeitung tut. Die Kommentare im Netz sind engagiert bis bedrückend; sie lassen ahnen, was in der Schweiz nach dem Volksentscheid los ist. Von Albrecht Müller

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TTIP: Internationale Megakonzerne verhindern die soziale und ökologische Gestaltung der Globalisierung

Die geplante „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ zwischen den USA und der EU ist heftig umstritten. Das Kürzel TTIP (Transatlantic Trade- and Investmentpartnership) taucht bereits auf den Plakaten nicht nur der Globalisierungskritiker auf. Zwei Positionen stehen sich ziemlich unversöhnlich gegenüber. Die Befürworter eines entgrenzten Freihandels betonen die Wohlfahrtsgewinne für alle durch sinkende Preise, mehr an Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze. Die Kritiker dieser Globalisierung mit abgeschmolzenen arbeits- und verbraucherbezogenen, sozialen sowie ökologischen Mindeststandards befürchten den Machtgewinn internationaler Konzerne gegenüber dem Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern und Beschäftigten. Die modellhaft skizzierbaren Vorteile einer grenzüberschreitenden Liberalisierung der Märkte durch den Abbau protektionistischer Hürden und damit sinkender Preise werden durchaus gesehen. In der Realität der international monopolistischen Konkurenz dominieren jedoch die einzelwirtschaftlichen Gewinninteressen zu Lasten breiter Wohlstandsgewinne. Von Rudolf Hickel[*], mit einer Anmerkung von Jens Berger.

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Die Schweizer stimmen ab: „Fuck the EU“ – Ein Alarmsignal für die Europawahl

In der Schweiz hat sich gestern eine knappe Mehrheit von angeblich 19.500 Stimmen mit 50,3 Prozent dafür ausgesprochen, die Zuwanderung von Ausländern „eigenständig“ zu steuern und zu kontrollieren. Der Rechtspopulist und Anführer der Schweizerischen Volkspartei (SVP), Christoph Blocher, hat mit der von ihm mit Millionen finanzierten Initiative „Gegen Masseneinwanderung“ einen (überraschenden) Abstimmungssieg gegen eine breite Front aller anderen Parteien, gegen den National- und Ständerat und auch gegen Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände erzielt. Die Beteiligung an dieser Volksabstimmung lag mit 56 Prozent erstaunlich hoch.
Die Schweizer Regierung muss nun innerhalb der nächsten drei Jahre ein Gesetz auf den Weg bringen, das Höchstzahlen und Kontingente für die Zuwanderung festlegt, die sich nach den gesamtwirtschaftlichen Interessen des Landes richten soll, und wonach ausländische Bewerber nur eingestellt werden dürfen, wenn es keine geeigneten Schweizer Bewerber gibt. Damit muss Bern bei der EU auf eine Änderung des 1999 unterzeichneten Abkommens über Personenfreizügigkeit drängen. Das bedeutet jedoch gleichzeitig, dass nach der sog. “Guillotine-Klausel“ auch die sieben weiteren Verträge zwischen der Schweiz und der EU auf dem Spiel stehen, vor allem auch der freie Zugang der Schweizer Wirtschaft zum EU-Binnenmarkt.
Empörung und Enttäuschung der Politiker in Europa über die Schweizer sind groß, doch würden Volksabstimmungen in anderen europäischen Ländern so viel anders ausgehen?
Von Wolfgang Lieb

Das Freihandelsabkommen TTIP – eine Neuauflage des „vergoldeten Zeitalters“

1873 schrieben Mark Twain und Dudley Warner die gesellschaftskritische Satire „Das vergoldete Zeitalter – Eine Geschichte von heute“. Über 140 Jahre später ist die Geschichte so aktuell wie damals im sog. „Gilded Age“. Der amerikanische Soziologe Charles Derber stellt in seinem Buch „One World“ Verbindungslinien zwischen dem Kolonialismus und der Globalisierung her und er sieht das “Gilded Age“ als das Fenster zur Seele der Globalisierung. Für Gerber ist mit der Globalisierung die Leiche des „Vergoldeten Zeitalters“ wieder ausgegraben worden, einer Wirtschaftsepoche während der auf der einen Seite sich der Reichtum einiger „Räuberbarone“ auf unglaubliche Weise vermehrt und sich auf der anderen Seite Massenarmut und Korruption verbreitet hat. Mit dem Freihandelsabkommen TTIP könnte sich die Geschichte des „vergoldeten Zeitalters“ wiederholen und tatsächlich eine „Geschichte von heute“ werden. Von Christine Wicht.

Griechenland III: Aus Verachtung der politischen Klasse wird Abscheu – Ein Neubeginn ist noch nicht in Sicht.

Die Mehrheit der Regierungsfraktion im Parlament schmilzt, von einer stabilen Regierung kann keine Rede sein. Die regierenden Parteien Nea Dimokratia (ND) und Pasok haben keine Rettungsstrategie mehr. Die neonazistische Partei Chrysi Avgi (ChA) gräbt dem konservativen Lager das Wasser ab und kann schon bei der Europawahl für eine böse Überraschung sorgen. Die Linkspartei Syriza ist im Aufwind, Neuwahlspekulationen machen die Runde. Die Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse verläuft allerdings noch im Zeitlupentempo. Die Jungen und vor allem die technische Intelligenz wenden sich von ihrem Land ab. Eine Welle von aktuellen Korruptionsskandalen macht deutlich wie und warum der griechische Staat zur Operationsbasis skrupelloser Parteipolitiker werden konnte. Wenn die großen Sünder nicht zur Rechenschaft gezogen werden, kann man von den kleinen Sündern keinen Mentalitätswandel erwarten. In Griechenland ist deshalb das Misstrauen gegen den Staat und die soziale Umgebung allgegenwärtig.
Ein Neubeginn mit dem alten Personal ist ohne eine schonungslose und konkrete Aufarbeitung der alten Sünden nicht möglich. Die wachsende Akeptanz der Syriza als ernsthafte Alternative zur Regierung Samaras/Venizelos ist ein stabiler Trend. Aber trotz eines Bekenntnisses des Syriza-Vorsitzende Alexis Tsipras zum Euro hat die Zustimmungsrate für seine Partei die 30-Prozent-Grenze noch nicht durchbrochen. Ein Bündnispartner für eine neue Regierung ist aber noch nicht in Sicht. Hier der dritte Teil der aktuellen Berichterstattung über Griechenland von Niels Kadritzke

Rezension: „Der größte Raubzug der Geschichte“

Der Titel des Buches – „Der größte Raubzug der Geschichte“ – klingt eher nach einem historischen Krimi, aber die beiden Verfasser durchleuchten die heute agierende internationale Finanzwelt und wollen aufzeigen „Warum die Fleißigen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden“. Damit packen die als Finanzberater tätigen Autoren Matthias Weik und Marc Friedrich eine der aktuell wichtigsten politischen Fragen an. Eine Rezension von Hermann Zoller.

Die Edel-Mafia der Plünderer und Ausbeuter und ihrer regierungsamtlichen und ehedem regierungsamtlichen Helfer dirigiert den Kampagnenteil unserer Medien und regiert die Welt

Eine friedliche Weihnachtsstimmung will bei mir partout nicht aufkommen und ich kann sie Ihnen beim besten Willen nicht vermitteln, weil wir gerade wieder einmal Zeuge eines ungeheuerlichen Vorgangs geworden sind: Wer über viel Geld und publizistische Kraft verfügt, kann nicht nur die wesentlichen politischen Entscheidungen bestimmen, er kann auch aus kriminellen Plünderern von Volksvermögen Freiheitshelden machen. Und aus den vermutlich üppig bezahlten Helfern im Weichbild der PR-Agenturen werden Helden im Kampf für die Menschenrechte und die Freiheit. Es geht um Michail Chodorkowski und um Genschers und der Bundesregierung großartige Hilfe für diesen rechtskräftig verurteilten Plünderer und „Freiheitshelden“. Von Albrecht Müller

Nach rechter Stimmungsmache: Schule verlegt „Multikulturelle Feier zum Fest der Werte“

Mit einer „Multikulturellen Feier zum Fest der Werte“ wollte das Gottlieb-Daimler-Gymnasium das Kalenderjahr ausklingen lassen. In der Schule sind 23 Nationalitäten vertreten. Stattfinden sollte die Feier in der katholischen Lieb-Frauen-Kirche. Als der Termin bekannt wurde, brach auf rechtsextremen und islamkritischen Internetseiten ein wahrer shitstorm über die Schule her. Der Schulleitung war das Risiko zu groß. Eine Feier unter Polizeischutz wollte man wohl nicht. Die Feier findet jetzt in kleinerem Rahmen und innerhalb der Schule statt. Ein Beitrag von Hermann Zoller.

„Weimarer Verhältnisse“ in Griechenland? Teil 3

In meiner Darstellung der Situation, die nach dem Mord an zwei Mitgliedern der neonazistischen Chrysi Avgi entstanden ist (NachdenkSeiten vom 4. November und 12. November) , mussten zwei Fragen offen bleiben. Zum einen gab es noch kein Bekennerschreiben, mit dem sich die Täter sichtbar gemacht hätten. Zum anderen gab es noch keine demoskopischen Umfragen, die erkennen ließen, ob die Partei aus ihrer „Opferrolle“ politisches Kapital schlagen kann. Von Niels Kadritzke.

„Weimarer Verhältnisse“ in Griechenland? Teil 2

Nach dem Überfall auf die Wachen vor dem Parteibüro der Neonazis ist die Unsicherheit, wie es in Griechenland weitergehen soll, noch größer geworden. Wer immer die Täter sind, sie haben den Neonazis eher einen Dienst erwiesen. Erinnerungen an den griechischen Bürgerkrieg kommen hoch. Was ist dran an den Berichten, dass die Neonazis über gute Verbindungen zur Polizei verfügen? Ob das entschlossenere Vorgehen und die Anklage gegen die Parteiführung der Chrysi Avgie („Goldene Morgenröte“) einen Teil ihrer Anhänger verunsichert oder abschreckt, ist eine offene Frage. Würden bei Neuwahlen die Neonazis zurückgedrängt und wo würden deren Anhänger bei Wahlen hinwandern? Wie sieht die politische Strategie der Linken gegenüber der Chrysi Avgi aus? Stehen die eingeleiteten strafrechtlichen Verfahren gegen die ChA-Führung überhaupt auf sicherem juristischem Grund oder steht am Ende sogar ein Propagandaerfolg der Neonazis. Es fehlt eine Aufarbeitung mit dem ganz „alltäglichen“ griechischen Nationalismus. Mit diesen Fragen beschäftigt sich der zweite Teil des Beitrags über „Weimarer Verhältnisse“ in Griechenland von Niels Kadritzke.